Hat er? Hat er nicht? War er? War er nicht?
Es gibt kaum eine unwichtigere, keine nebensächlichere Frage in der deutschen Politik als die nach der Beziehung oder Nichtbeziehung von Gregor Gysi zum Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik; auch wenn das durch die Aufhebung seiner Immunität und die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen ihn jetzt wieder thematisiert wird. Das ist das falsche Narrativ.
Gregor Gysi gehörte an der Spitze der Nomenklatura zu den Herrschenden der DDR. Er war Vorsitzender des Kollegiums der Rechtsanwälte in Berlin und zugleich Vorsitzender der Kollegien der Rechtsanwälte in der DDR; ein Spitzenfunktionär also. Er genoß das persönliche Wohlwollen Erich Honeckers (siehe Grüße des Genossen Honecker an den Rechtsanwalt Gysi; ZR vom 20. 5. 2008).
Gregor Gysi hat sich gebrüstet, 1988 einem Abteilungsleiter beim ZK der SED einen "persönlichen Gefallen" getan zu haben, indem er nach Westberlin fuhr, um einen dorthin entflohenen Wissenschaftler in einer "Rückführungsaktion" zur Rückkehr in die DDR zu bewegen (siehe Gregor Gysi, eine Flucht aus der DDR, die Freiheit der Presse; ZR vom 20. 9. 2009).
Gregor Gysi ist nach Karl Liebknecht, Ernst Thälmann und Walter Ulbricht der bedeutendste deutsche Kommunist; bedeutender als Erich Honecker (siehe Gregor Gysi, ein großer deutscher Kommunist. War er IM? Was macht das für einen Unterschied? Nebst einer Linkliste; ZR vom 24. 1. 2011).
Gregor Gysi hat die SED gerettet, als sie vor der Auflösung stand. Er hat die deutschen Kommunisten in der Bundesrepublik salonfähig gemacht; sie durch diverse Umbenennungen ihrer Partei zu einer Kraft geformt, die den Untergang der DDR überstehen konnte.
Er hat als der letzte Vorsitzende der SED mit Moskau über eine mögliche Intervention der UdSSR im Deutschland des Jahres 1989 telefoniert; als einer der großen Spieler der Weltpolitik also (siehe Warum versuchte Michael Gorbatschow die DDR nicht mit der Roten Armee zu retten? Über ein denkwürdiges Telefonat des SED-Vorsitzenden Gysi; ZR vom 6. 3. 2009).
Natürlich war ein solcher Mann kein einfacher Spitzel. Welch eine absurde Vorstellung! Das MfS hatte ihn zu fürchten, nicht er dem MfS zuzuarbeiten. Was aus seiner Kanzlei beim MfS ankam oder auch nicht (ich bin da vorsichtig), das ist eine andere Sache.
Gregor Gysi, ein vor Umgänglichkeit sozusagen triefender Mann, kann richtig böse werden, wenn man ihn für einen einstigen popeligen Spitzel des MfS hält.
Nachvollziehbar. Auch Ulbricht und Honecker hätten sich das verbeten. Das wäre unter der Würde dieses Mannes aus kommunistischem Adel gewesen (siehe Die Würde des Gregor Gysi; ZR vom 28. 5. 2008).
Zettel
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