Das Leben
ist lebensgefährlich hat schon Erich Kästner vor vielen Jahren erkannt. Und
weil das so ist, wird es auch jedes Jahr gerne wieder bestätigt, wenn Menschen
an Krankheiten, dem Alter oder an Unfällen sterben. Gerade letztere werden
dabei immer als besonders tragisch angesehen, weil man sie ja vielleicht hätte
vermeiden können. Unfälle kann man doch schließlich verhindern, oder nicht?
Das Denken,
dass man jeden Unfall zu verhindern sucht, hat inzwischen manch bizarre Blüte
getrieben. Wer mal – ganz undeutsch sicherlich – die Funktion eines
elektrischen Gerätes nicht durch Ausprobieren ermittelt hat, sondern
stattdessen eine Betriebsanleitung konsultiert hat, der kann ein Lied davon
singen. Liest man heute eine solche Betriebsanleitung und ist an der Funktion eines
Gerätes interessiert, so kann man erst einmal das erste Drittel des Büchleins
überlesen, denn zur Funktion steht da
in aller Regel (noch) nichts. Dort wird erst einmal seitenweise über Sicherheit lamentiert, es
werden Empfehlungen gegeben dies zu tun, das zu tun und eben jenes zu lassen (Nein, den Toaster nicht in der Badewanne betreiben.).
Teilweise schon in absurder Art und Weise, wenn uns beispielsweise in der
Anleitung zum Aufbau eines Möbelstückes geraten wird, dies doch von einem
Fachmann (Tischler?) durchführen zu
lassen. Eine Lampe beispielsweise soll in dieser Welt selbst nicht von einem
kundigen Erwachsenen angeschlossen werden, sondern es soll ein Elektriker
bestellt werden. Ist das Gerät zu Boden gefallen, ist es nicht etwa auf
Funktion zu prüfen, sondern an den Hersteller zur Funktionsprüfung zu
übersenden. Und natürlich ist die Erkenntnis, das man ein Messer nicht zum
Bohren in der Nase verwenden sollte, zumindest für die Leute recht hilfreich,
die das für eine gute Idee halten.
Natürlich
ist das meiste davon weltfremd, und dem einen oder anderen wird ein Lächeln über
die Lippen gehen, bei der Vorstellung, vor jeder Fahrt zum Bäcker Reifen und Bremsen
prüfen zu müssen. Aber das, was im privaten noch eher lustig ist, ist in der
Industrie seit einigen Jahren ganz und gäbe und absolut bitterer Ernst. Um es etwas klarer zu sagen: Da
kriegt der Schwachsinn dann Methode. Ich habe dieser Tage eine BWA (Betriebs-
und Wartungsanleitung) durchgearbeitet, bei der mehr als 50 Seiten nur mit
solchem, teilweise hanebüchenem, Unfug gefüllt ist. Wobei man dem Hersteller an
dieser Stelle nicht einmal einen Vorwurf machen kann, er tut nur das, wozu er
gesetzlich verpflichtet ist. Und der Gesetzgeber ist irgendwann auf die smarte
Idee gekommen, Unfälle werden nicht durch Denken sondern durch riesige Mengen
an Papier und aberhunderte von Vorschriften und Regeln verhindert.
Eins ist
dabei richtig: Es werden Unfälle verhindert. Richtig ist aber auch, dass der
ganze Wahnsinn inzwischen einen geradezu irrwitzigen Aufwand kostet und
gleichzeitig den Menschen an mehr und mehr Stellen zu entmündigen sucht.
Beispiele gefällig ? Wenn ich heute einen Zaun auslege, um eine Maschine zu
schützen, dann hat dieser Zaun nicht mehr als 180 mm vom Boden weg zu sein.
Warum ? Weil er sonst unterkrochen werden kann. Auch muss dieser Zaun so
gestaltet sein, dass er nur mit entsprechendem Werkzeug, idealerweise Spezialwerkzeug,
entfernt werden kann. Warum ? Weil sonst jemand ihn möglicherweise mit der Hand
abschrauben könnte. Der Zaun muss auch eine bestimmte Höhe haben. Warum ? Weil
er sonst überklettert werden könnte. Natürlich würde kein Mensch, der noch alle
Latten am Zaun hat (no pun intended), einen Schutzzaun unterkriechen,
überklettern oder demontieren. Aber darum geht es nicht, es könnte ja jemand
auf die Idee kommen. Das dieser jemand das am Ende trotzdem tut, das tut ebenso
nix zur Sache.
Jetzt wird
man vielleicht einwenden, dass der Aufwand sich ja rechnet, wenn dadurch
Unfälle verhindert werden. Dazu sind zwei Dinge zu sagen: Nach meiner
bisherigen, sowohl privaten wie auch industriellen, Erfahrung, passieren Unfälle
selten weil eine technische Anlage nicht sicher war oder fehlerhaft ausgelegt
war, sondern sie passieren, weil jemand etwas wirklich sehr, sehr dummes getan
hat. Die Idee solche Unfälle verhindern zu wollen, bedeutet nichts anderes als
den Menschen zum Idioten zu erklären und alle Idiotien unmöglich machen zu
wollen. Was in aller Regel nicht gelingt, denn, wie ja auch bekannt ist, die
Idee etwas vollkommen idiotensicher zu machen, unterschätzt den Erfindungsreichtum
von vollkommenen Idioten. Idioten lassen sich nebenbei von ihrem Verhalten auch
sicher nicht durch eine Bedienungsanleitung abhalten. Und zweitens, auch wenn
es viele nicht wahrnehmen, der ganze Quatsch kostet Geld. Und nicht zu knapp. Wenn
heute Produkte entwickelt werden, dann kann der Entwickler locker 10-20 Prozent
(in einigen Bereichen sogar mehr) seines Aufwandes in die Erfüllung von
Produktsicherheitsgesetzen rechnen. Dieses Geld muss er sich irgendwo wieder
holen. Und wo der tut er das wohl? Richtig, bei Ihnen, lieber Leser. Wenn Sie
also demnächst wieder eine Betriebsanleitung lesen und sich über vier Seiten
freuen, auf den steht, dass sie den neuen Toaster bitte nicht in die Badewanne
werfen sollen, dann freuen Sie sich: Sie haben diese Erkenntnis bezahlt.
Nun muss
natürlich auch die Kirche im Dorf lassen. Produktsicherheit ist nicht per se
überflüssig. Schutzkontakte haben ebenso ihren Sinn wie Vorschriften, dass man
an einer Tankstelle nicht rauchen sollte. Deutschland ist kein Entwicklungsland
und es ist sicher positiv, wenn man sich auch darauf verlassen kann, dass der
Tank des Autos nicht Feuer fangen wird, weil jemand die Erdung vom Tankrüssel
nicht bedacht hat. Aber wie alle guten Dinge, kann man es auch übertreiben. Und
es wird immer mehr übertrieben. Man muss sich klar machen, dass Dinge wie
Eisenbahnen oder Straßenbahnen unter modernen Produktsicherheitsgesetzen nie
hätten in den Verkehr gebracht werden dürfen. Nahezu die gesamte industrielle
Revolution ist nach heutigen Gesetzen kaum durchführbar. Gut, die haben wir
tatsächlich hinter uns. Aber es ist eben auch so, dass industriell Europa
zunehmend ins Hintertreffen gerät (vor allem hinter die Asiaten) und das hat
auch mit Gesetzgebung zu tun. Vielleicht haben die Asiaten uns eine ganz simple
Erkenntnis voraus, die auch Dreiviertel der modernen Sicherheitsgesetze und
Disclaimer in Bedienungsanleitungen überflüssig macht: Vor der Benutzung ist
das Gehirn einzuschalten.
Llarian
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