24. Februar 2021

Richard M. Powers 1921 | 2021





(Childhood's End, Ballantine Books 33, August 1953)

Vor fast genau einem halben Jahr habe ich an dieser Stelle aus Anlaß seines 100. Geburtstages an das Werk eines Science Fiction-Künstlers erinnert, der in den 1950er Jahren mithalf, "der Zukunft" (jedenfalls ihren populären Vorstellungen davon) "ein Gesicht zu geben: H. R. van Dongen, der zu den guten drei Dutzend Zeichnern, Illustratoren und Schöpfern von Titelbildern gehörte, die nach dem Ende der Groschenheftära der "Pulp-Magazine" und der Aufnahme von SF-Titeln in das Programm angesehener Verlage den bevorstehenden Zeiten ein Gesicht verliehen, das unmittelbar wiedererkennbar war und deren Bildfindungen bis heuute ihren Wiedererkennungswert beibehalten haben.

Aus dem gleichen Anlaß möchte ich heute an einen anderen Künstler aus diesem Metier erinnern, der zur selben Zeit und im gleichen Genre tätig war, dessen Werk aber in fast jeder Hinsicht den größtmöglichen Gegensatz zu dem van Dongens darstellt. van Dongen war ein strikt repräsentativer Künstler, seine Roboter und Raumschiffe waren "realistisch" (wenngleich sie mitunter nur symbolische Funktion hatten), sie stellen konkrete "Hardware" vor. Die Bilder von Richard M. Powers begründeten eine völlig andere Art der Visualisierung der Tropen und Versatzstücke, mit denen das Genre der Science Fiction arbeitet und an denen es zu erkennen ist. Anstatt möglichst dramatische Situationen aus den Texten wiederzugeben, setzen sie auf Andeutungen, die die Evokation: amorphe Massen, fast abstrakte Liniengebilde erinnern nicht mehr an die Art-Déco-Raumkreuzer eines Flash Gordon, die sich mit regenbogenfarbenen Energiestrahlen Raumschlachten liefern, sondern an die surrealistischen Landschaften von Joan Miró oder Yves Tanguy. Heute kann man nicht mehr so recht nachvollziehen, welche bildgebende Revolution diese Bilder darstellten, als sie in der Mitte der 1950er auf den Titeln der Taschenbuchreihen von Dell und Ballantine erschienen: heutige SF-Titel - auch bei deutschen Verlagen - sind oft kaum noch als Genreliteratur zu erkennen, so unkonkret und allgemein ist die Covergestaltung mittlerweile gehalten (es sei denn, es handelt sich um einen Titel der endlosen "Media Tie-Ins" aus den narrativen Kosmen von Star Wars und Konsorten). Aber in diesen Jahren verliehen diese Bilder eine doppelte Funktion: zum einen verliehen sie den Texten des Genres die Respektabilität, die die grellbunten Groschenhefte niemals besessen hatten, die ernsthafte Leser des Genres, die an einer literarischen Auseinandersetzung mit der Zukunft, mit den Möglichkeiten von Technik und Wissenschaft, die eben nur diese Literatursparte ermöglicht, immer reklamiert hatten. Und sie setzten eine unverkennbare "optische Duftnote," sorgten für einen unmittelbaren Wiedererkennungswert, ein Markenzeichen, daß man in der Buchhandlung an den gewünschten Artikel gekommen war.

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(The Man in the High Castle, Berkley Medaillon, 1974)

In Deutschland gab es dieselbe Entwicklung zehn Jahre später, als die ersten Taschenbuchverlagen ihre ersten Reihen für dieses Genre öffneten, das bislang den bunten Groschenheften mit ihrem wöchentlichen Takt und dem Kioskvertrieb in Reihen wie "Terra" oder "Utopia Zukunft" vorbehalten war. Der Müncher Verlag Goldmann whälte für seine 1960 gestartete Reihe "Godmanns Zukunftsromane," denen zwei Jahre später der Taschenbuchnachdruck als "Goldmanns Weltraum Taschenbücher" folgte, für die ersten 163 Titel die Umschlagillustrationen von Eyke Volkmer, die in noch höherem Maß auf abstrakte Linen und evokante Farbfelder setzten.

Richard M. Powers wurde heute vor 100 Jahren, dem 24. Februar 1921 in Chicago geboren. (Ich behalte die Verwendung des Mittelinitials für "Michael," das er zu seiner Lebzeit nie verwendet hat, bei, um ihn von Richard Powers, dem Autor von Romanen wie "Galatea 2.0" und "The Echo Maker" zu unterscheiden, dessen Werk auch oft Berührungspunkte mit den zentralen Themen der SF hat: bei "Galatea 2.0" (1995) etwa geht es um die Erschaffung einer künstlichen Intelligenz; bei "Plowing the Dark" (2000) um Fragen der virtuellen Realität. Amüsanterweise listet die ansonsten überaus verlässliche ISFDB - die Internet Science Fiction Data Base - einen Auszug aus "Plowing the Dark" in der Anthologie "Hive of Dreams: Contemporary Science Fiction from the Pacific Northwest" (hg. Grace L. Dillon, 2003 bei der Oregon State University Press erschienen) als Text des Künstlers.)

Nach dem Krieg nahm Powers (Richard L.) das unterbrochene Kunststudium wieder auf, zog 1947 an die Ostküste der USA und folgte seinem Mentor Jay Connaway zwei Jahre später nach New York, wo er als Gebrauchgraphiker zu arbeieten begann. Der erste von ihm gestaltete Umschlag eines einschlägigen SF-Titel war für Isaac Asimovs ersten Roman, "Pebble in the Sky," der im Januar 1950 bei Doubleday erschien und den Auftakt darstellte, der diesen Verlag für die nächsten zehn Jahre zum führenden "seriösen" Verlag auf diesem Gebiet machte. Die Titelbilder, die in den nächsten Jahren entstanden, waren durchaus noch dem oben erwähnten "repräsentativen Stil" zuzurechnen. Als Ian Ballantine 1952 die Taschenbuchreihe Ballantine Books gründete, der als erster Taschenbuchverlag ausschließlich SF publizierte und aufgrund der sorgfältigen Werkauswahl bald einen guten Ruf hatte, rekrutierte er Powers für die Gestaltung der Bände. Auch hier behielt er zunächst noch den "alten" Stil bei; der erste Titel im späteren, unverwechselbaren Powers-Look gehalten war, war das Titelbild für Arthur C. Clarkes "Childhood's End," das im August 1953 zur gleichen Zeit als Taschenbuch und in gebundener Form herauskam.



(James Blish, The Star Dwellers, Avon Books F22, Februar 1962)

Die abstrakte, vieldeutige Gestaltung dieser Bilder führte dazu, daß die Verlage Ballantine, Berkley, Doubleday die Werke, die Powers' Frau Evelyn, die als seine Agentin fungierte, ihren in regelmäßigem Turnus bei Verlagsbesuchen vorlegte, "im Voraus" ankauften, ohne einen bestimmten Titel in Sinn zu haben; der "Wiedererkennungswert" ließ sie späteren Genretiteln ohne Bruch frei zuordnen. Bis zum Tod seiner ersten Frau 1966 gestaltete Powers rund 350 Titelbilder; danach zog er sich für ein halbes Jahrzehnt in die Karibik zurück, bevor er wieder nach New York und zu seiner alten Tätigkeit zurückkehrte. Powers hatte seine Ambitionen nie aufgegeben, ein "ernsthafter," abstrakt arbeitender Künstler zu sein - das hat er mit anderen Zunftgenossen gemeinsam, etwa Ed Emshwiller (1925-1990), der ebenfalls zwischen 1952 und 1962 hunderte von Umschlägen für Taschenbücher und Magazinen verfertigte, bevor er sich aus diesem Geschäft zurückzog, um sich ganz seiner Leidenschaft als Avantgarde-Filmer zu widmen; oder John Schoenherr (1935-2010), der Mitte der 1970er Jahre seine Karriere als SF-Illustrator weitgehend aufgab, um sich als Tiermaler einen Namen zu machen (daß Schoenherrs Name auf immer mit seinen Illustrationen für Frank Herberts "Wüstenplanet" verbunden sein wird, gehört zu den üblichen Volten des Ruhms. Auch Georges Simenon wird, solange Bücher gelesen werden, immer der Schöpfer von Kommissar Maigret sein und nicht der Verfasser bedeutender Milieustudien, als der er sich selber sah.)

Powers selbst arbeitete - wenn auch mit wesentlich verminderter Frequenz - bis Mitte der 1980er Jahre im Genre. Er starb mit 75 Jahren im März 1996 in Spanien an einem Herzinfarkt, als er seine in Madrid lebende Tochter besuchte.





























Ein wenig mag angesichts dieses Stils schon zu überraschen, daß Powers 1963 für Ballantine Books die Titelbilder für 12 der Titel von Edgar Rice Burroughs' Saga um den Herrn des Dschungels kreierte:



Ein Beispiel für Powers' "realistischen" Stil bildet das Titelbild, das er 1961 für die Dell Laurel-Ausgabe von Jonathan Swifts Klassiker von 1726 geschaffen hat:



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Zum Schluß dieser kleinen Galerie zum Vergleich zwei der Titelbilder, die der 1934 in Istanbul geborene Eyke Volkmer in den frühen 1960er Jahren für die Reihe der Goldmann Weltraumtaschenbücher gemalt hat:





U.E.

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