11. Juli 2018

Ein schales Gefühl

­Nun ist es also da, das große Urteil im nicht weniger großen NSU Prozess. Mehr als fünf Jahre hat der Prozess gedauert, mehr als 400 Sitzungstage wurden aufgewandt und so knappe 30 Millionen Euro an Kosten verursacht. Und am Ende standen eine Reihe von Urteilen, die so wie es sich derzeit darstellt, auch durchaus nach einer Woche hätten fallen können. Was am Ende bleibt ist ein sehr schales Gefühl und nicht unbedingt eine Sternstunde der Rechtsstaates.



Das Hauptproblem am NSU Prozess war und ist schon immer etwas gewesen, was derzeit und auch vorher schon immer und grundsätzlich bestritten wurde: Das es sich um einen politischen Prozess handelt. Eine Aussage die sowohl falsch als auch richtig ist, weil sie von unterschiedlichen Definitionen ausgeht. Diejenigen, die permanent darauf hinweisen, dass es sich eben um keinen solchen handelt, weisen gerne auf Schauprozesse aus Stalins Russland oder gar vor dem Volksgerichtshof hin und belegen damit -natürlich- dass es sich eben um keinen solchen Prozess gehandelt hab. Ignoriert wird dabei, dass auch Dinge, die nicht einem bestimmten historischen Vorbild entsprechen, den Begriff auf gänzlich andere Art erfüllen können. Denn politisch ist der Prozess selbstverständlich. Wie könnte ein Prozess, der direkt schon am Tage des Urteils von Dutzenden(!) von Politiker kommentiert wird, nicht politisch sein? Wie könnte ein Prozess, dem umfangreich aus einer anderen Nation heraus beobachtet und politisch instrumentalisiert wird, nicht politisch sein? Wie könnte ein Prozess, bei dem man der eigentlichen Täter nicht mehr habhaft werden kann, und unbedingt jemanden zur öffentlichen Bestrafung braucht(!), nicht politisch sein? Wie könnte ein Prozess, bei dem es um eklatantes Staatsversagen und staatlichen Involvierung geht, nicht politisch sein? Wie kann ein Prozess, der noch von jedem kleinen Lokalblatt kommentiert wird, nicht politisch sein? Und auch wenn das das schwächste Argument ist: Wie könnte ein Prozess mit einem derart gigantischen Aufwand, keine politische Dimension haben? Natürlich ist das ein politischer Prozess. Man stelle sich einfach nur einmal vor, was passiert wäre, wenn die Angeklagten frei gesprochen worden wären. Wer sieht zu welchem Affentanz das geführt hätte, kann kaum die politische Dimension des Prozesses negieren.

Nun kann die Justiz in dem Sinne nichts für die politische Aufladung des Themas. Aber man darf der Justiz ein paar Fragen stellen, warum sie den Prozess so gehandhabt hat, wie sie es eben getan hat.

Dazu gehört die Frage warum man unbedingt diesen Aufwand treiben musste. Vergleichsweise offensichtlich wurde hier versucht einen juristischen Untersuchungsausschuss zum Thema NSU durchzuführen. Das war nur nicht die Aufgabe des Strafsenats. Die Aufgabe des Strafsenats war über die Schuld der konkreten Angeklagten zu befinden. Es erscheint merkwürdig, dass man dafür 438 Verhandlungstage brauchen soll, wenn andere Mordfälle in einer Woche abgearbeitet werden. Man muss sich mal bewusst machen, dass der Prozess fast halb so lange gedauert hat, wie die ganze Mordserie des NSU. Und sieht man sich nur das Urteil gegen die Hauptangeklagte an, dann kommt man nicht umhin zu bemerken, dass es fast ausschließlich auf Dingen beruht, die bereits vor dem Prozess bekannt waren.

Ebenso wird sich die Justiz die Frage gefallen lassen, wieso sie ausgerechnet in diesem Prozess das erste mal in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik jemanden der Mittäterschaft an einem Mord schuldig spricht, weil der Betreffende eine Fassade aufrecht erhalten hat. Interessanterweise gibt es eine aktuelle Parallele dazu. Verena Becker, ihres Zeichens ehemalige RAF Terroristin, wurde 2012 wegen Beihilfe am Mord an Siegfried Buback angeklagt und verurteilt. Auch hier hat die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung als Mittäter gefordert, weil Becker die Morde erst durch ihre Logistik und Unterstützung ermöglichte.Dieses Argument wurde vom Oberlandesgericht Stuttgart explizit verworfen und Becker wurde "nur" wegen Beihilfe verurteilt (und erhielt 4 Jahre, wovon sie keine 2 abgesessen hat). Beate Zschäpe kann sich rühmen hier Justizgeschichte zu schreiben, sie bekam für die selbe Tatausführung die volle Dröhnung von lebenslänglich (zuzüglich der besonderen Schwere). Da dieser Vergleich mit aller Sicherheit in die Revisionsbegründung gehen wird, bleibt es spannend zu sehen, wie sich die Justiz versuchen wird hier herauszuwinden.

Auch ein schönes Augenmerk ist ein besonderer Liebling der Rechtssprechung: Das Geständnis. In normalen Prozessen ist ein Geständnis, und sei die Beweislast noch so erdrückend, in der Regel ein Garant für einen deutlich Strafrabatt. Selbst wenn ein Dutzend Zeugen einer Tat beiwohnen und niemand bei gesundem Menschenverstand einen Zweifel am Tathergang haben kann, bringt ein Geständnis nahezu grundsätzlich einen ordentlichen Bonus. Außer man heißt Beate Zschäpe. Denn auch Beate Zschäpe hat, entgegen dem expliziten Willen ihrer Pflichtverteidiger, gestanden. Und das in einem Fall, wo die Beweislast keinesfalls so erdrückend war (es gibt durchaus einige Juristen, die der Auffassung sind, dass sie ohne Geständnis nie hätte verurteilt werden können, das entsprach ja auch der Strategie ihrer ersten Verteidiger). Sie gestand die Brandstiftung und auch das Aufrechterhalten der Fassdade. Das sind auch am Ende die einzigen Dinge, die man ihr in dem Sinne nachweisen konnte (spätestens durch das Geständnis). Eine direkte oder vorbereitende Tatbeteiligung an den Morden, ja nicht einmal das vorherige Wissen um diese, konnte man ihr nie nachweisen. Das wäre auch schwierig, würde es doch bedeuten ihr in den Kopf schauen zu können. Hier ist besonders wichtig, den Grundsatz des in dubio pro reo zu verstehen. So lange niemand nachweisen kann, was Zschäpe wann wusste, kann ihr eine direkte Tatbeteiligung nicht ohne Zweifel nachgewiesen werden. Entsprechend kann sie dafür auch nicht verurteilt werden. Entsprechend stützte sich das Gericht auf das Aufrechterhalten der Fassdade (das sie ja auch gestanden hatte). Einen Rabatt gab es dafür nicht. Rabatt gibt es eben nur für andere. Auch hier muss sich die Justiz fragen lassen, warum einige Täter bei Geständnisssen besser weg kommen.

Es bleibt am Ende ein hohles Gefühl. Nicht weil es den Falschen getroffen hätte, es fällt schwer für Beate Zschäpe irgendein Mitgefühl zu hegen. Aber es entsteht das Gefühl, dass es sich hier weniger um einen "normalen" Prozess gehandelt hat, als eben um jenes politische Verfahren, dass weiter oben ja schon beschrieben war. Mit einem Urteil, dass bereits vor der Verhandlung fest stand und nur eine Begründung suchte (die es freilich trotz 5 Jahren Dauer aber nicht richtig finden konnte).


Letzter Gedanke: Ein Teil des Gefühls mag sich auch daraus speisen, dass gerade die bundesdeutsche Justiz in den letzten Jahren/Jahrzehnten ja kaum etwas auslässt, wenn es darum geht Strafen abzumildern, Taten zu entschuldigen und selbst Wiederholungstätern immer wieder eine günstige Prognose zu attestierten. Da wirkt ein solches Urteil als Artefakt.

Llarian

© Llarian. Für Kommentare bitte hier klicken.