16. Februar 2008

Obama Opfer eines Wahlbetrugs in New York? Nebst Bemerkungen über die Chancen der drei Kandidaten

Seit vergangene Nacht kursiert in der Blogosphäre eine Story, die das Potential zu einer hübschen Verschwörungstheorie hat: Bei den Vorwahlen in New York, die bekanntlich Clinton gewonnen hat, seien Stimmen für Obama nicht mitgezählt worden.

Liest man freilich den sehr ausführlichen Artikel im Lokalteil der heutigen New York Times, auf den diese Meldung zurückgeht, dann bleibt wenig vom Verdacht eines absichtlichen Betrugs übrig.

Es stimmt, daß es bei den vorläufigen Ergebnissen, die am Wahltag publiziert wurden, zahlreiche Fehler gab - mal zu Ungunsten von Obama, mal zu Ungunsten von Clinton. Die eigentliche, offizielle Auszählung ist noch im Gang. Dabei muß z.B. auch die Berechtigung von Wählern einzeln überprüft werden, die nur vorläufig zugelassen worden waren.

Lediglich in einem Bezirk - Brooklyn - war Clintons Sieg so knapp, daß möglicherweise im offiziellen Ergebnis Obama zwei Delegierten- Stimmen mehr bekommen könnte als jetzt. Mehr an Korrekturen ist nicht zu erwarten.



Allerdings sieht es im Augenblick so aus, als könnte es bei der Convention auf jede Stimme ankommen. Aber noch nicht einmal das ist mehr gewiß. Denn die Situation ist gegenwärtig ungewöhnlich instabil.

Noch Anfang Februar lag Clinton deutlich vor Obama, wie seit Monaten.

In den vierzehn Tagen seither hat sich ein Swing vollzogen, wie es ihn in der Geschichte der Vorwahlkämpfe selten gegeben hat.

Man kann das bei Rasmussen Reports verfolgen. Dieses Institut veröffentlicht sogenannte tracking polls. Jeden Abend wird eine Telefonumfrage durchgeführt. Aus den Daten von jeweils vier Tagen wird ein gleitender Mittelwert (rolling average) berechnet.

Zusätzlich gibt es bei Rasmussen eine Wahlbörse, bei der durch einen simulierten Aktienhandel die Chancen der Kandidaten ermittelt werden.



Gestern führte bei den demokratischen Wählern, die wahrscheinlich an Primaries teilnehmen werden (likely voters) Obama mit 49 Prozent vor Clinton mit 37 Prozent.

Das ist nicht nur ein deutlicher Vorsprung, sondern innerhalb von wenigen Tagen haben sich bei diesem gleitenden Mittelwert die Mehrheiten umgekehrt. Noch am 10. 2. lag Clinton mit 49 Prozent zu 41 Prozent vor Obama. Wie Richard Baehr im American Thinker anmerkt, ist das innerhalb von 4 Tagen der enorme Swing von 20 Prozentpunkten!

Parallel dazu wird an der Rasmussen-Wahlbörse Obama inzwischen mit 70,8 gegenüber Clinton mit 28,7 gehandelt. (Das sind die Werte, während ich dies schreibe; wie an der richtigen Börse ändern sie sich minütlich).

Der Run hin zum Bandwagon ist also in vollem Gang. Wie in dem mathematischen Modell von Watts und Dodds beschrieben, sind solche Prozesse des Meinungs- Umschwungs nicht "von oben" steuerbar. Sie entstehen im Kleinen und erreichen irgendwann eine kritische Größenordnung, von der an sie sich selbst tragen.



Ist damit also die demokratische Nominierung entschieden? Nicht unbedingt.

Denn es ist es just dieses Merkmal der Nicht- Steuerbarkeit, das solche Prozesse auch wieder leicht kippen lassen kann. Die Obamania ist ja nicht darin verankert, daß Obama mit seinen politischen Positionen überzeugen würde. Sondern er ist halt im Augenblick "in"; ein Popstar. Wie Richard Baehr schreibt:
Many well educated, affluent white voters appear to be happy to have an opportunity to vote for an African American, as if this vote demonstrates their lack of bias. Young voters appear to think it is cool to be for Obama, and not much more depth is required to make that choice. The crowds at universities when Obama appears look like the crowds at a Beatles concert in the mid-60s. It is a frenzy, more than a campaign appearance.

Viele gebildete, wohlhabende Wähler scheinen glücklich damit zu sein, die Gelegenheit zu haben, für einen Afro- Amerikaner zu stimmen; so als würde ihre Stimme beweisen, daß sie frei von Vorurteilen sind. Junge Wähler scheinen zu denken, daß es cool ist, für Obama zu sein, und nicht viel mehr Tiefe ist erforderlich, damit sie sich entscheiden. Die Massen an den Universitäten, wenn Obama auftritt, sehen wie die Massen in einem Beatles- Konzert in den Mittsechzigern aus. Es ist mehr eine Extase als ein Wahlkampf- Auftritt.
Ein, zwei Siege von Clinton - in Ohio beispielsweise, wo sie führt; in Wisconsin, wo sie im Augenblick knapp hinten liegt - könnten, schreibt Baehr, ihrem Wahlkampf wieder neuen Schwung geben und den Rückkopplungsprozeß, der jetzt Obama beflügelt, zu ihren Gunsten wirken lassen.



So sehr sich Baehr bemüht, diesen und andere Gesichtspunkte zusammenzutragen, die ein Kippen zugunsten von Clinton noch möglich erscheinen lassen - mir kommt das sehr unwahrscheinlich vor.

Es ist ja nicht die amerikanische Bevölkerung, die jetzt abstimmt. Es sind noch nicht einmal alle eingetragenen Demokraten. Sondern es ist eine Teilmenge von ihnen: Diejenigen, die als Student oder Freiberufler Zeit finden, nachmittags zu einem Caucus zu gehen. Diejenigen, die sich nicht besonders für Politik interessiert hatten, die dank Obama aber Politik jetzt cool finden. Kurz, die politisch Aktiven plus diejenigen, die sich von der Obama- Welle begeistern lassen.

Das Wählerschichten, die ungefähr unseren Grünen- Wählern entsprechen: Die bekannte Koalition aus jugendlicher Neigung zur Weltverbesserung und dem schlechten Gewissen der liberalen Mittelschicht; die Koalition aus denen, die in die Disco gehen und denen, die beim Italiener dinieren.

Die sind, so scheint mir, in den USA jetzt von einer Obamania erfaßt, die sie nicht so schnell loslassen wird. Zu sehr entspricht dieser Kandidat ihren Bedürfnissen.



Aber dann? Wie wird es sein, wenn Obama erst einmal gegen McCain antritt?

In nationalen Umfragen liegt Obama ungefähr vier Punkte vor McCain. Es hat sich erst in den letzten Tagen so ergeben; zuvor hatten sie wochenlang gleichauf gelegen. Mit Blick auf den Wahlkampf haben die beiden ungefähr gleiche Ausgangs- Chancen.

Und in diesem eigentlichen Wahlkampf, der ja noch gar nicht begonnen hat, dürfte McCain das thematisieren, was bisher kaum eine Rolle gespielt hat: Obamas Position linksaußen im US-Spektrum.

Kandidaten mit extremen Positionen haben bei Präsidentschaftswahlen fast nie eine Chance; das hat der Ultrakonservative Barry Goldwater 1964 ebenso erfahren müssen wie der (für amerikanische Verhältnisse) weit links stehende George McGovern 1972. Beide verloren mit Pauken und Trompeten; McGovern gegen Nixon und Goldwater gegen Lyndon Johnson.

Ja, ist den Obama wirklich ein Linksaußen? Er ist es.

In den USA gibt es bekanntlich die Neigung, über alles Statistiken zu führen. Da Senatoren oft nicht along party lines abstimmen, also wie bei uns nach Fraktionen, wird über ihr Abstimmungsverhalten bei jeder Gesetzesvorlage genau Buch geführt; daraus ergibt sich ihr politisches Profil.

Das überparteiliche und als sehr korrekt geltende National Journal hat nun, wie jedes Jahr, für 2007 die Abstimmungen der einzelnen Senatoren unter dem Gesichtspunkt analysiert, wie "links" oder wie "rechts" das betreffende Gesetz jeweils war und ob sie mit ja oder nein gestimmt haben. Das angewandte statistische und Rating- Verfahren ist hier im einzelnen beschrieben.

Ergebnis: Keiner der 100 Senatoren hat so ausgeprägt links gestimmt wie Barack Obama.



John McCain ist dagegen ein gemäßigter Kandidat; geradezu das Muster des besonnenen Mannes der Mitte (freilich auch, sein Haupt- Handicap, schon über siebzig).

Viele Amerikaner sehen ihr Land im Augenblick - Barbara Ehrenreich hat das kürzlich drastisch beschrieben - in äußerst schwierigen Zeiten. Daß sie gerade dann dessen Schicksal einem unerfahrenen linken Heilsbringer anvertrauen, erscheint mir unwahrscheinlich.

Auch wenn Barbara Ehrenreich für die jetzigen Vorwahlen Obama als "unstoppable" ansieht, als nicht mehr zu bremsen (worin ich ihr zustimme) - nach den Nominierungen werden die Karten neu gemischt.

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