Die Bundeskanzlerin spricht davon, dass sie diejenigen, die "Merkel muss weg" schrien, mit Fakten nicht erreichen könne und äußert andernorts, es heiße, "wir lebten in
postfaktischen Zeiten." Dies bedeute, dass es nicht mehr um Fakten gehe,
sondern "die Menschen [...] allein den Gefühlen" folgten. In der letzten September-Ausgabe von Anne Will wurde
über das Thema "Emotionen statt Fakten - Warum ist Trump so
erfolgreich?" diskutiert. Der tendenziöse Titel der Talksendung mag
schon erahnen lassen, dass sich ein Betrachten der 60-minütigen Debatte
nicht wirklich lohnt. Nach Ansicht des Verfassers genügt die Lektüre von
Frank Lübberdings auf faz.net erschienener Kritik, um sich ein Bild von der Konversationsveranstaltung zu machen.
Was die höchsten Kreise der Politik und des beitragsfinanzierten Infotainments mit dieser Themensetzung aussagen möchten, scheint klar zu sein: Es findet eine Art asymmetrischer Kampf zwischen den auf Faktenbasis argumentierenden Vertretern der etablierten Parteien und den frei phantasierenden Rechtspopulisten statt, mit einem evidenten methodischen Vorteil für die Letzteren.
Wer das politische Geschehen in diesem Land schon etwas länger verfolgt, wird sich fragen, wann zum Beispiel die Grünen in ihrer Parteigeschichte Fakten den Vorzug vor dem Gefühl gegeben haben. Und die Bundeskanzlerin geriete wohl in einen Erklärungsnotstand, wenn sie die Tatsachen benennen müsste, auf deren Grundlage ihre Energiepolitik nach Fukushima beruhte. Technisch-naturwissenschaftliche oder ökonomische Sachverhalte trugen diese Entscheidung jedenfalls nicht.
Es ist also zu kurz gesprungen, das Urheberrecht am Abschied der Politik von den Fakten den Rechtspopulisten zuzuschreiben. Überhaupt wird die Bedeutung von Tatsachen für die Politik überschätzt: Denn die Staatskunst sollte idealiter ja nicht den Ist-Zustand verwalten, sondern einen Soll-Zustand hervorbringen. Anders formuliert: Die Politik schafft und verändert Fakten. Abgesehen von der Beschränkung durch Naturgesetze ist die Gestaltungsmacht der Regierenden erschreckend weitläufig. Dies zeigt im Guten und besonders im Schlechten ein auch nur oberflächlicher Blick in die Geschichte.
Was Merkel und die Anne-Will-Redaktion als Fakten bezeichnen, sind in Wirklichkeit nichts anderes als Mehrheitsmeinungen, nämlich solche Ansichten, wie sie von allen im Bundestag vertretenen Parteien - bei bestimmten Themen mit Ausnahme der CSU und der Linken (gemeint ist nicht das politische Lager, sondern die SED) - sowie vom Gros der überregionalen Medien, der Künstler und der Intellektuellen in diesem Land geteilt werden.
Zugegeben etwas plakativ lassen sich einige dieser Denkweisen wie folgt in Worte kleiden:
"Die größte Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat droht von rechts."
"Die EU in ihrer historischen Form ist die einzige Möglichkeit eines europäischen Friedensprojektes."
"Der Islam gehört (irgendwie) zu Deutschland."
"Merkels Entscheidung, im September 2015 die deutschen Grenzen für die in Ungarn aufhältigen Migranten zu öffnen, war ein gebotener Akt der Humanität."
"In Deutschland gibt es ein angestammtes Sexismusproblem."
"Die sozialdemokratische [sic!] Marktwirtschaft ist das beste aller schlechten Ökonomiemodelle."
Natürlich lassen sich für alle diese Meinungen Argumente finden; dasselbe gilt jedoch auch für ihre Bestreitung. Wo nun die Gegenansicht unsäglich oder das eigene Dafürhalten gar als alternativlos postuliert wird, findet eine Dogmatisierung von Meinungen statt. Die andere Ansicht bildet dann einen Verstoß gegen die Orthodoxie und wird nicht deshalb zurückgewiesen, weil sie sich widerlegen ließe (dies wird nicht einmal mehr versucht), sondern weil sie sich außerhalb des Rahmens des zulässigen Diskurses bewegt.
Politikern kann man nicht vorwerfen, dass sie ihren Gegnern auf diese Art und Weise die Satisfaktionsfähigkeit abzusprechen versuchen. Über die Klugheit dieser Strategie lässt sich freilich trefflich streiten. Problematisch ist vielmehr, dass Journalisten, Künstler und Intellektuelle in diese Verteufelung einstimmen und sie deshalb gerade kein Korrektiv für den Konsens der maßgebenden politischen Kräfte bilden. Michel Houellebecq hat in seiner Rede zur Verleihung des Frank-Schirrmacher-Preises in dieser Hinsicht so bösartig wie zutreffend von der "Zwangsjacke der Linken" gesprochen. Wie sehr diese die deutschen Medien noch immer einengt, lässt sich aus den in einem Beitrag von Alexander Kissler für den Cicero verlinkten Reaktionen auf die Ansprache des französischen Schriftstellers ersehen.
Nun ist an diesem Schulterschluss zwischen der Politik, den Medien, der Kunst und dem Intellektuellenmilieu zweierlei bemerkenswert und auch bedenklich: Den Rechtspopulisten, denen sie eine Außerachtlassung der Fakten vorwirft, hält diese Gesinnungsphalanx gerade keine Tatsachen entgegen; vielmehr beruft sie sich auf die häretische Natur der Gegenansicht, womit man sich mit dieser nicht mehr in der Sache zu beschäftigen braucht. Beim Publikum entsteht deshalb durchaus der Eindruck, dass die Meinungsführerschaft den Rechtspopulisten auf der inhaltlichen Ebene nichts entgegenzusetzen hat.
Außerdem gestattet das Unisono des - Vorsicht, gewollte Provokation folgt - politisch-publizistischen Komplexes den Rechtspopulisten, sich als Advokaten des Grundrechts auf Meinungsfreiheit und unerschrockene Kämpfer gegen eine angeblich von oben dekretierte Sprachregelung zu präsentieren. Der Verfasser dieser Zeilen hegt keinen Zweifel daran, dass die Rechtspopulisten, wenn das geistig-moralische Klima in diesem Land nicht sozialdemokratisch-linksliberal, sondern in ihrem Sinne geprägt wäre, nicht anders handeln würden als diejenigen, welche derzeit den öffentlichen Ton angeben. Aber: Solange die selbsternannten Diskurswächter jeder als rechts zu verstehenden oder misszuverstehenden Äußerung mit der Sicherheit des Amens in der Kirche das Anathema entgegengeschleudern, vermag man der Diagnose, dass die gedruckte und gesendete Meinung in diesem Land ein gestörtes Verhältnis zu einer pluralistischen Debattenkultur hat, kaum zu widersprechen.
Den Multiplikatoren-Mainstream werden solche Gedanken, falls sie ihm überhaupt in den Sinn kommen, nicht davon abhalten, auf den Rechtspopulismus weiterhin so einfältig zu reagieren wie bisher. Wer sich dann aber noch verwundert die Augen reibt, weshalb der Zuspruch zu den unliebsamen Parteien nicht versiegt, wird sich zumindest den Vorwurf der Naivität gefallen lassen müssen.
Wer das politische Geschehen in diesem Land schon etwas länger verfolgt, wird sich fragen, wann zum Beispiel die Grünen in ihrer Parteigeschichte Fakten den Vorzug vor dem Gefühl gegeben haben. Und die Bundeskanzlerin geriete wohl in einen Erklärungsnotstand, wenn sie die Tatsachen benennen müsste, auf deren Grundlage ihre Energiepolitik nach Fukushima beruhte. Technisch-naturwissenschaftliche oder ökonomische Sachverhalte trugen diese Entscheidung jedenfalls nicht.
Es ist also zu kurz gesprungen, das Urheberrecht am Abschied der Politik von den Fakten den Rechtspopulisten zuzuschreiben. Überhaupt wird die Bedeutung von Tatsachen für die Politik überschätzt: Denn die Staatskunst sollte idealiter ja nicht den Ist-Zustand verwalten, sondern einen Soll-Zustand hervorbringen. Anders formuliert: Die Politik schafft und verändert Fakten. Abgesehen von der Beschränkung durch Naturgesetze ist die Gestaltungsmacht der Regierenden erschreckend weitläufig. Dies zeigt im Guten und besonders im Schlechten ein auch nur oberflächlicher Blick in die Geschichte.
Was Merkel und die Anne-Will-Redaktion als Fakten bezeichnen, sind in Wirklichkeit nichts anderes als Mehrheitsmeinungen, nämlich solche Ansichten, wie sie von allen im Bundestag vertretenen Parteien - bei bestimmten Themen mit Ausnahme der CSU und der Linken (gemeint ist nicht das politische Lager, sondern die SED) - sowie vom Gros der überregionalen Medien, der Künstler und der Intellektuellen in diesem Land geteilt werden.
Zugegeben etwas plakativ lassen sich einige dieser Denkweisen wie folgt in Worte kleiden:
"Die größte Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat droht von rechts."
"Die EU in ihrer historischen Form ist die einzige Möglichkeit eines europäischen Friedensprojektes."
"Der Islam gehört (irgendwie) zu Deutschland."
"Merkels Entscheidung, im September 2015 die deutschen Grenzen für die in Ungarn aufhältigen Migranten zu öffnen, war ein gebotener Akt der Humanität."
"In Deutschland gibt es ein angestammtes Sexismusproblem."
"Die sozialdemokratische [sic!] Marktwirtschaft ist das beste aller schlechten Ökonomiemodelle."
Natürlich lassen sich für alle diese Meinungen Argumente finden; dasselbe gilt jedoch auch für ihre Bestreitung. Wo nun die Gegenansicht unsäglich oder das eigene Dafürhalten gar als alternativlos postuliert wird, findet eine Dogmatisierung von Meinungen statt. Die andere Ansicht bildet dann einen Verstoß gegen die Orthodoxie und wird nicht deshalb zurückgewiesen, weil sie sich widerlegen ließe (dies wird nicht einmal mehr versucht), sondern weil sie sich außerhalb des Rahmens des zulässigen Diskurses bewegt.
Politikern kann man nicht vorwerfen, dass sie ihren Gegnern auf diese Art und Weise die Satisfaktionsfähigkeit abzusprechen versuchen. Über die Klugheit dieser Strategie lässt sich freilich trefflich streiten. Problematisch ist vielmehr, dass Journalisten, Künstler und Intellektuelle in diese Verteufelung einstimmen und sie deshalb gerade kein Korrektiv für den Konsens der maßgebenden politischen Kräfte bilden. Michel Houellebecq hat in seiner Rede zur Verleihung des Frank-Schirrmacher-Preises in dieser Hinsicht so bösartig wie zutreffend von der "Zwangsjacke der Linken" gesprochen. Wie sehr diese die deutschen Medien noch immer einengt, lässt sich aus den in einem Beitrag von Alexander Kissler für den Cicero verlinkten Reaktionen auf die Ansprache des französischen Schriftstellers ersehen.
Nun ist an diesem Schulterschluss zwischen der Politik, den Medien, der Kunst und dem Intellektuellenmilieu zweierlei bemerkenswert und auch bedenklich: Den Rechtspopulisten, denen sie eine Außerachtlassung der Fakten vorwirft, hält diese Gesinnungsphalanx gerade keine Tatsachen entgegen; vielmehr beruft sie sich auf die häretische Natur der Gegenansicht, womit man sich mit dieser nicht mehr in der Sache zu beschäftigen braucht. Beim Publikum entsteht deshalb durchaus der Eindruck, dass die Meinungsführerschaft den Rechtspopulisten auf der inhaltlichen Ebene nichts entgegenzusetzen hat.
Außerdem gestattet das Unisono des - Vorsicht, gewollte Provokation folgt - politisch-publizistischen Komplexes den Rechtspopulisten, sich als Advokaten des Grundrechts auf Meinungsfreiheit und unerschrockene Kämpfer gegen eine angeblich von oben dekretierte Sprachregelung zu präsentieren. Der Verfasser dieser Zeilen hegt keinen Zweifel daran, dass die Rechtspopulisten, wenn das geistig-moralische Klima in diesem Land nicht sozialdemokratisch-linksliberal, sondern in ihrem Sinne geprägt wäre, nicht anders handeln würden als diejenigen, welche derzeit den öffentlichen Ton angeben. Aber: Solange die selbsternannten Diskurswächter jeder als rechts zu verstehenden oder misszuverstehenden Äußerung mit der Sicherheit des Amens in der Kirche das Anathema entgegengeschleudern, vermag man der Diagnose, dass die gedruckte und gesendete Meinung in diesem Land ein gestörtes Verhältnis zu einer pluralistischen Debattenkultur hat, kaum zu widersprechen.
Den Multiplikatoren-Mainstream werden solche Gedanken, falls sie ihm überhaupt in den Sinn kommen, nicht davon abhalten, auf den Rechtspopulismus weiterhin so einfältig zu reagieren wie bisher. Wer sich dann aber noch verwundert die Augen reibt, weshalb der Zuspruch zu den unliebsamen Parteien nicht versiegt, wird sich zumindest den Vorwurf der Naivität gefallen lassen müssen.
Noricus
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