20. Dezember 2010

Kurioses, kurz kommentiert: Gregor Gysi schon wieder unter falschem Verdacht

Gregor Gysi ist aber auch ein Pechvogel.

Jahrelang mußte er sich gegen die Unterstellung wehren, er hätte als Anwalt von DDR-Dissidenten mit dem Machtapparat der SED zusammengearbeitet (siehe Grüße des Genossen Honecker an den Rechtsanwalt Gysi; ZR vom 20. 5. 2008, sowie Gregor Gysi, eine Flucht aus der DDR, die Freiheit der Presse; ZR vom 20. 9. 2009).

Und nun ist er schon wieder in einen Verdacht geraten. Diesmal sieht es so aus, als hätte er nicht Mandanten hintergangen, sondern seine eigenen Genossen.

Zu diesem Schluß jedenfalls berechtigt das, was im "Spiegel" dieser Woche (51/2010 vom 20. 12. 2010; Seite 20) steht; man kann es auch in "Spiegel-Online" lesen:
Im November vergangenen Jahres erläuterte Gysi - dem Dokument zufolge "gesellig und in Plauderlaune" - dem US-Botschafter bei einem Besuch, die Forderung der Linken nach Abschaffung der Nato sei in Wirklichkeit ein Weg, den gefährlicheren Ruf nach einem Rückzug Deutschlands aus dem Bündnis zu verhindern. Für eine Auflösung der Nato sei ja die Zustimmung der USA, Frankreichs und Großbritanniens nötig. Und das sei unrealistisch.
Mit anderen Worten: Gysi ist in Wahrheit ein Freund der Nato und der deutschen Mitgliedschaft im Bündnis, spielt aber seinen Genossen vor, er sei für deren Auflösung.

Er spielt dieses Spiel, damit diese nicht den deutschen Austritt verlangen. Und das erzählt er dem Botschafter Philip. D. Murphy; als langjähriger Spitzenmanager des Bankhauses Goldman Sachs ein klassischer Vertreter des Finanzkapitals in diplomatischen Diensten.

Das könnte in der Tat, wie der "Spiegel" schreibt, "die Fundis in den eigenen Reihen" auf den Gedanken bringen, "wieder auf Deutschlands Austritt aus der Allianz [zu] drängen".

Es könnte. Wenn es stimmte. Aber es stimmt ja nicht. So wenig, wie die Behauptung, Gysi hätte als Anwalt von Dissidenten mit dem Machtapparat der SED zusammengearbeitet.

Denn wie kam die betreffende Depesche des Botschafters Murphy zustande? Gysi sagt es:
Gysi selbst kann sich an den genauen Wortlaut des Gesprächs nicht erinnern, vermutet aber Übersetzungsfehler, da "das Gespräch auf Deutsch geführt wurde".



Ja so. Gysi ist eben ein Pechvogel.

Bisher hat noch keiner derer, über die aus der Berliner US-Botschaft berichtet wurde - nicht Westerwelle, nicht die Kanzlerin, nicht Seehofer -, sich mit dem Hinweis auf Übersetzungsfehler gerechtfertigt. Offenbar arbeitet der dortige Übersetzungsdienst normalerweise zuverlässig,

Aber ausgerechnet den Gregor Gysi hat es schon wieder getroffen. Just dann, als er es war, der mit Murphy sprach, war der Protokollant oder Dolmetscher nicht gut drauf und übersetzte falsch.

Es gibt halt Menschen, an denen das Pech klebt. Gysi hat es beispielsweise auch schon erleben müssen, daß er vom Generalstaatsanwalt der DDR belogen wurde.

Und wer weiß, vielleicht ist es auch nicht das erste Mal, daß er Opfer von Übersetzungsfehlern wurde.

Als nämlich Gregor Gysi Ende 1989 zum Vorsitzenden der SED und damit zum Führer der DDR geworden war, führte er ein Telefongespräch mit Raffael Fjodorow, dem stellvertretenden Leiter der Internationalen Abteilung des ZK der KPdSU. Das Protokoll dieses Gesprächs ist erhalten geblieben (Über ein denkwürdiges Telefonat des SED-Vorsitzenden Gysi; ZR vom 6. 3. 2009).

Die DDR war damals ein Staat, in dem es gärte. Aber verloren war er noch keineswegs. Im Dezember 1989 konnte niemand wissen, ob es zu einer Wiedervereinigung kommen würde, oder ob Gysi und seine SED das kommunistische System und die staatliche Eigenständigkeit der DDR würden retten können.

Gysi erkundigte sich bei dem hohen Sowjet-Funktionär nach Möglichkeiten. Das Protokoll sagt dazu:
Auf die offene Frage Gregor Gysis, wie weit die Bereitschaft der UdSSR gehe, der DDR in allen Notfällen zu helfen, bemerkte Raffael Fjodorow, daß er keine Vollmacht für eine offizielle Antwort darauf besitze. (...) Gregor Gysi betonte hierzu, daß ein militärisches Machtwort die allerallerletzte Frage sei, sie aber auch dann nicht real in Betracht komme. Es sei aber angebracht, hier an die Bündnisverpflichtungen zu erinnern, daß bei einem Angriff der BRD die Sowjetunion Beistand leisten werde.
In welcher Sprache das Gespräch geführt wurde, geht aus dem Protokoll nicht hervor.

Übersetzungsfehler also nicht ausgeschlossen.



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