12. Juli 2011

Marginalie: "Quadriga"-Preis an Wladimir Putin. Hintergrund einer Posse, nein eines Skandals

Kennen Sie die "Werkstatt Deutschland"? Vielleicht kennen Sie sie seit einigen Tagen. Davor dürfte sie Ihnen so unbekannt gewesen sein wie mir.

Noch nicht einmal in die deutsche Wikipedia hat sie es bisher geschafft, die "Werkstatt". Nun allerdings in die Medien, seit am Wochenende bekannt wurde, daß dieser Verein beabsichtigt, Wladimir Putin einen Preis zu verleihen, den "Quadriga-Preis". Und das auch noch mit feierlicher Überreichung am diesjährigen Tag der Deutschen Einheit.

Wer ist dieser Verein "Werkstatt Deutschland"? Was will er? Seine Ziele beschreibt er auf seiner WebSite so:
In der Werkstatt Deutschland treffen Menschen, Lebenswirklichkeiten und Überzeugungen zusammen, die in unserer Diskussionskultur sonst kaum so miteinander reden, geschweige denn handeln würden. Die Mitglieder der Werkstatt treten nicht als Lobbyisten ihrer jeweiligen Rolle oder Funktion auf, sondern als verantwortungsbewußte Staatsbürger.
Das klingt, nicht wahr, ziemlich vollmundig. Wenn man auf "Wer wir sind" klickt, dann werden alle Wörter kleingeschrieben; der Anspruch freilich gar nicht:
die werkstatt ist dem prinzip aktiver community verpflichtet, die dem wohle des ganzen dient. wir fragen nicht, was der staat alles für die gesellschaft regeln muss, sondern was die bürger für ein lebendiges gemeinwesen leisten können. bürger aus ost und west, wissenschaftler und kulturschaffende, politiker, vertreter der wirtschaft und journalisten blicken gemeinsam über den tellerrand der tagespolitischen aktualität hinaus und entwickeln leitbilder für die zukunft und innovative und realitätstüchtige wege für die gegenwart. in der werkstatt deutschland geht es nicht um die verteidigung von positionen, sondern um anwaltschaft in der sache. anwaltschaft in der sache heißt die richtigen dinge tun und die dinge richtig tun.
Das Richtige tun, wer tät's nicht gern, möchte man in Anlehnung an Brecht sagen. Wenn man dieses hochtrabende Gerede liest und den Umstand hinzunimmt, daß dieser Verein, den es bereits seit 1993 gibt, bisher so gut wie unbekannt geblieben ist, dann entsteht das Bild einer windigen Unternehmung, wie es sie in diesem Marktsegment des Begegnens, Kommunizierens, der guten Worte und des dummen Geschwätzes so zahlreich gibt.

Das trifft aber nicht zu. Es ist, soweit ich das herausfinden konnte, ein wenig komplexer.



Gegründet wurde dieser Verein am 10. Mai 1993; und die Gründungserklärung klingt keineswegs so verquast wie die heutige Selbstdarstellung. In ihr wurde vielmehr Klartext geredet:
Menschlichkeit und Anteilnahme sind als Reizwörter aus der Alltagssprache gestrichen worden. Ignoranz und Egoismus scheinen neue deutsche Kardinaltugenden zu sein. Die Westdeutschen verschanzen sich in ihren Trutzburgen des Konsums und behandeln die Ostdeutschen wie vergessene Verwandte, die man zwangsweise einquartieren muß. Nach wenigen Tagen der Wiedersehensfreude wird der Besuch als lästig und zu kostspielig empfunden. Die Ostdeutschen fordern sofortige materielle Wiedergutmachung für ihr vierzigjähriges Schicksal als die wirklich bestraften Verlierer des Zweiten Weltkrieges und fühlen sich von den Westdeutschen weniger verstanden denn je.
Dieser Verein war also ein Kind der politischen Situation in den frühen neunziger Jahren. Knapp drei Jahre nach der Wiedervereinigung war er eine der Initiativen, die damals helfen wollten, die Probleme der deutschen Einheit zu bewältigen:
Den Prozeß der Vereinigung aktiv zu gestalten, ist erklärtes Ziel des Vereins Werkstatt Deutschland. (...) Der Verein wird ein Zeichen für Bürgersinn und Gemeinwohl setzen. Die Gestaltung der deutschen Einheit ist zur Herausforderung für alle geworden.
Man hat sich damals, 1993, viel vorgenommen:
Die Aktivitäten des Vereins sind vielfältig: Symposien zu zeitgeschichtlichen und philosophischen Fragen, Fachtagungen mit konkretem Sachthemenbezug, regional-handlungsorientierte Projekte vor Ort wechseln einander ab. Gleichzeitig will der Verein konkrete Vernetzungshilfe vor Ort in den neuen Bundesländern leisten. Dort laufen viele Aktivitäten auf kommunaler und regionaler Ebene unkoordiniert; es fehlt eine Stätte des Erfahrungs- und Inrormationsaustausches.
Inwieweit der Verein in den Jahren nach seiner Gründung diesem Anspruch gerecht geworden ist, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts nennt das Verzeichnis der Veranstaltungen kaum noch etwas. 2006 eine Kaffeetafel. 2007 eine einzige Veranstaltung; über die "Hauptstadtfrage". Ansonsten jährlich ein Essen im Freien, genannt "Tafel der Demokratie". Und eben die Verleihung der "Quadriga".



So weit, so gut. Offenbar handelt es sich um eine Vereinigung, die unter dem Eindruck der Wiedervereinigung gegründet worden war, die dieses ihr Thema dann verloren hatte und die auf einem bescheidenen Level weitermacht. So bescheiden, daß beispielsweise dann, wenn man auf der Startseite auf "Aktuell" klickt, man zur Ankündigung eines Events im August geführt wird - allerdings des Jahres 2010.

Die bessere Vergangenheit des Vereins spiegelt sich auch in der personellen Zusammensetzung des Vorstands wider. Als erster Vorsitzender (Erster Vorsitzender?) wird der bereits 2009 verstorbene prominente Berliner Politiker Klaus Riebschläger genannt, als zweiter (Zweiter?) Vorsitzender der kurzzeitige Ministerpräsident der DDR Lothar de Maizière. Einer der beiden Beisitzer ist der Theologe Richard Schröder, der in den Jahren nach der Wiedervereinigung oft mit ausgezeichneten Beiträgen zur politischen Diskussion beigetragen hat.

Soweit wäre das alles kein Thema mehr. Dieser dümpelnde Verein aber will nun in diesem Jahr seinen Quadriga-Preis an Wladimir Putin verleihen. Einen Preis, den er so beschreibt:
Die Quadriga ehrt vier Persönlichkeiten und Projekte, deren Denken und Handeln auf Werte baut. Werte, die Vision, Mut und Verantwortung dienen. Die Quadriga würdigt Vorbilder. Vorbilder für Deutschland und Vorbilder aus Deutschland.
Da Wladimir Putin nicht aus Deutschland ist, gehört er also offenbar in die Kategorie "Vorbilder für Deutschland". Nach Auffassung dieses Vereins "Werkstatt Deutschland".

Kann man sich vorstellen, daß Richard Schröder einer derart abwegigen Entscheidung seine Zustimmung gegeben hat? Ich kann es mir nicht vorstellen. Aber wenn man von den Seiten des Vereins "Werkstatt Deutschland" auf die Seiten von "Die Quadriga" wechselt, dann hat man auch den Eindruck, in eine neue Welt einzutreten. Nicht nur graphisch ist das ungleich flotter gemacht; sondern es weht da auch ein anderer Geist.

Man stellt, wenn man sich ein wenig in diesem Internetauftritt bewegt, alsbald fest, daß "Quadriga" mehr ist als nur der Name, den der eingetragene Verein "Werkstatt Deutschland" seinem Preis gegeben hat. Es gibt vielmehr ein "Netzwerk Quadriga gGmbH"; auf der Startseite von Quadriga wird die oben schon erwähnte "Tafel der Demokratie" dargestellt sowie ein Hilfsprojekt namens "United we Care", das sich beispielsweise 2008 um die Förderung der Hotelfachschule Barão de Tefé in Brasilien kümmerte.

Das ist alles doch recht weit weg von dem, was den Gründern von "Werkstatt Deutschland" im Jahr 1993 vorschwebte. Gelegentliche Events statt regelmäßiger Symposien und Fachtagungen; karitative Bemühungen in Brasilien an der Stelle der Vernetzungshilfe für Ostdeutschland, die man damals geplant hatte.

Und auch personell tritt der Leser, der mit einem Klick von "Werkstatt Deutschland" zu "Quadriga" wechselt, in eine andere Welt ein. Verliehen wird die "Quadriga" von einem Kuratorium, das, sagen wir, sehr bunt zusammengesetzt ist. Soweit ich sehe, gibt es eine personelle Verbindung zum Verein "Werkstatt Deutschland" nur dadurch, daß Marie-Luise Weinberger, im Kuratorium unter "Koordination" und als "Sprecherin Netzwerk Quadriga gGmbH" genannt, zugleich geschäftsführende Vorsitzende des Vereins ist.

Ansonsten finde man in dem Kuratorium den Fotographen (so geschrieben) Peter Badge; es gibt zahlreiche Leute aus der Wirtschaft, ganz oben im Alphabet zum Beispiel Christian Angermayer, CEO Angermayer, Brumm & Lange Group. Es gibt allerlei Menschen aus dem Kulturleben; es gibt einen veritablen Staatspräsidenten (Boris Tadić, Serbien). Und es gibt drei Politiker: Philipp Mißfelder (MdB, CDU), Cem Özdemir (Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen) und Dr. Peter Ramsauer (Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, CSU). Weiterhin gehören alle "ehemaligen" (gemeint vermutlich: bisherigen) Preisträger dem Kuratorium als Ehrenmitglieder an.



Was mögen diese Leute sich dabei gedacht haben, ausgerechnet Wladimir Putin als ein Vorbild für Deutschland zu ehren, der sich gerade erst selbst zum Führer einer Organisation namens "Allrussische Volksfront" gemacht hat (siehe "Nach einem Jahrzehnt der Aggression konsolidiert sich Rußland jetzt unter einer Volksfront"; ZR vom 9. 7. 2011)?

Ist es Unwissenheit? Wollte sich diese gGmbH "Quadriga" damit in die Schlagzeilen bringen? Oder gab es vielleicht doch die Absicht, in Anbetracht der wahrscheinlichen Wahl Putins zum russischen Staatspräsidenten im März kommenden Jahres diesen freundlich gegenüber Deutschland zu stimmen?

Die drei Politiker in dem Kuratorium sollten das wissen. Dazu "Welt-Online" über den "Quadriga"-Sprecher Stephan Clausen:
Das Kuratorium der Quadriga habe sich die Entscheidung für Putin nicht leicht gemacht, versicherte Clausen. Über Putin sei so intensiv diskutiert worden wie über keinen Preisträger zuvor. Doch lediglich Grünen-Chef Cem Özdemir hatte ausdrücklich erklärt, dass er Putin als Preisträger ablehne.
Und Ramsauer? Und Mißfelder, immerhin außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag? "Welt-Online":
An der umstrittenen Entscheidung für Putin allerdings war er [Mißfelder; Zettel] nicht beteiligt, ebenso wie Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), der Mitglied des Kuratoriums ist, an der entscheidenden Sitzung aber nicht teilgenommen hatte.
Bleibt noch einer, das Kuratoriumsmitglied Wolf-Ruthart Born, Karrierediplomat und bis zu seiner kürzlichen Pensionierung Staatssekretär im Auswärtigen Amt. War auch er nicht anwesend, als der Preis an Putin vergeben wurde? Fand also diese politisch höchst brisante Entscheidung des Kuratoriums ohne die Mitwirkung sämtlicher in ihm vertretenen politischen Sachkenner statt?



Man könnte über die Posse hinweggehen. Eine ziemlich unbekannte gGmbH verleiht im Auftrag eines ziemlich unbekannten eingetragenen Vereins einen Preis. Sollen sie doch prämieren, wen sie denn für prämierenswert halten, kann man argumentieren.

Aber die Außenwahrnehmung ist nun einmal nicht so. Schon jetzt häufen sich die kritischen Stimmen, auch aus dem Ausland. Wenn Putin am 3. Oktober tatsächlich nach Berlin reisen sollte, um als Vorbild für Deutschland geehrt zu werden, wird das weltweit Schlagzeilen machen.

Und es wird als Indiz dafür gewertet werden, daß Deutschland sich nicht nur Rußland annähert, sondern daß es sich nachgerade dessen Führer Putin anbiedert. Deshalb ist die Sache eben doch keine Posse, sondern ein Skandal.

Zumindest sollten sich nach Özdemir auch Mißfelder, Ramsauer und vor allem der pensionierte Staatssekretär Born öffentlich von dieser Entscheidung distanzieren, damit klar ist, daß sie nicht doch mit dem heimlichen Einverständnis der deutschen Regierung erfolgte.
Zettel



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