31. Mai 2019

Marginalie: Stirbt mit dem alten, weißen Mann auch der Kavalier aus?

Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, so habe ich den Namen Michael Wendler zum ersten Mal in Berichten über einen Markenrechtsstreit gelesen. Falls Ihnen der besagte Herr gänzlich unbekannt ist, werte Leserschaft, so drückt sich darin nicht ein Mangel an Bildung, sondern vielmehr sogar ein Übermaß derselben aus. Denn intellektuelles Niveau wird ja gerne in der Distanz zu den Lustbarkeiten des breiten Publikums gemessen.

Michael Wendler ist, wie uns die Wikipedia aufklärt, „Sänger und Songschreiber“ und damit wohl genau die Kategorie einer öffentlichen Person, an der Interesse zu hegen dem durchschnittlichen Adressaten des Stern von dessen Redaktion unterstellt wird. Der Tonkünstler, so ist einem Eintrag im Online-Auftritt des Hamburger Wochenmagazins zu entnehmen, buchte nach allerlei Irrungen und Wirrungen für sich und seine bessere Hälfte zwei Plätze in einem Flugzeug von Miami nach Mallorca. So weit, so unspektakulär. Als problematisch an der Reservierung erwies sich, dass die beiden Sitze nicht nur nicht nebeneinander, sondern auch in unterschiedlichen Preisgruppen gelegen waren: der eine in der business, der andere in der economy class. Auch die Tränen seiner 18-jährigen Freundin, die – wie man als Sänger und Songschreiber wissen sollte – nicht lügen (ich spreche von den Tränen, von den Freundinnen will ich nichts gesagt haben), bewegten den 46-jährigen Barden – wir verhandeln ein Boulevardthema, dabei gehören Altersangaben zur lex artis – nicht dazu, mit dem Platz in der Holzklasse vorliebzunehmen und seiner Angebeteten die komfortablere Reisemöglichkeit zu offerieren, was das Nachrichtenmagazin entsprechend kritisch anmerkt.

30. Mai 2019

Je est l'autre: Victor Segalen nach 100 Jahren


(Victor Segalen, 1904 in Nouméa. Abb. Wikimedia)


Sein Ende war so merkwürdig und widersprüchlich wie alles an dem Mann, dessen Leiche in den letzten Tagen des Maimonats vor einhundert Jahren, am Mittwoch, dem 21. 5. 1919, in einem verlassenen Waldstück nahe dem kleinen Dorf Huelgoat in der Bretagne, im Départment Finisterre, dort, wo Frankreichs Landausläufer wie ein Finger in den Atlantik weist, nach zwei Tagen Abwesenheit von seiner Frau und einer guten Freundin der Familie gefunden wurde, auf dem aufgebreiteten Mantel liegend und eine Kopie von Shakespeares Hamlet neben sich, nachdem er sich zu einem seiner ausgedehnten Spaziergänge verabschiedet hatte, die er als Kur gegen seine Ausgelaugtheit, neuralgischen Anfälle und malariaähnlichen Zustände unternahm, nachdem er die vier Monate bis zum März in diversen Sanatorien verbracht hatte. Die Militärärzte vor Ort befanden auf einen Unfall: der 41-jährige Victor Segalen habe sich am Knöchel eine tiefe Fleischwunde beim Sturz über einen scharfkantigen Baumstubben zugezogen, habe beim Versuch, die Wunde abzubinden, das Bewußtsein verloren und sei am Blutverlust gestorben. Seine wenigen (damaligen) Leser und die, die von dem Leben des Autors, der heute einer classiques mineurs der französichen Literatur der Jahrhundertwende und einer der großen Klassiker des Exotismus gilt, warne von Anfang an überzeugt, daß er selbst seiner Existenz ein Ende gesetzt hat. Erst seine letzte Biographin, Marie Dollé, nennt in ihrem Buch Victor Segalen: Le voyageur incertain von 2006, den Suizid klar beim Namen.

Wenn die Realität kommt. Ein Streiflicht zum Schulschwänzen.

Die heilige Greta ist jetzt fast ein Dreiveirtel Jahr, ihre deutschen Jünger jetzt teilweise ein knappes halbes Jahr "im Streik" (mal ab von Ferienunterbrechungen). Und das Ende ist bisher nicht abzusehen.

28. Mai 2019

Starlink



"...dort oben leuchten die Sterne / und unten leuchten wir..." heißt es im Kinderlied, wenn es zum Martinstag, zu Beginn der tiefsten Jahresendzeit, darum geht, mit Laternen einen noch so bescheidenen Kontrapunkt zum schwindenden Tageslicht zu setzen. Gegen die unmittelbare Impression der scheinbar unendlich fernen und unendlich ewigen Leuchtfeuer (was sie in Bezug auf die Kleinheit und Kürze des menschlichen Lebens tatsächlich darstellen) in den Tiefen des Alls vermag alles menschliche Ingenium bislang nichts entgegenzusetzen. Nicht außerhalb der ebenfalls kleinen Bereichs der Kunst und der Literatur jedenfalls und den Bildern, die deren Metaphern und Themen in der menschlichen Phantasie anzünden. Gestaltungen und Zeichensetzungen menschlicher (oder jedenfalls sterblicher) Hand werden auch wohl noch in Jahrmillionen allein diesem Bereich vorbehalten sein: ob es nun darum geht, den Mars durch Terraformierung als eine zweite Erde ergrünen zu lassen, wie in Arthur C. Clarkes bekanntestem Science-Fiction-Roman The City and the Stars (1956) sieben Sonnen als Signum einer am Magie grenzenden Supertechnik in enger Formation einander umkreisen zu lassen (die deutsche Übersetzung isr denn auch unter dem Titel Die sieben Sonnen erschienen), wie in Jack McDevitts Infinity Beach aus dem Jahr 2000 ein halbes Dutzend passender Sterne gleichzeitig als Supernova zu zünden, um weit über die Grenzen des Inseluniversums unserer Milchstraße hinaus ein sichtbares Signal zu setzen: wir sind hier! wir sind intelligent! oder ob es wie in der Anmoderation von Ross Rocklynnes (1913-1988) kleiner Erzählung "Find the Face" (in Galaxy Science Fiction, September 1968) heißt: At the edge of forever, the stars form a Face. But whose? And why?



(Abb. Internet Science Fiction Data Base)

"The face was spread across that whole sky along whose star-clouded shores my elegant boat swam. it subtended an arc of 130°, and that was a lot of sky. I stared stupidly, expecting the face's drooping- star-gleaming lips to curl in contempt, his coal-sack nostrils to pinch in displeasure, his God-eyes, with groups of burning-bright stars where the irises were, to fume at me in cosmic anger. ... But no, his expression, frowning, distant, remained the same. How handsome a man, he that looked down upon me but through me; and, indeed, seemed to have no interest in me. The hair, gray-black, was swept in a haughty wave of radiant gases over his forhead, which in turn was so neatly limned and shaped by clouds and strings of primal hydrogen matter. Hair untidly covered the tops of of his ears, which in turn were but stellar helices with darks and brights of deftly brushed in by an Artist whose identity I could not conceive." (S. 70)

27. Mai 2019

Ibiza-Affäre: Königs- und Bauernopfer

Sebastian Kurz und seine Übergangsregierung sind Geschichte. Der Nationalrat hat sämtlichen Mitgliedern des Kabinetts um den ÖVP-Shootingstar das Misstrauen ausgesprochen. Ist der 32-Jährige in seinem (jedenfalls für einen Politiker und im Vergleich zum Verfasser dieser Zeilen) zarten Alter bereits ein Gescheiterer?

Ich glaube nicht: Eigentlich hätte es für Kurz nicht besser laufen können. Bei der Europawahl fuhr seine Partei satte Gewinne ein – in dem österreichischen Bundesland, das der endunterfertigte Autor (vor allen anderen) liebt, kamen die Schwarzen auf wahrlich volksparteiliche 44 Prozent – und die motley crew der Unterstützer des Absetzungsantrages – SPÖ, FPÖ und JETZT (Liste Pilz) – dürfte nicht viel mehr einen als ihre Abneigung gegen Sebastian Kurz. Anders gesagt: Das Volk hat für den jungen Kanzler gestimmt, eine Politikerelite gegen ihn. Das ist eigentlich der perfekte Märtyrerstatus, wie ihn die Blauen so gern für sich verbuchen würden.

25. Mai 2019

Zwei schöne Kampagnen

Die Fraktion der Pro-Europäer (gefühlt vielleicht 90% des politischen Betriebes, aber auch eine lockere Mehrheit der deutschen Wähler) hat ein Problem: Sie haben keine so rechten Themen mehr. Man kann zwar weiter hirnfrei "Frieden" (SPD), "Ein Europa für Frieden und Wohlstand" (CDU) oder "Europa ist die beste Idee, die Europa je hatte" (Grüne) plakatieren, aber so richtig verfangen tut der Quatsch nicht. Man hat schlicht keine Themen.­
Was einfach daran liegt, dass Europa durch die letzten Jahre wenig bis gar nichts (für den Bürger!) zuwege bringt, sondern sich lieber darin gefällt die realen Krisen wie die Merkelsche Flüchtlingsshow oder das griechische Finanzwunder auszusitzen. Das einzige Konzept der Pro-Europäer besteht in -Überraschung!- mehr Europa. Warum ist eigentlich unklar. Warum Europa Probleme, die es bisher nicht ansatzweise lösen konnte, durch noch mehr Macht in Brüssel lösen will, verbleibt im Nebel. 

21. Mai 2019

Kurz’ Kalkül – Kurz’ gefährliches Spiel

Die Koalition aus ÖVP und FPÖ wird nicht einmal mehr bis zu den voraussichtlich im September 2019 stattfindenden Nationalratsneuwahlen fortgesetzt. Den von Bundeskanzler Sebastian Kurz vorgeschlagenen Deal, wonach im Gegenzug zu Innenminister Herbert Kickls Demission das derzeitige Regierungsbündnis wenigstens noch bis zum nächsten Urnengang Bestand haben sollte, wurde von dem Kärntner abgelehnt. Vielmehr kündigten seine in Ministerpositionen befindlichen Parteifreunde ihr Ausscheiden aus dem Amt an, sollte Kurz dem Bundespräsidenten die Entlassung Kickls vorschlagen.

Verfassungsrechtlicher Hintergrund: Gemäß Artikel 70 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) erfolgt die Entlassung einzelner Mitglieder der Bundesregierung auf Vorschlag des Bundeskanzlers. Den Bundeskanzler oder die gesamte Bundesregierung kann der Bundespräsident hingegen aus Eigenem (also ohne Vorschlag) ihrer Funktion entheben.

19. Mai 2019

Der dritte Mann oder: Wer steckt hinter dem Ibiza-Video, das die österreichische Politik erschüttert?

Tragik und Komik liegen bekanntlich eng beieinander. Und so ist es wohl die personale, letztlich vielleicht nur aus seinem charakterlichen Habitus erklärbare Tragik des Heinz-Christian Strache, dass er, obwohl im Laufe des nunmehr berühmt-berüchtigten Abends des 24. Juli 2017 eine „eingefädelte Falle“ witternd, in diese getappt ist. Die Komik der Begebenheit liegt darin, in welch unvergleichlich plumper Art und Weise sich der zurückgetretene FPÖ-Chef bei der Zusammenkunft auf Ibiza um Kopf und Kragen geredet hat.

Wenn man die in den letzten Tagen ohnehin reichlich zur Anwendung gelangte Recht-und-Moral-Brille beiseitelässt, so ist der völlige Mangel an Format, der sich in Straches redseliger Prahlerei manifestiert, das eigentlich Verstörende an dem der Süddeutschen Zeitung und dem Spiegel zugespielten Video. Zutreffend stellt Claudius Seidl in einem nunmehr hinter die Bezahlschranke verschobenen Beitrag für die FAZ fest, dass patentierte bad guys ganz anders in eine solche Begegnung gegangen wären.

18. Mai 2019

Abflug?

Nur eine winzige Mißzelle, eigentlich nur ein Halbsatz. Aber er sei als zetliche Wegmarke hergesetzt,

Im Kaffeesatz der Zukunft zu lesen zu versuchen, ist stets eine mißliche Angelegenheit; der neben Mark Twain so ziemlich jedem weiteren skeptischen Denker zugeschriebene Satz "Voraussagen sind schwerig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen" hat mehr als seine Berechtigung. Auf der anderen Seite gibt es so etwas wie eine Erwartungshaltung in bezug auf das, von dem man erwartet, daß es ins Haus stehen könnte. Und in diesem Punkt möchte der Protokollant zu Protokoll geben, daß er seine bisherige felsenfeste Haltung, was das weitere politische Schicksal der Frau Bundeskanzler, Dr. phys. Angela Merkel, anbetrifft, leichte Risse bekommen hat.

16. Mai 2019

"Kära fröken Greta..."



"Jag tillstår, sade fröken Greta, att jag tycker hon år det skönaste som Gud skapat - blott allt för mycket luftig, alltför litet folk. Man tycker, att hon, rätt som det år, kunde försvinnar i en sky." - Fredrika Bremer (schwedische Romanautorin, 1801-1865), Nina. Stockholm: L. J. Hjerta, 1835, Bd. I, S. 43-44.

("Ich gebe zu, daß Fräulein Greta gesagt hat, daß ich sie für das Schönste halten würde, daß Gott erschaffen hat - nur ist sie viel zu abgehoben, viel zu kindisch. Man hat den Eindruck, daß sie sich in jedem Augenblick auflösen und wie eine Wolke verschwinden könnte.")

Kära fröken Greta, dear Ms Thunberg, liebe, geehrte ... 

... und hier stutze ich schon in meinem Schreiben an Sie, an Dich, an Euch - denn ich habe nicht angefragt, welchem der zahlreichen in Frage kommenden Geschlechter Sie sich selbst zuzuordnen belieben, ob als unentschlossen, präpubertär, als Pippi-Langstrumpf rediviva oder als Neuauflage von Lotta aus der Krachmacherstraße (eine Rolle, die Ihr Vater Svante Ihrer kleinen Schwester Beata zuschrieb; bei Ihnen würde es sich somit um ihre ältere Schwester Mia Maria handeln) - und ohne eine solche Klärung wäre eine Anfrage an Sie behufs einer solchen Klärung eine üble Zuschreibung meinerseits, Essentialismus oder Existenzialismus oder Expressionismus - auf jeden Fall bäh und pfui in der politischen Diktion des 21. Jahrhunderts, das keine komplizierten Wörter mit mehr als zwei Silben schätzt und lieber mit dem Herzen sieht. Es geht um folgende Sache:

12. Mai 2019

Und sie diskutieren doch: Wie und warum in Frankfurt nicht geschehen ist, was sonst so häufig passiert

Mit den Worten „Es kam diesmal anders“ lässt Thomas Thiel auf FAZ.net seinen sehr lesenswerten Artikel über eine an der Universität Frankfurt abgehaltene, im griffigen Journalisten-Jargon als „Kopftuchkonferenz“ bezeichnete Veranstaltung beginnen. Tatsächlich: Der auf Twitter erschienene Hashtag #schroeter_raus, unter dem von einem letztlich unidentifizierten Autor nicht nur zur Absage des Debattentermins, sondern auch zu einer Entlassung von dessen Organisatorin, der in der Bankenmetropole lehrenden Ethnologin Susanne Schröter, aufgerufen wurde, führte trotz Unterstützung seitens der Lobby der Verhüllungsfreunde nicht zu dem erwartbaren Geschehensablauf. Vielmehr fand der Gedankenaustausch statt; von einer Emeritierung der Professorin ist keine Rede.

Solcherart spielten sich vergleichbare Situationen freilich nicht immer ab, wie die durch Susanne Schröter selbst erfolgte Ausladung des Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, im Jahr 2017 belegt. Die NZZ ordnet die damalige Reaktion der Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam richtig ein: Seinerzeit sprachen sich nämlich sowohl eine nicht unbeträchtliche Anzahl Lehrender als auch der Allgemeine Studentenausschuss (AStA – in der Eigenbezeichnung wohl eher „Studierendenausschuss“) dagegen aus, Wendt, dem man zweifellos ein großes Bewusstsein für Publicity nachsagen kann, was seine Dämonisierung als Hassfigur der Linken aber nicht rechtfertigt, einen Platz auf dem Podium einzuräumen.

9. Mai 2019

Waldkampf



Wenn man nachts im Traum in einem Buch liest... 

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Klong! Kalong! Plonk! Hier ist Schang Kloot, und er kommt die Treppe hinab gekollert, gebeugt von der Last der EU und geplagt vom Ischias, den Kopf voran, eine Stufe nach der anderen. Soweit ihm bekannt ist, ist das die einzige Art und Weise, nach unten zu gelangen. Manchmal scheint es ihm, als ginge es auch anders, wenn ihm das Gepolter nur einen Moment Zeit lassen würde, darüber nachzudenken. Und dann wieder scheint es alternativlos. Als er und die EU ganz unten angekommen waren, weil es nicht mehr tiefer ging, setzte er sich langsam auf, hielt seinen schmerzenden Kopf und sagte zu sich: 

"Aua! Pu! Ich muß mir für diese EU wirklich etwas einfallen lassen. Das wird nicht leicht für einen Bären von sehr geringem Verstand, wie ich es bin. Aber es bleibt mir wohl keine Wahl. Pu!" Und so wollen wir ihn im Weiteren auch nennen.

7. Mai 2019

Danke für nichts. Werbepause redux

Liebe (lieber? liebes?) EDEKA: an dieser Stelle wurde vor mittlerweile gefühlten zweieinhalb Ewigkeiten - im November 2016 - eine leicht launige Lanze für Euch gebrochen, als Eure damalige Weihnachtswerbung unter den reichlich hanebüchenen Verdacht gestellt wurde, ihr würdet damit finstere nationalistische, intolerante, vorgestrige und überhaupt mittelalterliche Botschaften den nichtsahnenden Zuschauer direkt ins Unbewußtsein beamen (Werbepause). Wie es scheint, war das wohl leicht voreilig gehandelt. Zum diesjährigen Muttertag habt ihr euch zum Ausgleich einen Spot gegönnt, der immerhin auf die Auslotung Freud'sche Untiefen verzichtet und seine schlichte Botschaft unverstellt präsentiert: "Wir sagen Danke."

5. Mai 2019

Europa ist die Antwort? Ein Gedankensplitter zum Verlust linker Macht.

Die ehemals sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) ist ja nun schon des öfteren durch eher, sagen wir mal simple, Wahlplakate aufgefallen. Wenn man nix zu sagen hat, dann sagt man es möglichst blumig, vielleicht fällt noch das eine oder andere Stimmvieh darauf herein. Auch zur Europawahl diesen Jahres plakatiert sie ähnlich blumig: "Europa ist die Antwort."

Nun, es ist schön, dass die SPD meint Europa sei die Antwort, vor allem wenn man bedenkt, dass niemand, auch nicht die SPD, eine Frage gestellt hat. Nun ist aber die Frage nach der Frage eigentlich eine ganz spannende und vielleicht in der Konsequenz die Wahlwerbung eine etwas zu ehrliche, als die Genossen sich das eigentlich wünschen.


4. Mai 2019

Zeitmarke. 五四运动 - 4. Mai 1919. Vor 100 Jahren fiel der Startschuß für Chinas Aufbruch in die Moderne



Was am Sonntag, dem 4. Mai 1919, vor genau einhundert Jahren also, auf dem Tainnammen-Platz, dem "Platz des Himmlischen Friedens" in Beijing, damals dem Westen noch durchweg in der Variante Peking geläufig, seinen Anfang nahm und seither als 五四运动, wǔ sì yùndòng, "Bewegung des Vierten Fünften" geläufig ist, war, rein historisch betrachtet, eine kleine Fußnote, eine eher unbedeutende Episode in der Unruhe und dem politischen Chaos, das das nominell republikanisch verfaßte China, gut acht Jahre nach dem Ende der letzten Kaiserdynastie der Qing unter dem damals sechsjährigen Kindherrscher auf dem Himmelsthron, dem Xuantong-Kaiser (宣統帝), der aller Welt unter seinem "bürgerlichen" Namen 溥仪 / Puyi geläufig ist, den er führte, seit ihn die Putschistenregierung des Warlords Feng Yuxiang nach ihrer Machtübernahme in Beiping (wie die "Hauptstadt des Nordens", Bei Jing, von 1922 bis zur Machtergreifung der Kommunisten 1949 hieß) aus der Verbotenen Stadt nach Tianjin vertrieben hatte, ausmachte. Kulturell und für das Selbstverständnis Chinas auf seinem Weg in die Moderne ist diese Episode hingegen kaum zu überschätzen.


3. Mai 2019

"Klimanotstand"


Münster (Westf.), Tag 3 der Reiwa-Ära - 令和 の3日目 (Fr., d. 3.Mai 2019). Die judäische Klimastreikfront ist aus den Ferien zurück. (Eigenes Foto)

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Von Carl Schmitt (1888 bis 1988) ist ein Zitat im Gedächtnis geblieben, das, ungeachtet seiner üblen Rolle als "Kronjurist" und Rechtfertiger der diktatorischen Willkür im Dritten Reich in seiner Triftigkeit weiterhin Bestand für sich beanspruchen kann. Es findet sich zu Beginn seiner ersten Schrift, Politische Theologie - Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, erschienen 1922, und lautet: "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet" (S. 9). Von daher bitte ich um nähere Auskunft: Wann genau hat die Endzeitsekte namens "Fridays for Future", kurz FfF, um die bezopfte Erlöserin aus Schweden, die kindliche Kaiserin des Klimastreiks, in deren Zeichen seit ein paar Monaten jeden Freitagnachmittag der Schulunterricht boykottiert wird, in diesem Land noch mal die Regierungsgewalt samt der Befugnis zur Ausrufung des Ausnahmezustands übernommen? Um die Agenturmeldungen von gestern zu zitieren:

Als erste Stadt in Deutschland hat Konstanz den Klimanotstand ausgerufen. Wie ein Sprecher der Schüler-Bewegung "Fridays for Future" Konstanz am Donnerstagabend mitteilte, fasste der Gemeinderat auf deren Initiative hin dazu einen einstimmigen Beschluss. Die Stadt Konstanz stellt damit alle Entscheidungen unter einen Klima-Vorbehalt.Wie die Stadt im Internetdienst Twitter mitteilte, wurde die Stadtverwaltung beauftragt, zusätzliche Maßnahmen zur Umsetzung des Beschlusses auszuarbeiten. Sie soll nach Angaben von "Fridays for Future" auch künftig einen jährlichen Report über den Fortschritt bei der Vermeidung von CO2-Emissionen herausgeben.
Nach diesem Muster hatten zuvor bereits die Städte Vancouver, Oakland, London und Basel den Klimanotstand beschlossen. Die seit Monaten andauernden Schülerdemonstrationen von "Fridays for Future" können damit in Deutschland einen wichtigen politischen Erfolg verbuchen. "Die Ausrufung des Klimanotstandes durch den Konstanzer Gemeinderat ist ein wichtiges Zeichen für ganz Deutschland", erklärten die Organisatoren in der baden-württembergischen Stadt. (FOCUS)

Man muß das - obwohl es offenkundig sein sollte - wahrscheinlich immer wieder repetieren: es gibt keine Katastrophe, die sich hier auswirkt, die Wüste wächst nicht, schon gar nicht bis an die Ufer des Bodensees; verheerende Dürren oder Überschwemmungen sind nicht zu vermelden, kein Atoll ist, trotz jahrzehntelanger Ankündigung, in den Fluten des Pazifik oder des Indischen Ozeans versunken, sämtliche Termine, an denen der Menschheit ob ihres schändlichen Umgangs mit dem Klima, der Umwelt, der Atmosphäre das Wasser bis zum Hals stehen sollte, sind ergebnislos verstrichen, selbst die Anzahl der globalen Eisbärenpopulation (dem langjährigen Wappentier des Klimaalarmismus) mußte Anfang dieses Jahres gegenüber den extrapolierten Zahlen um 3800 Tiere auf jetzt weltweit 29.800 nach oben korrigiert werden (wie man in diesem Bericht auf S. 3 nachlesen kann). Die Wetterkapriolen - wie die kurze Hitzeperiode im Frühsommer des vergangenen Jahres - halten sich durchweg im Bereich der Variabilität der langjährigen Durchschnittswerte (und waren kein Vergleich mit dem Juli und August des "Jahrhundertsommers" 2003). Gestern morgen um 06:00 herrschten im Konstanz Lufttemperaturen von 5,8°C, die bis Mittag auf 18,6 Grad anstiegen; heute Nacht ging dort länger anhaltender Regen nieder, der gegen 6 Uhr morgen die Niederschlagsmenge von 10,3 Liter pro Quadratmeter erreichte (sh. hier): ein absolut durchschnittliches April-Schmuddelwetter also. Was treibt Gemeinwesen in Deutschland, in Europa, der westlichen Welt, dazu, hier allen Ernstes unter dem Rubrum "Notstand" Maßnahmen zu erlassen, ohne jeden konkreten Anlaß, ohne tatsächliche Notsituationen, die dergleichen rechtfertigen würden? Natürlich kann man darauf verweisen, daß es sich hier ja nur um "Symbolpolitik" handelt, um die Ankündigung reichlich belangloser "Gutachten", von denen zu erwarten steht, daß sie Städten wie Landkreisen im Zug des ohnehin grassierenden Zeh-Oh-Zwei-Fiebers ohnehin ins Haus stehen werden. Daß hier bislang nichts weiter als ein ziemlich folgenloser Kotau von dem herrschenden Zeitgeist stattfindet. Nur sollte man dabei im Hinterkopf behalten, was der Begriff "Notstand" gemeinhin an Bedeutung in sich trägt. Um aus der Definition des Online-Lexikons Wikipedia zu zitieren (eingedenk der dort aufgeführten Warnungen, daß es sich nicht um belastbare Rechtsauskünfte handelt; hier geht es um die semantische Bedeutung dieser Vokabel):

"Kommt es in einem bestimmten Gebiet aufgrund von Naturkatastrophen, Krieg, Aufruhr oder ähnlichem zu einer unüberschaubaren Lage, so kann der Notstand, auch Ausnahmezustand, ausgerufen werden. In der Regel hat dies dann zur Folge, dass die öffentliche Gewalt auf ihre Bindung an Gesetz und Recht insoweit verzichten kann, wie sie es zur Bekämpfung des Notstandes für erforderlich hält. In den demokratischen Ländern bedeutet der Notstand in der Regel die Verkürzung des Rechtsschutzes gegen hoheitliche Maßnahmen sowie Zurückdrängung von längere Zeit in Anspruch nehmenden behördlichen oder legislativen Verfahren." (Wikipedia, Artikel "Notstand")

Es mag sein, daß ich hier, wie man so volkstümlich sagt, die Flöhe husten höre und das Gras wachsen sehe: aber wer würde, angesichts der bereits in Kraft getretenen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge anhand irrwitziger "Belastungen" durch Stickoxide und Feinstaub (die während der mehr als drei Jahrzehnte, in denen der Öko-Wahn bereits in diesem Land grassiert, nie als bedrohlich ausgemacht worden waren), angesichts der sich abzeichnenden Zerschlagung des Automobilindustrie durch Staat und von jeder Verantwortung befreite Lobbygruppen, eine Garantie dafür abgeben mögen, hier würde es bei bloßer Symbolik bleiben? Hier würden nicht genau solche Beschlüsse demnächst zum Anlaß genommen, tatsächlich Notstandsmaßnahmen zu erlassen, in die verheerender Weise in die bürgerlichen Freiheiten und Besitzrechte der Staatsbürger eingreifen? Daß die Medien, in Tateinheit mit der Politik, dem so unreflektierten wie infantilen Treiben der Klimakids Beifall zollen - bis hin zur EU-Führung in Gestalt eines Herrn Juncker und dem Oberhaupt der katholischen Kirche, darf als ein durchaus beunruhigendes Zeichen gewertet werden.

Man sollte die historischen Parallelen nicht überstrapazieren. Aber beunruhigend bleibt der Gedanke, daß beim letzten Durchgang, als, um die bekannte Zeile von Herbert Grönemeyer zu zitieren "den Kindern das Kommando" gegeben wurde, als ihnen nahegelegt wurde, sie dürften die öffentliche Ordnung, die herrschenden Institutionen ohne Bedenken zerschlagen, ohne Rücksicht auf Konsequenzen, im Namen einer höheren Gerechtigkeit - als ihnen dies von der eigenen politischen Führung auf Auftrag erteilt wurde, vor einem halben Jahrhundert, hieß das Unterfangen bekanntlich "Kulturrevolution". Auch dort herrschte die Regression, die Infantilität, der besinnungslose Rausch des Hier-und-Jetzt, und die Slogans der Roten Garden ("Es ist erlaubt, das Hauptquartier zu bombardieren!") unterschieden sich in ihrer benehmenden Primitivität in nichts von den immergleichen einfältigen Parolen einer Greta Thunberg.

Andererseits läßt sich eines ebensowenig übersehen: die "Schulstreiks fürs Klima" sind in ihrer tatsächlichen Wirkungslosigkeit, in ihrer dummen Hilflosigkeit nichts weniger als lächerlich. Sie sind die Travestie eines tatsächlichen Aktionismus, eine Persiflage gegenüber dem tatsäclich zerstörerischen Potential, wie es die von der - im buchstäblichen Sinn massenmörderischen - "Großen Proletarischen Kulturrevolution" inspirierten "68er" - an den Tag legten, bis hin zu des destruktiven Energie, die die Anti-Atomkraft-Bewegung zehn Jahre darauf oder noch die "Antifa" entwickeln konnten, als sie vor zwei Jahren anläßlich des G7-Gipfels in Hamburg das dortige Schanzenviertel zwei Nächte in Trümmer legen konnten. Wenn sich die Politik von diesem Kindergarten auf der Nase herumtanzen läßt, sagt dies mehr über ihren eigenen desolaten Zustand als über "die Macht der Straße" aus, die als gesellschaftliche Gegenkraft darin Ausdruck findet (Neu ist dieser Befund nicht: in der "Occupy-Bewegung" von 2011 zeigte sich die Desolatheit der "Protestkultur" zum ersten Mal in dieser hilflosen Form ganz unverstellt). Überhaupt scheint dieser seit Generationen etablierte Gegensatz  -"ihr da oben - wir hier unten!" - in den letzten zehn, vielleicht zwanzig Jahren seltsam aufgehoben zu sein: hier arbeiten nicht mehr unterschiedliche Pole im gesellschaftlichen Geschehen gegeneinander; hier leben sich zwei Pole frei aus, die beide - die "Politik" wie die "Straße" (wahlweise: "das Volk", "die Gegenkultur") genau dasselbe aufs Panier geschrieben haben: einen unreflektierten Gutmenschen-Utopismus, der um die Widersprüche der Wirklichkeit nichts weiß und der glaubt, sämtliche - vermeintlichen wie tatsächlichen Gegensätze und Friktionen mit hemmungslosen Geldgeschenken und dem Skandieren einfältiger Slogans bewältigen zu können - in Tateinheit mit einem ebenso enthemmten Hedonismus, der zwar schrill beklagt wird (von der "Politik" ebenso wie in den schlichten Parölchen): aber es bleibt seltsam folgenlos: ein immer wieder in den Medienberichten auftauchendes Bild der "Zukunfts-Freitage" war, daß die hüpfenden Jugendlichen nicht einmal bereit waren, den von ihnen hinterlassenen Berg von Fastfood- und Süßigkeits-Verpackungen einzusammeln, ja, daß ihnen dies als Zeichen dessen, was sie hier "anklagen", nicht einmal ansatzweise bewußt wäre.

Es ist diese Janusköpfigkeit, die so bezeichnend für den momentanen Abschied von aller Vernunft (den jegliches Jugendirresein nun einmal in sich trägt) ist: ist dies eine Bewegung, die einen tatsächlich zerstörerischen Kern in sich trägt, eine Kulmination aus einem halben Jahrhundert Gegenkultur und Verachtung aller "westlichen Werte", allen "Fortschritts" im Namen einer ahnungslosen Naturromantik, die aber die westliche Moderne seit ihrer Entstehung als dunkle Gegenströmung begleitet hat und vor einem halben Jahrhundert mit "1968" zum ersten Mal wirkmächtige Form gefunden hat, die sich seitdem vor allem im Zeichen der Öko-Bewegung (aber auch anderen inhaltsfreier Heilslehren wie etwas des Genderismus) hat ausdehnen können? Oder ist dies nichts als eine letzte Form infantiler Wohlstandsverwahrlosung, die wie ein Spuk verschwinden wird, sobald der Strom nicht mehr ununterbrochen aus der Steckdose kommt und die drei Mal im Jahr angesetzten Flüge in den Kurzurlaub tatsächlich dem neuen Puritanismus zum Opfer fallen? Vielleicht (ja, wahrscheinlich) scheint: beides. Noch aber ist, auch in diesem Bereich, eine bedrohlicher Krise dieses unlustigen Treibens nicht in Sicht; es ist noch viel Luft nach oben. Und bis es so weit ist, werden wir in diesem Land noch zahlreiche bizarre Manifestationen dieses Irrsinns bewundern dürfen. Einen Vorgeschmack gab es bereits 24 Stunden nach der ersten Ausrufung des "Notstands":

Klima-Aktivisten stellen RWE ein 47-Tage-Ultimatum
Auf der Hauptversammlung des Energieversorgers stellen die „Fridays For Future“-Aktivisten den Konzern an den Pranger. Doch mit ihrer Kritik ignoriert die Schülerbewegung den radikalen Wandel des Unternehmens. Klima-Aktivisten Luisa Neubauer von der Schülerbewegung „Fridays For Future“ ermahnte die Eigentümerversammlung: „Jede Person hier im Saal trägt Verantwortung.“ „Kein Konzern in ganz Europa trägt mehr Verantwortung für die Klimakrise als RWE“, erklärte Neubauer, die im Namen der kritischen Aktionäre das Rederecht auf der Hauptversammlung ausübte. Die RWE-Anteilseigner verkauften „ihre Verantwortung für ein paar Cent Rendite“. Im Saal wurden Unmutsäußerungen laut.










U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.

1. Mai 2019

Vorwärts zum wahren Sozialismus! Herr Kühnert legt die Karten auf den Tisch.

Es gibt Meldungen, bei denen kann man sich jedwede Kommentierung ersparen. Man braucht sie nur im Original-Ton zu präsentieren; sie richten den, den die Verlautbarung betrifft. So auch die Äußerungen, die der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD, kurz Jusos genannt, heute aus Anlaß des Tags der Arbeit von sich gegeben hat, dem bezeichnenderweise höchsten Feiertag im liturgischen Festkalender aller sozialistischen Systeme. Wie die Welt vermeldet:

"Kühnert fordert Kollektivierung von Großunternehmen
Juso-Chef Kevin Kühnert hat die Kollektivierung von Großunternehmen wie dem Automobilkonzern BMW gefordert. "Ohne Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar", sagte Kühnert der Wochenzeitung "Die Zeit". Auch private Vermietungen solle es im "Optimalfall" nicht mehr geben.

"Wie genau solche Kollektivierungen ablaufen sollten, ließ Kühnert in dem Interview offen. "Mir ist weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW 'staatlicher Automobilbetrieb' steht oder 'genossenschaftlicher Automobilbetrieb' oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht", sagte er der "Zeit". Entscheidend sei, dass die Verteilung der Profite demokratisch kontrolliert werde. "Das schließt aus, dass es einen kapitalistischen Eigentümer dieses Betriebs gibt."