9. Juni 2011

Zitat des Tages: "Gefahr durch Bio". German angst und die Mißachtung realer Risiken

Es ist makabere Ironie, dass ausgerechnet die böse Chemie in Form von Antibiotika und anderen Arzneimitteln und die Gentechnik in Gestalt biotechnisch hergestellter Medikamente nun die Menschen rettet, die möglicherweise "Bio" in Gefahr gebracht hat – falls sich die Indizien bestätigen.

Eigentlich beschäftigt sich die Öffentlichkeit eher mit den vermeintlichen Risiken der industriellen Landwirtschaft. Wie mit Pestizidrückständen, auch wenn diese so gering sind, dass keine Gefahr von ihnen ausgeht. Oder mit "Genmais", der harmlos ist, aber wie Sondermüll behandelt wird. Die "german angst" diktiert die Gesetze und verschließt vor realen Risiken die Augen. Die Ehec-Epidemie zeigt, dass es die Natur ist, von der die eigentliche Gefahr in der Nahrung ausgeht, allem Bio-Kult und Öko-Kitsch zum Trotz.


Hartmut Wewetzer, Chef des Ressorts Wissenschaft, im "Tagesspiegel" über die Ehec-Epidemie und die Indizien dafür, daß bei ihrem Ausbruch ein Bio-Betrieb in Niedersachsen eine Rolle spielte.


Kommentar: Stellen Sie sich einmal vor, nicht ein Bio-Betrieb stünde im Verdacht, Sprossen geliefert zu haben, auf denen sich Ehec-Erreger befanden, sondern es bestünde der Verdacht eines Zusammenhangs mit der Verwendung bestimmter Chemikalien. Die mediale Aufmerksamkeit würde dann mindestens ebenso dieser Herstellungsweise gelten wie den Opfern der Epidemie.

Bio aber genießt in diesem Deutschland unserer Tage sozusagen Artenschutz. Daß es sich um einen Bio-Betrieb handelt, wird kaum thematisiert, in vielen Meldungen und Berichten noch nicht einmal erwähnt. Es ist, als solle am guten Ruf von Bio nicht gekratzt werden.

Denn gut ist er, dieser Ruf; ausgezeichnet sogar. Zwar gibt es keine Belege dafür, daß Menschen dadurch gesünder sind oder länger leben, daß sie Bio-Produkte verzehren. Zwar liefern Blindtests wie beispielsweise derjenige der Wissenschaftssendung "Quarks & Co" aus dem Jahr 2007 keinen Hinweis darauf, daß Biokost besser schmeckt als andere Argrarprodukte; eher schneidet sie schlechter ab.

Aber was soll's - Bio ist nun einmal nach landläufiger Meinung gut, und alles, was als "künstlich" gilt, ist schlecht, weil eben nicht "natürlich". Freilich empfinden wir als "natürlich" in der Regel schlicht das, dessen Künstlichkeit uns nicht mehr bewußt ist, weil es die betreffenden Verfahren und Produkte schon lange gibt. Auch das Räuchern von Schwarzwälder Schinken und das Einlegen von Spreewälder Gurken sind chemische Bearbeitungsprozesse; nur haben sie schon unsere Altvorderen benutzt.

Dieses "Bio ist gut" ist eines der Meme, die sich in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bildeten, als aus den Trümmern der gescheiterten Studentenbewegung unter anderem die - wie man damals sagte - "Müslis" hervorgingen; seltsame Gestalten, die Körner aßen, den selbstgestrickten Pullover schätzten und wieder eine Landwirtschaft wollten, wie sie vor der industriellen Revolution üblich gewesen war (Zu dieser Epoche siehe Wir Achtundsechziger (4): Entmischung in den siebziger Jahren. Warum es "die Achtundsechziger" eigentlich nicht gibt; ZR vom 24. 4. 2008; zur Ausbreitung der Meme aus diesem Jahrzehnt siehe Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus. Günter Grass (1980) kommentiert Thilo Sarrazin (2010) (Teil 2); ZR vom 7. 6. 2011).

Aus den Sektierern sind, dank der Ausbreitung ihrer Meme, mittlerweile Trendsetter geworden. Die Bioprodukte werden nicht mehr nur im selbstverwalteten Biolädchen verkauft, sondern von den großen Handelsketten angeboten. Nicht mehr nur zottelbärtige Außenseiter sind ihre Konsumenten, sondern die Bio-Möhre und die Zwiebel aus ökologischem Landbau haben längst ihren Weg in bürgerliche Mägen gefunden. Damit breiten sich auch die Gefahren aus, die mit dieser Produktionsweise nun einmal einhergehen. Noch einmal Wewetzer:
Bio-Lebensmittel sind nicht nachweislich gesünder als herkömmlich erzeugte und manchmal sogar gefährlicher. Ein Grund ist der Verzicht auf Kunstdünger. Zur Düngung eingesetzte Gülle, Mist und Kompost können Krankheitserreger enthalten. Auch der Hang zu rohen, naturnahen und unbehandelten Lebensmitteln hat seine Tücken. Eine häufige Quelle von Ehec-Ausbrüchen ist nicht erhitzte Rohmilch. Und immer wieder fallen Bioprodukte durch Keimverunreinigungen auf, wie aus einer Auswertung der Stiftung Warentest aus dem Jahr 2007 hervorgeht.



Ich möchte keineswegs den Liebhabern der Bio-Kost ihre Nahrung vermiesen (wie das umgekehrt gern mit uns versucht wird, die wir industriell hergestellte Lebensmittel schätzen). Jeder mag in dieser freien Gesellschaft das essen, dem er zuneigt, aus welchen rationalen oder irrationalen Gründen auch immer. Nur rechtfertigt das keine Legendenbildung.

Wer Bio-Kost verzehrt, der lebt nicht gesünder als andere. Er gibt für seine Ernährung nur wahrscheinlich mehr Geld aus.
Zettel



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