Der Krieg der Dschihadisten besteht aus einem sichtbaren und einem weitgehend unsichtbaren Teil. Sichtbar sind auf der Seite der Dschihadisten die Anschläge, die sie verüben; teils gegen Zivilisten, teils auch gegen Soldaten und militärische oder diplomatische Einrichtungen der USA oder ihrer Alliierten. Sichtbar sind auf der Seite des Kampfs gegen den Terrorismus Militäraktionen gegen Dschihadisten und ihre Verbündeten, beispielsweise die im Augenblick laufende Offensive "Muschtarak" in Afghanistan.
Weitgehend unsichtbar ist der Kleinkrieg, der sich parallel dazu abspielt: Die Aktionen der Dschihadisten, die rechtzeitig aufgedeckt und vereitelt werden können; auf der Seite der USA das militärische Vorgehen gegen die Führungsebene der Terroristen.
Seit der Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 messen die USA dieser verdeckten Seite des Kampfs besondere Bedeutung zu. Anführer des Dschihad - der eigentlichen Kaida, aber auch ihres terroristischen Umfelds (siehe Die Kaida und ihr Umfeld im Jahr 2010; ZR vom 9. 1. 2010) - werden systematisch aufgespürt und entweder getötet oder gefangen genommen.
Heute berichten in der Washington Post Karen DeYoung und Joby Warrick über diese Seite des Kriegs gegen den Terror; vor allem darüber, wie er sich unter Präsident Obama verändert hat.
Die Überschrift des Artikels wird Sie wahrscheinlich erstaunen: "Under Obama, more targeted killings than captures in counterterrorism efforts" - unter Obama gibt im Kampf gegen den Terrorismus mehr gezielte Tötungen als Gefangennahmen.
Ausgerechnet unter dem Träger des Friedensnobelpreises werden so gut wie keine Gefangenen mehr gemacht, sondern es wird fast nur noch getötet. Illustrativ ist ein kürzlicher Fall, den DeYoung und Warrick ausführlich recherchiert haben. Es geht um den Tod von Saleh Ali Nabhan am 14. September 2009.
Nabhan, ein dreißigjähriger Kenyaner, war der Führer der Kaida in Ostafrika. Er hatte eine lange Geschichte als Terrorist - Beteiligung an Anschlägen gegen die US-Botschaften in Kenya und Tansania, Beteiligung am Anschlag gegen ein von Israelis betriebenes Hotel in Kenya, versuchter Anschlag auf ein isrealisches Flugzeug. Als er starb, galt er als derjenige, der gegenüber der Führung der Kaida Ostafrika repräsentiert.
Amerikanische Spezialkräfte waren ihm seit längerer Zeit auf der Spur gewesen. Im Spätsommer 2009 hatte man genug Informationen, um Zeit und Ort einer Aktion gegen ihn planen zu können. Das sollte geschehen, während er im Auto in Südsomalien unterwegs war. Alternative Vorgehensweisen wurden entwickelt und Präsident Obama zur Entscheidung vorgelegt. Es waren
Präsident Obama entschied sich für die zweite Alternative. Am Morgen des 14. September stiegen Hubschrauber von einem Schiff auf, das vor der somalischen Küste kreuzte. Nabhan wurde getötet und seine Identität bestätigt.der Beschuß seines Fahrzeugs aus einem Flugzeug heraus ein Angriff auf das Fahrzeug durch Hubschrauber, von denen einer anschließend landen und man Teile der Leiche sicherstellen sollte, um die Identität zu verifizieren Gefangennahme von Nabhan
Dies und alle weiteren Informationen in dem Artikel haben die Autoren durch Interviews mit Militärs erfahren, die nur unter Zusicherung ihrer Anonymität Auskunft gaben. Danach betrachete man im Militär die Aktion einerseits als einen Erfolg. Andererseits hatte man sich mit Obamas Entscheidung gegen eine Gefangennahme selbst der Möglichkeit beraubt, von Nabhan Auskünfte über Strukturen und Pläne der Kaida zu erhalten. "Wir wollten ihn gefangennehmen", sagt laut Washington Post ein hoher Militär, "es war nicht unsere Entscheidung".
Dies war keine Einzelentscheidung von Präsident Obama. Daß in der Regel getötet und nicht mehr, wie unter Präsident Bush, gefangen genommen wird, scheint seine Politik zu sein; auch wenn sie bisher nicht offiziell formuliert wurde.
Warum? Zum einen sind die Mittel zu gezielten Tötungen technisch verbessert worden. Zweitens, schreibt die Washington Post, "options for where to keep U.S. captives have dwindled" - die Optionen, wo man die Gefangenen unterbringt, seien dahingeschwunden. Zu deutsch: Man weiß nicht, was man mit eventuellen Gefangenen machen soll.
Die Regierung hat sich dazu verpflichtet, das Gefängnis in Guantánamo zu schließen. Aus dem Kongreß gibt es massiven Widerstand dagegen, die dort noch einsitzenden 190 Gefangenen in die USA zu verbringen; geschweige denn etwaige neue Gefangene in die USA aufzunehmen. Alle früheren Geheimgefängnisse der CIA sind inzwischen geschlossen. Die CIA hat keine Terrorverdächtigen mehr in ihrem Verwantwortungsbereich. Sie darf zwar weiterhin Verdächtige festnehmen, muß die Gefangenen aber in ein Militärgefängnis oder an eine verbündete Regierung überstellen.
Im Irak werden inzwischen alle Gefangenen an die dortige Regierung übergeben. In Afghanistan existiert gegenwärtig noch das Gefängnis auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram. Es soll bis zum Ende des Jahres geschlossen werden. Die Insassen werden dann größenteils an die afghanische Regierung überstellt.
Soweit die Washington Post. Aus meiner Sicht ist die geschilderte Entwicklung ein Lehrstück dafür, wie man das Schlechte schafft, indem man das Gute will.
Präsident Obama hat versprochen, Guantánamo zu schließen. Er wollte damit - vielleicht - das Gute. Erreicht hat er, daß den Führern der Dschihadisten damit ein schlimmeres Schicksal droht, als in Guantánamo einzusitzen. Sie werden entweder gezielt getötet oder an Regierungen überstellt, deren Gefängnisse, zurückhaltend formuliert, für die Insassen wohl nicht angenehmer sein dürften als Guantánamo.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: NSF. Als Werk der US-Regierung in der Public Domain.