15. Mai 2012

In Texas soll ein Schizophrener hingerichtet werden. Nachdem er mit Medikamenten behandelt wurde, um ihn hinrichtungsfähig zu machen


Die Geschichte ist unglaublich, aber in Slate schildert Emily Bazelon sie im Detail; weitere Einzelheiten findet man hier:

Steven Staley war am 18. September 1989 aus einem Gefängnis in Denver, Colorado, entwichen und beging danach auf der Flucht von Colorado nach Texas neun bewaffnete Überfälle. Am 14. Oktober überfiel er zusammen mit zwei Komplicen ein Steakhaus in Tarrant County, Texas, und nahm das Personal gefangen, um es auszurauben und die Öffnung des Tresors zu erzwingen.

Als die von einem Angestellten, der hatte entkommen können, alarmierte Polizei eintraf, drohte Staley, den Geschäftsführer Read zu erschießen, weil er der Meinung war, dieser habe über ein verstecktes Alarmsystem die Polizei gerufen.

Read bestritt das und erklärte sich bereit, die Räuber als Geisel zu begleiten, wenn sie dafür die Angestellten freiließen. Darauf gingen diese ein. Sie verließen mit Read als ihrem menschlichen Schutzschild das Lokal, zwangen einen Autofahrer, ihnen seinen Wagen zu überlassen, und versuchten zu entkommen; von der Polizei verfolgt.

Der gestohlene Wagen hatte eine Panne. Die Räuber verließen ihn und versuchten zu fliehen, wurden aber festgenommen. In dem Auto fand man die Leiche von Read. Die Autopsie ergab, daß er aus nächster Nähe erschossen worden war. Staley und einer seiner Komplicen ließen sich als die beiden Personen identifizieren, die Read ermordet hatten.

Im April 1991 wurde Steven Staley wegen Mordes zum Tode verurteilt, nachdem er ein schriftliches Schuldbekenntnis abgelegt hatte. Seine beiden Komplicen wurden zu dreimal lebenslänglich und zu 30 Jahren Freiheitsentzug verurteilt.



So weit erscheint der Fall wenig spektakulär. Seine Besonderheit ist die Vorgeschichte und die Krankheit des Mörders.

Er war als Kind von seiner Mutter mißhandelt worden, die schizophren war. Als er sechs oder sieben Jahre alt war, versuchte sie, ihm einen Holzpflock in die Brust zu stoßen. Sein Vater war Alkoholiker. Staley versuchte als Jugendlicher, sich das Leben zu nehmen.

Während des Prozesses wurde sein Geisteszustand offenbar nicht untersucht. Vor der vorgesehenen Hinrichtung fand aber eine psychiatrische Untersuchung statt. Der klinische Psychologe Dr. Mark D. Cunningham diagnostizierte eine paranoide Schizophrenie mit einer Tendenz zur Verschlechterung seines Zustands.

Bereits während Staley nach dem Urteil auf die Hinrichtung wartete, waren Symptome aufgetreten, die eindeutig auf eine paranoide Schizophrenie hinwiesen. Er fühlte sich gelähmt und hörte Stimmen. Er sprach roboterhaft, verwendete - für Schizophrenie charakteristisch - Wortneubildungen (Neologismen) und eine verschrobene Syntax. Er sagte, er sei beauftragt, die Welt vom Krieg zu erlösen. Er war der Meinung, das Auto erfunden und die Konstruktionspläne an einen der Helden von Star Trek verkauft zu haben. Mit dreizehn Jahren sei er als verdeckter Ermittler in den Polizeidienst eingetreten, teilte er mit. Mit Hilfe von Polygraphen versuche man ihn zu kontrollieren.

Daß hier eine paranoide Schizophrenie vorliegt, bedarf keiner schwierigen Differentialdiagnose; ganz anders als im Fall Breivik (siehe Warum ist es so schwer, zu beurteilen, ob Anders Breivik schuldfähig ist? ; ZR vom 10. 4. 2012).

Also ist der Fall eindeutig? Auf den ersten Blick scheint es so, denn nach einem Urteil des Supreme Court aus dem Jahr 1986 dürfen "Geisteskranke" (insane) nicht hingerichtet werden.

Die nachfolgende Rechtsprechung hat das aber so interpretiert, daß jemand nicht geisteskrank ist, wenn er in der Lage ist, zu verstehen, daß und warum er hingerichtet werden soll. Ebenso genügt für eine Verurteilung, daß der Angeklagte in der Lage ist, die Anklage zu verstehen und sich mit seinen Anwälten zu beraten.

Unter dieser Rechtsprechung wurden offenkundig Schizophrene zum Tode verurteilt; im Jahr 1995 zum Beispiel Scott Panetti, der während seines Prozesses beantragt hatte, Jesus Christus und John F. Kennedy in den Zeugenstand zu rufen. Andre Thomas, ein anderer Schizophrener, hatte sich im Wahn das linke Auge herausgerissen. Er tötete drei Menschen, indem er ihnen das Herz herausschnitt. In der Todeszelle riß er sich das rechte Auge heraus und aß es. Beide Fälle stehen zur Berufung an.



Ob ein Schizophrener in der Lage ist, zu verstehen, daß und warum er hingerichtet werden soll, hängt nun davon ab, ob er mit Medikamenten behandelt wird oder nicht. Seit 2006 verweigert Staley die Einnahme des Medikaments Haldol. Sein Zustand hat sich seither verschlechtert.

Der zuständige Richter Wayne Salvant hat, nachdem sich der Staatsanwalt Joe Shannon, Jr., gegen eine frühere, anderslautende Entscheidung Salvants gewandt hatte, angeordnet, daß Staley das Haldon zwangsweise verabreicht wird, damit er hinrichtungsfähig wird; denn der Staat Texas habe "ein essentielles Interesse" daran, daß das Urteil vollstreckt wird.

Die ärztlichen Standesorganisationen American Medical Association und American Psychiatric Association haben es daraufhin in Stellungnahmen als unethisch bezeichnet, daß ein Arzt einen Psychotiker zwangstherapiert, um ihn hinrichtungsfähig zu machen.

Die Hinrichtung Staleys durch die Giftspritze war für den morgigen Mittwoch angesetzt. Sie ist jetzt von dem für solche Fälle zuständigen texanischen Berufungsgericht aufgeschoben worden
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Das Titelbild zeigt den Raum im Gefängnis von San Quentin, Kalifornien, in dem Hinrichtungen mit der Giftspritze durchgeführt werden. Foto als Werk der Regierung des Staats Kalifornien gemeinfrei.