21. Februar 2012

Toben und schreien

Natürlich war die Situation im Kanzleramt angespannt, als am Sonntag über die Wulff-Nachfolge verhandelt wurde. Schließlich stand nicht nur eine Personalie auf dem Spiel, sondern der Bestand der Regierung selber.

Dennoch konnte man davon ausgehen, daß der Ton zwischen zwei so sachlichen, fast unterkühlten Politikern wie Merkel und Rösler im gepflegten Rahmen bleibt. Diverse Quellen berichten aber inzwischen, dem wäre überhaupt nicht so gewesen: Merkel hätte getobt, hätte Rösler angebrüllt und ihm gedroht, die FDP-Minister rauszuschmeißen. Eine ungewöhnliche Reaktion. Offenbar ist das System Merkel an seine Grenzen gestoßen.



Sechs Jahre regiert die Kanzlerin schon, und hat in dieser Zeit zwei Koalitionspartner zur Strecke gebracht. Für die SPD endete die Koalition mit einem Desaster, 11% Verlust und dem schlechtesten Wahlergebnis ihrer Nachkriegsgeschichte. Und wenn es nach den Umfragen ginge, würde die FDP ebenfalls mit 11% Minus rechnen müssen - nur daß sie dann nur noch 3% hätte statt 23% bei den Genossen.

In beiden Fällen wendete Merkel die gleiche Taktik an: Der Erfolg der gemeinsamen Regierung war nebensächlich, erste Priorität hatte die Demontage des Partners. Eigene Inhalte hatte Merkel nie. Was sie durchsetzte war rein situationsgetrieben. Angefangene Projekte wurden liegen gelassen, sobald die öffentliche Diskussion sich von ihnen abwandte. Wesentlich war ihr, die Inhalte und Projekte der Partner zu sabotieren. Was diesen nachhaltig schadete, weil sie sich über ihre inhaltlichen Erfolge definierten - während bei Merkel der schlichte Verbleib im Kanzleramt das einzige angestrebte und erreichte Ziel war.

Sechs Jahre hat sie mit dieser Methode Erfolg gehabt. Nicht Erfolg für unser Land, dem sie mit ihren wesentlichen zwei Weichenstellungen Schuldenunion und Energiewende nachhaltig geschadet hat. Aber machttaktischen Erfolg für sich selber.

Damit könnte nun Schluß sein. Ein Politiker lebt ganz wesentlich von Vertrauen. Dem Vertrauen der Wähler, aber noch mehr dem Vertrauen anderer Politiker - denn im politischen Prozeß kann man nichts erreichen, wenn man nicht ständig Bündnisse schließt, Partner findet, über Koppelgeschäfte die eigenen Anliegen durchbekommt. Und dieses Vertrauenskapital hat Merkel gründlich geplündert. Sie hat innerparteilich verbrannte Erde hinterlassen, alle möglichen Konkurrenten - und damit auch potentielle Partner - aus der Politik gedrängt. Und noch mehr hat sie sich mit ihren ständigen Vertrauensbrüchen in der Berliner Parteienlandschaft isoliert.

Ein erstes Anzeichen für diese Vertrauenskrise war der mißglückte Wechsel im Saarland. In kaltem Opportunismus ließ sie dort die Koalition beenden. In der sicheren Erwartung die SPD wäre machtgierig genug, um sofort die Chance einer großen Koalition zu nutzen. Eine Fehlkalkulation, mit den Neuwahlen droht der CDU der Machtverlust.

Und nun das Debakel um die Wulff-Nachfolge. Sicher hatte sie erwartet, daß die FDP in Angst um ihre Ministerposten eine neue Demütigung einstecken würde. Aber nicht nur die FDP hielt dagegen. Auch Gabriel ließ sie abblitzen - selbst mit dem Angebot eines SPD-Kandidaten konnte sie ihn nicht zum Frontenwechsel bewegen. Sie hatte zu viele potentielle Partner verprellt, hatte kein Vertrauenskapital mehr - sie war isoliert.

Nach der Niederlage kommen nun die Drohungen. Die "Schonzeit" für die FDP wäre vorbei, lassen Merkels Leute verlauten. Aber diese Drohungen laufen ins Leere, stoßen bei den Liberalen nur noch auf höhnische Reaktionen. Wie soll eine Schonzeit vorbei sein, die es nicht einen Tag gab? Was kann der FDP denn Schlimmeres passieren, als das weiterhin alle Projekte blockiert werden? Es gibt in dieser Koalition nichts mehr zu erhoffen außer einem Wechsel im Kanzleramt.

Ein solcher Wechsel ist noch nicht abzusehen. Merkel ist angeschlagen, aber so schnell wird sich keiner finden, der sich traut gegen sie anzutreten. Aber das muß nicht so bleiben.

Denn das ist die zweite Nachricht des Sonntags, und sie wird Merkel noch mehr geärgert haben: Man muß keine Angst mehr vor ihr haben. Sie hat die ultimative Drohung ausgestoßen, und die ist wirkungslos verpufft. Und wenn jemand nie durch Begeisterung, persönliche Sympathie oder inhaltliche Ziele Menschen an sich gebunden hat, dann bleibt nur noch die Angst vor der Macht. Und wenn die Angst weg ist, erodiert auch die Macht.­
R.A.



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