14. April 2022

Ein Affront?

Man wollte ihn nicht. Die (deutsche) Boulevard-Presse zürnt: Die ukrainische Regierung, in Form ihres Präsidenten, habe Frank-Walter Steinmeier ausgeladen. Er möge doch bitte nicht nach Kiew kommen. Richtig daran ist erst einmal nur letzteres, ersteres ist falsch, weil Frank-Walter nie eingeladen war sondern sich selber einzuladen suchte, vermutlich um ein wenig davon abzulenken, welche Politik er die letzten 10 oder 20 Jahre so verfolgt hat.

Da das Gedächtnis des ukrainischen Präsidenten wohl etwas länger zurück reicht, als die üblichen sieben Tage des deutschen Politik-Mainstreams, hat man sich wohl gut daran erinnern können, welche Beziehung Frank-Walter zu Moskaus Machthabern zu haben pflegte und wie seine Beurteilung der Ukraine früher aussah. Insofern ist die "Ausladung", die korrekterweise eine Nicht-Einladung gewesen ist, in gewissem Sinne nur konsequent, nicht diplomatisch, aber konsequent.

Ob sie clever war, ist eine gänzlich andere Frage und sehr stark damit verwoben wie stark man das Amt des Bundespräsidenten von seiner Person trennen mag. Als Person ist es absolut nachzuvollziehen, dass Selenskyj Frank-Walter lieber vor die Füße spuckt als sich seine falschen Heucheleien anzuhören, er habe sich ja mit seinen vergangenen Ideen auseinandergesetzt. Die Glaubwürdigkeit von Steinmeier als Person ist schlicht die selbe wie von Karl Lauterbach: Nicht existent. Wer will da schon seine Zeit, und wichtiger noch, seine Ressourcen verschwenden, um Steinmeier eine Bühne zu bieten.

Aber wie das eben so ist, übt Steinmeier eben auch ein Amt aus. Und zwar das des Bundespräsidenten, vollkommen egal durch welche Kungelei er dahin gekommen ist und wie schlecht er die Rolle wahrnimmt. Insofern ist er der höchste Repräsentant des der Bundesrepublik, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und wer Steinmeier ablehnt, der kommt nicht umhin, damit auch der BRD selber einen Schuss vor den Bug zu setzen. Entsprechend empört ist das Boulevard und seine Leserschaft: Was erlaube Selenskyj? Sogar Alexander "Fliegenschiss" Gauland ist aus seiner zweijährigen Corona-Starre erwacht und tutet laut darauf los: Was erlauben die sich? Deutschland ist doch der größte Geldgeber der Ukraine und da wagen(!) die es tatsächlich das Staatsoberhaupt anzupinkeln?

Dazu sind zwei Dinge zu sagen: Zum einen, dass die AfD in dieser Rolle maximal unglaubwürdig ist. Man kann nicht jahrelang auf die Person Steinmeier eindreschen und wie schlecht er das Amt ausfüllt (was absolut richtig ist) und sich dann aus politischem Opportunismus ins Gegenteil verkehren. Zumal es so nahe liegend ist, dass es der AfD an der Stelle überhaupt nicht um Steinmeier geht, sondern man die Chance sieht dem russophilen Anteil der deutschen Bevölkerung, bzw. auch der eigenen Wählerschaft zu gefallen, jetzt mal dem dort verhassten Selenskyj und seinem Außenminister mal so richtig einen auf den Dätz zu geben. Jetzt "darf" man. Vorher war schlecht, man wollte ja sich kaum offen die Blöße geben als Putinversteher aufzutreten. Im Deutschen ist das Wort Hypokrisie extrem unüblich, aber wer ein gutes Beispiel sucht ist mit diesem gut bedient. 

Zum anderen: Vielleicht sollten die Deutschen auch so generell mal still sein. Ja, Deutschland mag ein großer Geldgeber der Ukraine sein. Aber auch nicht mehr als das und auch wenn eine Bank der größte Geldgeber einer Firma ist, bedeutet das nicht, dass man deswegen die Bank nicht kritisieren darf. Geld kann nicht vergessen machen, dass es Merkels Deutschland war, dass verhinderte dass die Ukraine in die NATO eintreten konnte und dass es Scholz Deutschland ist, dass sich ewig dagegen gewehrt hat Waffen an die Ukraine zu liefern, bzw. Russland mit deutlichen Sanktionen zu belegen. Scholz muss man bis heute wie den Hund zum Jagen tragen, wenn es nach ihm gegangen wäre, dann wäre nach den 5000 Helmen(!) Schluss gewesen. Die direkten Nachbarn haben nicht lange gezögert und direkt in den ersten Tagen nach dem Überfall sofort und ohne Debatte Waffen und Munition geliefert (und zwar keine vergammelten Raketen, die man eben noch so rumliegen hatte). Die amerikanische Zivilbevölkerung hat in den ersten zwei Wochen des Krieges deutlich mehr Waffen, Munition und Schutzausrüstung gespendet, als Deutschland bis dato geliefert hat. Es waren die Deutschen, bzw. ihre Regierung, die ewig blockiert haben, bis sie sich so isoliert sahen, dass sie nicht mehr anders konnten. 

Es entspricht der typisch(!) deutschen Überheblichkeit, dass man meint, wenn man nur genügend Geld gibt, man moralisch auf einem besondern Ross sitze und der andere ewig dankbar zu sein habe. Das ist nicht der Fall. Im Zuge der EU Schuldenkrise hat Merkels Deutschland die Pleite Griechenlands verhindert. Und die Deutschen meinen die Griechen haben ihnen jetzt auf ewig dankbar zu sein. Guten morgen, das sind sie nicht! Im Gegenteil, die Einmischung in griechische Innenpolitik wird bis heute schwer übel genommen. Der ESM hat effektiv durch hunderte von Milliarden deutsches Steuergeld die Pleite Italiens verhindert. Sind die Italiener dafür dankbar? Nein, sind sie nicht. Vielleicht sollten sie es sein, aber sie sind es nicht. Mit Geld erzeugt man nur sehr selten Dankbarkeit. 

Gegenbeispiel gefällig? Vor einigen Wochen bat ein ziemlich unbekannter Minister der Ukraine (Mychailo Fedorow, Minister für Digitales) Elon Musk per Twitter um Hilfe für die Ukraine. Musks Antwort war kurz: "Starlink service is now active in Ukraine. More terminals en route." Kurze Anfrage, sofortige Hilfe, bumms. Kein Geld sondern aktive Hilfe. Jetzt ist nicht jeder in einer Situation wie Elon Musk und hat ein Satellitennetzwerk unter seiner Kontrolle. Aber Waffen hat die BRD durchaus. Aber man muss sie wochenlang dazu bequatschen etwas zu tun. Was wäre wohl die Antwort, wenn sich Musk in Kiew anmelden würde? Und wer hat wohl dort einen besseren Ruf: Frank-Walter oder Elon Musk? 

Ja, es bleibt am Ende ein Affront übrig. Und vielleicht ist es nicht clever die Hand zu beißen, die einen immer noch mit füttert. Aber vielleicht sind jemand, der gerade einen Krieg gegen einen übermächtigen Feind im eigenen Land führt und dabei eine ziemlich gute Figur macht, andere Dinge wichtiger als diplomatischer Takt. Ehrlichkeit mag dazu gehören, vielleicht auch mal die Notwendigkeit sich nicht verstellen zu wollen. Wie dem auch sei: Ich fühle mich nicht beleidigt, meine Segen hat Selenskyj jedenfalls.  

PS. Hypokrisie muss man nicht unbedingt nur bei der AfD suchen: Als Frank-Walter vor einigen Jahren in seiner Rolle als Außenminister den amtierenden US-Präsidenten öffentlich einen Hassprediger nannte, war das für den deutschen Mainstream überhaupt kein Problem. Man müsse ja zwischen Amt und Person unterscheiden. Ach? Muss man das?
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Llarian

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