3. November 2013

Marginalie: Warum das deutsche Fernsehen edel und hilfreich, aber nicht gut ist


In der Hölle, so lautet auszugsweise ein mir erinnerlicher Kalenderspruch, kochen die Engländer das Essen, machen die Amerikaner das Fernsehprogramm und sorgen die Deutschen für Ordnung.

Dass die TV-Unterhaltung jenseits des Großen Teichs sublimen Ansprüchen nicht genüge, ist ein tradiertes antiamerikanisches Klischee, das umso weniger gerechtfertigt ist und umso mehr in die Splitter-Balken-Kategorie fällt, je gleichförmiger und eintöniger sich der hierzulande über die Mattscheibe flimmernde Spielplan präsentiert. Das ZDF-Vorabendprogramm mit seinen Landärzten und Förstern bildet für einen solchen Hochmut jedenfalls keine taugliche Grundlage.

Denn auch wenn der Lerchenberg sein Serienangebot in die Verjüngungskur schickt: Überwiegend wird dabei alter Wein in neuen Schläuchen herauskommen. Symptomatisch dafür mag die Pfarrerserie „Herzensbrecher“ sein. Der evangelisch ordinierte Protagonist, der wie frisch dem Katalog einer Model-Agentur entsprungen aussieht, ist natürlich kein lustfeindlicher Spießer, sondern von der Fußbekleidung bis zum Fuhrpark ein treuer Anhänger des hedonistischen Imperativs. Zu hoffen bleibt da nur, dass der Herr Pastor sich nicht eines Tages eine freistehende Badewanne anschafft; denn derlei Prunkentfaltung ist in Deutschland bekanntlich schlecht gelitten.
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Was man von der neuen Serie zu erwarten hat, resümiert Heike Hupertz im bereits zuvor verlinkten FAZ-Artikel:

Geflirtet wird in dieser Serie auf Teufel komm raus, die Steaks brennen an, der Pfarrer kleidet sich stylish (Neonturnschuhe im Gottesdienst) und fährt ein Liebhaber-Cabrio und einen Range-Rover-Geländewagen. Die Kinder tragen Justin-Bieber-Gedächtnisfrisuren und anderes angesagtes Jungs-Styling. Wenn es zum Schwur kommt, wird Solidarität großgeschrieben.

Es soll hier nicht arrogant über ein Stück harmlosen Entertainments hergezogen werden. Für diejenigen, welche die Röhre einschalten, um mental abzuschalten, stellen die Seelsorger-Episoden zweifellos einen vergnüglichen Zeitvertreib dar. Als demokratieabgabepflichtiger Bürger kann man sich aber durchaus fragen, warum die öffentlichrechtlichen Kanäle zur Abwechslung nicht einmal etwas originellere Formate über den Äther schicken. Wenn sie das tun, was selten genug vorkommt, dann handelt es sich so gut wie nie um Eigenproduktionen, sondern in aller Regel um Einfuhren aus Übersee.

Ein Beispiel dafür ist die – im ZDF zu nachtschlafender Zeit ausgestrahlte – Serie „Mad Men“ über eine New Yorker Werbeagentur in den 60er-Jahren. Das Geniale am Konzept dieses Ausflugs in die jüngere Geschichte ist die Entscheidung, die (Anti-)Helden nicht als progressive Bessermenschen zu glorifizieren, sondern sie als typische Vertreter einer Epoche zu zeichnen, in der sich ökologische Sensibilität, Gesundheitsapostolat, Gender-Mainstreaming und Diversity-Management noch nicht einmal in der Zeugungsphase befanden, geschweige denn die Mitte der Gesellschaft erreicht hatten. 

Deutsche Rezensenten haben den Import zwar durchwegs begeistert aufgenommen: Eine reaktionäre Freude an einer noch nicht auf den Pfad der Tugend abonnierten Welt ist das freilich keineswegs, denn immerhin liegt – jedenfalls für Julian Hanich vom „Tagesspiegel“ – auch schon in der Madison Avenue der Swinging Sixties das Ende der „scheinbar selbstverständliche[n] Dominanz der weißen, republikanischen Männer aus der Mittelschicht“ in der von Rauchschwaden vernebelten Luft. 

Diese Kritik macht auf schmerzhafte Weise deutlich, warum in unserem Land bis auf Weiteres wohl fast ausschließlich televisive Schonkost zubereitet wird, während die Amerikaner in ihren Hochleistungskesseln nahrhafte, wohlschmeckende Fernsehleckereien zusammenbrauen: Sofern der Unterhaltung nur mehr dann ein Wert zugebilligt wird, wenn sie sich irgendwie pädagogisch aufladen lässt (der ungebührliche Lebenswandel der „Mad Men“ zeige, so Hanich, dass „der seitdem [seit den 60er-Jahren] eingeschlagene Weg der richtige war“) – nun, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn heimische TV-Serien häufig gut gemeint, aber eben schlecht gemacht sind. Dass eine Übersetzung des Parteiprogramms der Grünen in bewegte Bilder im Übermaß doziert und zu wenig delektiert, bedarf keiner weitschweifigen Erläuterungen. 

Freilich: In den 70er-Jahren hat Wolfgang Menge es gewagt, mit Ekel Alfred einen (in dieser Hinsicht) ausgewachsenen Antipathicus zum Protagonisten einer im öffentlichrechtlichen Programm beheimateten Situationskomödie zu machen. Lässt man die Dialogzeilen Revue passieren, die Menge seinem kleinbürgerlichen Geschöpf in den Mund legte, keimt ganz unwillkürlich die Frage auf, ob derartige Drehbücher in einer Produktion des Staatsfernsehens heutzutage noch toleriert würden.

Bei einem der vielleicht besten TV-Formate der letzten Jahre, dem zu Recht hochgelobten Fernsehspiel „Wut“, traute die ARD ihrer eigenen Courage offenbar nicht ganz: Die Geschichte über den clash of civilizations zwischen einem Jungdelinquenten mit Migrationshintergrund und einer in ihren Heucheleien befangenen Familie aus dem Post-68er-Bildungsmilieu wurde kurzfristig aus der Primetime verbannt. Mit einer anschließenden Diskussionsrunde wollte man vermutlich sicherstellen, dass selbst der maximal begriffsstutzige Zuschauer aus diesem fiktionalen Format nicht die falschen Schlüsse zog. In Wirklichkeit wurde der Eindruck, den der in jeder Hinsicht herausragende Film beim Publikum hinterlassen hatte, durch den nachgeschobenen Talk verwässert und zerredet.

Was hätte wohl Ekel Alfred dazu gesagt?

Nachtrag: In der Urfassung dieses Artikels war vom "evangelisch geweihte[n] Protagonist[en]" die Rede. In der evangelischen Kirche werden Priester allerdings nicht geweiht, sondern (ohne Weihe) ordiniert. Mit Dank an Barbara für diesen Hinweis.
 
Noricus


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