Die Krise, dies könnte das Kalkül sein, ließe sich nutzen, um einen Integrationssprung zu erzwingen; den Sprung hin zu einem europäischen Wirtschaftsregiment, in eine europäische Sozialunion oder auch politische Union - was immer das heißen mag; einen Sprung, der einfach deshalb getan wird, weil es am Ende, wenn man sich tief genug in die Krise hat hineinziehen lassen, keinen anderen Weg aus der Krise heraus mehr zu geben scheint.
In dieser Strategie ist der Gedanke, dass Europa ein Elitenprojekt sei und nur als Elitenprojekt vollendet werden könne, zu Ende gedacht; zu einem gefährlichen Ende.
Kommentar: Bevor Kielmansegg zu diesem Fazit kommt, hat er argumentiert, daß das vorgebliche Ziel der jetzigen Hilfen, Griechenland alsbald wieder auf eigene Beine zu stellen, nicht erreichbar sei:
Die beiden Grundübel Griechenlands (neben anderen, wie der schlechten Wirtschaftsstruktur) sind der aufgeblähte Staatsapparat und die miserable Steuermoral. Der Staat nimmt also zwangsläufig zu wenig ein und muß andererseits zu viel ausgeben, um diesen Apparat halbwegs zu finanzieren.
Aber eben nur halbwegs. Die kleinen Bediensteten in diesem wuchernden Staatsapparat werden schlecht bezahlt. Also sind viele korrupt. Also muß der Durchschnittsgrieche einen erheblichen Teil seines Einkommens dafür vorsehen, Lehrer, Ärzte, Verwaltungsbeamte usw. zu bestechen. Also versucht er die Steuerhinterziehung, um sich schadlos zu halten.
Also hat der Staat zu wenige Einnahmen und kann seine Diener nicht anständig bezahlen, was diese wiederum anfällig für Korruption macht. Und so fort; ein System von negativen Rückkopplungen. Es durch Milliardenkredite, Zuschüsse oder Bürgschaften zu reparieren, ist ein nachgerade kindlich naives Unterfangen. Zuwendungen von außen stützen im Gegenteil dieses System, statt es zu beseitigen.
Wenn aber den Regierungen der EU-Länder, die jetzt Griechenland päppeln, das klar ist, was dem Autor Kielmansegg klar ist und was jeder Zeitungsleser verstehen kann - warum dann trotzdem diese Politik? Vielleicht, sagt Kielmansegg, aus dem Grund, der im Eingangszitat genannt ist: Um die Krise für weitergesteckte Ziele zu nutzen.
Eine solche Strategie hätte ein Vorbild, nämlich Barack Obama. Dieser hatte das Land in der Wirtschaftskrise übernommen und war augenscheinlich entschlossen, die Krise für sein Ziel einer Sozialdemokratisierung der USA zu nutzen. Sein damals wichtigster Mitarbeiter, der Stabschef des Weißen Hauses Rahm Emanuel, hat das auch in aller Offenheit gesagt: "You never want a serious crisis to go to waste. (...) This crisis provides the opportunity for us to do things that you could not before" - "Man möchte eine schwere Krise nie ungenutzt lassen. (...) Diese Krise liefert uns die Gelegenheit, Dinge zu tun, die man zuvor nicht hätte tun können".
Charles Krauthammer hat diese Strategie des Ausnutzens der Krise damals analysiert, und ich bin in zwei Artikeln darauf eingegangen (Mutmaßungen über Barack. Will Obama der große Transformator werden? Eine provokante These von Charles Krauthammer; ZR vom 20. 12. 2008; sowie Obamas Unredlichkeit, Merkels Aufrichtigkeit; ZR vom 9. 3. 2009).
Wie Obamas Experiment einer Sozialdemokratisierung der USA bisher gelaufen ist, das ist bekannt; es hat seiner Partei bei den Wahlen im vergangenen Herbst eine verheerende Niederlage eingetragen. Die Amerikaner mögen es nicht, wenn ihnen von oben vorgeschrieben werden soll, wie sie ihr Land gestalten wollen. Auch nicht - schon gar nicht - unter Ausnutzung einer Krise.
Und wir Europäer? Kielmannsegg:
Man hatte ab 2002 zunächst einen Vertrag über eine Verfassung für Europa erarbeitet, der 2004 fertig war. Wie das bei der Annahme einer neuen Verfassung eigentlich selbstverständlich ist, waren in zahlreichen Ländern der EU Referenden vorgesehen und zum Teil auch bereits durchgeführt worden, als erst die Franzosen und dann auch die Niederländer diese Verfassung ablehnten.
Diese Tage Ende Mai, Anfang Juni 2005 waren die Stunde der Wahrheit für Europa. Der Verfassungsvertrag war gescheitert. Weitere vorgesehene Referenden in Dänemark, Irland, Polen und anderen EU-Ländern wurden abgesagt.
Das Volk hatte gesprochen. Es wäre die Pflicht der Staatsführungen gewesen, den Bürgern nun die Chance zu geben, ihre Ablehnung ins Positive zu wenden; also eine breite Diskussion über die Struktur eines künftigen Europa zu beginnen, aus der eine diesmal mehrheitsfähige, neue Verfassung hätte hervorgehen müssen.
Aber man versagte in der Stunde der Wahrheit. Das, was im gescheiterten Verfassungsvertrag gestanden hatte, wurde ein wenig umformuliert, in einzelne Abkommen zerlegt und dann im Jahr 2007 unter Umgehung der direkten Mitwirkung der Völker Europas als "Vertrag von Lissabon" verhandelt, sodann parlamentarisch ratifiziert und 2009 in Kraft gesetzt. Man hatte dem Kind einen anderen Namen gegeben - "Vertrag" statt "Verfassung" - und es damit ermöglicht, auf die direkte Zustimmung der Bürger zu verzichten.
Wenn das Volk nicht das will, was die Eliten für geboten halten, dann beschließen die Eliten es eben ohne das Volk; das war die Botschaft des Vertrags von Lissabon (siehe Arroganz der Macht: Wie man in Europas politischer Führung über die Öffentliche Meinung denkt; ZR vom 22. 6. 2008; sowie Kompetenz-Kompetenz. Was an Gefahren im Vertrag von Lissabon lauert; ZR vom 2. 7. 2008). Seitdem ist Europa in der Krise.
Die Völker haben damals zwar hingenommen, daß man sie austrickste; mehr oder weniger murrend. Sie haben den Weg hinein in ein Europa vorerst hingenommen, das seither nicht durch die Zustimmung seiner Bürger legitimiert ist; das von diesen zunehmend als Last und nicht mehr als Hoffnung empfunden wird. Das kann Jahre gutgehen, es kann vielleicht Jahrzehnte gutgehen. Ein lebensfähiger Staatenbund oder vielleicht gar Bundesstaat, der vor der Geschichte Bestand hat, kann so aber nicht entstehen; jedenfalls nicht auf demokratischer Grundlage.
In dieser Strategie ist der Gedanke, dass Europa ein Elitenprojekt sei und nur als Elitenprojekt vollendet werden könne, zu Ende gedacht; zu einem gefährlichen Ende.
Der Politologe Peter Graf Kielmansegg heute in der FAZ über eine mögliche Strategie europäischer Regierungen, "die Krise als Instrument zur Erreichung unausgesprochener Ziele zu nutzen".
Kommentar: Bevor Kielmansegg zu diesem Fazit kommt, hat er argumentiert, daß das vorgebliche Ziel der jetzigen Hilfen, Griechenland alsbald wieder auf eigene Beine zu stellen, nicht erreichbar sei:
Schiere Unvernunft ist es auch zu meinen, man könne durch "Auflagen" Griechenland in kurzer Frist in ein Land verwandeln, das sich aus eigener Kraft wirtschaftlich im Währungsgebiet des Euro zu behaupten vermag. Man kann dem Land vielleicht vorschreiben, dass und wie es sparen müsse. Aber es geht in der Hauptsache ja gar nicht ums Sparen. Es geht um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Und die hat Voraussetzungen, die sich nicht von heute auf morgen oder auch übermorgen durch Anordnungen aus Brüssel schaffen lassen, gewiss nicht einfach durch Sparen. Am Ende hängt es an Mentalitäten. Und die können sich nur in historischen Lernprozessen verändern, die Zeit brauchen.So ist es. Im einzelnen können Sie das beispielsweise in dieser Diskussion in Zettels kleinem Zimmer nachlesen:
Die beiden Grundübel Griechenlands (neben anderen, wie der schlechten Wirtschaftsstruktur) sind der aufgeblähte Staatsapparat und die miserable Steuermoral. Der Staat nimmt also zwangsläufig zu wenig ein und muß andererseits zu viel ausgeben, um diesen Apparat halbwegs zu finanzieren.
Aber eben nur halbwegs. Die kleinen Bediensteten in diesem wuchernden Staatsapparat werden schlecht bezahlt. Also sind viele korrupt. Also muß der Durchschnittsgrieche einen erheblichen Teil seines Einkommens dafür vorsehen, Lehrer, Ärzte, Verwaltungsbeamte usw. zu bestechen. Also versucht er die Steuerhinterziehung, um sich schadlos zu halten.
Also hat der Staat zu wenige Einnahmen und kann seine Diener nicht anständig bezahlen, was diese wiederum anfällig für Korruption macht. Und so fort; ein System von negativen Rückkopplungen. Es durch Milliardenkredite, Zuschüsse oder Bürgschaften zu reparieren, ist ein nachgerade kindlich naives Unterfangen. Zuwendungen von außen stützen im Gegenteil dieses System, statt es zu beseitigen.
Wenn aber den Regierungen der EU-Länder, die jetzt Griechenland päppeln, das klar ist, was dem Autor Kielmansegg klar ist und was jeder Zeitungsleser verstehen kann - warum dann trotzdem diese Politik? Vielleicht, sagt Kielmansegg, aus dem Grund, der im Eingangszitat genannt ist: Um die Krise für weitergesteckte Ziele zu nutzen.
Eine solche Strategie hätte ein Vorbild, nämlich Barack Obama. Dieser hatte das Land in der Wirtschaftskrise übernommen und war augenscheinlich entschlossen, die Krise für sein Ziel einer Sozialdemokratisierung der USA zu nutzen. Sein damals wichtigster Mitarbeiter, der Stabschef des Weißen Hauses Rahm Emanuel, hat das auch in aller Offenheit gesagt: "You never want a serious crisis to go to waste. (...) This crisis provides the opportunity for us to do things that you could not before" - "Man möchte eine schwere Krise nie ungenutzt lassen. (...) Diese Krise liefert uns die Gelegenheit, Dinge zu tun, die man zuvor nicht hätte tun können".
Charles Krauthammer hat diese Strategie des Ausnutzens der Krise damals analysiert, und ich bin in zwei Artikeln darauf eingegangen (Mutmaßungen über Barack. Will Obama der große Transformator werden? Eine provokante These von Charles Krauthammer; ZR vom 20. 12. 2008; sowie Obamas Unredlichkeit, Merkels Aufrichtigkeit; ZR vom 9. 3. 2009).
Wie Obamas Experiment einer Sozialdemokratisierung der USA bisher gelaufen ist, das ist bekannt; es hat seiner Partei bei den Wahlen im vergangenen Herbst eine verheerende Niederlage eingetragen. Die Amerikaner mögen es nicht, wenn ihnen von oben vorgeschrieben werden soll, wie sie ihr Land gestalten wollen. Auch nicht - schon gar nicht - unter Ausnutzung einer Krise.
Und wir Europäer? Kielmannsegg:
So richtig es ist, dass die politischen Eliten im europäischen Einigungsprozess immer wieder eine Schlüsselrolle gespielt haben, so verhängnisvoll wäre es, wenn sie sich selbstherrlich die historische Mission zuschrieben, den europäischen Bundesstaat den Völkern Europas in einer Art Coup zu oktroyieren. (...) Eliten, die nicht begreifen, wie viel Vertrauen sie bereits verspielt haben, Eliten, die meinen, sie könnten so weitermachen, weil sie im Kartell unangreifbar seien, können dem europäischen Projekt einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen.In der Tat. Die europäische Idee wurde einmal von der großen Mehrheit der Europäer getragen. Es sollte ein Europa enstehen, zu dem sich die Völker freiwillig und aus Überzeugung zusammenschließen. Diese Idee von Europa wurde mit den Verträgen von Lissabon begraben.
Man hatte ab 2002 zunächst einen Vertrag über eine Verfassung für Europa erarbeitet, der 2004 fertig war. Wie das bei der Annahme einer neuen Verfassung eigentlich selbstverständlich ist, waren in zahlreichen Ländern der EU Referenden vorgesehen und zum Teil auch bereits durchgeführt worden, als erst die Franzosen und dann auch die Niederländer diese Verfassung ablehnten.
Diese Tage Ende Mai, Anfang Juni 2005 waren die Stunde der Wahrheit für Europa. Der Verfassungsvertrag war gescheitert. Weitere vorgesehene Referenden in Dänemark, Irland, Polen und anderen EU-Ländern wurden abgesagt.
Das Volk hatte gesprochen. Es wäre die Pflicht der Staatsführungen gewesen, den Bürgern nun die Chance zu geben, ihre Ablehnung ins Positive zu wenden; also eine breite Diskussion über die Struktur eines künftigen Europa zu beginnen, aus der eine diesmal mehrheitsfähige, neue Verfassung hätte hervorgehen müssen.
Aber man versagte in der Stunde der Wahrheit. Das, was im gescheiterten Verfassungsvertrag gestanden hatte, wurde ein wenig umformuliert, in einzelne Abkommen zerlegt und dann im Jahr 2007 unter Umgehung der direkten Mitwirkung der Völker Europas als "Vertrag von Lissabon" verhandelt, sodann parlamentarisch ratifiziert und 2009 in Kraft gesetzt. Man hatte dem Kind einen anderen Namen gegeben - "Vertrag" statt "Verfassung" - und es damit ermöglicht, auf die direkte Zustimmung der Bürger zu verzichten.
Wenn das Volk nicht das will, was die Eliten für geboten halten, dann beschließen die Eliten es eben ohne das Volk; das war die Botschaft des Vertrags von Lissabon (siehe Arroganz der Macht: Wie man in Europas politischer Führung über die Öffentliche Meinung denkt; ZR vom 22. 6. 2008; sowie Kompetenz-Kompetenz. Was an Gefahren im Vertrag von Lissabon lauert; ZR vom 2. 7. 2008). Seitdem ist Europa in der Krise.
Die Völker haben damals zwar hingenommen, daß man sie austrickste; mehr oder weniger murrend. Sie haben den Weg hinein in ein Europa vorerst hingenommen, das seither nicht durch die Zustimmung seiner Bürger legitimiert ist; das von diesen zunehmend als Last und nicht mehr als Hoffnung empfunden wird. Das kann Jahre gutgehen, es kann vielleicht Jahrzehnte gutgehen. Ein lebensfähiger Staatenbund oder vielleicht gar Bundesstaat, der vor der Geschichte Bestand hat, kann so aber nicht entstehen; jedenfalls nicht auf demokratischer Grundlage.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.