29. Mai 2007

Noch einmal ein Plädoyer für das Mehrheitswahlrecht

Aktuelle Umfragen geben der UMP, der Partei Nicolas Sarkozys, zwischen 37 und 43 Prozent der Stimmen bei den bevorstehenden Wahlen in Frankreich.

Würde in Frankreich nach deutschem Wahlrecht gewählt, dann stünde eine schwierige Regierungsbildung, stünden wahrscheinlich instabile Verhältnisse bevor. Denn dann säßen neben der UMP und den anderen demokratischen Parteien der Linken und der Rechten auch die Rechtsextremisten von Le Pen und wahrscheinlich die Kommunisten im Parlament. Es bliebe nur eine Koalition zwischen Partnern, die in unterschiedlichen politischen Lagern stehen.

Aber Frankreich wählt nach einem modifizierten Mehrheitswahlrecht. Und unter diesem Wahlrecht wird die UMP eine absolute, vielleicht sogar eine Zweidrittel - Mehrheit haben. Die Voraussagen schwanken zwischen ungefähr 350 und 420 der 577 Parlamentssitze.



Ist das nicht ungerecht, gar undemokratisch - diese Disproportion zwischen dem Prozentsatz der Wählerstimmen und der Zahl der Sitze in der Nationalversammlung? Ich finde das nicht.

Ich bin seit langem entschiedener Anhänger des Mehrheitswahlrechts. Denn nur das Mehrheitswahlrecht ermöglicht es, daß Wahlen in der Regel zu stabilen Regierungen führen, daß andereseits aber bei jeder Wahl die reale Möglichkeit für einen Regierungswechsel besteht. Das Volk beauftragt eine Partei mit der Führung der Regierungsgeschäfte und verlängert, falls es mit ihrer Leistung zufrieden ist, dieses Mandat. Macht die Regierung einen schlechten Job, dann beauftragt das Volk die Konkurrenz.

Unter dem Verhältniswahlrecht ist es dagegen ein seltener Ausnahmefall, daß eine einzige Partei die Mehrheit erringt. (Mir fällt überhaupt nur ein solcher Fall ein, die Bundestagswahlen 1957). Das Wahlergebnis liefert also keinen eindeutigen Regierungsauftrag.

Wer am Ende regiert, hängt oft von einer kleinen Partei ab. Lange war das in der Bundesrepublik die FDP. Nach den nächsten Wahlen sind es vielleicht gleich zwei kleine Parteien, die FDP und die Grünen. Politische Minderheiten entscheiden darüber, welche der großen Parteien regiert.

Das ist aber noch nicht das Schlimmste. Meist führt das Verhältniswahlrecht dazu, daß auch extremistische Parteien im Parlament vertreten sind. Dann gibt es in der Regel nur zwei gleichermaßen fatale Möglichkeiten:

Entweder regieren die immer selben Parteien der Mitte miteinander in einer unnatürlichen Koalition; wie in der Weimarer Republik, in der italienischen Nachkriegsrepublik, in der französischen Vierten Republik.

Oder man nimmt Extremisten in die Regierung auf, wie das die französischen Sozialisten mit den Kommunisten getan haben und wie es im Augenblick die polnischen Konservativen mit Rechtsextremisten praktizieren.



Wir hatten bisher in Deutschland mit unserem modifizierten Verhältniswahlrecht ungeheures Glück; das Glück einer politischen Stabilität, wie sie unter diesem Wahlrecht sehr selten ist.

Das lag zum einen daran, daß durch die Nazi- Vergangenheit und die Gegenwart der DDR die extremistischen Parteien so diskreditiert waren, daß sie nicht in den Bundestag kamen.

Und zweitens existierte in Gestalt der CDU eine große Volkspartei als Gegengewicht zur Sozialdemokratie; eine Volkspartei, deren Gründer aus fast allen Parteien der Mitte und der demokratischen Rechten der Weimarer Republik gekommen waren; vom Zentrum über die Deutsche Demokratische Partei bis zur Deutschnationalen Volkspartei.



Das galt für die alte Bundesrepublik. In einem wesentlichen Punkt gilt es nicht mehr für die heutige Bundesrepublik: Die Kommunisten werden sehr wahrscheinlich nicht nur wieder im nächsten Bundestag vertreten sein, sondern sie werden auch wieder so stark sein, daß weder Rotgrün noch Schwarzgelb die absolute Mehrheit erlangen wird.

Das wird von jetzt an die Regel sein - und wir werden damit von jetzt an vor der Wahl zwischen Skylla und Charybdis stehen - entweder werden die Kommunisten in eine Volksfront- Koalition aufgenommen, oder es wird Regierungen mit unnatürlichen Koalitionen zwischen linken und rechten Parteien geben.



Und noch ein Weiteres ist zu bedenken:

Die extreme Linke wird nach der Vereinigung zwischen PDS und WASG weitgehend durch eine einzige, im Bundestag vertretene Partei repräsentiert. Linksextreme Stimmen setzen sich also in Parlamentssitze um. Die extreme Rechte dagegen ist gespalten und hat geringe Chancen, daß sie in den Bundestag kommt. Rechtsextreme Stimmen setzen sich also nicht in Bundestagsmandate um.

Das gibt der Linken im Parlament einen sozusagen strukturellen Vorsprung. Selbst jetzt, wo die CDU in den Umfragen weit vor der SPD rangiert, zeigen die meisten Umfragen keine Mehrheit von Schwarzgelb gegenüber einer Volksfront- Regierung aus Sozialdemokraten, Kommunisten und Grünen.

Deshalb brauchen wir dringend das Mehrheitswahlrecht. Und die Große Koalition ist eine vielleicht einmalige Gelegenheit, es zu realisieren. Denn natürlich sperren sich alle kleinen Parteien gegen das Mehrheitswahlrecht. Also kann nur eine Große Koalition es durchsetzen.



Ja, aber kann man denn als Liberaler für das Mehrheitswahlrecht sein, das den Untergang der FDP bedeuten würde? Ich habe darauf zwei Antworten:

Erstens führt die französische Variante des Mehrheitswahlrechts keineswegs zum Verschwinden der kleinen Parteien. Durch Bündnisse für den zweiten Wahlgang gelangen auch sie ins Parlament; manchmal (wie zeitweise bei den Kommunisten) sogar so kopfstark wie unter dem Verhältniswahlrecht.

Und zweitens ist der politische Liberalismus ja nicht an eine Partei gebunden. Er war im Kaiserreich und in der Weimarer Zeit auf Links- und Nationaliberale verteilt. Er würde auch überleben - vielleicht sogar an Einfluß gewinnen - , wenn Linksliberale in einer linken und Liberalkonservative in einer rechten Volkspartei ihre politische Heimat finden würden.