Etwas mehr als ein Jahr ist nun
vergangen, seit die Kanzlerin, mit dem wohl am häufigsten zitierten Satz der
letzten Jahre - "Wir schaffen das." -, sehr erfolgreich den Ton der Debatte um die Migrationskrise gesetzt
hat. Erfolgreich deswegen, da der durch ihre Aussage für gewöhnlich induzierte Widerspruch, "Wir
schaffen das nicht", welcher sogar als Überschrift den Weg in Zettels Raum fand, keine inhaltliche Debatte zu ihrer wohl, gemeinsam mit der Energiewende, weitreichendsten
politischen Entscheidung zulässt. Dieses geschickte Umgehen der inhaltlichen Diskussion
wirkt bis heute und mag mit ein Grund dafür sein, dass die Konsequenzen aus dem
Handeln der Kanzlerin für sie selbst bisher überschaubar blieben: Denn warum sollte
jemand Konsequenzen für ein Handeln ziehen sollen, welches keine Alternativen
hatte?
Ich möchte dabei nicht das indefinite "wir" in der
Aussage der Kanzlerin thematisieren. Das ist bereits an vielen Stellen geschehen
und nicht mehr als ein rhetorischer Trick, um den Zuhörer in das eigene
Anliegen einzubinden. Das Wesentliche an der Aussage der Kanzlerin ist viel
mehr, dass sie lediglich die Frage impliziert, ob wir das schaffen oder
nicht - eine Frage, zu der man zwar unterschiedliche Meinung haben kann, zu
der aber keine sinnvolle, inhaltliche Diskussion möglich ist: „Da ist etwas,
das wir schaffen müssen. Also die Ärmel hochgekrempelt und an die Arbeit.“ Dazu
gibt es keine haltbare Gegenposition, sondern nur die des Nörglers und
Pessimisten, der vor der unvermeidbaren Herausforderung den Kopf in den Sand
steckt und resigniert. Die Position der Kanzlerin ist damit automatisch nicht
nur die augenscheinlich sinnvolle, sondern auch die sympathische.
Mit der Formulierung „Wir schaffen das.“ hat die Kanzlerin
sehr geschickt das "müssen" vor die (politische) Willensbildung gesetzt und so diejenige Frage vermieden, welche inhaltlich sehr kontrovers diskutiert werden
kann: Wollen wir das schaffen? Wollen wir uns dieser Aufgabe überhaupt stellen? Unter welchen Bedingungen wollen wir das tun?
Die drei Worte der Kanzlerin sind damit die perfekte
Synthese dessen, was den kompletten Stil merkelscher Politik ausmacht und was man
vielleicht mit "Alternativlosigkeitstyrannis" benennen könnte. Manchmal ist es
die Ethik, manchmal die Moral, manchmal ein zeitgeistiges Dogma, manchmal eine durch rhetorische Kniffe
hergestellte Notwendigkeit und manchmal ein Amalgam aus alledem, welches inhaltliche Diskussionen zur Politik der Kanzlerin obsolet macht. Die in letzter Zeit geprägten Begriffe
wie "Fake News", "Hatespeech" oder "postfaktisch" kann man dabei als Ausfluß oder auch Ergänzung dieses
Politikstils verstehen, denn es kann natürlich keine inhaltliche oder legitme Gegenposition
geben, wenn die Alternativlosigkeit bereits diagnostiziert ist.
Das Herstellen von Notwendigkeit ohne inhaltliche Diskussion
und Argumente ist eine Disziplin in der es Merkel zur wahren Meisterschaft gebracht hat. Eine
der vielen Qualitäten, welche sie zweifelsohne hat, die ich mir persönlich bei dem
Regierungschef einer parlamentarischen Demokratie aber nicht unbedingt wünsche.
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