8. Juni 2017

Meckerecke: Ex und cum. Ein Tiefpunkt des deutschen Gesinnungsjournalismus

Woran denken Sie, liebe Leser, wenn Sie das Wort "Steuerraub" lesen? An ein Diktum des Doctor Angelicus? Weit gefehlt. Der deutsche Gesinnungsjournalist bezeichnet mit dieser Vokabel das Ausnutzen von fiskalrechtlichen Regelungslücken, die vor ihrer Schließung jedenfalls in ihrer Cum-Cum-Variante von einem Sprecher des Bundesfinanzministeriums als "illegitim", aber nicht illegal bezeichnet wurden.
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Was sich ZEIT-Online mit diesem Artikel geleistet hat, ist - um die Überdrehtheit des dort gewählten Tons zu imitieren - die größte Pressepanne in der deutschen Geschichte. Da ist in ungebändigter Empörung die Rede von Bankern, Beratern und Anwälten, die durch "Steuertricksereien" den Staat um 31,8 Milliarden geprellt haben sollen - dies über eine Laufzeit von rund zehn Jahren. (Nur zum Vergleich: Der Bundeshaushalt 2017 sieht Ausgaben in Höhe von 329,1 Milliarden Euro vor.)

Aber nichts Gewisses weiß man nicht, wie man in Bayern sagen würde, denn:
Selbst Beamte aus dem Finanzministerium geben zu, dass sie nicht ganz durchdrungen haben, was sich hinter einzelnen komplizierten Varianten dieser Geschäfte verbirgt. Es ist wie mit Einsteins Relativitätstheorie: Wenn man sich viel Mühe gibt, glaubt man für einen Moment, sie nun endlich begriffen zu haben. Soll man sie ein paar Minuten später jemand [sic!] erklären, scheitert man (, , , , , , ,, "Der größte Steuerraub in der Geschichte", ZEIT-Online).
Aber dass es sich um "Steuerraub" handelt und dass das alles ganz verwerflich ist, das weiß man schon. Denn ein Antrag auf Steuererstattung begründet bereits einen hinreichenden Anfangsverdacht. So etwas tut man als braver Untertan einfach nicht.

Aufgedeckt und verfolgt haben den Skandal, in dem die Rollen der Bösewichte mit unsozialen Männern aus der Kapitalistenszene besetzt sind (Parole: "Wer sich nicht damit identifizieren kann, dass in Deutschland weniger Kindergärten gebaut werden, weil wir solche Geschäfte machen, der ist hier falsch"), natürlich zwei staatsdienende Frauen, was gebührend betont werden muss. Man(n) darf ja kein Klischee der politischen Korrektheit auslassen.

Wer seinem Hang zur Denunziation freien Lauf lassen möchte, der kann den am Schluss des Artikels verlinkten "anonymen Briefkasten" benutzen. Bitte fleißig einsenden! Nicht dass wir - so wie bei den "Panama Papers" - kein Watergate, sondern ein Waterloo erleben.

Noricus

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