1. August 2011

Zitate des Tages: "Obama gelingt Durchbruch". Über die schiefe deutsche Sicht auf die Verfassung der USA, im doppelten Wortsinn

Obama gelingt der Durchbruch in letzter Minute ("Welt-Online")

Obama verkündet Kompromiss im Schuldenstreit (FAZ.Net und sueddeutsche.de)

Obamas gefährlicher Sieg ("Spiegel-Online")



Kommentar: Fällt Ihnen an diesen Schlagzeilen etwas auf? Nein? Vielleicht dann, wenn Sie sie mit den Schlagzeilen der US-Presse vergleichen:
  • White House, congressional leaders reach debt-limit deal (Das Weiße Haus und die Führer des Kongresses erreichen Übereinkunft über die Schuldengrenze; Washington Post)

  • Obama and leaders reach debt deal (Obama und die Führer erreichen Übereinkunft über Schulden; New York Times)

  • U.S. leaders strike debt deal to avoid default (Führer der USA erzielen Übereinkunft, um die Zahlungsunfähigkeit abzuwenden; Los Angeles Times).
  • Die deutschen Medien fixieren sich in ihrer Berichterstattung auf den Präsidenten Obama, so als sei dieser die Hauptperson in Fragen des US-Haushalts.

    Tatsächlich ist er aber nur einer der Akteure in einem politischen Prozeß, an dem gleichberechtigt der Senat und das Repräsentantenhaus, an dem die Demokraten und die Republikaner beteiligt sind. Das kommt in den US-Schlagzeilen zum Ausdruck, die durchweg die Führer des Kongresses erwähnen.

    In Deutschland ist die Vorstellung weit verbreitet, beim jetzigen Streit sei es darum gegangen, daß der Präsident sich gegen einen widerspenstigen Kongreß durchsetzt, gar gegen eine (in den USA nicht vorhandene) "Opposition".

    In Wahrheit liegt die Budgethoheit ausschließlich beim Kongreß; siehe "Aufschwung in Richtung Etatismus". Warum in den USA die Debatte über die Obergrenze der Verschuldung so erbittert geführt wird; ZR vom 26. 7. 2011. Der Streit spielte sich wesentlich zwischen dem Repräsentantenhaus mit seiner republikanischen Mehrheit und dem Senat ab, der trotz des hohen Siegs der Republikaner bei den Wahlen 2010 noch eine knappe demokratische Mehrheit hat (was daran liegt, daß bei solchen mid-term elections nur ein Drittel der Senatoren neu gewählt wird). Der Präsident war beteiligt; aber die Entscheidungen fielen im Kongreß.

    Woher diese falsche deutsche Wahrnehmung? Es mag daran liegen, daß man die amerikanische Verfassung nicht versteht; Verfassung im Sinn des politischen Systems, der constitution. Eine Rolle mag auch spielen, daß man die Verfassung der USA im Sinn ihrer Befindlichkeit falsch beurteilt.

    Barack Obama hatte schon als Kandidat in Deutschland eine ungewöhnlich gute Presse; man sah ihn als den strahlenden Hoffnungsträger, die Gegenfigur zu dem in Deutschland zum Bösewicht stilisierten George W. Bush. So sehen ihn viele immer noch.

    In den USA aber ist Obamas Glanz längst erloschen. Die große Mehrheit der Amerikaner beurteilt seine Amtsführung inzwischen negativ (siehe zum Beispiel die aktuellen Umfragewerte bei Rasmussen und bei Gallup). Und im jetzigen Fall ist keineswegs ihm der "Durchbruch gelungen", sondern die Führer der Republikaner und der Demokraten im Senat und im Repräsentantenhaus haben einen Kompromiß in letzter Minute gefunden. Über den übrigens in beiden Häusern noch abgestimmt werden muß.
    Zettel



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