Gemäß dem Beschluss des
2. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. April 2017 zu 2 BvL 6/13 ist
das Kernbrennstoffsteuergesetz mit Artikel 105 Absatz 2 in Verbindung mit
Artikel 106 Absatz 1 Nummer 2 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig (hier
der Entscheidungsvolltext; hier die Pressemitteilung).
Diese Entscheidung ist,
wenn man rein ihren Tenor betrachtet, wenig aufsehenerregend, da das für
nichtig erklärte Gesetz Betreiber von Atomkraftwerken, also eine überschaubare
Zahl von Normadressaten, betraf. Für den Rest der Menschheit ist jedoch die
Begründung von Interesse, mit welcher das Bundesverfassungsgericht seine Ansicht
unterfüttert.
Denn die zentrale
Frage, mit der sich die Karlsruher Richter auseinanderzusetzen hatte, lautete: In
welchem Umfang hat der einfache Gesetzgeber ein Steuererfindungsrecht, also die
Befugnis, neue Steuerarten einzuführen?
Die bundesstaatliche Kompetenzverteilung hinsichtlich der Steuergesetzgebung regelt Art. 105 GG; die Steuerertragshoheit (d.h. welcher Gebietskörperschaft der Steuerertrag zusteht) ist in Art. 106 GG festgelegt.
Nach der Meinung der
Senatsmehrheit kommt dem einfachen Gesetzgeber ein Steuererfindungsrecht nur im
Rahmen der in Art. 106 GG enthaltenen Typusbegriffe zu (Rn.* 68). Diese seien
zwar weit auszulegen (Rn. 114), für Analogieschlüsse bleibe jedoch kein Raum (Rn.
58). Vielmehr sei die Zuweisung der Gesetzgebungskompetenzen an Bund und Länder
durch Art. 105 in Verbindung mit Art. 106 GG abschließend (Rn. 69). Der in Art.
105 Abs. 2 GG enthaltene Begriff „übrige Steuern“ beziehe sich auf die in Art.
106 GG genannten Steuern und Steuerarten (Rn. 71). Einem allgemeinen, also über
den Katalog des Art. 106 GG hinausgehenden, Steuererfindungsrecht erteilt das
BVerfG nicht nur bezüglich des Bundes, sondern auch im Hinblick auf die Länder
eine Absage (Rn. 94).
Gegen ein allgemeines
Steuererfindungsrecht streite, so die Senatsmehrheit, nicht nur die „Befriedungsfunktion“
der bundesstaatlichen Finanzverfassung (Rn. 58), sondern auch deren „Schutz-
und Begrenzungsfunktion“, welche auch zugunsten des Bürgers wirke (Rn. 60). Zu
diesem Aspekt führt die Entscheidung wie folgt aus (Rn. 93):
Der Schutz der Bürger vor einer unübersehbaren Vielzahl von Steuern ist ein originärer und eigenständiger Zweck der Kompetenznormen der Finanzverfassung, mit dem die Annahme eines Steuererfindungsrechts nicht in Einklang zu bringen wäre. Es könnten beliebig „neue“ Steuern und Steuerarten eingeführt werden. Die steuerliche Art des Zugriffs auf die Ressourcen des Bürgers wäre damit weitgehend unbeschränkt; insbesondere die in der Finanzverfassung ausdrücklich genannten Steuern und Steuerarten würden ihrer begrenzenden Funktion (Rn. 60) entkleidet.
Nur mit dem Ergebnis,
nicht aber mit der Begründung der Entscheidung sind die Richter Peter M. Huber
und Peter Müller – sinnigerweise zwei ehemalige Landespolitiker – einverstanden.
Sie haben deshalb dem Beschluss des BVerfG eine abweichende Meinung
hinzugefügt. Huber und Müller treten für ein umfassendes Steuererfindungsrecht
ein. Dem Begriff „übrige Steuern“ in Art. 105. Abs. 2 GG könne gerade nicht
eine Beschränkung auf die in Art. 106 GG genannten Steuern und Steuerarten
entnommen werden. Der Schutz des Bürgers sei nicht durch eine restriktive Interpretation
der Steuererfindungskompetenz des einfachen Gesetzgebers, sondern „durch die
prozeduralen und materiellen Garantiegehalte der Grundrechte sichergestellt“ (abweichende
Meinung Rn. 34), wobei die wichtigsten verfassungsmäßigen Garantien in Rn. 35
des Sondervotums aufgezählt werden. Bei neu erfundenen Steuern folge die
Ertragshoheit der Gesetzgebungskompetenz (abweichende Meinung Rn. 29).
Wenn der Bund kraft Art. 105 Abs. 2 GG eine neue Steuerquelle erschließe und
dabei auch die Ertragshoheit in Anspruch nehme, sei zur Wahrung der Interessen
der Länder über den Wortlaut des Art. 105 Abs. 3 GG hinaus die – im Anlassfall nicht eingeholte – Zustimmung des
Bundesrates erforderlich (abweichende Meinung Rn. 41).
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Nach Ansicht des
endunterfertigten Glossators ist die Entscheidung des BVerfG zu begrüßen, zumal
sie unter zwei verschiedenen Aspekten das Schutzbedürfnis des Bürgers vor
fiskalischer Überlastung unterstreicht. Einerseits ist es erforderlich, wie die
Senatsmehrheit zutreffend releviert, dass der Abgabepflichtige anhand der in
Art. 106 GG festgelegten Typen grob voraussehen kann, welche Steuern der
einfache Gesetzgeber im Einklang mit der Verfassung erfinden darf. Zum anderen ist
den beiden Sondervotanten beizupflichten, wenn sie betonen, dass eine
Steuererhebung (als enormer staatlicher Eingriff in Rechtspositionen des
Einzelnen, möchte man hinzufügen) immer auch dem Maßstab der Grundrechte zu
unterwerfen ist. In Zeiten, in denen sich die Politik in unverschämter,
zudringlicher Weise einen Anspruch auf das Vermögen des Bürgers anmaßt, ist
dies ein wohltuendes Signal der Verfassungshüter.
* Randnummer (des
Entscheidungsvolltextes)
Noricus
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