13. Juni 2010

Zettels Meckerecke: Die Vuvuzelas sind eine Zumutung. Was Sie (vielleicht) dagegen tun können. "Südafrikanische Kultur"? Ach was. Das Gegenteil

Daß mir das Ansehen von Fußballspielen einmal durch die Stadiongeräusche vermiest werden könnte, hätte ich bis vergangenen Freitag nicht gedacht. Denn das Mitgehen - auch und gerade das akustische Mitgehen - der Zuschauer im Stadion gehört zum Genuß eines Fußballspiels. Am besten natürlich, wenn man selbst im Stadion ist, aber wichtig doch auch am Bildschirm (siehe Warum ist Fußball eine so attraktive Sportart?; ZR vom 12. 6. 2010).

Was ich dann beim Eröffnungsspiel Südafrika-Mexiko Freitag Nachmittag erlebt habe, konnte ich zunächst gar nicht richtig einordnen. Ich habe erst kurz nach Spielbeginn eingeschaltet und dachte, zufällig hätte zeitgleich jemand in der Nachbarschaft eine Kettensäge oder etwas Ähnliches angeworfen. Aber das Geräusch war weg, als ich den Ton abstellte. Dann dachte ich an einen technischen Fehler, sei es an meinem Gerät oder irgendwo auf dem Übertragungsweg des Tonsignals.

Bis ich dann die Aufklärung bekam: Die Vuvuzelas sind das! Ja so, die Vuvuzelas.

Afrikanische Folklore, so wurde ich aufgeklärt. Die südafrikanischen Zuschauer genießen es, so erfuhr ich, ständig diesen Krach zu veranstalten, in dem die Spieler untereinander sich nicht mehr verständigen und wo der Trainer seinen Spielern nichts mehr Verstehbares zurufen kann; wo es keine vernehmbaren Jubelrufe, Schlachtgesänge oder dieses kollektive Stöhnen mehr gibt, wenn eine klare Torchance vergeben wurde.

Alles akustisch weg, alles eingerührt in diesen akustischen Brei eines monotonen Höllenlärms. Aber man kann nichts dagegen machen. "Beleidigt" wären sie, die Südafrikaner, habe ich irgendwo gelesen, wenn man ihnen diese Freude nehmen wollte, wenn man dieses nationale Recht auf die Vuvuzela auch nur in Frage stellen würde.



Gelesen habe ich später dann auch, daß es 120 Dezibel sein sollen, die da zusammenkommen, lauter als eine Kettensäge.

Was untertrieben ist, denn eine Kettensäge erzeugt in einem Meter Entfernung, wie man diesem Artikel entnehmen kann, einen Schalldruck von 105 Dezibel. Mit jeder Erhöhung des Schallpegels um drei Dezibel verdoppelt sich die Schallintensität. Der Krach der Vuvuzelas hat also, wenn die 120 Dezibel stimmen, ungefähr die 30fache Intensität des Krachs, den eine Kettensäge in einem Meter Entfernung erzeugt.

Das heißt nicht, daß man ihn als dreißigmal so laut wahrnimmt. Denn die subjektive Lautheit hängt ebenfalls ungefähr logarithmisch von der Schallintensität ab. Eine Differenz von 15 Dezibel bedeutet aber mehr als eine Verdopplung der wahrgenommenen Lautheit. Zwischen 115 und 120 Dezibel liegt übrigens die Schmerzschwelle; ab da ist der Krach nicht nur unerträglich, sondern tut auch in den Ohren weh.



Nun gut, das ist das Problem derer, die in die Stadien in Südafrika gehen. Die einheimischen Stadionbesucher ertragen das offenkundig. Die fremden Zuschauer und die Spieler samt Betreuern müssen es ertragen; was bleibt ihnen übrig. Notfalls stöpselt man sich die Ohren zu, wie einst Odysseus gegen den Gesang der Sirenen.

Aber müssen wir Zuschauer am TV-Gerät es ertragen? Gestern früh habe ich in Zettels kleinem Zimmer meinem Ärger über diese Zumutung Luft gemacht und gefragt, welche technischen Abhilfen es geben könnte. Denn daß man den Südafrikanern diese Freude nicht plötzlich nehmen kann, liegt auf der Hand. Das hätte man dann schon vor der Vergabe der WM aushandeln müssen.

Ich habe in diesem gestrigen Beitrag einige Möglichkeiten angedeutet - schalldichte Kabine, Mikrophon mit extremer Richtcharakteristik, Frequenzfilterung - und dann in der weiteren Diskussion darauf hingewiesen, daß man ja auch einfach die Außenmikrophone abschalten (d.h. das betreffende Signal aus der Übertragung herausnehmen) könnte.

Jetzt lese ich in "Spiegel-Online", daß das alles geprüft wird und teilweise schon umgesetzt wurde. Das Ergebnis war bei den Spielen, die ich gestern gesehen habe, alles andere als zufriedenstellend.



Also warum nicht die Radikallösung, den Reporter in eine schalldichte Kabine zu setzen? Dazu "Spiegel-Online" über den ZDF-Teamchef Dieter Gruschwitz:
Die Option, den Reporter in eine abgeschottete Kabine zu setzen und auf diesem Weg nur dessen Stimme zu übertragen, kommt nicht in Betracht. "Keine Atmosphäre zu transportieren, ist für uns keine Option", sagt Gruschwitz. "Außerdem sind die Vuvuzelas Teil der WM und der südafrikanischen Kultur, da kommen wir nicht drum herum."
Es ist füglich zu bezweifeln, daß die Vuvuzelas Teil der südafrikanischen Kultur sind. Sie werden laut Wikipedia überhaupt erst seit 2001 hergestellt; davor gab es in den neunziger Jahren metallene Exemplare, aber keine Massenware. Wenn das südafrikanische Kultur ist, dann ist MacDonald's uralte deutsche Kultur. Und wer das für südafrikanische Kultur hält, der hat von dieser offenbar eine geringe Meinung.

Wie es sich tatsächlich verhält, das hat Mondli Makhanya, der frühere Chefredakteur der südafrikanischen Sunday Times, am 30. März dieses Jahres dargelegt: Die Südafrikanische Tradition besteht in Gesängen der Zuschauer zu den Fußballspielen; manchmal eigens für bestimmte Ereignisse komponiert. Erst seit ungefähr 2005 verdrängte, wie Makhanya schreibt, die Vuvuzela diese Gesänge; ein Gerät, dessen Geräusch er mit dem Schreien einer Gans auf dem Weg zur Schlachtbank vergleicht.

So viel zur Vuvuzela als "Teil der südafrikanischen Kultur". Sie ist das Gegenteil: Ein Stück Zerstörung von musikalischer Kultur durch ein industriell in Massen hergestelles Folterinstrument für die Ohren; musikalisch auf dem Niveau der Tuten, die Dreijährige manchmal geschenkt bekommen.

Und wie ist es mit der von Gruschwitz angesprochenen "Atmosphäre", die zu "transportieren" er nicht aufgeben möchte? Es gibt sie doch dank den Vuvuzelas schlicht nicht. Atmosphäre besteht darin, daß sich das Spielgeschehen in den Reaktionen der Zuschauer spiegelt; nicht in einem Dauergedröhne, das alles umgibt und alles verschwinden läßt. Was es nicht gibt, das kann man auch nicht transportieren.

Mir scheint das einzig Vernünftige zu sein, die Geräusche aus dem Stadion nicht zu übertragen. Wie man das am besten macht - durch schalldichte Kabinen, durch Herausnehmen des Signals von den Außenmikrophonen, durch Frequenzfilterung oder wie auch immer -, das ist Sache der Techniker.



Ich war gestern schon nah an dem Entschluß, mir die Spiele grundsätzlich nur noch ohne Ton anzusehen. Zuvor habe ich aber noch ein kleines Experiment gemacht, das gar nicht so schlechte Resultate brachte: Ich habe ein wenig am Equalizer gespielt.

Der Schall einer Vuvuzela (es handelt sich ja nicht um einen reinen Sinuston, schon gar nicht, wenn er nach vielfacher Reflektion das Mikrophon erreicht) verteilt sich ziemlich gleichmäßig über das Frequenzspektrum von 250 bis 8000 Hz. Menschliche Sprache bleibt noch gut verständlich, wenn man die hohen Frequenzen wegfiltert. Also habe ich im Equalizer 1000 Hz auf maximal gestellt und alle höheren Frequenzen auf ein Minimum reduziert. (Frequenzen darunter bietet der Equalizer meines TV-Geräts nicht an, sonst hätte ich auch diese maximal angehoben).

Das Resutat war erfreulich: Ganz weg ist das Summgeräusch zwar noch nicht, aber stark gedämpft in Relation zur Stimme des Sprechers; auch hört man ein leises Rumpeln wie von einem vorbeifahrenden Zug (Trommeln?) im Hintergrund. Manchen mag auch das noch stören; für mich jedenfalls ist das Ansehen von WM-Fußball samt Ton danach wieder zum Vergnügen geworden.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Mit Dank an Lemmy Caution.