16. August 2011

Marginalie: Christian von Boetticher ist nichts vorzuwerfen. Und also? Deutschland auf dem Weg zurück zum Muff der Adenauerzeit? Schlimmer!

Als Konrad Adenauer Bundeskanzler war, standen homosexuelle Handlungen bekanntlich unter Strafe. Von Adenauers Außenminister Heinrich von Brentano war allgemein bekannt, daß er homosexuell war. Das behinderte seine politische Karriere nicht. Auf die Homosexualität Brentanos angesprochen, soll Adenauer geantwortet haben: "Dat ist mir ejal, solange er misch nit anpackt." Sich offen zu seiner sexuellen Orientierung zu bekennen, wäre für den Außenminister freilich das Ende seiner Karriere gewesen.

Inzwischen hat sich glücklicherweise die Einsicht durchgesetzt, daß jeder Mensch das Recht hat, sein Sexual- und sein Liebesleben so zu gestalten, wie es ihm richtig erscheint; vorausgesetzt, er verletzt damit nicht die sexuelle Selbstbestimmung anderer. Homosexuelle Politiker können heute offen, ja offensiv mit ihrer sexuellen Orientierung umgehen, ohne daß sie deshalb Nachteile für ihren politischen Erfolg fürchten müssen.

Einvernehmliche Sexualität unter Menschen, die über ihr Sexualleben frei entscheiden können, ist Privatangelegenheit; sie geht die Öffentlichkeit nichts an. Das haben wir - das haben vor allem wir Liberalen - in Jahrzehnten erreicht.

Damit ist eigentlich alles über eine angebliche Affäre gesagt, die als "Lolita-Affäre" oder "Lolitagate" die Runde durch die Schmuddelpresse macht; die beiden Bezeichnungen haben sich Redakteure von "Spiegel-Online" und des Internetportals der "Süddeutschen Zeitung" ausgedacht.



Dies sind die Fakten, soweit bisher bekannt:

Dr. Christian v. Boetticher ist ein Rechtsanwalt und CDU-Politiker; unverheiratet. Im vergangenen Jahr hat er über das Internet eine damals 16jährige kennengelernt. Man traf sich, und es kam im März 2010 zu einer sexuellen Beziehung, die im Mai wieder endete. Diese Beziehung war von Beiden so gewollt. Boetticher hat sie als eine Liebesbeziehung bezeichnet; inzwischen hat die junge Frau mit dem Kölner "Express" gesprochen und gesagt, daß es auch bei ihr Liebe gewesen sei.

Was in aller Welt ist also v. Boetticher vorzuwerfen? Er hat nicht gegen das Strafrecht verstoßen, das sexuelle Beziehungen zwischen einem Volljährigen und einer Person zwischen 16 und 18 Jahren ausdrücklich nicht unter Strafe stellt; es sei denn, die volljährige Person hat eine Zwangslage ausgenutzt, oder es handelte sich um bezahlten Sex.

v. Boetticher hat auch nichts getan, das in irgendeiner Weise moralisch verwerflich wäre. Kein Moralgesetz verbietet die Liebe zwischen Menschen mit einem großen Altersunterschied. Goethe verliebte sich bekanntlich 1821 in Marienbad in die damals 17jährige Ulrike von Levetzow; da war er fast 72. Er hat diese Liebe in einem der schönsten Liebesgedichte der deutschen Literatur verarbeitet, der Marienbader Elegie.

Damals, im Biedermeier, wäre niemand auf den Gedanken gekommen, an dieser Liebe etwas auch nur im Ansatz Verwerfliches zu finden. Zur Adenauerzeit tolerierte man die Homosexualität eines Spitzenpolitikers. Heute aber, in einem Deutschland, das zunehmend dem Diktat des erhobenen Zeigefingers ausgesetzt ist, muß ein Politiker von seinen Ämtern zurücktreten, weil er eine Jüngere geliebt hat. Und bekommt von den Medien bescheinigt, er sei in einen "Skandal" verwickelt.

Schmuddeljournalisten wie Florian Gathmann, der diesen angeblichen Skandal in "Spiegel-Online" allen Ernstes in eine Reihe mit der Barschel-Affäre stellt, bedürfen keines weiteren Kommentars. Aber zu fragen ist, auf welchem Weg sich Deutschland eigentlich befindet, wenn es solchen Journalisten möglich ist, die Karriere eines ehrenhaften Manns zu ruinieren, indem sie sein Sexualleben anprangern. Der Mehltau, der über diesem Land liegt, wird noch unerträglicher durch das Moralin, das sich immer mehr ausbreitet.
Zettel



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