6. November 2013

Wie das Recht auf Eigentum unter die Räder kommt

In vielen Punkten ist es wohl einer gewissen politischen Naivität meinerseits geschuldet, wenn es mir nicht gelingen will, ordnungs- und fiskalpolitische Selbstverständlichkeiten als das zu sehen, was sie sein sollen: eben selbstverständlich. Nehmen wir beispielsweise das Erbrecht. Es will mir einfach nicht in den Kopf, warum mein im Laufe meines Lebens erworbenes Eigentum, nur weil ich zwischendurch gestorben bin, mittels Erbschaftssteuer zu einem erheblichen Teil enteignet wird, obwohl es doch aus bereits durch Teilenteignung (Einkommenssteuer) erwirtschafteten Kapital generiert worden ist. Andererseits, wenn man anfängt darüber nachzudenken, wo der Staat überall hinlangt (etwa wenn das versteuerte Restgeld dann an der Tankstelle nochmals massiv besteuert wird), dann wird man vermutlich verrückt. Wie gesagt, ich bin da wohl naiv und etwas weltfremd.
Nun also bekommen wir eine große Koalition, und manches hört man bereits läuten.
­Aktuell ist Berichten über die Koalitionsverhandlungen zu entnehmen, daß eine ganze Reihe von Branchen von den Ausnahmetatbeständen zum EEG-Gesetz ausgeschlossen werden sollen. Bekanntlich beziehen sich diese Ausnahmen auf energieintensiv produzierende Gewerbe und dienen der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen, etwa gegenüber den mit günstigem Atomstrom produzierenden Unternehmen in Frankreich. Diese Maßnahmen werden kritisch, wenn überhaupt, dann unter ökonomisch-konjunkturellen Aspekten beleuchtet: Wegen der erwartbaren Verteuerung deutscher Produkte wird der Konsument dann eben lieber die günstige Importware aus Frankreich oder Italien erwerben. Zweifellos ein wichtiger Aspekt. 
Ich dagegen möchte an dieser Stelle einmal den massiven Eingriff in die Eigentumsrechte privat geführter Unternehmen und deren Anteilseignern, den Aktionären, betonen, denen buchstäblich verboten wird, Strom zu marktgerechten Preisen einzukaufen. Gleiches gilt für kleine und mittelständische Unternehmen, die in Sonntagsreden der Politik gerne als "Rückgrat der deutschen Wirtschaft" betitelt werden. Es handelt sich hierbei um einen nicht nur indirekten Zugriff des Staates auf Umsatz und Gewinn von Unternehmen, sondern letztlich um eine Teilenteignung. Daß die Koalitionäre in spe hierbei möglicherweise einem EU-Beihilfeverfahren gegen die Ausnahmetatbestände des EEG in vorauseilendem Gehorsam zuvor kommen, macht die Sache nicht besser, im Gegenteil.

Ein völlig anderes Beispiel. Als meine Frau kürzlich einen Abend mit ihrem Kegelclub verbracht hat, kam das Thema irgendwann auf die strengen Antiraucherregeln, die inzwischen in NRW gelten. Sämtliche Keglerinnen, Raucher wie Nichtraucher, hätten sich, so berichtete meine Frau, entschieden gegen diese "Gängelung" ausgesprochen; man solle die Raucher doch in Ruhe lassen; das regele sich von alleine und dergleichen mehr. Nicht eine aber, so fiel meiner Frau schließlich auf, argumentierte mit den Eigentumsrechten der Gastronomen, was ich für symptomatisch halte.
Man mache sich die Situation einmal bei Lichte klar: Eine Privatperson entscheidet sich, auf eigenem Grund und Boden, in der eigenen Immobilie gar, Menschen, die diese Immobilie freiwillig aufsuchen, ebenso freiwillig gegen Entgelt zu bewirten. Und nun wird dieser Eigentümer vom Staat gezwungen, seinen Gästen das ansonsten (noch) völlig legale Rauchen zu verbieten.

Es geht hierbei wohlgemerkt nicht um die Überwachung der Umsetzung von Hygienestandards oder Brandschutzmaßnahmen. Ranziges Fett oder verdorbene Wurst möchte niemand essen. Dem Rauchlaster frönt (und ein Raucherlokal betritt, und dort arbeitet) dagegen jeder freiwillig. Anders als für die Themen Hygiene und Sicherheit, hatte die Stadt Köln übrigens eine Zeitlang ein, inzwischen entferntes, Onlineformular zur Denunziation von Gastronomen, die die neuen Raucherregelungen nicht vollständig umsetzten, auf ihren Seiten im Angebot. Der Staat und seine Prioritäten. Auch hier geht die kontroverse Diskussion meist um die Freiheitsrechte von Rauchern bzw. Nichtrauchern. Das Recht eines Eigentümers, in seinem Eigentum zumindest halbwegs die Regeln der Nutzung durch seine Gäste selbst bestimmen zu dürfen, wird selbst in kritischen Beiträgen zur Sache nur selten thematisiert.

Apropos NRW. Bisher war ja nur die Rede von gewerblichen Unternehmen. Der Staat aber greift natürlich auch nach dem Privateigentum im engeren Sinne. Als Hausbesitzer in einer ländlichen Region bin ich zukünftig verpflichtet, regelmäßig Dichtigkeitsprüfungen meiner Abwasserrohrleitungen vorzunehmen. Die "Sorge" dabei ist, daß bei Undichtigkeit Abwasser in das Grundwasser gelangen könnte; der Umwelt wegen, natürlich. Sie wissen schon, Fäkalien und so. Schräg hinter meinem Haus befindet sich ein großer, landwirtschaftlich genutzter Acker, über dem mindestens zwei Mal im Jahr der Düngewagen mit mehreren Tonnen Gülle seinen Inhalt verspritzt: Sie wissen schon, Fäkalien und so. Direkt nebenan. Eine solche Dichtigkeitsprüfung kostet übrigens um die 800,- Euro, sofern keine Sanierungsmaßnahmen darauf folgen müssen. Falls doch, dann werden schnell Kosten von mehreren tausend Euro fällig. 

Bis 2015 werde ich dann darüber hinaus gezwungen, in meinem privat genutzten Eigenheim sämtliche Heizkörper, die vor 1985 eingebaut worden sind, gegen neue auszutauschen. Dem Vernehmen nach wird dann der Bezirksschornsteinfegermeister ermächtigt werden, mein privates Eigentum komplett zu begehen, also auch Intimbereiche wie das Schlafzimmer oder das Bad, um zu kontrollieren, ob mein Eigentum gemäß staatlicher Vorgaben umgerüstet worden ist. Es ist mir nicht erlaubt, höhere Heizkosten in meinem privaten Wohneigentum in Kauf zu nehmen, indem ich die alten, weniger effizienten Heizkörper, dort belasse.

Mein Eindruck ist, daß der NSA-Skandal um Edward Snowden mit Blick auf "Eindringen in die Privatsphäre" einen schönen Nebenkriegsschauplatz, zumindest einen Windschatten, hergibt für Verletzungen der Privatsphäre viel direkterer und unmittelbar-schwerwiegenderer Art. Was geht den Staat, was geht den Bezirksschornsteinfegermeister, als Entsandten des Staates in diesem Fall, der Heizkörper in meinem Schlafzimmer an? Oder wie ich mein Haus bewohne? Über diese Informationen verfügt, aller Mutmaßung nach, noch nicht einmal die NSA...

Freilich gibt es nicht nur Eigentum mit Blick auf Immobilien und Unternehmen, das staatliche Begehrlichkeiten weckt. Am Ende geht es ohnehin immer um den schnöden Mammon, der nach all den Zwangsabgaben und Regulierungen noch übrig geblieben ist. So hat der Internationale Währungsfond kürzlich ein "Gedankenspiel" formuliert, das eine zehnprozentige Zwangsabgabe auf alle Sparervermögen als probates Mittel zur Lösung der Staatsschuldenkrise vorschlägt, um sich dann zu beeilen zu versichern, daß es "lediglich ein rein theoretisches Gedankenspiel und nicht etwa eine Forderung" gewesen sei. Da bin ich aber beruhigt. Es fragt sich allerdings, ob die Mitarbeiter des IWF tatsächlich fürs nutzlose Gedankenspielen, ohne jede Auswirkung oder zukünftigen Zweck, bezahlt werden, oder ob es sich eben nicht um ein Gedankenspiel handelt, sondern vielmehr um einen Versuchsballon, was nach der Erfahrung der Sparerenteignung in Zypern ausgesprochen nahe liegt.

Freiheit bedeutet für mich persönlich eben auch, daß ich mit und in meinem Eigentum machen kann, was ich will, sofern ich anderen nicht dadurch in direkter und eindeutiger Weise Schaden zufüge. Diese Freiheit scheint zunehmend bedroht durch konstruierte oder marginale Schäden, die vom Eigentümer verursacht werden könnten, wenn man ihm seine Freiheit ließe und die zur Rechtfertigung grassierender Maßnahmen zur Einschränkung von Eigentumsrechten herangezogen werden.

Laut Wikipedia bezeichnet Eigentum das Herrschaftsrecht einer Person über eine Sache. Das eigentliche Dilemma wird im Artikel dann etwas später deutlich:
Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG soll einerseits als Abwehrrecht gegen den Staat fungieren, anderseits ist es jedoch zugleich die Aufgabe des Gesetzgebers, den Inhalt des Eigentums zu bestimmen. Dies birgt die Gefahr einer schleichenden Entleerung des Inhalts des Eigentums durch den Gesetzgeber.
Anders gesagt: Der Bürger soll durch das Eigentumsrecht vor willkürlichen staatlichen Zugriffen geschützt werden. Was aber Eigentum ist, wie es zu definieren sei und was schließlich unter dieses Abwehrrecht fällt, bestimmt, in recht weit gefaßten Grenzen, wiederum der Staat. Wie war das mit dem Bock und dem Gärtner?

Aber zurück zu den Koalitionsverhandlungen. Nachdem die EU ihre Bedenkenlosigkeit signalisiert hat, erlebt CSU-Chef Seehofer Rückenwind mit Blick auf die PKW-Maut für Ausländer. Ich gebe zu, zunächst eine gewisse Sympathie für die Idee gehabt zu haben. In vielen europäischen Ländern wird eine Abgabe für die Nutzung des Straßennetzes erhoben, und die Erstattung der Maut für Bundesbürger über die KfZ-Steuer schien einleuchtend. Allerdings schützt dieses Vorgehen die Bürger ja nicht vor zukünftigen Erhöhungen der KfZ-Steuer, so daß die "Entlastung" durch die Steuererstattung, relativ gesehen, langfristig zunehmend marginalisiert werden dürfte. Anders gesagt: Der Staat wird es sich weiter vom Bürger holen; der Soli, oder insbesondere auch die Schaumweinsteuer zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsmarine vom Jahre 1902, die bis heute erhoben wird, haben es vorgemacht: Nicht einmal zwei Weltkriege, Hyperinflation und Währungsreform haben der Sektsteuer auch nur das Geringste anhaben können.

Zum Schluß möchte ich dem oben Geschriebenen in gewisser Weise selbst widersprechen. Ich bin in meinem Text der Versuchung erlegen, einem negativen Freiheitsbegriff das Wort zu reden. Freiheit als Abwehrrecht gegen Zwangsmaßnahmen des Staates; Freiheit gleichsam als das, was übrig bleibt, wenn man die Gängelung entfernt. Das ist Freiheit zweifellos auch, aber es scheint mir ein jedenfalls verengter Begriff zu sein, dem ich hier das Wort geredet habe. Dieser negative Freiheitsbegriff dominiert meiner Beobachtung nach zumeist auch die öffentlichen Debatten, und ich spekuliere, daß er Teil des "Mißerfolgsgeheimnisses" der FDP war.

Man erlaube mir ein wenig Pathos -und verzeihe mir eventuelle Peinlichkeit- als Plädoyer für einen positiven Freiheitsbegriff: Freiheit ist etwas Wunderbares und von jedem Menschen auf seine einzigartige, individuelle Weise mit "Inhalt" zu füllen. Freiheit ist die Wahl zu haben zwischen verschiedenen Möglichkeiten. Freiheit ist die Erfahrung, durch eigene Leistung etwas erreicht zu haben und wird durch keine noch so teure staatliche Förderung oder Regulierung ersetzt. Mißerfolge, die man sich selbst zuschreibt (und nicht dem Staat oder "der Gesellschaft"), erhöhen die Anstrengungsbereitschaft und damit die Erfolgswahrscheinlichkeit für die Zukunft. Nebenbei bemerkt: alles alte Hüte der Motivationsforschung. Freie Menschen handeln aus Hoffnung auf Erfolg, Unfreie Menschen dagegen aus Angst vor Mißerfolg; während Erfolge von Unfreien eher den "Umständen" zugeschrieben werden, denn warum sollte für eigenes Scheitern der Staat verantwortlich sein, für eigenen Erfolg aber nicht?

Und ja, es ist etwas Wunderbares, wenn ich in und mit meinem Eigentum leben und umgehen kann, wie ich mich am wohlsten fühle, mit meinen ollen Heizkörpern und den möglicherweise perforierten Rohren.

Wenn´s stinkt und tropft, reparier ich´s schon von alleine, also laßts mich gefälligst in Frieden!

Andreas Döding


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