Habemus coalitionem. Zwar noch nicht ganz, immerhin dürfen
die SPD-Mitglieder noch ein Wörtchen mitreden, doch die Spitzen der drei
prospektiven Regierungsparteien haben sich – nach angeblich zähem Ringen – auf
einen Koalitionsvertrag geeinigt.
Den Inhalt dieses 185-Seiten-Elaborats bewerten so
unterschiedlich positionierte Autoren wie Vera Lengsfeld auf der Achse des
Guten und Thorsten Denkler in der SZ als Erfolg der Sozialdemokraten. Und in
der Tat dominieren Forderungen, die aus der Reihe der Alten Tante stammen und
Eingang in den Kontrakt gefunden haben, das mediale Tagesgespräch. Hat also
Angela Merkel, die strahlende Gewinnerin der Bundestagswahl, hier eine
Niederlage einstecken müssen?
Mitnichten. Wenn die SPD-Basis mitspielt, bekommt die
Kanzlerin die Regierung, die sie wohl schon seit einiger Zeit herbeisehnt.
Vermutlich war niemand am Abend des 22. September so sehr und so heimlich über
das Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag erfreut wie die CDU-Führungsfrau.
Wäre sie doch andernfalls mit der Erwartungshaltung der sogenannten bürgerlichen Wählerschaft konfrontiert gewesen, dass die Koalition mit den Liberalen trotz allem fortgesetzt werden sollte. 2009 ließ sich Schwarz-Gelb keinesfalls umgehen, da alles
andere eine bodenlose Verhöhnung des Willens des Souveräns gewesen wäre. Aber
2013? Selbst wenn sich die FDP, von selbsternannten Sturmgeschützen der
Demokratie waidwund geschossen und mit eigenen Fingern auf den
Selbstzerstörungsknopf drückend, mit Müh und Not über die Fünfprozenthürde
gerettet hätte … Nein, mit einem solchen armen Fretter, einem derartigen
politischen Paria hätte die machtbewusste Kanzlerin nur ungern das Steuer des Staatsschiffs
geteilt. Zumal zu befürchten gewesen wäre, dass diese Partei, um Haaresbreite dem
Untergang entronnen, auf den Phönix-Modus umgeschaltet hätte.
Ein Bündnis mit den Grünen hätte zwar die überfällige
Wiedervereinigung des deutschen Spießertums bedeutet, aber Merkels
Präferenz war auch diese Option nicht. Zum einen ist den Grünen – anders als
der SPD – (noch) nicht zuzutrauen, dass sie sich im Zweifel für die Koalitionsräson
und gegen das eigene ideologische Wolkenkuckucksheim entscheiden. (Der
Feldversuch in Hessen, sollte er gelingen, könnte diese Hypothese freilich
erschüttern.) Zum anderen, und das wiegt vielleicht schwerer: In einer
Koalition mit den Grünen, deren Alleinvertretungsanspruch für das Edle,
Hilfreiche und Gute von weiten Teilen der Medien nicht in Frage gestellt wird,
müsste Merkel damit rechnen, dass ihr von der publizierten Meinung die
Schurkinnenrolle zugewiesen wird.
Die Kanzlerin will die Ehe auf Zeit mit der SPD: Andernfalls
hätte sie die Genossen mit für diese unannehmbaren Forderungen brüskieren
und Neuwahlen in Kauf nehmen können. Bei einem solchen wiederholten Urnengang wären
wohl die Sozialdemokraten als Verhinderer der Regierungsbildung abgestraft
worden, und vielleicht hätte Merkel (ja, sie, nicht die Union) sogar die
absolute Mehrheit geholt. Aber was soll eine Partei, die für alles und nichts
steht, ohne einen beflissenen Handlanger machen, der ihr Füllhorn der Beliebigkeit mit
Inhalten versieht?
Außerdem: Fukushima ist irgendwie immer und überall – und in
Anlehnung an Groucho Marx könnte man wohl sagen, dass Angela Merkel
eiserne Prinzipien hat; für den Fall, dass diese dem Wahlvolk oder den
Multiplikatoren nicht (mehr) gefallen, verfügt sie aber auch noch über andere
Prinzipien. Die einzige im machiavellischen Sinne ernst zu nehmende deutsche Politikerin
(männlich/weiblich) hat mit sozialdemokratischer Politik so lange
kein Problem, wie diese erfolgreich ist und in den maßgeblichen Kreisen goutiert wird.
Sollte Deutschland eines Tages unheilbar von der Pandemie des
Liberalismus befallen werden, wird die Kanzlerin urplötzlich ihre Freiheits-
und Selbstbestimmungsliebe entdecken.
Doch über das schlechterdings Unmögliche braucht
man nicht zu spekulieren.
Noricus
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