Führerscheinneulig Fritz fragt seinen Onkel Otto, der gerade ein
nagelneues Sportwagenmodell Zuffenhausener Provenienz in seine Garage
eingestellt hat: "Verkaufst du mir die Kiste für 100 Euro?" Daraufhin Onkel
Otto, mit dem rechten Zeigefinger an seine Stirn tippend und in
erkennbar ironischem Ton: "Aber natürlich, der Herr. Stets zu Diensten."
Andere Szene: Führerscheinneuling Fritz fragt seinen Onkel Otto, der einen in die Jahre gekommenen Kleinwagen aus Rüsselsheim sein Zweitfahrzeug nennt: "Leihst du mir mal bitte kurz deinen Corsa? Ich muss für meine Party heute Abend Getränke holen." Daraufhin Onkel Otto in strengem Ton: "Nein." Den irritierten Gesichtsausdruck seines Neffen erwidert er mit einem Lächeln und wirft ihm den Autoschlüssel zu.
Wie kommt es, dass wir Onkel Ottos Äußerungen richtig verstehen? Es hat damit zu tun, dass sprachliche Zeichen nicht nur in einen Ko-Text (die sie umgebenden anderen sprachlichen Zeichen), sondern auch in einen Kon-Text (die sie begleitende außersprachliche Wirklichkeit) eingebettet sind. Für den Semiotiker ergibt sich daraus das wunderbare Paradoxon, dass sprachliche Zeichen zwar digital im Sinne von: diskret, wohlunterschieden sind, aber ohne ihre (analoge) außersprachliche Kulisse häufig nicht zutreffend interpretiert werden können.
Dieses Problem ist auch in der Juristerei bestens bekannt. Zum kleinen Latinum des Rechtsgelehrten gehören die Sprüche "Falsa demonstratio non nocet" und "Protestatio facto contraria non valet". Eine Falschbezeichnung schadet dann nicht, wenn aus den Umständen hervorgeht, was gemeint ist. Der etwas schamhafte Videothek-Besucher, der augenzwinkernd einen Lehrfilm über weibliche Anatomie auszuleihen wünscht und der Mann hinter der Theke, der genau weiß, dass sein Kunde den neuesten Pornofilm begehrt, schließen einen wirksamen Vertrag. Und wer in ein öffentliches Verkehrsmittel einsteigt und "Mit euch Halsabschneidern von den Verkehrsbetrieben kontrahiere ich sicher nicht" ruft, erstattet einen mit seinem tatsächlichen Verhalten unvereinbaren und damit schlichtweg unbeachtlichen Einwand.
Für Juristen ist das Auslegen von (Gesetzes-, Vertrags-)Texten das tägliche Brot. Und oft genug ist auch zu ergründen, ob ein bestimmtes Verhalten überhaupt einen Erklärungswert hat und wenn ja, welchen. Doch damit soll nun im Strafrecht Schluss sein, denn künftig gilt im Bereich der Sexualdelikte das Prinzip "Nein heißt Nein". Dies ist jedenfalls der erklärte und erkennbare Wille des Gesetzgebers (Bundestagsdrucksache 18/9097, Seite 2). Bei der ersten Annäherung klingt das nach einem koranischen Textverständnis: Ein Nein ist ein Nein ist ein Nein, ganz egal in welchem Zusammenhang es fällt.
Aber steht das auch wirklich so in der (neuen) Norm? "Der Blick ins Gesetz fördert die Rechtsfindung", ist ein häufig boshaft gemeinter, aber an und für sich zutreffender Spruch, den man als Jurist in sein Standard-Arsenal aufnehmen sollte. Wie lautet also die geänderte Fassung des § 177 Abs. 1 StGB (siehe Bundestagsdrucksache 18/9097, Seite 6)?
Wenn der bloße innere Vorbehalt des Opfers nicht maßgeblich und es diesem zuzumuten ist, seinem entgegenstehenden Willen zum Tatzeitpunkt eindeutig Ausdruck zu verleihen, was soll dann der Hinweis auf die ambivalente Motivlage? Wenn vom Opfer also Klarheit gefordert wird, was soll dann die Exemplifizierung, dass Tränen jedenfalls einen entgegenstehenden Willen vehikulieren? Ist es für unsere Abgeordneten so unbegreiflich, dass Menschen bisweilen weinen, weil sie von der Schönheit eines Ereignisses überwältigt sind?
Richtig kompliziert und für die Feinschmecker unter den juristischen Dogmatikern interessant wird es erst, wenn man bedenkt, dass sich der subjektive Tatbestand - gefordert ist mindestens dolus eventualis/bedingter Vorsatz (vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung als "billigend in Kauf nehmen" definiert) - auch auf das objektive Tatbestandsmerkmal "gegen den erkennbaren Willen" beziehen muss. Daran lässt der Gesetzgeber keinen Zweifel (Bundestagsdrucksache 18/9097, Seite 23):
Fortsetzung folgt.
Andere Szene: Führerscheinneuling Fritz fragt seinen Onkel Otto, der einen in die Jahre gekommenen Kleinwagen aus Rüsselsheim sein Zweitfahrzeug nennt: "Leihst du mir mal bitte kurz deinen Corsa? Ich muss für meine Party heute Abend Getränke holen." Daraufhin Onkel Otto in strengem Ton: "Nein." Den irritierten Gesichtsausdruck seines Neffen erwidert er mit einem Lächeln und wirft ihm den Autoschlüssel zu.
Wie kommt es, dass wir Onkel Ottos Äußerungen richtig verstehen? Es hat damit zu tun, dass sprachliche Zeichen nicht nur in einen Ko-Text (die sie umgebenden anderen sprachlichen Zeichen), sondern auch in einen Kon-Text (die sie begleitende außersprachliche Wirklichkeit) eingebettet sind. Für den Semiotiker ergibt sich daraus das wunderbare Paradoxon, dass sprachliche Zeichen zwar digital im Sinne von: diskret, wohlunterschieden sind, aber ohne ihre (analoge) außersprachliche Kulisse häufig nicht zutreffend interpretiert werden können.
Dieses Problem ist auch in der Juristerei bestens bekannt. Zum kleinen Latinum des Rechtsgelehrten gehören die Sprüche "Falsa demonstratio non nocet" und "Protestatio facto contraria non valet". Eine Falschbezeichnung schadet dann nicht, wenn aus den Umständen hervorgeht, was gemeint ist. Der etwas schamhafte Videothek-Besucher, der augenzwinkernd einen Lehrfilm über weibliche Anatomie auszuleihen wünscht und der Mann hinter der Theke, der genau weiß, dass sein Kunde den neuesten Pornofilm begehrt, schließen einen wirksamen Vertrag. Und wer in ein öffentliches Verkehrsmittel einsteigt und "Mit euch Halsabschneidern von den Verkehrsbetrieben kontrahiere ich sicher nicht" ruft, erstattet einen mit seinem tatsächlichen Verhalten unvereinbaren und damit schlichtweg unbeachtlichen Einwand.
Für Juristen ist das Auslegen von (Gesetzes-, Vertrags-)Texten das tägliche Brot. Und oft genug ist auch zu ergründen, ob ein bestimmtes Verhalten überhaupt einen Erklärungswert hat und wenn ja, welchen. Doch damit soll nun im Strafrecht Schluss sein, denn künftig gilt im Bereich der Sexualdelikte das Prinzip "Nein heißt Nein". Dies ist jedenfalls der erklärte und erkennbare Wille des Gesetzgebers (Bundestagsdrucksache 18/9097, Seite 2). Bei der ersten Annäherung klingt das nach einem koranischen Textverständnis: Ein Nein ist ein Nein ist ein Nein, ganz egal in welchem Zusammenhang es fällt.
Aber steht das auch wirklich so in der (neuen) Norm? "Der Blick ins Gesetz fördert die Rechtsfindung", ist ein häufig boshaft gemeinter, aber an und für sich zutreffender Spruch, den man als Jurist in sein Standard-Arsenal aufnehmen sollte. Wie lautet also die geänderte Fassung des § 177 Abs. 1 StGB (siehe Bundestagsdrucksache 18/9097, Seite 6)?
Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.Bei der Lektüre dieser Vorschrift drängt sich natürlich die Frage auf, wann der Wille der anderen Person erkennbar ist. Auch dazu bleibt uns der Gesetzgeber eine Handreichung nicht schuldig (Bundestagsdrucksache 18/9097, Seiten 22 f):
Maßgeblich ist der erkennbare entgegenstehende Wille des Opfers. Ob der entgegenstehende Wille erkennbar ist, ist aus der Sicht eines objektiven Dritten zu beurteilen. Für diesen ist der entgegenstehende Wille erkennbar, wenn das Opfer ihn zum Tatzeitpunkt entweder ausdrücklich (verbal) erklärt oder konkludent (zum Beispiel durch Weinen oder Abwehren der sexuellen Handlung) zum Ausdruck bringt. Unerheblich ist, aus welchen Gründen das Opfer die sexuelle Handlung ablehnt. Der bloße innere Vorbehalt des Opfers ist jedoch nicht maßgeblich. Auch werden Fälle, bei denen die Motivlage des Opfers ambivalent ist, nicht von der Vorschrift erfasst. Denn es ist dem Opfer zuzumuten, dem entgegenstehenden Willen zum Tatzeitpunkt eindeutig Ausdruck zu verleihen.Bismarck wird das Bonmot zugeschrieben, dass die Menschen nicht mehr ruhig schlafen könnten, wenn sie wüssten, wie Würste und Gesetze gemacht werden. Lässt man sich die vorstehenden Zeilen auf der Zunge zergehen, ist die Insomnie nicht weit:
Wenn der bloße innere Vorbehalt des Opfers nicht maßgeblich und es diesem zuzumuten ist, seinem entgegenstehenden Willen zum Tatzeitpunkt eindeutig Ausdruck zu verleihen, was soll dann der Hinweis auf die ambivalente Motivlage? Wenn vom Opfer also Klarheit gefordert wird, was soll dann die Exemplifizierung, dass Tränen jedenfalls einen entgegenstehenden Willen vehikulieren? Ist es für unsere Abgeordneten so unbegreiflich, dass Menschen bisweilen weinen, weil sie von der Schönheit eines Ereignisses überwältigt sind?
Richtig kompliziert und für die Feinschmecker unter den juristischen Dogmatikern interessant wird es erst, wenn man bedenkt, dass sich der subjektive Tatbestand - gefordert ist mindestens dolus eventualis/bedingter Vorsatz (vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung als "billigend in Kauf nehmen" definiert) - auch auf das objektive Tatbestandsmerkmal "gegen den erkennbaren Willen" beziehen muss. Daran lässt der Gesetzgeber keinen Zweifel (Bundestagsdrucksache 18/9097, Seite 23):
Der subjektive Tatbestand ist erfüllt, wenn es der Täter zumindest billigend in Kauf nimmt, dass die sexuelle Handlung gegen den objektiv erkennbaren entgegenstehenden Willen des Opfers geschieht.Begünstigt dies nicht all jene Zeitgenossen, die zu unempathisch oder zu selbstgefällig sind, einen entgegenstehenden Willen der anderen Person überhaupt für möglich zu halten?
Fortsetzung folgt.
Noricus
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