5. April 2021

蒲 松 龄 《书 痴》 / Pu Songling, "Der Büchernarr" (1679 / 1766)





(Illustration aus einer Ausgabe des Liaozhai Zhiyi von 1886)

郎玉柱,是彭城人。他的父亲曾做过太守,为官清廉,得到俸禄后,不置田产,酷爱买书,积攒了满满一屋子。到了玉柱,尤其痴:家里非常贫困,东西都卖光了,只有父亲的藏书,一本也不忍卖掉。父亲在时,曾抄录《劝学篇》贴在郎玉柱书桌的右边。玉柱每天都要读上几遍,还罩上层白纱,恐怕磨坏了。玉柱读书倒不是为了做官,而是真的相信书中自有“千钟粟”“黄金屋”,因此昼夜苦读,四季不断。二十多岁了,也不知娶妻,盼望着书中那“颜如玉”的美人自己会来找他。有时亲戚朋友来到家里,他也不知问寒道暖。略说几句话,便又旁若无人地高声读起书来。客人无味,自己坐一会儿就走了。每次科考,学使总是首先选他参加,但却一直考不中。

一天,玉柱又在读书,忽然一阵大风吹来,将书刮跑了。玉柱急忙追赶,一脚踏空,双脚陷进地里。低头一看,见是一个坑,上头盖着层烂草。往下挖了挖,才知原来是古人窖藏粮食的地窖,里面的粮食已经腐烂成粪土了。虽然粮食没法吃,但玉柱更加相信“书中自有千钟粟”的说法确实不错。因此,读书也更加用功。又一天,玉柱爬梯子上书架高处找书,在一堆乱书中发现一个尺把长的小金车,惊喜万分。以为“书中自有黄金屋”的话又应验了。拿出去给人家看了看,原来是镀金的,并不是真金。玉柱沮丧不堪,暗地里埋怨古人欺骗自己。过了不几天,有个跟父亲同榜考中的人,做了本道的观察,此人信佛。有人便劝玉柱将金车献给他作佛龛。观察非常高兴,赐给玉柱三百两银子、两匹马。玉柱大喜,以为“书中车马多如簇、书中自有黄金屋”都应验了,越发刻苦攻读。

玉柱到了三十多岁,有人劝他该娶妻子了。玉柱说:“‘书中自有颜如玉’,我还愁没有漂亮的妻子吗?”又过了两三年,书里仍没出来个美女找他,大家都嘲讽他。这时,民间谣传天上的织女星私奔到了人间。有人和玉柱开玩笑:“织女私逃,大概是为了你吧?”玉柱知道他们是在戏弄自己,也不答理。一晚,读《汉书》读到第八卷,刚到一半的时候,见一个用纱剪成的美人夹在书页中。玉柱大惊道:“书中自有颜如玉,难道就是这个吗?”心里怅然若失。他再细看看那纱剪的美人,眼睛眉毛栩栩如生,脊背上隐隐约约有行小字:“织女。”玉柱十分惊异,天天把美人放到书上,反复观赏,至于废寝忘食。

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一天,正在凝视着那纱美人,美人忽然弯弯腰起来了,坐在书上向他微笑。玉柱惊骇万分,忙拜倒在桌下。美人坐起身,已变得有一尺多高。玉柱更加惊疑,连连叩头。美人走下桌子,亭亭玉立,真是艳美无双。玉柱边拜边问:“你是什么神仙?”美人笑着说:“我姓颜,叫如玉,你早就知道我了。承蒙你天天盼着我,我如不来一次,恐怕千年之后没人再相信古人的话了!”玉柱十分高兴,便和她一块睡了;但枕席上虽然亲爱非常,玉柱并不懂男女间那事儿。

此后,玉柱每读书,一定要那女子坐在一边陪着。女子劝他不要再读了,玉柱不听。女子说:“你所以不能飞黄腾达,就是因为只会死读书罢了!试看那些科考中榜的人,有几个是像你这样读书的?你不听我的话,我就走了!”玉柱只得暂时听她的。刚过一会儿,又忘了,照读如旧。过了一霎,再找女子,已经不见。玉柱丧魂失魄,忙跪下祈祷,还是没有踪影。忽然想起女子隐藏的地方,忙拿过《汉书》仔细翻检,果然在原来的地方找到了她。叫也叫不动,便跪下恳求,女子才下来说:“你若再不听,我就永不和你来往了!”于是,让玉柱买来棋盘、纸牌,天天和他游戏。但玉柱的心思一点也不在玩上,瞧见女子不在,就偷来书赶紧浏览几页。恐怕她发觉后再走了,暗将她藏身的《汉书》第八卷混杂在其它书中,让她迷失归路。一天,玉柱又读入了迷,女子进来,他竟一点也没发觉。忽抬头看见她,急忙合上书,女子已消失了。玉柱大为恐慌,搜遍了藏书,也没找到她。最后,还是从《汉书》第八卷中找了出来,连页数都丝毫不错。于是,玉柱再次哀求,发誓决不再读了,女子才从书上下来,跟他下棋,说:“三天内棋还下得不好,我还走!”到了第三天,二人下棋时,玉柱竟然赢了两子,女子才高兴起来。又给他一架琴,限五天弹会一支曲子。玉柱手里弹着,眼睛看着,再也顾不上别的。时间一长,竟也弹得得心应手,自己不觉也兴奋起来。女子天天跟他喝酒、玩耍,玉柱高兴地忘了读书。女子又让他走出家门,多交朋友,从此郎玉柱风流潇洒、多才多艺的名声就远远传开了。女子说:“这下你可以去考试了!”

一天晚上,玉柱对女子说:“凡男女同居到一起,就会生孩子。我和你住了这么长时间,怎么不生呢?”女子笑着说:“你天天读书,我本来就说没用处。现仅夫妇这一章,你就还没明白。枕席之上有功夫!”玉柱惊奇地问:“什么功夫?。女子只是笑,也不说话。过了会儿,暗暗地凑上去,教给玉柱。玉柱快乐至极,说:“没想到夫妇之间还有这种不可言传的快乐!”于是逢人便说,引得人无不掩口而笑。女子知道后责备他,他还不解地说;“钻墙越院偷东西,才不能告诉人;天伦之乐,人人都有,有什么可忌讳的呢?”过了八九个月,女子果然生下个男孩,玉柱便雇了个老妇人抚养着婴儿。

一天,女子突然对玉柱说:“我跟了你两年,已经生了儿子,我们可以分手了。耽搁时间久了,恐怕会给你招祸,那时后悔就晚了!”玉柱听说,流着泪拜倒在地上:“你就不念我们的孩子吗?”女子也十分凄伤。过了很久,说:“你一定要我留下来,就把书架上这些书全扔了。”玉柱不肯,说:“这些书是你的故乡,我的生命,怎么说这种话!”女子不再勉强,说:“我也知道一切都是运数,不得不预先告诉你罢了!”

先前,玉柱的亲属中有人发现了女子,无不惊骇万分。但又没听说他和哪家姑娘结婚,便一起询问他。玉柱不会说假话,只是默默不语,大家更加怀疑。结果这事传遍了各地,也传到了县令史某的耳朵里。史某,是福建人,少年时就考中了进士。听到玉柱家有个美人的消息,动了坏念头,想瞧瞧那女子是什么模样,立即派衙役去捉拿玉柱和女子。女子听说,逃得无影无踪。史县令大怒,将玉柱逮捕下狱,革去功名,严刑拷打,定要他交待出女子的去向。玉柱被打得死去活来,还是不说。县令又拷打丫鬟,丫鬟知道得不多,只说了个大概。史县令便认为那女子是妖怪,骑着马亲自赶到玉柱家捉拿。见满屋子都是书,多得无法搜查,县令便命放火烧书。浓烟滚滚,凝聚在院子上方,像乌云一样,久久不散。玉柱被释放后,到远方去求了一个父亲的门人帮忙,才得以恢复了功名。这年考中了举人,第二年又中了进士。玉柱对史县令恨入骨髓,立起了颜如玉的牌位,天天祷告说:“你如有灵,就保佑我到福建做官!”后来他聚然被朝廷任命为巡按,到福建视察。过了三个月,访查到史县令在老家的劣迹,便抄了他全家。当时,玉柱有个表兄弟是法官,逼着他娶了个妾,假说是买的婢女,寄居在玉柱的官衙里。这件案子一了结,玉柱于当天就辞职,带着爱妾返回了老家。

异史氏说:“天下之物,谁如果一味蕴积,就会招忌妒,一味喜好就要生魔患。女之为妖,书之为魔。听来事情仿佛怪诞,惩治一下未尝不可。可是你像秦始皇焚书那样乱来,不也太惨点儿了吗?那县官存心有私,也活该得个怨毒的报应。嘿嘿,这怪谁呢?”

* * *

Lang Yuzhu stammte aus der Stadt Pengcheng. Sein Vater war Magistrat gewesen und hatte seine Aufgaben als Beamter ehrlich und unbestechlich erfüllt. Das Geld, das er verdiente, legte er nicht In Land und Besitz an, sondern erwarb dafür Bücher, mit denen er sein Haus füllte. Als Yuzhu sein Erbe zufiel, bedeutete es ihm alles auf der Welt; nach dem Tod seines Vaters verarmte er und mußte alles verkaufen, aber er konnte sich von keinem dieser Bücher trennen. Als sein Vater noch lebte, hatte er ihm das "Lob des Lernens" in feiner Kalligraphie kopiert; und Lang hatte dieses Gedicht an die Seite seines Lesetisches geklebt. Er las es mehrmals am Tag und hatte es mit weißer Seide überdeckt, damit es geschützt war und vor Schmutz bewahrt blieb. Er studierte es nicht, um Bildung zu erwerben und zu einem Staatsbeamten zu werden, sondern weil er die Zeile, daß ein Leser, der Bücher liest, damit ein "goldenes Haus" erwirbt, für bare Münze nahm, und las aus diesem Grund Tag und Nacht. Als er das Alter von zwanzig Jahren erreicht hatte, bemühte er sich nicht darum, eine Frau zu finden; er glaubte daran, daß die "schöne Gefährtin," als das ihm die Lektüre versprochen hatte, ihm einmal in einem der Bücher begegnen würde. Wenn ihn Verwandte und Freunde besuchten, erkundigte er sich mitunter nicht einmal nach dem Wetter. Er wechselte nur kurz einige Worte mit ihnen und begann dann wieder, laut zu lesen, als wenn niemand außer ihm anwesend wäre. Seine Gäste blieben nicht lang und ließen ihn bald wieder allein. Er war stets der erste, der zu den Staatsprüfungen vorgeladen wurde; aber er bestand keine davon.

Als er eines Tages wieder in seine Lektüre vertieft war, erfaßte eine Windbö das Buch und ließ es davon flattern. Während er ihm hinterherlief, trat er neben den Wegrand und der Boden gab unter seinem Fuß nach. Als er nachschaute, sah er, daß er in eine Grube getreten war, die von vermodertem Gras verdeckt gewesen war. Als er nachgrub, entdeckte er, daß es sich um ein altes Kellergelaß handelte, in dem vorzeiten Getreide gespeichert worden war, und daß das Korn, das dort gelagert hatte, längst vermodert war. Obwohl das Getreide ungenießbar war, sah Yuzhu darin einen Hinweis, daß das Sprichwort "in einem Buch finden sich tausend Scheffel Getreide" wörtlich zu nehmen war. Infolgedessen widmete er sich noch mehr seinen Büchern. Ein wenig später wollte er ein Buch holen, daß hoch oben auf einem Regalbrett stand, und als er dafür auf eine Leiter stieg, entdeckte er hinter den Büchern versteckt einen kleinen, handspannenlangen Wagen aus Gold. Es war ihm, als wäre auch die Redewendung "In Büchern ist Gold verborgen" wahr geworden. Er nahm ihn an sich und zeigte ihn anderen Leuten, aber es erwies sich, daß der kleine Wagen nur vergoldet war und nicht aus reinem Gold bestand. Yuzhu war enttäuscht und machte den Ahnen Vorwürfe, daß sie ihn getäuscht hätten. Kurz darauf kam ein kaiserlicher Inspektor, der mit seinem Vater zusammen die Staatsprüfung bestanden hatte, in die Stadt. Dieser Mann war ein Buddhist, und ein Bekannter überredete Yuhzu, ihm den goldenen Wagen als Geschenk für seine Gebetsnische zu überreichen. Der Beamte war davon so angetan, daß er Yuzhu dreihundert Tael in Silbermünzen und ein Paar Pferde schenkte. Yuzhu war überglücklich und überzeugt davon, daß der Satz "In einem Buch finden sich viele Wagen und Pferde und Häuser aus Gold" wörtlich zutraf, und so widmete er sich noch mehr seinen Studien.

Als er das Alter von dreißig Jahren erreicht hatte, rieten ihm seine Bekannten, daß es nun Zeit würde, daß er sich eine Frau suche. Yuzhu sagte nur: "Im Buch steht geschrieben, ich werde eine Frau mit einem Gesicht wie aus Jade haben." Zwei weitere Jahre vergingen, aber immer noch war keine schöne Frau aus einem Buch zu ihm gekommen, und die Leute fingen an, sich über ihn lustig zu machen. Zu dieser Zeit entstand das Gerücht, daß die Himmlische Weberin am Nachthimmel nicht mehr zu sehen sei und auf der Welt der Menschen wandeln würde. Jemand machte zu Yuzhu die scherzhafte Bemerkung: "Die Himmelsweberin ist hier unter uns - vielleicht sucht sie ja nach dir?" Yuzhu wußte, daß sie ihren Spaß mit ihm trieben und ging nicht darauf ein. Eines Nachts, als er das achte Kapitel der "Geschichte der Han-Dynastie" las, stieß er beim Umblättern auf das auf Stoff gezeichnete Bild einer schönen Frau, das zwischen die Seiten gelegt war. Yuzhu war überrascht und fragte sich: "War das so gemeint?" Er fühlte sich enttäuscht. Er besah sich das kleine Stoffbild genau; ihre Augen wirkten lebendig, und auf der Rückseite stand in blassen Schriftzeichen "Die Weberin" geschrieben. Yuzhu war so erstaunt, daß er das Bild der schönen Frau oben auf seine Bücher legte und es sich jeden Tag von neuem besah und darüber alles andere vergaß.

Eines Tages, als er wieder einmal die auf Stoff gezeichnete Schöne betrachtete, richtete sich die schöne Frau mit einem Mal auf, setzte sich auf das Buch, blickte ihn an und lächelte ihm zu. Zutiefst erschreckt, beeilte sich Yuzhu, sich vor seinem Tisch zu Boden zu werfen. Als er sich wieder erhob, hatte sie schon die Größe von einem Fuß erreicht. Yuzhu, der darüber noch mehr erstaunt war, verbeugte sich mehrmals tief vor ihr. Die schöne Frau stieg vom Tisch herab und stand vor ihm, eine wahrhaft unvergleichliche Schönheit. Yuzhu sah sie bewundernd an und fragte sie: "Was für eine Unsterbliche bist du?" Die schöne Frau sah ihn mit einem Lächeln an und sagte: "Mein Familienname ist Yan, und ich werde Ruyu genannt. Du kennst mich seit langem. Ich bin dir dankbar, daß du jeden Tag auch mich gewartest hast. Ich fürchte, wenn ich nicht zu dir gekommen wäre, würde niemand mehr für die kommenden eintausend Jahre an die Versprechungen glauben, die unsere Ahnen gegeben haben." Yuzhu war überglücklich, und als es Nacht wurde, schlief sie neben ihm auf seinem Bett. Aber obwohl er in Liebe zu ihr entbrannt war, hatte er keine Ahnung von dem, was ein Mann und eine Frau miteinander zu tun pflegen.

In der folgenden Zeit bestand Yuzhu darauf, daß die Frau ihm Gesellschaft leistete, wann immer er in seinen Büchern las. Sie bat ihn, nicht mehr zu lesen, aber Yuzhu schenkte ihr kein Gehör. Die Frau sagte: "Der Grund, aus dem du so erfolglos bist, liegt an der Art und Weise, in der du studierst. Sieh dir die Listen derer an, die die Prüfungen bestanden haben. Wie viele von ihnen haben die Bücher auf die Art und Weise studiert wie du? Wenn du nicht auf mich hörst, werde ich dich verlassen!" Zuerst blieb Yuzhu keine Wahl, als ihren Worten Folge zu leisten. Aber schon nach kurzer Zeit vergaß er seinen Vorsatz und begann, wie vorher zu lesen. Einen Augenblick später sah er sich nach ihr um, aber sie war verschwunden. Erschreckt kniete er nieder und verrichtete ein Gebet, aber er fand keine Spur von ihr. Plötzlich fiel ihm wieder ein, wo sich die Frau zuerst verborgen hatte. Hastig nahm er die "Geschichte der Han-Dynastie" zur Hand und blätterte sie sorgfältig durch. Seine Bitte blieb ohne Antwort. Erst als er auf die Knie fiel und sie um Verzeihung anflehte, erschien sie wieder, stieg vom Tisch und sprach zu ihm: "Wenn du nichts auf mich hörst, werde ich nichts mehr mit dir zu schaffen haben!" Dann trug sie Yuzhu auf, ein Schachspiel und Spielkarten zu kaufen und jeden Tag mit ihr zu spielen. Aber Yuzhu spielte achtlos, und wenn er sah, daß die Frau das Zimmer verlassen hatte, nahm er heimlich das Buch und las eifrig. Weil er fürchtete, daß sie ihm auf die Schliche kommen und ihn verlassen würde, versteckte er den achten Band der "Geschichte der Han-Dynastie," in dem sie verborgen gewesen war, unter seinen anderen Büchern, damit sie den Weg nicht mehr finden konnte. Eines Tages war Yuzhu so in die Lektüre verteift, daß er nicht bemerkte, wie die Frau ins Zimmer kam. Als er aufsah und sie erblickte, schloß er hastig das Buch, aber sie war schon verschwunden. Tief erschrocken durchsuchte Yuzhu all seine Bücher, aber er konnte sie nicht finden. Schließlich entdeckte er sie im achten Buch der "Geschichte der Han-Dynastie," sogar auf derselben Seite wie vorher. Da flehte Yuzhu sie an und schwor ihr, daß er nie wieder lesen würde, und erst dann kam sie wieder aus dem Buch hervor. Wieder spielte sie Schach mit ihm und sagte zu ihm: "Wenn du in drei Tagen nicht besser zu spielen lernst, werde ich dich wieder verlassen." Als sie schließlich am dritten Tag gegeneinander spielten, gewann Yuzhu zu seiner Überraschung zwei Partien, und die Frau war es zufrieden. Dann setzte sie ihm eine Frist von fünf Tagen, um ein Lied zu auf Zither spielen zu lernen. Yuzhus Hände und Augen waren mit dem Spielen beschäftigt, und ihm blieb keine Zeit für etwas anderes. Während die Tage verstrichen, fiel ihm das Spiel schließlich so leicht, daß er Freude dabei verspürte. Jeden Tag trank die Frau mit ihm, und Juzhu vergaß völlig, in seinen Büchern zu lesen. Die Frau drängte ihn auch dazu, das Haus zu verlassen und neue Freunde zu gewinnen. In der Folgezeit erwarb sich Yuzhu weithin den Ruf eines umgängichen und lebensfrohen, aber auch gelehrten Mannes. Die Frau sagte: "Jetzt ist die Zeit gekommen, daß du für die staatliche Prüfung melden kannst."

Eines Abends fragte Yuzhu die Frau: "Wenn ein Mann und eine Frau zusammenleben, dann bekommen sie Kinder. Du und ich leben jetzt schon so lange zusammen. Warum sind uns keine Kinder geboren worden?" Die Frau sagte lachend: "Du studierst jeden Tag die Bücher, und ich habe dir gleich zu Anfang gesagt, daß das nutzlos ist. Du hast noch nicht einmal das Kapitel verstanden, das von Gatten und Ehefrauen handelt. Im Bett kommt es auf eine gewisse Fähigkeit an!" Juzhu fragte überrascht: "Was für eine Fähigkeit?" Die Frau lächelte nur, aber sie sagte nichts. Nach einer Weile drängte sie sich an ihn und lehrte es ihn. Yuzhu war überglücklich und sagte: "Ich habe nicht geahnt, daß es zwischen Mann und Frau eine solche Freude gibt, die keine Worte der Welt ausdrücken können. Daraufhin erzählte er jedem, den er traf, alles darüber, und sie mußten sich den Mund zuhalten, um ihn nicht auszulachen. Als die Frau davon erfuhr, schalt sie ihn deswegen aus, aber er antwortete verständnislos: "Es ist doch nur, wenn man verbotene Dinge tut, daß man davon nicht erzählen darf, aber was ist an den Freuden der Ehe, die jedermann kennt, geheim?" Nachdem acht oder neun Monate vergangen waren, gebar die Frau einen Jungen, und Juzhu nahm eine alte Frau in seine Dienste, um für das Kind zu sorgen.

Eines Tages sagte die Frau unverhofft zu Juzhu: "Ich habe jetzt schon zwei Jahre mit dir als deine Frau gelebt und dir einen Sohn geboren. Es wird Zeit, daß wir uns trennen. Wenn wir damit noch warten, wird es für dich Unglück bedeuten, fürchte ich, und dann wird es zu spät sein." Als Yuzhu dies hörte, brach er in Tränen aus, warf sich zu Boden und fragte: "Hängst du denn nicht an unserem Kind?" Auch die Frau war tief betrübt. Nach langem Schweigen sagte sie: "Wenn du willst, daß ich bleibe, mußt du unverzüglich alle Bücher auf deinen Regalen fortwerfen." Yuzhu war nicht dazu bereit und sagte: "Eins dieser Bücher ist deine Heimat; sie sind mein Leben. Wie kommst du dazu, so etwas zu verlangen?" Die Frau sagte, ohne zögern: "Ich weiß, daß dies alles vom Schicksal vorherbestimmt ist, dem niemand entgehen kann, aber ich wollte es dich vorher wissen lassen!"

Kurze Zeit vorher hatten Yuzhus Verwandte entdeckt, daß er mit einer Frau zusammenlebte, und sie waren ausnahmslos empört darüber. Aber sie hatten nichts darüber erfahren können, aus welcher Familie die Frau stammte, die er geheiratet hatten, und so suchten sie Yuzhu auf, um sich bei ihm danach zu erkundigen. Yuzhu wollte ihnen keine Lügen erzählen, und so schwieg er nur, was ihnen nur noch verdächtiger erschien. Infolgedessen verbreitete sich die Geschichte im ganzen Landstrich und kam schließlich auch Shi, dem Magistrat des Bezirks, zu Ohren. Shi stammte aus Fujien, wo er als junger Mann die Prüfung für das höchste Staatsamt abgelegt hatte. Als er von der schönen Frau hörte, die im Haus von Yuzhu lebte, schöpfte er Verdacht und beschloß, sie sich mit eigenen Augen anzusehen und schickte unverzüglich einige Büttel los, um Yuzhu und die Frau verhaften zu lassen. Als die Frau davon vernahm, verschwand sie, ohne eine Spur zu hinterlassen. Magistrat Shi war erzürnt und ließ Yuzhu unverzüglich verhaften. Er erkannte ihm seinen Studentenrang ab und ließ ihn unter der Folter verhören, damit er verraten sollte, wohin die Frau geflohen war. Yuzhu wurde fast totgeschlagen, aber er sagte kein Wort.Magistrat Shi ließ auch die alte Dienstmagd schlagen, um zu erfahren, was sie wußte, aber sie konnte nichts genaues berichten. Daraufhin hegte Magistrat Shi den Verdacht, daß es sich bei der Frau um einen Dämon handelte, und er ließ sich zu Yuzhus Haus fahren, um ihrer habhaft zu werden. Als er entdeckte, daß das ganze Haus voller Bücher war, zu vielen, als das man sie alle untersuchen können. befahl der Magistrat, die Bücher alle zu verbrennen. Dicke Rauchschwaden quollen empor und stiegen über dem Hof auf wie eine schwarze Wolke, die der Wind nicht davon blies. Als Yuzhu einiger Zeit später wieder freigelassen wurde, zog er weit fort. Er richtete ein Bittgesuch an einen früheren Schüler seines Vaters, der ihm half, seinen Studentenrang wieder zu erlangen. In jenem Jahr bestand er die kaiserliche Bezirksprüfung, und im nächsten Jahr die Prüfung in der Hauptstadt. Yuzhu haßte Magistrat Shi mit jeder Faser seines Wesens, und er errichtete eine Gedenktafel für Yan Ruyu, vor der er jeden Tag ein Gebet an sie verrichtete: "Wenn du noch ein Geist bist und Macht hast, dann sorge mit deinem Segen dafür, daß ich ein Amt in Fujian erhalte." Kurze Zeit darauf wurde er auf Anordnung des Kaiserhofs zum Aufseher für die Staatsangelegenheiten in Fujian ernannt. Nach einem Vierteljahr hatte er den Amtsmißbrauch aufgedeckt, dessen sich Magistrat Shi in Fujian schuldig gemacht hatte, und die gesamte Familie fiel in Ungnade. Zu dieser Zeit wollte ein Vetter Yuzhus, der ein Richteramt ausübte, die Frau, die sich Yuzhu als Geliebte erwählt hatte, dazu zwingen, ihn zu heiraten, indem er fälschlich behauptete, er habe sie Yuzhu als Leibeigene abgekauft. Nachdem auch dieser Fall geklärt worden war, gab Yuzhu noch am selben Tag sein Amt auf und kehrte mit seiner Geliebten in seinen Heimatort zurück.

Kommentar des Chronisten: Wer die weltlichen Dinge anhäuft, sorgt für Mißgunst und Neid, und wer darin kein Maß kennt, ist wie besessen. Ein Frau kann sich als Dämon erweisen, und Bücher können zu Besessenheit führen. Es mag merkwürdig klingen, aber es ist kein Fehler, wenn dergleichen bestraft wird. Aber ist es nicht maßlos, wenn man die Bücher verbrennt, wie es Qin Shihuang getan hat? Dieser Magistrat hat in seiner Selbstsucht gesündigt, und er ist zurecht dafür bestraft worden. Komisch, aber solche seltsamen Dinge kommen halt vor.

* * *

Anmerkungen:

彭城 / Pengcheng, ist der alte chinesische Name für 徐州 / Xuzhou in Jiangsu (heute übrigens Partnerstadt von Bochum und Erfurt. Nach der alten Wade-Giles-Transliterierung "Hsü-chow"; und ja: bei diesem Giles handelt es sich um Herbert A. Giles, 1845-1935, dem wir die erste Übersetzung von Pu Songling in eine westliche Sprache verdanken)

Die "Aufforderung zum Lernen" (励学篇 / lì xué piān) ist ein Lehrgedicht in klassischer Form von sieben Schriftzeichen pro Zeile und fünf Zeilenpaaren, das von Kaiser 宋神宗 / Zhenzong, dem dritten Kaiser der nördlichen Song-Dynastie verfaßt wurde (oder ihm zumindest zugeschrieben wird). Als Zhenzong im April 1085 im Alter von nur 36 Jahren an einer ungeklärten Krankheit starb, hatte er seit 18 Jahren auf dem Drachenthron gesessen.

Das Gedicht lautet:

《励学篇》

富家不用买良田,书中自有千钟粟。
安居不用架高堂,书中自有黄金屋。
出门莫恨无人随,书中车马多如簇。
娶妻莫恨无良媒,书中自有颜如玉。
男儿欲遂平生志,五经勤向窗前读。

Du brauchst dir keinen fruchtbaren Acker zu kaufen, um reich zu sein / In den Büchern erntest du tausend Scheffel Getreide.
Du brauchst dir kein prächtiges Haus zu bauen um sorglos zu leben / im Buch hast du ein Haus aus Gold.
Gräme dich nicht, wenn dich kein Gefolge auf deinen Wegen begleitet / im Buch findest du Wagen und Pferde genug.
Laß es dich nicht betrüben, wenn du keine Schönheit zur Frau hast / das Buch sieht dich an wie mit einem Gesicht aus Jade.
Wenn jemand seinem Leben ein edles Ziel geben möchte / so soll er sich dem Studium der fünf Klassiker widmen.

Die "Fünf Klassiker" 五經 / Wǔ jīng, sind neben den "vier Büchern" 四書; Sìshū, die Grundlagen des konfuzianischen Lehre. Sie umfassen das Shijing (das "Buch der Lieder"), das Shangshu (das "Buch der Urkunden"), das Liji (das "Buch der Riten"), das I Ging (das "Buch der Wandlungen") sowie die "Frühlings- und Herbstannalen," die die Geschichte des Staates Lu, aus dem Konfuzius stammte, in den Jahren 722 bis 481 v. Chr. veerzeichnete.



宋神宗

(Fun fact: vor dem 13. Jahrhundert fanden Kontakte zwischen dem "Reich der Mitte" und dem Westen nur sporadisch statt; wie im Fall des Herausschmuggeln von Seidenraupeneiern durch byzantinische Mönche, die zum Aufbau einer Seidenweberei im früheren Ostrom führte, und die üblicherweise auf das 6. Jahrhundert angesetzt wird. Die Ankunft nestorianischer Christen im 9. Jahrhundert stellt insofern keinen "Kontakt" dar, weil diese aus dem Bereich des früheren Perserreichs vor den muslimischen Eroberern geflohen waren. Aus den chinesischen Quellen (aber nicht aus den byzantinischen!) wissen wir, daß zur Herrschaftszeit des Zhenzong-Kaisers, im Jahr 1081 eine Gesandtschaft des Herrschers 滅力沙靈改撒 aus dem westlichen Reich Folin am chinesischen Kaiserhof eintraf. Hinter diesem "Mieli Sha Ling Kai sa" verbirgt sich der byzantinische Kaiser Michael VII. Dukas, der 1067 bis 1078 oströmischer Kaiser war. Erwähnung findet der Besuch dieser Gesandschaft unter Führung von "Ni-si-tu-ling-si-meng-p'an" in der "Geschichte der Song" 宋史 / Song shì und im 文献通考 / Wengxian tongkao, das der Historiker Ma Duanlin (1245-1322) im Jahr 1317 kompilierte.)

"Die himmlische Weberin": 織女, das "Webermädchen," bezeichnet die Wega. Die Geschichte von der Liebe der unsterblichen Weberin zu dem irdischen Nuliang, dem Kuhhirten, ist die bekannteste chinesische Astralmythe. Ihre Äffare erregte den Zorn der westlichen Himmelsmutter, die mit ihrem Fächer einen Fluß aus Silber ans Firmament zeichnete, der die beiden voeinander trennt. Wir kennen diesen Fluß als Milchstraße. Nur einmal im Jahr, am siebten Tag des siebten Mondmonats fliegt ein Schwarm Elstern, der Mitleid mit der Sehnsucht der für immer Getrennten hat, im Schutz der Dunkelheit zum Himmel empor und bildet dort die "Brücke der Elstern", 鹊 桥 / quèqiáo, damit sie eine Nacht gemeinsam verbringen können. Der Titel von Barry Hugharts erstem Fantasyroman der Trilogie um Meister Li und den Ochsen Nummer Zehn, "The Bridge of Birds" von 1984, der das alte Genre der literarischen Chinoiserie wiederaufnimmt, bezieht sich aus diese Sternsage. Nuliang kennen wir als Altair, den hellsten Stern im Sternbild Adler. Zusammen mit Deneb bilden 織女 und 牛郎 den markanten "Himmelsuhrzeiger" des Sommerdreiecks, der versierten Sternfreunden den Gebrauch von Uhr und Kompaß ersparrt.



(Farbholzschnitt von Yoshitoshi, aus dem Zyklus "Hundert Ansichten des Mondes," 1886)

"Auf der Menschenwelt": 人间 / rén jiān: Die Welt der Menschen, die Erde.

"Die Geschichte des Han-Dynastie": das 《汉书》 / Han shu ist die zweite der "24 Dynastiegeschichten (二十四史, èrshísì shǐ), die die Grundlage der klassischen chinesischen Geschichtsschreibung bilden und die zwischen dem 2. Jahrhundet v. Chr. und dem Anfang des 18. Jahrhunderts entstanden sind. Insgesamt umfaßt das Korpus dieser Chroniken (...holt tief Luft...) 3249 einzelne Bände mit etwa 40 Millionen Schriftzeichen. Das wurde von Ban Biao und seinem Sohn Ban Gu in der Zeit von 36 bis 92 n.Chr. verfaßt und behandelt die chinesische Geschichte des Zeitraums von 206 v.Chr. (dem Todesjahr des "Ersten Kaisers") bis 24 n. Chr.

(Fun fact II: im Deutschen wird das Phänomen der akustischen Entstellung durch eine flüsternd von Ohr zu Ohr weitergegebene Botschaft als "stille Post" bezeichnet. Im Englischen nennt man das gleiche Phänomen "Chinese whispers." Passiert dasselbe in geschriebenen Texten durch Kopier- und Flüchtigkeitsfehler, so sprechen Buchwissenschaftler von einem "verderbten" Text. In Martin Bubers Version der Geschichte liest "Lang Yu-tschü", wie er gemäß der alten Transliteration heißt, nicht mehr die "Geschichte des Han-Dynastie," sondern das achte Buch des ansonsten unbekannten "Buch Hau.")

"...und darüber alles andere vergaß": 废寝忘食 / fèi qǐn wàng shí : sprichwörtliche Wendung: (über etwas) "nicht zum Schlafen und Essen kommen."

"Unsterbliche": 神仙 / shénxiān, sind im Daoismus tatsächlich die "Unsterblichen"; figurativ darüber hinaus alle übernatürlichen Wesen.

"Mein Familienname ist Yan, und ich werde Ruyu genannt": 我姓颜叫如玉. Dieses 颜 / yán 如玉 / rú yù, "ein Gesicht wie aus Jade," von dem es im "Lob des Lernens" heißt, daß es in Büchern zu finden sei, wird hier als Eigenname behandelt; viele chinesischen Vornamen sind "sprechend," und Yun ist ein gebräuchlicher Familienname.

"was zwischen Mann und Frau geschieht": 男女间那事儿 / nánnǚ jiān shìr

"Zither": 琴 / Qín, ist zum einen die im älteren Chinesisch gebräuchlich Kurzform für die 古琴 / Guqin, die Wölbzither, kann aber auch allgemein für "Musikinstrument" stehen.

"Jeden Tag trank sie mit ihm": 喝酒 / hējiǔ bezeichnet ausdrücklich Alkoholgenuß.

"Wenn man verbotene Dinge tut": Pus Original nennt die "verbotenen Dinge" konkreter: 钻墙越院 / zuān qiáng yuè yuàn - "ein Loch in eine Mauer brechen und sich in einen Hof schleichen."

"Studentenrang": 功名 / Gōngmíng. Wörtlich "Verdienstvoller Platz oder Rang": die Aberkennung dieses Status hatte zur Folge, daß sich ein Kandidat nicht mehr um die Teilnahme an den kaiserlichen Staatsprüfungen bewerben durfte, deren Bestehen Voraussetzung für den Erhalt eines öffentlichen Amtes darstellte.

"Komisch...": im Original heißt es an dieser Stelle 嘿嘿 / hēihēi, was exakt unserem "Hehe!" entspricht.

Qin Shihuang / 秦始皇,der "erste Kaiser" (259-210 v. Chr.), heute auch jedem im Westen durch die Terrakotta-Armee seines Grabes ein Begriff; der erste Herrscher über ein geeintes China. Seit Sima Qians "Reichsannalen" wird die wahllose Bücherverbrennung während seiner Herrschaft neben der Ermordung zahlloser Gelehrter zu den gravierendsten seiner zahllosen Verbrechen gezählt.

* * *

In den Anmerkungen zu Béla Balázs' "Das Buch des Wan-Hu-Tschen" wurde erwähnt, daß Balázs zahlreiche Elemente für diese Erzählung aus einer der Geschichten aus Pu Songlings Liaozhai Zhiyi / 聊齋誌異 entnommen hat, die er in Martin Bubers Auswahlübertragung, Chinesische Geister- und Liebesgeschichten (nach der englischen Erstübersetzung durch Herbert A. Giles) unter dem Titel "Der närrische Student" gefunden hatte. Meine Übersetzung orientiert sich am chinesischen Original, das gilt auch für den Titel 《书 痴》 : 书 / shū (das Buch, aber auch der Brief), gehört zu den allerersten Schriftzeichen, denen man als Chinesisch-Lernender begegnet; 痴 / chī ist "närrisch" oder "wahnsinnig".



U.E.

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