12. Juli 2014

Ein Privileg

Privilegien - dieser Begriff hat heute im Deutschen keine positive Konnotation. Privilegien gelten heute pauschal als eine ungerechtfertigte Vorzugsbehandlung und entsprechend ist Kritik daran nicht selten.
Doch das Privileg, um das es im Folgenden geht, ist eigentlich kein Privileg, es ist eine Selbstverständlichkeit. Es ist keine Vorzugsbehandlung, die mit der Gleichheit vor dem Gesetz in Konflikt steht, sondern eine notwendige Konsequenz aus der staatlichen Verpflichtung die Grundrechte seiner Bürger zu achten. Und dies verbietet es ihm auch Private zu Handlungen zu zwingen, die Grundrechte der Bürger verletzen würden, handelte der Staat selber. (Es verbietet ihm aber nicht privatrechtliche Verträge durchzusetzen, die ohne Gewalt, Täuschung, Betrug oder Nötigung zustande gekommen sind, da in solchen Fällen die Betroffenen eingewilligt haben.)
Die Rede ist vom Providerprivileg.
Das Providerprivileg besagt, dass Betreiber öffentlicher Kommunikationsnetze nicht für die von ihnen übermittelten Informationen fremder Absender verantwortlich sind, solange der Betreiber nicht selber den Empfänger bestimmt oder den Inhalt selber bestimmt oder verändert hat. Voraussetzung ist, dass der Betreiber nicht absichtlich mit einem Nutzer seines Netzes zusammenarbeitet, um Rechtsverletzungen zu begehen.

Ist dieses Privileg ein abzuschaffendes Übel? Sollte jemand, der an der Verbreitung von sagen wir um mal gleich die ganz große Keule heraus zu holen Kinderpornographie beteiligt ist, nicht strengsten verfolgt werden? Oder auch andere formen illegaler Pornographie, wie Tierpornographie oder Gewaltpornographie? Wie kann es sein, das Provider faktisch Gesetzesbrüche mit ihren Dienstleistungen unterstützen können, ohne das sie zur Verantwortung gezogen werden können, solange ihnen kein Vorsatz nachzuweisen ist? Wie kann es sein, das Provider den Vorwurf des Vorsatzes auch damit abwenden können, absichtlich die Augen zu verschließen, nicht wissen zu wollen, ob illegales Material übermittelt wird?

Solcherlei Polemik wäre sehr leicht möglich und sehr effektiv — und selbstverständlich von der Meinungsfreiheit geschützt. Ja mehr mehr noch: Sie können über das Internet eine politischen Kampagne zur Abschaffung des Providerprivilegs organisieren, ohne befürchten zu müssen ihr Internetprovider fühlte sich von der Justiz dazu genötigt ihre Kommunikation oder ihre Publikationen über und im Internet zu zensieren. Jetzt klingt das Providerprivileg schon nicht mehr so ungerecht, oder? Hat vielleicht doch seine guten Gründe. 

Und falls Sie das doch nicht glauben, weil Sie als gesetzestreuer Bürger, der nur von der Meinungsfreiheit gedeckte Äußerungen verbreitet, nichts zu befürchten hätten: Die Rechtsprechung zur genauen Grenze der Meinungsfreiheit ist leider häufig recht schwammig, unterscheidet sich je nach Gerichtsstand, wenn es noch kein BGH-Urteil gibt, und würde, müsste ihr Internetprovider für alle ihre Äußerungen im Internet haften und seinen eigenen Kopf finanziell oder gar strafrechtlich hinhalten, zwangsläufig zu einer sehr weitgehenden, auf "Nummer Sicher" gehenden, privat ausgeführten, aber staatlich ernötigten Zensur führen. Und nicht nur im Bereich der Äußerungen gibt es rechtliche Unsicherheiten. Nicht nur mit Äußerungen kann man sich Strafbar oder zivilrechtlich Haftbar machen. Ein Provider müsste, um sein finanzielles Risiko und das strafrechtliche Risiko der verantwortlichen Mitarbeiter auf ein akzeptables Maß zu reduzieren, lieber etwas zu viel Datenverkehr filtern, als etwas zu wenig. Und gegen solcherlei Filter könnten die Betroffenen nur schwer eine gerichtliche Überprüfung anstrengen. Gegen was soll denn geklagt werden? Der Staat hat ja (scheinbar) nichts gemacht (er hat natürlich die entsprechenden Gesetze zur Haftung erlassen). Der Provider hat legitim sein rechtliches Risiko minimiert, was er sich im Dienstleistungsvertrag wahrscheinlich ausdrücklich vorbehalten würde.

Der Sachverhalt wird nach einem Vergleich mit der traditionellen Post vielleicht noch deutlicher. Stellen Sie sich vor, private Postunternehmen würden für jede illegale Äußerung oder auch sonst illegale Materialien in jedem bei ihnen aufgegebenen und an den vom Absender gewünschten Empfänger zugestellten Brief und Paket haften. Oder Postangestellte, ob nur in leitender Funktion oder auch der Postbote, wären strafrechtlich für den Inhalt verantwortlich. Es ist sofort ersichtlich, wie durch eine solche Verantwortlichkeit für den Inhalt das Brief- und Postgeheimnis faktisch ausgehebelt würde.

Das zugrunde liegende Konzept lässt sich allerdings auf ein noch allgemeineres Prinzip zurückführen: Wenn dem Staat eine Handlung gegenüber dem Bürger Verboten ist, dann darf er auch nicht Dritte dazu verpflichten eben jene Handlungen auszuführen. Und er darf grundsätzlich Dritte auch nicht dazu nötigen, in dem er eine Haftung, Verantwortlichkeit oder finanzielle oder sonstige Verpflichtungen auferlegt, in die nicht frei von Gewalt und Drohung mit Gewalt eingewilligt wurde.

Stellen Sie sich beispielsweise einmal vor, der an die Unverletzlichkeit der Wohnung gebundene Staat würde in Fällen, in dem ihm das betreten einer Wohnung untersagt ist, Nachbarn dazu verpflichten, in fremde Wohnungen einzudringen oder auch "nur", wenn nicht direkt verpflichten, sie für alle Handlungen in dieser Wohnung verantwortlich und haftbar machen, falls sie  den Einbruch in ihrer Wohnung, um nach dem Rechten zu sehen, unterlassen. Wohlgemerkt: Der Staat würde ihren Nachbarn nicht nur einfach erlauben in ihre Wohnung einzudringen, nein, er würde sie dazu mit Hilfe seines Gewaltmonopols nötigen. Es wäre in diesem Fall absurd, sich auf die Privatautonomie zu berufen oder darauf hinzuweisen, dass Grundrechte nur den Staat binden, denn die fraglichen Handlungen, da direkt oder indirekt staatlich angeordnet, sind letztendlich dem Staat zuzuschreiben.

Der Begriff "Privileg" für die Einschränkung der Haftung ist also irreführend, es handelt sich vielmehr um eine Selbstverständlichkeit, die direkt aus den Grundrechten folgt. 

Man stelle sich nur einmal vor, dem Staat wäre es untersagt religiöse Symbole bei seinen Angestellten während der Arbeitszeit zu akzeptieren, während er privaten Arbeitgebern nicht nur erlaubt,  was ihm selber verwehrt ist (auf Grund der Religionsfreiheit des Arbeitgebers und der Privatautonomie), sondern sie sogar dazu verpflichtet sie zu akzeptieren (entgegen der negativen Religionsfreiheit des Arbeitgebers). 





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