9. Mai 2015

Das deutsche Ideal

"Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehn. Das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen."

So lautet ein - tatsächlich belegtes - Zitat von Kurt Tucholsky. Die alte Aphorismenschleuder Tucholsky ist ein Phänomen in der deutschen Geisteswelt, weil er ständig zitiert (oft mit Sätzen, die er nie gesagt hat), aber kaum gelesen wird. Macht nix - es genügt zu wissen, dass Tucholsky ein großer Satiriker (aufgeregtes Schnipsen in der ersten Reihe: "Darf alles!") war und deshalb für die Königsdisziplin, ja die einzige überhaupt mögliche Disziplin deutschen Humors steht. 
Mit dem deutschen Humor ist es ja so eine Sache. Meine werten Autorenkollegen R.A. und Kallias haben diesbezüglich eine aus meiner Sicht recht steile These aufgestellt: nicht nur dass er tatsächlich existiere, was ich schon für gewagt halte. Aber wie ich es verstanden habe, soll er das womöglich sogar in flächendeckendem Ausmaß tun!

Mir ist das bislang irgendwie verborgen geblieben, aber eines steht fest: man wird mit Satire geradezu bombardiert. Das politische Kabarett feuert im Dauerbeschuss seine Lachsalven auf das Theater-, Fernseh- und Radiopublikum ab und zielt dabei bevorzugt auf den Hals, wo das Lachen dann steckenbleiben soll. Und wenn das Thema - wie die Frage nach Charlie oder nicht Charlie - zu heiß wird, gleicht es einem G36, das unter der sengenden somalischen Sonne den Geist aufgibt.

Das politische Kabarett hat aber im Gegensatz zur Bundeswehr, nachdem es zu Zeiten des rotgrünen Projekts ebenfalls von Freunden umstellt war und nicht gebraucht wurde, ein sagenhaftes Comeback erlebt. Und die Comedians (angewidertes Schütteln in der ersten Reihe: diese Verräter und Humorkapitalisten) hören endlich damit auf, das schändliche systemstabilisierende Unterhaltungswerk zu betreiben und finden auf den rechten Weg zurück: zur politischen Satire. Die Beispiele sind zahlreich: Monika Gruber, Rick Kavanian, Dieter Nuhr (dem man aber zugute halten kann, dass er wenigstens noch mit dem guten alten G3 unterwegs ist), Erwin Pelzig. Das waren alles gute Unterhaltungskünstler, die schlagartig an Witz verloren haben, als sie sich aufs Politisieren verlegt haben. 

Das traurigste Beispiel aber ist Helmut Schleich. Schleich ist ein begnadeter Parodist, dessen Können und Vielseitigkeit vielleicht noch von Hape Kerkeling erreicht wird. Aber anstatt das zu machen, wofür er wirklich außergewöhnlich talentiert ist, zieht es ihn ebenfalls ins politpädagogische Fach der Satire. Ob das an ihm liegt, oder ob sein Arbeitgeber, der Bayerische Rundfunk, ebenfalls der Meinung ist, dass es humoristisch besser ist, das Publikum mittelmäßig politisch zu erziehen als es erstklassig zu amüsieren? Ich halte letzteres bei genauerer Betrachtung für durchaus möglich. 

Schleich ist jedenfalls jetzt jeden Donnerstag im Format "Lach matt" auf Bayern 1 zu hören, und im Beitrag vom 30.04. äußert er sich - kabarettistisch - zum Thema Postbank (von mir transkribiert und ins Standarddeutsche übertragen):
So machen Finanzhaie aus einer ehemals seriösen Behörde kurz und klein privatisierten Restmüll, den sich dann an der Börse die nächste Heuschrecke unter den Nagel reißen kann. 
Aber dem Ganzen - muss man sagen - wohnt natürlich auch eine Chance inne, nur eine kleine, aber immerhin. Wenn die Postbank demnächst an der Börse verkauft wird, Sie, dann sollten wir uns alle eine Aktie kaufen. Nicht nur Sie und ich, wir alle! Man schätzt, dass die so rund 40 Euro kosten werden, so viel wie einmal Schwarzfahren, das ist doch machbar! 
Dann würde aus der Postbank am Ende eine echte Volksbank. Eine, die uns allen gehört! Dann könnten wir sie zurückverwandeln in das gute, alte Postscheckamt, wo einen wieder ein Bankbeamter am Schalter begrüßt und kein Chief-Investment Consulting-Hans-Dampf-in-allen-Gassen-Kasperlkopf, was weiß ich. Wo man wieder echt beraten wird und nicht durch die Blume beschissen. Wo die Bank nach unserer Pfeife tanzt und nicht uns auf der Nase herum. Keine Ahnung, ob das geht, aber die Idee finde ich gut!
Mal abgesehen davon, dass das Ganze beim besten Willen nicht lustig ist - allein die Tatsache, dass es als Satire firmiert, ist äußerst lehrreich. Denn im Land von Goethe, Schiller und Hildebrandt ist Satire eine ernste Sache. Der mittlere dieses Dreigestirns definierte sie so:
In der Satire wird die Wirklichkeit, als Mangel, dem Ideal, als der höchsten Realität, gegenübergestellt.
Schleich stellt also dem Mangel Privatwirtschaft das Ideal Behörde gegenüber. Was Tucholsky noch satirisch kritisiert hat, ist zum tatsächlichen Ideal geworden. Die Sehnsucht nach dem Staat, nach den Behörden, die es ehrlich mit uns meinen, ja sogar "nach unserer Pfeife tanzen", also das tun, was wir wollen!

Nicht nur im Bankwesen, auch in der Energie- und Wasserwirtschaft und - aktuell befeuert durch den Streik - im öffentlichen Nah- und Fernverkehr ist die Staatssehnsucht der Deutschen greifbar. Die ganze Politikverdrossenheit von Pegida bis Blockupy geht einher mit einer geradezu romantischen Verklärung des öffentlichen Dienstes (vielleicht mit ausnahme der Ordnungsmacht, die wird als Handlanger der Politik gesehen). Dabei genügt es nicht, dass ein Betrieb wie die Bahn nur in staatlicher Hand ist - richtiges Vertrauen genießt er erst, wenn dort Referatsleiter, Verwaltungsinspektoren und Amtsräte am Werk sind. Die Verbeamtung, unter Kohl als Sparmaßnahme auf Kosten zukünftiger Haushalte gegeißelt, wird zum Wünschenswerten. Bei Umfragen nach dem Berufswunsch von Schulabsolventen landet der öffentliche Dienst ganz vorne. 

Und das Kabarett, das ja durchaus in seehoferesker Manier dem Volk aufs Maul schaut, hat sich darauf eingestellt: Keine Witze mehr über "Beamtenmikado", "Bruno B. Stechlich" oder "Anträge auf Erteilung eines Antragsformulars", sondern über gierige Bänker und fiese Manager. 

Vielleicht sollte man den Humor auch gleich mit verbeamten. Dann hieße es morgens in der Direktion des BR: "Oberscherzrat Schleich meldet sich zum Rapport!" 

Wäre auch nicht langweiliger, als es ohnehin schon ist.
Meister Petz

© Meister Petz. Titelvignette: Historischer Bürostempel, Aufschrift "Drucksache". Von Hedwig Storch unter CC BY-SA 3.0 lizensiert. Für Kommentare bitte hier klicken.