15. April 2018

Kontrapunkt: Ein Echo vom Echo

Auch dieses Jahr nutzt die Musikbranche mal wieder die Gelegenheit und feiert sich selber, das Ergebnis nennt sich Echo und wiederholt sich jedes Jahr aufs neue. Und weil das an und für sich ziemlich langweilig ist, hat man dieses Jahr dann einen großen Eklat gefunden, was sicher sowohl für die Veranstalter als auch für die Musiker nicht unbedingt das schlechteste ist.
Und der Eklat ist: Antisemitismus. Den man bei zwei der diesjährigen Favoriten in ihrem Bereich gefunden hat. Und das deutsche Feuilleton hat mal wieder ihre Sau gefunden, um sie erfolgreich durchs Dorf zu treiben. Und es ist ein reichlich dankbares Schweinchen, denn es wird ja niemand so richtig wagen Antisemitismus zu verteidigen, bzw. jeder kann sich mal so richtig profilieren ein Verteidiger "der Juden" zu sein (zumindest so lange diese im dritten Reich ermordet wurden, doch dazu später).


Was ist also der Stein des Anstosses? Nun, es ist eine Liedzeile aus dem Lied 0815 der beiden Rapper Kollegah (das Wort tut schon beim Lesen weh) und Farid Bang (Name scheint auch hier Programm zu sein). Die Zeile lautet:
 "Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen".
Selbst beim zweiten Lesen wird nicht so recht klar was dieser Halbsatz eigentlich ausdrücken soll. Liest man den ganzen Liedtext so wird es dadurch auch nicht unbedingt klarer, denn bei allem Verständnis für "Gangster-Rap", besteht das Lied, so man es so bezeichnen kann, aus recht wilden Anreihungen von sinnlosen Textbausteinen. Eine ernsthafte Aussage wird an der Stelle jedenfalls nicht daraus, und man sollte meinen, um etwas antisemitisches auszuführen wäre wenigstens eine Aussage notwendig. Alles was der Text tatsächlich enthält ist ein Triggerwort und das Triggerwort ist Ausschwitz. Es mag so gemeint sein, und die Provokation, so sie beabsichtigt war, ist auch gelungen, denn offensichtlich hat es bei vielen Leuten direkt geklingelt. Da hat jemand Autobahn gesagt und Autobahn geht bekanntlich gar nicht ( Scheinemakers). Um es gleich klar zu sagen: Der (Halb)satz ist meiner bescheidenen Meinung nach nicht antisemitisch sondern schlicht geschmacklos um nicht gleich zu sagen  strunzdoof (diese Eigenschaft hat er allerdings mit den meisten Halbsätzen dieses Werkes gemeinsam). Sich daran aufzuhängen ist auch nichts anderes als genau das: Reichlich doof.
Aber der deutsche Kulturbetrieb, in seinem Bestreben irgendwie gegen alles zu sein, was sich als rechts verordnen lässt, wäre nicht der deutsche Kulturbetrieb, wenn er solche Fragen stellen würde. Der Vorwurf steht im Raum und steht für sich selber. Accusatio ipsa loquitur (der Lateiner verzeihe mir die eventuell falsche Deklination). 

Ich glaube das sich eben jene Medienöffentlichkeit mit solchen Debatten keinen Gefallen tut, im Gegenteil, ich halte sie für kontraproduktiv. Wenn man den Leuten erzählt, dass bereits ein geschmackloser Vergleich Antisemitismus vorstellt, wo soll noch die Distanz zu echtem Antisemitismus entstehen? Wer ständig mit Superlativen um sich wirft, darf sich eben nicht wundern, wenn er irgendwann keine Worte mehr hat, um die echten Antisemiten noch zu beschreiben. Zumal sich das Problem des Antisemitismus nicht damit löst, dass man ihn auf Auschwitz einengt oder dazu Bekenntnisse von sich gibt. So gibt es heute und gerade in Deutschland einen riesigen Haufen Antisemiten, die allergrößten Wert darauf legen Auschwitz permanent und möglichst laut zu bedauern, aber nichts unversucht lassen den Staat Israel zu delegitimieren wo es nur geht. Sie legen allergrößten Wert darauf gerade keine Antisemiten zu sein, nennen sich lieber Antizionisten und wollen "den Juden" ja nur erklären was die Deutschen aus dem Massenmord ihrer Vorfahren gelernt haben. Es sind auch Menschen wie Wilfried Böse (der vermutlich aufgrund des kommenden Kinofilms demnächst wieder populärer werden wird), die nach eigenem Bekunden keine Nazis sondern Idealisten sein wollen, während sie in voller Überzeugung jüdische Passagiere von nichtjüdischen selektieren. Wenn auch nicht so extrem wie bei Böse, so ist es genau diese Haltung, die in Deutschland tatsächlich salonfähig geworden ist, ja mehr und mehr fast zum Standard gehört. Die toten Juden von Auschwitz gehören zur deutschen Staatsräson, man begeht den Holocaust-Gedenktag, zündet Kerzen an und jammert darüber wie unsere Großväter und Urgroßväter nur so etwas Monströses zulassen konnte. Gleichzeitig schwätzt man vom Rückkehrrecht der Palästinenser und erzählt sich nur hinter halb vorgehaltener Hand, dass dieser Apartheidsstaat da unten ja eigentlich viel schlimmer sei als das dritte Reich. Im Jahr 2010 suchte das vormals türkische Schiff Mavi Marmara die damalige Gaza-Blockade zu brechen, eine Propaganda Aktion der Hamas, mit dem Ziel die IDF zu diskreditieren. Mit an Bord waren die deutschen Bundestagsabgeordneten Annette Groth und Inge Höger (es lohnt sich durchaus die Wikipedia Seiten der beiden Damen zu lesen). Beide Damen verliessen den Bundestag 2017(!) freiwillig, nachdem sie nicht mehr antraten (Bevor es mir jemand vorwirft, das ist hier kein SED Bashing, sondern rein exemplarische Beispiele). Sie wurden anstandslos 2012 gewählt, obschon sie aus ihren Herzen keine Mördergrube machten. Das(!) ist der real existierende Antisemitismus im Jahr 2018. Und der ist tausendmal gefährlicher als ein sinnfreier Vergleich. Der amerikanischen Sängerin Maria Carey sagte man jahrelang die Sätze nach: 
"Wenn ich den Fernseher anmache und die armen verhungernden Kinder in aller Welt sehe, muss ich hemmungslos weinen. Ich meine, natürlich wäre ich auch gerne so schlank, aber nicht mit den Fliegen und dem Tod und dem ganzen Zeug."
Sie hat das vermutlich nie gesagt, aber unabhängig davon ist der Satz auf einem ähnlichen dämlichen Niveau wir der oben inkriminierte. Ist die Aussage dämlich? Auf jeden Fall. Aber ist sie "afrikafeindlich"? Doch eher nicht. Sie ist einfach nur dumm.

Im selben Kontext gibt es auch eine mehr oder minder interessante Wortmeldung von Campino, dem Frontmann der toten Hosen. Zum Anlass seiner eigenen Auszeichnung beim Echo hatte er eine kleine Rede zu dem Thema vorbereitet. Er führte aus, dass er im Prinzip(!) Provokation für gut und richtig halte, aber wenn dies in frauenfeindlicher, homophober, rechtsextremer oder antisemitischer Form geschehe, dann wäre eine Grenze überschritten. Es bekam für diese Rede eine Menge Applaus und auch das bereits oben erwähnte Feuilleton konnte sich vor Freude kaum einkriegen. Nun, ich mag die toten Hosen (auch wenn Campino bis heute nicht singen kann). Ich finde das sie viel gute Musik gemacht haben, das viele Texte zum Nachdenken anregen und "Hier kommt Alex" gehört auch heute noch zu einer meiner Lauf-Playlisten. Aber wenn ausgerechnet die toten Hosen zur moralischen Instanz avancieren, dann wirkt das doch etwas merkwürdig. Fällt dem deutschen Feuillton eigentlich noch auf, dass in der Aufzählung das Wort "linksextrem" irgendwie fehlt? Ist linksextreme Provokation vielleicht keine Grenzüberschreitung? Oder liegt das eher daran, dass so manche Provokation, die sich die toten Hosen in der Vergangenheit erlaubt haben, eher diesem Spektum zurechnen lassen? Was soll man unter Sätzen wie "Wir schiessen zwei, drei, vier, fünf Bullen um" denn verstehen? Vielleicht bin ich zu jung, aber ich kann mich nicht erinnern, dass solche Formulierungen je dazu geführt haben, dass man versucht hat die Hosen irgendwo auszugrenzen. Im "Prinzip" hat in diesem Kontext einen sehr schalen Beigeschmack, denn im Prinzip bedeutet hier nichts anderes, dass es einen Unterschied macht wer provozieren darf(!). Falls Sie, lieber Leser, nun meinen, dass das Zitat aus Bonny und Clyde nichts dramatisches vorstellt, so gebe ich Ihnen recht, das tut er auch nicht. Das ist sicher keine ernst gemeinte Abwertung menschlichen Lebens. Entscheidend ist: Man kann(!) ihn aber durchaus so verstehen und könnte es skandalisieren, wenn man den selben scharfen Maßstab anlegt, den man hier an die beiden Rapper anlegen möchte. Ich glaube nicht, dass man sich einen Gefallen tut mit solchen Goldwaagen durch die Gegend zu rennen und es ist meine persönliche Lebenserfahrung das einen echte Menschenverachtung so offen anlacht, dass man nicht über Maßstäbe und Bewertungen ernsthaft debattieren muss. 
Übrigens hat Campino neben der Rede keine großen Probleme gehabt den Echo selbst wohl mitzunehmen. Heino, der sonst so viel gescholtene Heimatbarde, hat 2011 seinen 21 Jahre zuvor erhaltenen Bambi zurück gegeben, nachdem der "Sänger" Bushido (jemand, bei dem Antisemitismus jetzt nicht so schwer zu suchen ist) 2011 mit einem solchen ausgezeichnet wurde. Aber auch das mag am Ende etwas von einem PR Stunt haben.

Prinzipiell glaube ich, dass "Gangster-Rap" unsere Gesellschaft nicht besser macht. Nachdem ich nun einige der Texte (so man diese wirklich so nennen kann) gelesen habe, kann ich außer einer Aneinanderreihung von Plattitüden und Provokation wenig erkennen, was einen kulturellen Wert ausmachen könnte. Ich finde die Texte von Kollegah (das Wort tut immernoch weh) und seinem Kollegen bisweilen völlig unerträglich (nicht weil sie so provokativ sind, sondern einfach nur so unglaublich blöde). Wenn deutsche Wohlstandskinder versuchen sich als Obermacker und Schwerkriminelle zu verkaufen ist das allenfalls unfreiwillig komisch und wirkt ungefähr genauso authentisch wie Michael Jackson, als er versuchte sich als Slumbewohner zu verkaufen. Aber es liegt nicht an mir darüber zu urteilen, wenn sich hunderttausende ebensolche Wohlstandskinder den Driss kaufen, dann hat es offensichtlich einen Markt. Ich denke als Gesellschaft macht es Sinn darüber nachzudenken warum sich so viele Jugendliche nach Werten sehnen, die den Werten unserer Gesellschaftsordnung zutiefst widersprechen. Denn auch wenn Antisemitismus in diesen Texten noch(!) vergleichsweise selten ist (Rechtsradikalismus ebenso), so ist der Vorwurf der Schwulen- und Frauenfeindlichkeit nicht nur zu diskutieren, sondern trivialst zu bestätigen. Warum das so ist, wäre sicher eine spannende Frage. Aber sie hat mit der Echoverleihung 2018 nicht mehr viel zu tun.

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Llarian

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