„Die Unabhängigkeit von Gerichten ist ein hohes Gut. Aber Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen“Diese beiden Sätze, die der amtierende Innenminister von NRW, Herbert Reul, von sich gab, sind derzeit eine prima Vorlage um seine politische Karriere zu beenden. Seit er sie von sich gab findet ein vergleichsweise nettes Kesseltreiben gegen ihn statt und Verteidiger hat er dabei nicht auf seiner Seite. Naheliegend also, dass er inzwischen zu Kreuze kriechen musste und sich von seiner eigenen Aussage zu distanzieren sucht, mithin erklärt er nicht damit gerechnet zu haben "missverstanden" zu werden.
Nun denn, es war ja auch eine sehr undankbare wie angreifbare Aussage. Im Kern steht ein vermeintlicher oder tatsächlicher Angriff auf den Rechtsstaat, die vermeintliche Aufforderung an Richter nach dem Rechtsempfinden der Bevölkerung zu urteilen (vulgo: Dem Mob) und nicht nach dem, was eigentlich im Gesetz steht. Die Prügel dafür ist naheliegend und simpel: Wer immer auch nur einen müden Heller für den Rechtsstaat gibt, wird diesem Angriff (oder dieser Interpretation) widersprechen müssen, der Rechtsstaat ist nur so stark wie er mit denjenigen umgeht, die gerade nicht besonders positiv in der öffentlichen Wahrnehmung stehen. Auch in Zettels Raum war das schon mehrfach ein Thema, beispielsweise hier.
Und dennoch halte ich die Prügel, die Reul hier kassiert, für recht billig und an der Sache vorbei. Und das im Wesentlichen aus drei Gründen.
Zum einen hat Reul niemanden dazu aufgefordert irgendetwas zu tun, was nicht im Gesetz steht. Er hat nur betont, dass Entscheidungen auch andere Dinge zugrunde gelegt werden können als eben "nur" das Gesetz. Es ist absurd zu meinen eine jede richterliche Entscheidung wäre aus dem Gesetzestext eindeutig festgelegt. Richter urteilen (umso höher das Gericht, umso mehr) oftmals vom Ergebnis her und suchen sich dann eine Begründung im Gesetz. Und so lange diese Begründung nicht in sich ungesetzlich ist, ist das nicht einmal unmoralisch oder gar unethisch. Der Rechtsstaat verlangt die Einhaltung gemeinsamer Regeln für alle, er verlangt nicht, das Richter keinen Entscheidungsspielraum nutzen.
Zum zweiten, ein guter Teil des heutigen "Rechtes", gerade in Bezug auf Abschiebe- und Zuwanderungspraxis findet sich gar nicht im Gesetz wieder. Dieses Recht wurde geschaffen. Und zwar von Richtern. Das man niemanden nach Tunesien abschieben darf, weil ihm dort Folter droht, steht nicht im Gesetz. Es wird von Richtern aus Artikel eins, bzw. aus der Erklärung der Menschenrechte hergeleitet. Und es ist nicht das einziges was Richter so alles aus dem Grundgesetz herleiten. Das ganze allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nichts weiter als der Ausfluss einer Gruppe von Richtern, die sich als Gesetzgeber fühlten. Und ob es so besonders im Sinne des Rechtsstaates ist, dass eine nicht gewählte Gruppe von Juristen sowohl den Job des Gesetzgebers als auch den Anwender der Gesetze vertritt, darf man zumindest kritisieren.
Zum dritten und vielleicht wichtigsten: Der Rechtsstaat ist eine Idealvorstellung. Aber sie existiert nicht im luftleeren Raum. Der Rechtsstaat um des Rechtsstaates willen funktioniert nicht. Natürlich muss auch der normale Bürger den Rechtsstaat verstehen. Bzw. der Rechtsstaat muss das Nachbilden was der Bürger für richtig hält. Das ist nur indirekt eine Richterschelte, denn in erster Linie werden Gesetze noch von der Legislative beschlossen (mit der vorgenannten Problematik), aber diese Differenzierung macht der Bürger eher selten. Er hat kein Verständnis dafür, dass er ins Gefängnis geht, wenn er keine GEZ bezahlt, aber jemand wie Sami A. nicht nur jahrelang auf Staatskosten versorgt wird, sondern jetzt für zehntausende von Euro zurück geholt wird. Wir können den Rechtstaat auch für jeden "Gefährder" bis ins Details verteidigen, aber wir erodieren dafür die eigentliche Grundlage für eben jenen Rechtsstaat. Oder simpel gesagt: Die Vorstellung des Bürgers und der Justiz dürfen nie zu weit auseinander klaffen. Simples Beispiel: Wenn ein Kindermörder, den die meisten Bürger lieber am nächsten Baum sehen wollten, als im Gefängnis, für die nächsten 30 Jahre in eben jenes kommt, dann knirschen zwar viele mit den Zähnen, man nimmt es aber mit und der Rechtsstaat hat funktioniert. Wenn der selbe Kindermörder aber nach zwei Jahren frei kommt, dann ballt sich die Faust in der Tasche und der Rechtsstaat wird nicht mehr verteidigt.
Wir sind durch die Entwicklung der Rechtssprechung von einer strafenden zu einer erziehenden Justiz durch die letzten Jahrzehnte inzwischen sehr stark in den zweiten Bereich gerutscht. Die Presse gibt sich alle Mühe, selbst bei hahnebüchen lächerlichen Strafen (beispielsweise 3-5 Jahre für einen Mord, der dann als Totschlag nach Jugendstrafrecht verurteilt wird) von harten Strafen zu reden. Warum tut sie das? Damit der Bürger die Faust ein bischen weniger ballt. Weil eben das Rechtsempfinden des Bürgers immer mehr von dem abweicht, was Richter an Recht sprechen.
Klar kann man sich als "oberste Richterin" hinstellen und den blöden Abschiebern zeigen wo der Hammer hängt (und vielleicht achtet dann auch keiner darauf, dass man das FAX selber verpennt hat). Man kann von Gewaltenteilung erzählen und davon wie wichtig das ist, dass man auch nur gegen das Risiko vorgehen muss, dass der Betreffende gefoltert werden könnte. Nur wenn sich eben dann herausstellt, dass Tunesien eben keinerlei Anstalten macht den Mann zu foltern, dann ist das wieder ein Riss im schönen Gesicht des Rechtsstaates. Und wenn man dann noch, wenn also das, was man befürchtet hat, sich als falsch erwiesen hat, wütend mit dem Fuß aufstampft und auf irre Kosten der Allgemeinheit unbedingt Recht behalten will, dann hat man dem touch down noch den Torschuss hinterher gesetzt. Es sind solche Richter, die den Rechtsstaat vielleicht nicht an einem Einzelfall beschädigen, aber massiv am Fundament graben.
Llarian
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