21. August 2010

Die Gefahr eines Kriegs im Nahen Osten wächst. 2011 wird das entscheidende Jahr werden

Im Augenblick kommen eher weniger besorgniserregende Meldungen aus dem Nahen Osten. Kein Zwischenfall à la Gaza-Flotte. Aus dem Irak ziehen, so heißt es, die letzten US-Kampftruppen ab. Vom Iran hört man auch wenig Neues, außer daß eine Frau gesteinigt werden soll. Aber das ist ja nichts Neues.

Und doch könnte sich etwas zusammenbrauen. Nicht für die unmittelbare Zukunft, aber für die kommenden Monate, spätestens für das nächste Jahr.

Zum einen hat das jetzige "Ende des Kampfauftrags" der US-Truppen im Irak dort eine verheerende psychologische Wirkung. Es wird als Zeichen dafür gesehen, daß die USA sich auf den vollständigen Rückzug vorbereiten. Das wird Einfluß auf das innenpolitische Kräfteverhältnis haben.

Das Tamtam um den jetzigen "Abzug der letzten Kampftuppen" ist freilich die übliche Obama'sche Schaumschlägerei; siehe Barack Obamas Mogelpackung; ZR vom 27. 2. 2009. In Wahrheit verbleibt mehr als ein Drittel der US-Truppen im Irak; mit 50.000 Mann noch immer mehr als in Afghanistan vor der letzten Truppenaufstockung.

Und natürlich kämpfen diese Truppen auch. Zu Ende gegangen ist lediglich der bisherige Kampfauftrag; er ist durch einen neuen ersetzt worden.

Aber Obama verbirgt das aus innenpolitischen Gründen; und er kann es gegenüber den Irakern nicht anders darstellen. Diese sehen jetzt den Anfang vom Ende des amerikanischen Engangements.

Das könnte sehr leicht bedeuten, daß alles das, was Präsident Bush erreicht hatte - die weitgehende Eindämmung der Gewalt, die Entstehung demokratischer Strukturen, eine zunehmend besser laufende Wirtschaft, ein im Großen und Ganzen friedlicher Umgang der Konfessionen miteinander - verspielt wird. (Wenn Sie noch einmal diesen Weg aus einer schwierigen Lage zu einem möglichen Sieg verfolgen wollen - hier finden Sie Links zu allen 34 Folgen der Serie "Ketzereien zum Irak" in ZR; vom Dezember 2006 bis zum März 2009).



Die Probleme im Irak hat am vergangenen Dienstag George Friedman in Stratfor in einer brillanten Analyse dargelegt:

Nach der Entmachtung Saddams sahen sich die Sunniten der Übermacht der Schiiten ausgeliefert. Sie versuchten sich zu wehren, indem sie sich mit der Kaida verbündeten. Die logische Konsequenz für General Petraeus war es, die Sunniten davon zu überzeugen, daß sie unter amerikanischem Schutz sicherer sein würden als im Bündnis mit der Kaida.

Das war der eigentliche Kern des Surge und führte zu einer weitgehenden Befriedung des Irak dadurch, daß die Sunniten der Kaida die Unterstützung entzogen.

Aber damit könnte es vorbei sein, sobald der amerikanische Schutz wegfällt. Militärisch ist das noch nicht der Fall, solange das amerikanische Kontingent immer noch mehr als ein Drittel seiner während des Surge erreichten maximalen Stärke hat. Aber psychologisch ist dieser Effekt schon da.

Und er wird auch militärisch da sein, wenn Präsident Obama, der ja so stolz darauf ist, jetzt sein Abzugsversprechen erfüllt zu haben, mit dem weiteren Versprechen Ernst macht, bis Ende 2011 auch die jetzt verbliebenen Truppen abzuziehen. Er wird das wohl tun, denn er will 2012 wiedergewählt werden.

Ein amerikanischer Abzug ist aber erst dann zu verantworten, wenn im Irak so stabile demokratische Strukturen entstanden sind, daß sich die Sunniten einigermaßen sicher fühlen können. Dazu muß nicht nur eine gewählte Regierung da sein, sondern diese muß ihren Willen auch durchsetzen können. Davon ist das Land noch weit entfernt. Friedman:
Iraq is not ready to deal with the enforcement of the will of the government because it has no government. Once it has a government, it will be a long time before its military and police forces will be able to enforce its will throughout the country.

Der Irak ist noch nicht so weit, daß man sich mit der Durchsetzung des Willens der Regierung befassen kann, weil das Land keine Regierung hat. Wenn es erst einmal eine Regierung hat, dann wird es noch lange dauern, bis Militär und Polizei in der Lage sein werden, deren Willen überall im Land durchzusetzen.
Mit dem Fortgang des amerikanischen Abzugs wird also eine Situation entstehen, die einerseits viele Sunniten dazu bringen könnte, ihr Heil wieder im Bündnis mit der Kaida zu suchen, und in die andererseits der Iran jederzeit auf der Grundlage seines Einflusses auf die irakische Schiiten hineinstoßen könnte. Schon jetzt ist - so Friedman - der Einfluß des Iran so groß, daß er seit Monaten die Bildung einer Regierung nach den Wahlen hintertreiben kann.

Der amerikanische Einfluß schwindet, der des Iran wächst. Kein Wunder. Obama hat klar zu verstehen gegeben, daß die USA den Irak aufgeben werden. Also orientiert dieser sich in Richtung Teheran; welche Wahl hat er?



Sollte der demokratische Irak am Ende scheitern, weil die USA das Land zu früh sich selbst überlassen haben, dann wäre das für sich genommen schlimm genug. Wirklich gefährlich aber könnte es durch die Wechselwirkung mit einer zweiten sich abzeichnenden Entwicklung werden.

In der New York Times erschien vorgestern ein Artikel von Mark Mazzetti und David E. Sanger mit einer Überschrift, die auf den ersten Blick beruhigend klingt: "U.S. assures Israel that Iran threat is not imminent" - die USA versichern Israel, daß keine unmittelbare Bedrohung durch den Iran besteht. Der Inhalt ist aber beunruhigend.

Es geht um einen Luftschlag Israels gegen die Atomrüstung des Iran. Die USA, so heißt es in dem Artikel, versuchen Israel davon zu überzeugen, daß das iranische Nuklearprogramm langsamer vorankommt als befürchtet. Warum will man Israel davon überzeugen? Um einen israelischen Luftschlag gegen den Iran vorerst zu verhindern. Die NYT:
Administration officials said they believe the assessment has dimmed the prospect that Israel would pre-emptively strike against the country’s nuclear facilities within the next year, as Israeli officials have suggested in thinly veiled threats.

Regierungsbeamte sagten, daß nach ihrer Auffassung diese Beurteilung die Aussicht verringert habe, daß Israel innerhalb des nächsten Jahres einen vorbeugenden Schlag gegen die Nuklearanlagen dieses Landes führen werde. Das nämlich hatten israelische Beamte in kaum verhüllten Drohungen angekündigt.
Die Israelis gingen - heißt es in dem Bericht - bisher davon aus, daß Teheran nur noch Monate brauche, um das vorhandene hochangereicherte Uran (es reicht im Augenblick für zwei Atombomben) in nukleare Sprengköpfe einzubauen und diese auf eine der Raketen zu setzen. über die es verfügt (sogenannter breakout point). Die US-Geheimdienste vermuten jetzt, daß es noch ein Jahr dauern könnte, weil in dem Programm Schwierigkeiten aufgetreten seien.

Nur - was wäre gewonnen, wenn das denn stimmte? Ja nur eine Verschiebung des israelischen Angriffs um ein paar Monate, allenfalls ein Jahr.

Sobald aber Israel losschlägt, wird der Iran Gegenmaßnahmen ergreifen. Wenn der Irak sich dann so destabilisiert hat, wie es aufgrund der Politik Obamas zu befürchten ist, dann ist eine offensichtliche Gegenmaßnahme, daß der Iran sich des Irak bemächtigt. Das wäre eine unmittelbare Bedrohung für Saudi-Arabien und für Syrien, die sich würden wehren müssen.

Es muß nicht so kommen, gewiß nicht, glücklicherweise. Aber die Politik von Präsident Obama hat eine Situation erzeugt, in der ein solches Szenario leider realistisch ist.



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