Ich war diese Woche an der Nordsee, ich hatte "Verbrechen und Strafe" immer in meiner Jackentasche, aber ich kam kaum dazu, darin zu lesen, dauernd unterhielten sich die Leute über das Sarrazin-Buch: am Strand, im Café, im Restaurant, im Supermarkt. Es waren viele ältere Mitbürger mit Dialekten aus, ich würde jetzt mal tippen, ehr süddeutschen Gegenden, die sich wohlwollend über das Buch unterhielten. Einige meinten, es sei mutig, mal die diese Dinge auszusprechen. Einige meinten, endlich sage mal einer was. Einige meinten, man dürfe ja in Deutschland nicht mehr die Wahrheit sagen.
Erlebnisse des Kolumnisten des "Tagesspiegel" Matthias Kalle, von ihm selbst gestern mitgeteilt.
Kommentar: Wenn Sie jetzt Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen" bei Amazon bestellen, dann müssen Sie mit einer Lieferfrist von 8 bis 9 Tagen rechnen. Das, obwohl das Buch am kommenden Montag erscheinen wird; und das, obwohl Amazon in der Regel sehr schnell liefert.
Das läßt vermuten, daß die erste Auflage bereits vor Erscheinen vergriffen ist und derjenige, der jetzt bestellt, auf die zweite Auflage warten muß. Das Buch wird wohl ein Bestseller werden.
Gut möglich, daß sich das wiederholen wird, was es bei einem politischen Buch zuletzt 1985 gegeben hat, als Günter Walraffs "Ganz unten" erschien. Damals wurden die Buchhandlungen regelrecht gestürmt. Allerdings rechnete man auch damit, daß das Buch wegen einer Unterlassungsklage der Firma Thyssen schon bald nicht mehr zu haben sein würde.
Aber diese Klage hat die Auflage nur in die Höhe getrieben (und veränderte Auflagen nach sich gezogen, in denen ganze Textpassagen ausgetauscht wurden). Jetzt scheint es, daß die diffamierenden Reaktionen auf den Buchauszug im aktuellen "Spiegel" (siehe Pawlow'sche Reflexe; ZR vom 25. 8. 2010) eine ähnliche Wirkung haben könnten. Sie sind die beste Reklame für das Buch.
Auch bei Wallraffs Buch ging es um Menschen, die aus der Türkei nach Deutschland gekommen waren. Sie hießen damals allerdings noch nicht "Migranten" oder "Zuwanderer", sondern "Gastarbeiter". Viele lebten noch ohne Familie hier. Bis zu Wallraffs Buch wurde wenig über sie diskutiert. Man freute sich, daß sie hier waren und Arbeiten verrichteten, oft auch schwere und unangenehme.
Darauf hat Wallraff aufmerksam gemacht; mit seiner ja auch heute noch praktizierten Methode, sich wie ein Hochstapler zu verkleiden und die Menschen, mit denen er es zu tun hat, nach Strich und Faden anzulügen; siehe Wie man aus Schaumschlägerei Schaum schlägt; ZR vom 14. 7. 2007 und Wallraff der Lügner, zum zweiten; ZR vom 19. 10. 2009.
Aber immerhin, er hat darauf aufmerksam gemacht; und damals, vor einem Vierteljahrhundert, lag ja wirklich manches im Argen, was die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter anging.
Eine Generation später redet niemand mehr von Gastarbeitern. Daß Türken schlecht behandelt wurden und die niedrigsten Arbeiten verrichten mußten, ist Vergangenheit.
Die Probleme sind heute durchaus ganz andere als damals. Aber wenn man sich die heftigen, hochaffektiven Reaktionen auf Sarrazin ansieht, dann hat man den Eindruck, daß viele, die es gut meinen, in den Einwanderern und türkischstämmigen Deutschen noch immer eine schwache, benachteiligte Gruppe sehen, über die sie ihre schützende Hand halten müssen.
Schutz hätten inzwischen aber oft schon die Deutschen verdient, die noch in türkisch-arabischen Wohngebieten leben. Lesen Sie dazu einmal diesen Artikel im durchaus nicht konservativen, sondern eher linken Berliner Stadtmagazin "Zitty".
Und noch eine gute Nachricht: Seit gestern ist Sarrazins "Spiegel"-Essay in "Spiegel-Online" zu lesen. Kurioserweise mit Datum vom 23. 8., 00.00 Uhr, also dem Erscheinungsdatum des gedruckten "Spiegel".
Erlebnisse des Kolumnisten des "Tagesspiegel" Matthias Kalle, von ihm selbst gestern mitgeteilt.
Kommentar: Wenn Sie jetzt Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen" bei Amazon bestellen, dann müssen Sie mit einer Lieferfrist von 8 bis 9 Tagen rechnen. Das, obwohl das Buch am kommenden Montag erscheinen wird; und das, obwohl Amazon in der Regel sehr schnell liefert.
Das läßt vermuten, daß die erste Auflage bereits vor Erscheinen vergriffen ist und derjenige, der jetzt bestellt, auf die zweite Auflage warten muß. Das Buch wird wohl ein Bestseller werden.
Gut möglich, daß sich das wiederholen wird, was es bei einem politischen Buch zuletzt 1985 gegeben hat, als Günter Walraffs "Ganz unten" erschien. Damals wurden die Buchhandlungen regelrecht gestürmt. Allerdings rechnete man auch damit, daß das Buch wegen einer Unterlassungsklage der Firma Thyssen schon bald nicht mehr zu haben sein würde.
Aber diese Klage hat die Auflage nur in die Höhe getrieben (und veränderte Auflagen nach sich gezogen, in denen ganze Textpassagen ausgetauscht wurden). Jetzt scheint es, daß die diffamierenden Reaktionen auf den Buchauszug im aktuellen "Spiegel" (siehe Pawlow'sche Reflexe; ZR vom 25. 8. 2010) eine ähnliche Wirkung haben könnten. Sie sind die beste Reklame für das Buch.
Auch bei Wallraffs Buch ging es um Menschen, die aus der Türkei nach Deutschland gekommen waren. Sie hießen damals allerdings noch nicht "Migranten" oder "Zuwanderer", sondern "Gastarbeiter". Viele lebten noch ohne Familie hier. Bis zu Wallraffs Buch wurde wenig über sie diskutiert. Man freute sich, daß sie hier waren und Arbeiten verrichteten, oft auch schwere und unangenehme.
Darauf hat Wallraff aufmerksam gemacht; mit seiner ja auch heute noch praktizierten Methode, sich wie ein Hochstapler zu verkleiden und die Menschen, mit denen er es zu tun hat, nach Strich und Faden anzulügen; siehe Wie man aus Schaumschlägerei Schaum schlägt; ZR vom 14. 7. 2007 und Wallraff der Lügner, zum zweiten; ZR vom 19. 10. 2009.
Aber immerhin, er hat darauf aufmerksam gemacht; und damals, vor einem Vierteljahrhundert, lag ja wirklich manches im Argen, was die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter anging.
Eine Generation später redet niemand mehr von Gastarbeitern. Daß Türken schlecht behandelt wurden und die niedrigsten Arbeiten verrichten mußten, ist Vergangenheit.
Die Probleme sind heute durchaus ganz andere als damals. Aber wenn man sich die heftigen, hochaffektiven Reaktionen auf Sarrazin ansieht, dann hat man den Eindruck, daß viele, die es gut meinen, in den Einwanderern und türkischstämmigen Deutschen noch immer eine schwache, benachteiligte Gruppe sehen, über die sie ihre schützende Hand halten müssen.
Schutz hätten inzwischen aber oft schon die Deutschen verdient, die noch in türkisch-arabischen Wohngebieten leben. Lesen Sie dazu einmal diesen Artikel im durchaus nicht konservativen, sondern eher linken Berliner Stadtmagazin "Zitty".
Und noch eine gute Nachricht: Seit gestern ist Sarrazins "Spiegel"-Essay in "Spiegel-Online" zu lesen. Kurioserweise mit Datum vom 23. 8., 00.00 Uhr, also dem Erscheinungsdatum des gedruckten "Spiegel".
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Mit Dank an Calimero und Nepumuk.