12. September 2010

Zettels Meckerecke: Was Erika Steinbach in der "Welt am Sonntag" sagte. Und wie "Zeit-Online" darüber berichtet

In der "Welt am Sonntag" ist heute ein bemerkenswertes Interview mit Erika Steinbach zu lesen, in dem sie eindringlich schildert, wie es ihr als konservativer Politikerin in der CDU ergeht. Das hat Spekulationen über die Gründung einer "neuen konservativen Partei rechts neben der CDU" Auftrieb gegeben.

Diese Formulierung entnehme ich einem aus Agenturmeldungen zusammengefügten Artikel in "Zeit-Online". In ihm findet sich die folgende Passage:
Die CDU-Politikerin und Vertriebenen-Chefin Erika Steinbach hält die Gründung einer neuen konservativen Partei neben der Union für möglich. Jemand, der sich "mit etwas Charisma und Ausstrahlung auf den Weg begeben würde, eine neue, wirklich konservative Partei zu gründen", könne die Fünf-Prozent-Hürde "spielend überspringen", sagte Steinbach der Welt am Sonntag.
Das ist in diesem Artikel die vollständige Textpassage zu dieser Äußerung von Erika Steinbach. Sie scheint den Titel und Untertitel des Artikels zu bestätigen:
Steinbach hält Gründung einer neuen konservativen Partei für denkbar

Die Vertriebenen-Chefin räumt einer neuen konservativen Partei rechts neben der CDU gute Chancen ein. Der Union wirft sie einen falschen Umgang mit Thilo Sarrazin vor.
Und nun lesen Sie bitte, wie diese Textpassage in dem Interview vollständig lautet:
Wenn ich mich in Europa umschaue, muss ich feststellen, dass die Bürger in vielen Ländern dabei sind, sich Alternativen zu den christdemokratischen Volksparteien zu suchen. Dabei handelt es sich nicht um Rechtsextreme. Die Leute wollen weder die NPD noch die DVU. Ich glaube allerdings, dass jemand, der sich mit etwas Charisma und Ausstrahlung auf den Weg begeben würde, eine neue, wirklich konservative Partei zu gründen, die Fünfprozenthürde spielend überspringen könnte. Das fürchte ich, und davor möchte ich die CDU bislang jedenfalls noch bewahren.
"Das fürchte ich", sagt Steinbach. Davor möchte sie die CDU bewahren.

Diese entscheidende Aussage hat die Redaktion von "Zeit-Online" unterschlagen und erweckt dadurch den Eindruck, daß Frau Steinbach mit einer solchen Neugründung sympathisiere.

Schlamperei? Manipulation?

Jedenfalls lernt jeder Journalistik-Student im Grundstudium, daß man durch geeignete Kürzungen den Inhalt einer Nachricht verfälschen, wenn nicht gar in ihr Gegenteil verkehren kann.

Das klassische, immer wieder zitierte Beispiel ist die sogenannte "Emser Depesche", bei der Bismarck den Text eines Telegramms für die Pressemitteilung so redigierte, daß dieser von Frankreich als Affront wahrgenommen werden konnte.

Sie können sich hier die ursprüngliche und die von Bismarck redigierte Fassung im Vergleich ansehen.

Der Redakteur von "Zeit-Online", der für den Artikel zu Steinbachs Interview verantwortlich ist, sollte zur Strafe beide Texte fünfzigmal abschreiben müssen. Mit der Hand.



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