Gestern vor 50 Jahren umkreiste, nein, nicht der erste Mensch die Erde - nur der erste Amerikaner, John Glenn. Auf dem Foto sehen Sie ihn während des Flugs in seiner Kapsel, die er Friendship 7 getauft hatte; Freundschaft 7. Die technische Bezeichnung für den Flug war MA-6 (Mercury-Atlas 6; Atlas war die Rakete, Mercury der Name der Kapseln dieser Serie). Die Nummer 6 war die laufende Nummer des Starts in diesem Programm; die Zahl 7 hingegen stand für die sieben Astronauten, die damals das US-Astronautenkorps bildeten. Von ihnen leben noch zwei, außer Glenn der zweite US-Astronaut, der die Erde umkreiste, Scott Carpenter.
Die Aufnahme wurde von der Filmkamera an Bord gemacht. Sie zeigt Glenn, wie er mit einem Photometer eine Helligkeitsmessung vornimmt.
Bereits auf diesem ersten Flug in den Orbit war das amerikanische Programm also wissenschaftlich ausgerichtet; ganz anders als das russische Programm zur bemannten Raumfahrt, das anfangs allein propagandistischen Zwecken diente.
Aber sehr zum Entsetzen der Amerikaner waren sie damit schneller gewesen, die Russen. Juri Gagarin war mit seiner Wostok-Kapsel schon zehn Monate früher einmal um die Erde geflogen; am 12. April 1961. Glenn immerhin schaffte drei Erdumrundungen. Aber auch das zählte nicht mehr; denn inzwischen - im August 1961 - hatte der Russe German Titow die Erde bereits 17 Mal umkreist, einen vollen Tag lang.
Nach heutigen Raumfahrt-Maßstäben waren beide Kapseln - die Wostok und die Mercury - winzig. Von den Mercury-Kapseln sagte einer der Astronauten einmal, man klettere in eine solche Kapsel nicht hinein, sondern man ziehe sie an. Wie klein diese ersten "Raumschiffe" waren, können Sie hier sehen:
Zur heutigen ISS verhält sich das ungefähr wie das Flugzeug Charles Lindberghs zu einer Airbus A 380. Aber im Kern hatte man schon die gesamte heutige Technologie - die mit Flüssigbrennstoff betriebene Rakete, die Kapsel, die alle zur Lebenserhaltung erforderlichen Systeme bot; die Fähigkeit zur Rückkehr auf die Erde.
Lediglich die Navigation im All fehlte damals noch. Ein Raumschiff, das seine Bahn verändern konnte, erhielten die Amerikaner erst mit Gemini und die Russen mit Sojus. Das war die Voraussetzung für das Rendezvous in der Umlaufbahn und damit den Bau größerer Stationen.
Obwohl die Amerikaner mit dem Flug John Glenns nur Zweite geworden waren, herrschte eine beträchtliche Begeisterung.
Im Land selbst lag das daran, daß man nun endlich hoffen konnte, mit den Russen gleichzuziehen und sie vielleicht schließlich zu überholen (was mit der Mondlandung dann auch gelang). Weltweit war das Interesse auch deshalb so groß, weil die USA eine ganz andere Informationspolitik hatten als die Sowjets.
Vom Flug Gagarins hatte man nur wenig erfahren. Noch nicht einmal Fotos der Kapsel gab es zunächst. Daß Gagarin geflogen war, erfuhr man überhaupt erst, als er schon wieder zurück auf der Erde war. Viele Details des Flugs blieben lange Zeit unbekannt - zum Beispiel, ob die Kapsel ein Fenster hatte, durch das Gagarin ins Weltall sehen konnte, und wie er gelandet war (in der Kapsel oder per Fallschirm, nachdem er herauskatapultiert worden war).
Beim Projekt Mercury war das ganz anders. Schon Wochen zuvor waren alle Einzelheiten mitgeteilt worden. Ich verfolgte den Flug damals über Kurzwelle. Die Voice of America berichtete rund um die Uhr; einschließlich Einspielungen des Sprechfunkverkehrs zwischen Glenn und der Bodenstation. Es war faszinierend, das live zu erleben.
Der Flug Gagarins war ein gewaltiger Propaganda-Erfolg gewesen. Aber der Flug Glenns zeigte die Überlegenheit einer freien Gesellschaft, deren Regierung es sich leisten konnte, mit offenen Karten zu spielen.
Damals, vor einem halben Jahrhundert, träumte man von einem großen Aufschwung der bemannten Raumfahrt. Bemannte Stationen in der Umlaufbahn würden folgen, Flüge zum Mond, schließlich eine Station auf dem Mond. Und so fort, bis hin zur "Rakete zu den Planetenräumen", wie Hermann Oberth 1923 sein wegweisendes Buch betitelt hatte.
Heute zeigt sich immer deutlicher, daß die bemannte Raumfahrt eine Sackgasse ist (siehe "Künftig werden die USA in der bemannten Raumfahrt keine wesentliche Rolle mehr spielen"; ZR vom 1. 2. 2010). Das meiste, was Menschen im Raum wissenschaftlich leisten können, vermögen Roboter besser und billiger zu tun; und die technische Entwicklung spricht immer mehr für ihren Einsatz anstelle des schweren und im Unterhalt immens teuren Systems Mensch.
So geht es nun einmal. Pioniertaten begeistern. Dann kommt der meist wenig begeisternde Alltag. Wer registriert es heute noch, wenn Astronauten zur ISS starten oder von ihr heimkehren? Wir finden das inzwischen so wenig aufregend, wie wenn ein Flugzeug den Atlantik überquert.
John Glenn übrigens wurde in New York am 1. März 1962 begeistert gefeiert. Es soll eine der größten Konfetti-Paraden seit Charles Lindbergh gewesen sein.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Fotos: NASA. Als Werke der US-Regierumg gemeinfrei.