6. April 2012

Kleines Klima-Kaleidoskop (28): Eisige Ostern. Einzelne Wetterereignisse und die globale (Nicht-) Erwärmung

"Die Kaltfront eines von Südskandinavien zur Ostsee ziehenden Tiefs erfasst in der Nacht Deutschland und zieht am Samstag nach Süden durch. Dadurch wird kalte Polarluft herangeführt. (...) In der Nacht zum Samstag ist in der Mitte und im Bergland leichter Frost möglich. In den nördlichen Mittelgebirgen fällt oberhalb etwa 400 m zunehmend Schnee. Im Norden sinkt die Schneefallgrenze bis zum Morgen zum Teil bis ins Flachland."

Dies ist die aktuelle Vorhersage des Deutschen Wetterdienstes. Eisige Ostern also; dabei liegt der Ostertermin dieses Jahr keineswegs ungewöhnlich früh, sondern ungefähr in der Mitte der Spanne möglicher Termine (22. März - 25. April).

Ostern wird kalt. Also ist es nichts mit der globalen Erwärmung?

Niemand, der bei Verstand ist, käme auf den Gedanken, so zu argumentieren. Denn erstens soll es sich, wie der Name sagt, eben um eine globale Erwärmung handeln, für die das, was sich in Mitteleuropa abspielt, nicht ausschlaggebend ist. Zweitens bezieht sich die Vorhersage einer globalen Erwärmung auf die Durchschnittswerte über einen längeren Zeitraum. Ein Einzelwert besagt nichts; auch nicht zwei, drei, vier Einzelwerte.

Soweit ist das trivial. Nicht trivial ist aber die Frage, wieviele Einzelwerte denn zusammenkommen müssen, bis sie etwas über den Klimatrend aussagen. Diese Frage ist kürzlich in zwei Artikeln aufgegriffen worden, von Rudolf Kipp im ScienceSkepticalBlog und von David Whitehouse auf der WebSite der Global Warming Policy Foundation.



Whitehouse hat die aktuellen Daten des Britischen Wetterdienstes (HadCRUT4) für die globale Temperatur seit 1997 analysiert und sie in dieser Grafik dargestellt. Die Kurve verläuft mit kleinen Schwankungen flach. In den vergangenen 15 Jahren hat es keine globale Erwärmung gegeben.

Diese Analyse bestätigt und ergänzt das, was Sie kürzlich in diesem Blog lesen konnten (Jetzt liegen auch die globalen Temperaturdaten des Jahres 2011 vor. Sie werden vielleicht staunen, wenn Sie das sehen; ZR vom 30. 1. 2012). Allerdings hatte ich damals nur die Daten des Jahrzehnts ab 2001 berücksichtigt, wie sie von der amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) zur Verfügung gestellt worden waren. Die Analyse von Whitehouse bezieht Daten ab 1997 ein und kommt zum selben Ergebnis: Kein Anstieg auch in diesem längeren Zeitraum. Die Kurve verläuft flach.

Daß das nun auch für einen Zeitraum von 15 Jahren nachgewiesen ist, hat seine Bedeutung; denn es trifft die Frage, wie lange die Temperaturkurve flach verlaufen kann, ohne daß dies die Theorie von der menschengemachten globalen Erwärmung (anthropogenic climate change = ACC) tangiert.

Wer verständnislos eine Definition nachplappert, wie das zum Beispiel in der Vahrenholt-Diskussion der "Zeit"-Autor Toralf Staud getan hat ("Forscher verstehen unter "Klima" nicht den 10- oder 14-jährigen Temperaturdurchschnitt des Wetters, sondern den 30-jährigen Mittelwert. So hat es die Klimaforschung definiert – was Vahrenholt schlicht ignoriert"), der hat es da freilich leicht: Das Plateau ("Hiatus") der globalen Temperatur währt erst 15 Jahre, keine 30; also brauchen wir uns nicht damit zu befassen.

Ich habe Staud in einer Folge von zwei Artikeln zitiert, die Sie vielleicht nachlesen mögen, wenn Sie verstehen wollen, warum dieser Autor, der kein Naturwissenschaftler ist, Wahrscheinlichkeiten und Modellvorhersagen nicht versteht; ich habe das dort ausführlich erläutert (Ist Vahrenholt "widerlegt"? Über Daten, Theorien und wissenschaftliche Diskussionen (Teil 1); ZR vom 11. 2. 2012; zu Stauds "30 Jahren" besonders Teil 2; ZR vom 21. 2. 2012).

Kurz gesagt ist es so: Die Definition von "Klima" (in Abgrenzung zu "Wetter") hat nichts damit zu tun, daß die Wahrscheinlichkeit, daß ein Modell nicht stimmt, mit jedem Jahr abnimmt, in dem sich dessen Vorhersage nicht bestätigt. Diese nimmt mit jedem solchen Jahr kontinuierlich ab; eine magische Grenze gibt es nicht. Wie stark sie abnimmt, das hängt von den Daten und den Modellannahmen ab; insbesondere davon, wieviel an Zufallsschwankungen ("Rauschen"; internal variability) das Modell annimmt.

An welchem Punkt diese Wahrscheinlichkeit so gering geworden ist, daß man das Modell als widerlegt ansieht, das ist eine Frage der statistischen Konvention. Solche "Signifikanzgrenzen" liegen üblicherweise bei Wahrscheinlich­keiten von 5 Prozent, 1 Prozent und - wenn man besonders streng ist - bei 0,1 Prozent.

Das sind Wahrscheinlichkeiten gegen den Zufall. Wird beispielsweise die Signifikanzgrenze von 5 Prozent unterschritten, dann bedeutet dies, daß mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 95 Prozent die Daten nicht den Vorhersagen des Modells entsprechen; daß die Abweichung der Daten von seiner Vorhersage also nicht zufällig ist, sondern auf andere Faktoren - mindestens einen anderen Faktor - zurückgeht als diejenigen, die das Modell annimmt.

Solche Berechnungen nun sind für die Modelle der ACC angestellt worden. Whitehouse zitiert aus einem Bericht der NOAA, deren Daten ich auch für die Artikel dieser Serie immer wieder verwendet habe:
Near-zero and even negative trends are common for intervals of a decade or less in the simulations, due to the model's internal climate variability. The simulations rule out (at the 95% level) zero trends for intervals of 15 yr or more, suggesting that an observed absence of warming of this duration is needed to create a discrepancy with the expected present-day warming rate.

Trends nahe Null und selbst negative Trends zeigen sich in den Simulationen regelmäßig; sie sind durch das in das Modell eingebaute Rauschen der Klimadaten bedingt. Die Simulationen schließen (auf dem 95-Prozent-Niveau) Nulltrends für Zeiträume ab 15 Jahren aus. Daraus ergibt sich, daß eine gemessene Erwärmung über diese Zeitspanne hinweg ausbleiben muß, damit eine Diskrepanz zu der erwarteten gegenwärtigen Geschwindigkeit der Erwärmung entsteht.
Das wurde 2008 geschrieben. Inzwischen ist diese Zeitspanne von 15 Jahren erreicht. Folgt man dieser damaligen Aussage, dann ist die Diskrepanz jetzt da.

Wie ich es in den beiden zitierten Artikeln zu Vahrenholt erläutert habe, bedeutet das Unterschreiten einer Signifikanzgrenze grundsätzlich nicht, daß das betreffende Modell in einem absoluten Sinn "widerlegt" wäre. Solche Widerlegungen - etwa wie bei einem mathematischen oder einem logischen Beweis - gibt es in der Wahrscheinlichkeits­rechnung nicht.

Es ist nur so, daß man sich nach konventionellen wissenschaftlichen Maßstäben bei einer solchen Datenlage fragen sollte, was an dem Modell falsch ist; oder ob es gar vom Ansatz her falsch ist. Bisher scheint die Klimatologie einer solchen Diskussion auszuweichen (jedenfalls wird sie nicht öffentlich geführt).

Das ist, wissenschaftsgeschichtlich gesehen, nichts Ungewöhnliches, wenn eine Theorie für eine gewisse Zeit derart dominiert wie jetzt ACC. Zweifel an einer solchen Theorie dringen in der Regel erst dann durch, wenn die Abweichungen so massiv werden, daß man sie nicht mehr ignorieren oder hinwegerklären kann.



In seinem Aufsatz in ScienceSkepticalBlogs macht Rudolf Kipp darauf aufmerksam, daß Änderungen unterhalb der Grenze von 30 Jahren und auch von 15 Jahren in der Klimaforschung durchaus als relevant betrachtet werden - dann nämlich, wenn diese die Theorie von ACC stützen sollen:
Die Spielregeln sind somit klargestellt. Wetterereignisse, welche für eine globale Erwärmung sprechen, bestätigen diese, solche die dagegen sprechen, sind – nun ja – Wetterereignisse eben, und haben mit dem Klima nichts zu tun.
Kipp weist dazu auf eine kürzliche Stellungnahme des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung hin. In ihr heißt es:
Das vergangene Jahrzehnt war eines nie dagewesener Wetterextreme. Dass diese Häufung nicht einfach nur Zufall ist, belegen jetzt Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Aus den vielen einzelnen Ereignissen fügt sich ein Bild zusammen. Zumindest bei extremen Regenfällen und extremen Hitzewellen ist der Zusammenhang mit der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung deutlich, so zeigen die Wissenschaftler in ihrer Analyse des Forschungsstands in der Fachzeitschrift Nature Climate Change.
Dieser Artikel trägt den Titel "A decade of weather extremes", "Ein Jahrzehnt extreme Wetterereignisse". Die Zusammenfassung können Sie hier lesen.

Nanu? Wie kann eine Häufung extremer Wetterereignisse innerhalb nur eines Jahrzehnts signifikant sein, wenn doch das Stagnieren der Temperaturen über einen Zeitraum von 15 Jahren nur zufällig ist? Der Hauptautor des Artikels, der Geophysiker Dim Coumou erläutert das. Seine Erläuterung wird Ihnen bekannt vorkommen:
"Das Ganze ist keine Frage von Ja oder Nein, sondern eine Frage von Wahrscheinlichkeiten", erklärt Coumou. Die Häufung von Wetterrekorden, sagt er, ist nicht mehr normal. "Es ist wie ein Spiel mit gezinkten Würfeln", so Coumou. "Eine Sechs kann es auch so ab und zu mal geben, und man weiß nie, wann das passiert. Aber jetzt gibt es viel öfter die Sechs. Weil wir den Würfel verändert haben."
Sie kennen dieses Würfel-Beispiel aus meinem oben zitierten Artikel. Coumou hat völlig Recht. Es ist eine Frage der Wahrscheinlichkeiten.

Wenn sich extreme Wetterereignisse häufen, dann wächst mit jedem weiteren solchen Ereignis die Wahrscheinlichkeit, daß es sich nicht um Zufall handelt, sondern um einen systematischen Effekt. (Ob dieser an einer globalen Erwärmung liegt; ob diese ihrerseits auf ACC zurückgeht - das sind freilich andere Fragen). Wenn Jahr für Jahr die globale Temperatur nicht steigt, dann wächst damit in exakt derselben Weise die Wahrscheinlichkeit, daß es sich nicht um zufällige Abweichungen von der Vorhersage der ACC-Modelle handelt.

Im einen wie im anderen Fall gibt es keine 30-Jahre-Frist und auch keine 15-Jahre-Frist. Die erstere ist eine willkürliche Definition von "Klima"; die letzere basiert auf der willkürlichen Entscheidung für eine Signifikanzgrenze auf dem 5-Prozent-Niveau.

Gute Wissenschaft nimmt solche Auffälligkeiten ernst, ohne aus ihnen vorschnelle Folgerungen zu ziehen. Und zwar immer; und nicht nur dann, wenn sie zur eigenen Theorie passen.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Drei Bilder, die sich durch das Schütteln eines Kaleidoskops ergeben. Fotografiert und in die Public Domain gestellt von rnbc. Mit Dank an Thomas Pauli und an Gorgasal.