In dem Musikmagazin Rolling Stone erscheint in der Nummer 1008/1009, die erst am Freitag in den Handel kommt, die aber bereits jetzt im Internet zu lesen ist, eine längere Story des freien Journalisten Michael Hastings. Unter der Überschrift "The Runaway General" (frei übersetzt: Ein General außer Kontrolle) berichtet Hastings über Äußerungen des Oberkommandierenden in Afghanistan, Stanley A. McChrystal, und seiner Mitarbeiter über Präsident Obama, dessen Vizepräsidenten und dessen Stab.
Hastings, der laut New York Times offenbar freien Zugang zu McChrystals engstem Kreis hatte, notierte sich, was an Orten wie Bars und Restaurants so gesprochen wurde und hat es in seinem Artikel zitiert. McChrystal hat bisher kein Wort davon dementiert.
Da macht man sich über den Vizepräsidenten Joe Biden lustig. In einer Szene übt man, was McChrystal auf Fragen im Anschluß an einen Vortrag antworten solle. Beispielsweise, wenn nach Biden gefragt werde. "Joe Biden - wer ist das?" schlägt McChrystal selbst vor, und ein hoher Mitarbeiter setzt noch einen drauf: "Biden - haben Sie gesagt 'bite me'?" (zu deutsch: Leck mich).
So bekommen sie alle ihr Fett ab, die Leute um den Präsidenten Obama. Dessen Sicherheitsberater Jones sei "ein Clown", der "noch im Jahr 1985 lebt". Obamas Sonderbotschafter Holbrooke sei "wie ein verwundetes Tier", immer in Angst, von Obama gefeuert zu werden.
Und auch dieser selbst wird nicht geschont. Erst vier Monate nach seinem Amtsantritt hätte Obama mit McChrystal gesprochen. Laut einem Mitarbeiter von McChrystal dauerte das Gespräch nur zehn Minuten:
Gestern fand in Washington eine Kabinettssitzung statt, nach der Obama seinem Oberbefehlshaber in Afghanistan "poor judgment" bescheinigte, ein schlechtes Urteilsvermögen. McChrystal hat inzwischen ein Rücktrittsgesuch aufgesetzt. Obama will sich aber erst einmal am heutigen Mittwoch mit ihm treffen, bevor er eine Entscheidung trifft.
Was soll Obama tun, was kann er tun? Ein General, der solche Äußerungen über seinen Oberbefehlshaber und dessen Stab duldet und sie nicht einmal dementiert, wenn sie an die Öffentlichkeit gelangen, gehört gefeuert. Ein Präsident und Oberbefehlshaber, der einem solchen General sein Kommando läßt, verliert jede Autorität.
Einerseits. Andererseits: Hat Obama denn noch irgendwelche Autorität gegenüber seinen Militärs, sieht man von der formalen Befehlsgewalt ab? Die New York Times spricht von einer "current phase of poisoned relations between the White House and the military", einer gegenwärtigen Phase vergifteter Beziehungen zwischen dem Weißen Haus und dem Militär.
Es mag dafür viele Ursachen geben, aber ein Grund liegt auf der Hand: Während seiner gesamten bisherigen Amtszeit hat Präsident Obama es nicht fertiggebracht, dem Militär zu sagen, was er eigentlich in Afghanistan will.
Es begann im März 2009, als er in einer seiner ständigen Großen Reden eine "umfassende Strategie" (comprehensive strategy) für Afghanistan ankündigte; eine Strategie, die so umfassend war, daß niemand wußte, wofür sich Obama nun eigentlich entschieden hatte - für Counterterrorism oder für Counterinsurgency; siehe Präsident Obamas verwirrende Strategie für Afghanistan; ZR vom 31. 3. 2009.
Die "umfassende Strategie" war bereits im Dezember 2009 wieder Makulatur. Natürlich tat es Obama nicht unter einer erneuten Großen Rede; siehe Obama zu Afghanistan; ZR. vom 2. 12. 2010. Jetzt sollte es doch Counterinsurgency sein (COIN), also nicht nur, wie bei Counterterrorism, das militärische Niederhalten des Gegners, sondern eine Transformation des ganzen Landes, die den Terroristen die Operationsbasis nehmen soll. So, wie das Präsiden Bush und General Petraeus im Irak gelungen war.
Aber man glaubt es nicht - zugleich mit der Entscheidung über eine massive Aufstockung der Truppen mit dem Ziel eines Surge auch in Afghanistan gab der Präsident auch schon öffentlich bekannt, daß die US-Truppen ab Juli 2011 mit dem Abzug aus Afghanistan beginnen werden.
Er machte damit den Erfolg der Operation zunichte, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Ich habe damals geschrieben:
Präsident Obama müßte den General McChrystal eigentlich feuern. Aber was wäre damit gewonnen? Wenn er einen kompetenten Nachfolger ernennt - es ist laut New York Times sogar die Rede davon, daß General Petraeus zusätzlich zu seinem Oberbefehl über das USCENTCOM auch noch das Kommando in Afghanistan übertragen bekommen könnte -, dann wird dieser dieselbe Kritik äußern wie McChrystal.
Obamas Dilemma ist es ja nicht, daß er in Afganistan den falschen Kommandeur hat, sondern daß er selbst bisher nicht in der Lage war, eine kohärente Afghanistan-Politik zu formulieren.
Nachtrag um 20.15 Uhr: Um 18.12 Uhr meldete CNN, daß Präsident Obama General McChrystal durch General Petraeus als Oberkommandierenden in Afghanistan ersetzt hat.
Hastings, der laut New York Times offenbar freien Zugang zu McChrystals engstem Kreis hatte, notierte sich, was an Orten wie Bars und Restaurants so gesprochen wurde und hat es in seinem Artikel zitiert. McChrystal hat bisher kein Wort davon dementiert.
Da macht man sich über den Vizepräsidenten Joe Biden lustig. In einer Szene übt man, was McChrystal auf Fragen im Anschluß an einen Vortrag antworten solle. Beispielsweise, wenn nach Biden gefragt werde. "Joe Biden - wer ist das?" schlägt McChrystal selbst vor, und ein hoher Mitarbeiter setzt noch einen drauf: "Biden - haben Sie gesagt 'bite me'?" (zu deutsch: Leck mich).
So bekommen sie alle ihr Fett ab, die Leute um den Präsidenten Obama. Dessen Sicherheitsberater Jones sei "ein Clown", der "noch im Jahr 1985 lebt". Obamas Sonderbotschafter Holbrooke sei "wie ein verwundetes Tier", immer in Angst, von Obama gefeuert zu werden.
Und auch dieser selbst wird nicht geschont. Erst vier Monate nach seinem Amtsantritt hätte Obama mit McChrystal gesprochen. Laut einem Mitarbeiter von McChrystal dauerte das Gespräch nur zehn Minuten:
Obama clearly didn't know anything about him, who he was. Here's the guy who's going to run his fucking war, but he didn't seem very engaged. The Boss was pretty disappointed.Der Artikel von Hastings befaßt sich nicht hauptsächlich mit solchen Äußerungen, sondern er porträtiert McChrystal, seine Karriere, sein Konzept für den Krieg in Afghanistan, seinen Umgang mit Untergebenen und Diplomaten. Aber das alles hat wenig Furore gemacht im Vergleich zu dem, was laut Hastings McChrystal und seine Leute über Obama und seine Umgebung gesagt haben.
Obama wußte mit Sicherheit überhaupt nichts über ihn, wer er ist. Da ist der Mann, der diesen verdammten Krieg führen soll, aber er [Obama] schien sich nicht sehr zu kümmern. Der Chef [McChrystal] war ganz schön enttäuscht.
Gestern fand in Washington eine Kabinettssitzung statt, nach der Obama seinem Oberbefehlshaber in Afghanistan "poor judgment" bescheinigte, ein schlechtes Urteilsvermögen. McChrystal hat inzwischen ein Rücktrittsgesuch aufgesetzt. Obama will sich aber erst einmal am heutigen Mittwoch mit ihm treffen, bevor er eine Entscheidung trifft.
Was soll Obama tun, was kann er tun? Ein General, der solche Äußerungen über seinen Oberbefehlshaber und dessen Stab duldet und sie nicht einmal dementiert, wenn sie an die Öffentlichkeit gelangen, gehört gefeuert. Ein Präsident und Oberbefehlshaber, der einem solchen General sein Kommando läßt, verliert jede Autorität.
Einerseits. Andererseits: Hat Obama denn noch irgendwelche Autorität gegenüber seinen Militärs, sieht man von der formalen Befehlsgewalt ab? Die New York Times spricht von einer "current phase of poisoned relations between the White House and the military", einer gegenwärtigen Phase vergifteter Beziehungen zwischen dem Weißen Haus und dem Militär.
Es mag dafür viele Ursachen geben, aber ein Grund liegt auf der Hand: Während seiner gesamten bisherigen Amtszeit hat Präsident Obama es nicht fertiggebracht, dem Militär zu sagen, was er eigentlich in Afghanistan will.
Es begann im März 2009, als er in einer seiner ständigen Großen Reden eine "umfassende Strategie" (comprehensive strategy) für Afghanistan ankündigte; eine Strategie, die so umfassend war, daß niemand wußte, wofür sich Obama nun eigentlich entschieden hatte - für Counterterrorism oder für Counterinsurgency; siehe Präsident Obamas verwirrende Strategie für Afghanistan; ZR vom 31. 3. 2009.
Die "umfassende Strategie" war bereits im Dezember 2009 wieder Makulatur. Natürlich tat es Obama nicht unter einer erneuten Großen Rede; siehe Obama zu Afghanistan; ZR. vom 2. 12. 2010. Jetzt sollte es doch Counterinsurgency sein (COIN), also nicht nur, wie bei Counterterrorism, das militärische Niederhalten des Gegners, sondern eine Transformation des ganzen Landes, die den Terroristen die Operationsbasis nehmen soll. So, wie das Präsiden Bush und General Petraeus im Irak gelungen war.
Aber man glaubt es nicht - zugleich mit der Entscheidung über eine massive Aufstockung der Truppen mit dem Ziel eines Surge auch in Afghanistan gab der Präsident auch schon öffentlich bekannt, daß die US-Truppen ab Juli 2011 mit dem Abzug aus Afghanistan beginnen werden.
Er machte damit den Erfolg der Operation zunichte, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Ich habe damals geschrieben:
Ein Surge kann dann und nur dann funktionieren, wenn er eine psychologische Wirkung hat (siehe John McCain zu Afghanistan; ZR vom 23. 11. 2009). Der Feind und vor allem die Bevölkerung müssen durch ihn überzeugt werden, daß man zum Sieg entschlossen ist.Das ist der Kern der Frustration, die sich im US-Militär breitmacht und die sich im Zynismus von McChrystals Mitarbeitern Bahn bricht: Man macht militärisch alle Anstrengungen und weiß doch, daß man nicht gewinnen kann, weil der Präsident ab Juli 2011 wieder abziehen will, wie auch immer dann die militärische Lage ist.
Einen Surge zu verkünden und zugleich mitzuteilen, daß man 2011 abziehen wird, ist unverantwortlich. Die Taliban, die Kaida wissen damit, daß sie nur bis 2011 durchhalten müssen, um der Sieger zu sein. Die Bevölkerung weiß das auch und wird sich auf ihre Seite stellen; was bleibt ihr übrig.
Präsident Obama müßte den General McChrystal eigentlich feuern. Aber was wäre damit gewonnen? Wenn er einen kompetenten Nachfolger ernennt - es ist laut New York Times sogar die Rede davon, daß General Petraeus zusätzlich zu seinem Oberbefehl über das USCENTCOM auch noch das Kommando in Afghanistan übertragen bekommen könnte -, dann wird dieser dieselbe Kritik äußern wie McChrystal.
Obamas Dilemma ist es ja nicht, daß er in Afganistan den falschen Kommandeur hat, sondern daß er selbst bisher nicht in der Lage war, eine kohärente Afghanistan-Politik zu formulieren.
Nachtrag um 20.15 Uhr: Um 18.12 Uhr meldete CNN, daß Präsident Obama General McChrystal durch General Petraeus als Oberkommandierenden in Afghanistan ersetzt hat.
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