Erinnern Sie sich bitte einen Augenblick an Ihre Schulzeit: Bei welchen Lehrern benahmen sich die Schüler schlecht, waren aggressiv, attackierten andere Schüler, vielleicht gar den Lehrer?
Natürlich bei schwachen Lehrern. Bei denjenigen, die sich scheuten - die vor allem, als sie neu in die Klasse kamen, verabsäumt hatten -, sich Autorität zu verschaffen. Lehrer überwiegend, die zu den Schülern freundlich und nett waren, die sie fördern und die ihnen helfen wollten.
Die bekamen es ab. Nicht aber die fiesen Lehrer, die Autorität hatten. Erst recht nicht die strengen, die zugleich einen guten Unterricht machten.
Jugendliche - viele Jugendliche jedenfalls - mögen die Randale. Nicht immer, vielleicht nicht heftig. Aber gemeinsam Krawall zu machen, seine Stärke zu demonstrieren, Regeln zu ignorieren, es der Autorität zu zeigen - das ist nun einmal ein Bedürfnis; ein vermutlich evolutionär sehr altes Bedürfnis von Heranwachsenden, die um ihren Platz in der Hierarchie kämpfen wollen.
Meist gelingt es den Autoritäten, das im Zaum zu halten, es vielleicht sogar in positive Bahnen zu lenken; es zu sportlichem Verhalten werden zu lassen, beispielswiese.
Mitunter mißlingt es. Dann gibt es Horden von Hooligans, von Autonomen, von Neonazis, von Antifas, von "protestierenden Studenten". Manchmal wird eine ganze Epoche von derartigen Leuten geprägt, wie die Jahre am Ende der Sechziger, als diese Aggressivität, diese Respektlosigkeit von Jugendlichen zu einer weltweiten Bewegung wurde. Ich habe sie erlebt und in einer Serie in diesem Blog zu rekonstruieren versucht.
Fehlten es diesen Studenten in Berlin und Paris, diesen pöbelnden und prügelnden "Roten Garden" in Peking damals an einer "Perspektive"? Litten sie unter Arbeitslosigkeit oder drohte ihnen diese?
Keine Spur. Ganz im Gegenteil. Sie waren die erste Generation seit Jahrzehnten, die in Frieden und wachsendem Wohlstand aufgewachsen war. Wer damals studierte, dem war , wenn er seinen Abschluß schaffte, eine gut bezahlte Position so gut wie sicher. Den Protestierenden ging es so gut wie kaum einer Generation zuvor.
Ihr Aufstand resultierte nicht daraus, daß sie zu leiden hatten, sondern daß sie in ihrem Leben ungleich weniger zu leiden gehabt hatten als die Generationen ihrer Eltern und Großeltern. Mit deren strenger, aus der Härte ihres Lebens entstandenen Moral konnten sie nichts mehr anfangen. Sie wollten Spaß; sie wollten "alles, und zwar sofort", wie ein Parole des Mai '68 in Paris lautete.
Und zum Spaß gehörte es, über die Stränge zu schlagen, die Autoritäten herauszufordern. Steine zu werfen, sich mit der Polizei zu prügeln. Zoff haben ist geil.
Manche heutige Hooligans sind regelrecht süchtig nach dieser Art von Erleben und kommen ohne die wöchentliche Schlacht mit anderen Hooligans so wenig aus wie der Junkie ohne seinen Schuß. Auch damals, zwischen 1967 und 1969, herrschte an vielen Unis ein Klima ständigen High- Seins. Meist ganz ohne Drogen; das Adrenalin kam aus der ständigen Aufgeregtheit, der Spannung, den "Kämpfen" (die sich freilich meist darin erschöpften, Professoren und Andersdenkende niederzuschreien).
Und jetzt in Griechenland? Die Leitmedien bieten uns fast unisono dieselbe Erklärung für die Straßenschlachten an, die Jugendliche seit einer Woche veranstalten: Das Klischee, das jedem einfällt, der null Ahnung von der tatsächlichen Lage hat. Wie es der "Stern" im Vorspann zu einem Artikel von Niels Kruse formulierte:
Hinzu kommen politische Auseinandersetzungen in Griechenland. Es hat dieselben Probleme wie das restliche Europa; größtenteils heftiger, weil die Produktivität geringer und die Anspruchshaltung der Bevölkerung in Relation dazu höher ist. Wegen der von der Regierung geplanten Rentenreform, wegen ihrer Ansicht nach zu geringen Löhnen hatten Gewerkschaften für den vorgestrigen Mittwoch einen Generalstreik geplant; schon lange vor dem Tod des Jugendlichen, der die Krawalle auslöste.
Kein "Aufstand der Jugend" also. Schon gar nicht hat Griechenland eine schlechte Regierung. Es hat im Gegenteil eine Regierung, die noch immer mit dem zu kämpfen hat, was vorausgehende sozialistische Pasok- Regierungen den Griechen eingebrockt haben.
Darüber kann man Informatives in der heutigen FAZ lesen. Im Interview mit Michael Martens beschreibt dort der Athener Soziologe Michael Kelpanides, Professor an der Aristoteles- Universität, die Lage in seinem Land.
In der Tat, sagt Kelpanides in diesem sehr lesenswerten Interview, sieht es an den griechischen Universitäten schlecht aus. Aber das ist nicht Schuld der jetzigen konservativen Regierung, sondern wesentlich das Ergebnis einer "Reform", die von der linken Pasok 1982 durchgesetzt wurde. Kelpanides:
Mißstände gibt es also in Griechenland. Aber sie haben wenig, vermutlich gar nichts mit den jetzigen Krawallen zu tun. Kelpanides:
Nein, keine Generation begehrt in Griechenland auf. So wenig, wie die Rostocker Krawalle anläßlich des G-8-Gipfels in Heiligendamm eine Aktion "der deutschen Jugend" waren. So wenig, wie in Frankreich die Brandstiftungen und Plünderungen durch kriminelle Banden das Werk "der Jugend der Vorstädte" gewesen sind.
Natürlich bei schwachen Lehrern. Bei denjenigen, die sich scheuten - die vor allem, als sie neu in die Klasse kamen, verabsäumt hatten -, sich Autorität zu verschaffen. Lehrer überwiegend, die zu den Schülern freundlich und nett waren, die sie fördern und die ihnen helfen wollten.
Die bekamen es ab. Nicht aber die fiesen Lehrer, die Autorität hatten. Erst recht nicht die strengen, die zugleich einen guten Unterricht machten.
Jugendliche - viele Jugendliche jedenfalls - mögen die Randale. Nicht immer, vielleicht nicht heftig. Aber gemeinsam Krawall zu machen, seine Stärke zu demonstrieren, Regeln zu ignorieren, es der Autorität zu zeigen - das ist nun einmal ein Bedürfnis; ein vermutlich evolutionär sehr altes Bedürfnis von Heranwachsenden, die um ihren Platz in der Hierarchie kämpfen wollen.
Meist gelingt es den Autoritäten, das im Zaum zu halten, es vielleicht sogar in positive Bahnen zu lenken; es zu sportlichem Verhalten werden zu lassen, beispielswiese.
Mitunter mißlingt es. Dann gibt es Horden von Hooligans, von Autonomen, von Neonazis, von Antifas, von "protestierenden Studenten". Manchmal wird eine ganze Epoche von derartigen Leuten geprägt, wie die Jahre am Ende der Sechziger, als diese Aggressivität, diese Respektlosigkeit von Jugendlichen zu einer weltweiten Bewegung wurde. Ich habe sie erlebt und in einer Serie in diesem Blog zu rekonstruieren versucht.
Fehlten es diesen Studenten in Berlin und Paris, diesen pöbelnden und prügelnden "Roten Garden" in Peking damals an einer "Perspektive"? Litten sie unter Arbeitslosigkeit oder drohte ihnen diese?
Keine Spur. Ganz im Gegenteil. Sie waren die erste Generation seit Jahrzehnten, die in Frieden und wachsendem Wohlstand aufgewachsen war. Wer damals studierte, dem war , wenn er seinen Abschluß schaffte, eine gut bezahlte Position so gut wie sicher. Den Protestierenden ging es so gut wie kaum einer Generation zuvor.
Ihr Aufstand resultierte nicht daraus, daß sie zu leiden hatten, sondern daß sie in ihrem Leben ungleich weniger zu leiden gehabt hatten als die Generationen ihrer Eltern und Großeltern. Mit deren strenger, aus der Härte ihres Lebens entstandenen Moral konnten sie nichts mehr anfangen. Sie wollten Spaß; sie wollten "alles, und zwar sofort", wie ein Parole des Mai '68 in Paris lautete.
Und zum Spaß gehörte es, über die Stränge zu schlagen, die Autoritäten herauszufordern. Steine zu werfen, sich mit der Polizei zu prügeln. Zoff haben ist geil.
Manche heutige Hooligans sind regelrecht süchtig nach dieser Art von Erleben und kommen ohne die wöchentliche Schlacht mit anderen Hooligans so wenig aus wie der Junkie ohne seinen Schuß. Auch damals, zwischen 1967 und 1969, herrschte an vielen Unis ein Klima ständigen High- Seins. Meist ganz ohne Drogen; das Adrenalin kam aus der ständigen Aufgeregtheit, der Spannung, den "Kämpfen" (die sich freilich meist darin erschöpften, Professoren und Andersdenkende niederzuschreien).
Und jetzt in Griechenland? Die Leitmedien bieten uns fast unisono dieselbe Erklärung für die Straßenschlachten an, die Jugendliche seit einer Woche veranstalten: Das Klischee, das jedem einfällt, der null Ahnung von der tatsächlichen Lage hat. Wie es der "Stern" im Vorspann zu einem Artikel von Niels Kruse formulierte:
In dem Land ist eine ganze Generation zutiefst enttäuscht, ausgegrenzt, perspektivlos. Auf den Straßen Athens entlädt sich nun ihre Wut.Im Artikel selbst erfährt man dann freilich wenig über Ausgrenzung und Enttäuschung, aber viel von den Personen, die Randale machen:
Exarchia im Zentrum Athens ... ist eine Nummer härter als Berlin- Kreuzberg oder Malasana in Madrid: Schon seit vielen Jahren gilt das Quartier als "verbotene Stadt" für die Polizei. (...)Das ist ein Milieu, das nur auf einen Anlaß für Randale wartet. Der unglückliche Tod eines Jugendlichen - offenbar traf ihn ein Querschläger; daß ein Polizist ihn absichtlich erschossen hat, ist durch nichts belegt - war ein willkommener Anlaß dazu. Der schwache Staat lädt zum Krawallmachen ein; so, wie der schwache Lehrer die Schüler dazu einlädt, ihn zu quälen.
Mitten in der griechischen Hauptstadt regieren die Autonomen. Aber auch Drogenbanden. Es ist eine Art Deal, den die Polizei mit den Gruppen geschlossen hat: "Wir lassen Euch hier in Ruhe, dafür lasst ihr den Rest der Stadt in Ruhe", sagt ein Bereitschaftspolizist.
Hinzu kommen politische Auseinandersetzungen in Griechenland. Es hat dieselben Probleme wie das restliche Europa; größtenteils heftiger, weil die Produktivität geringer und die Anspruchshaltung der Bevölkerung in Relation dazu höher ist. Wegen der von der Regierung geplanten Rentenreform, wegen ihrer Ansicht nach zu geringen Löhnen hatten Gewerkschaften für den vorgestrigen Mittwoch einen Generalstreik geplant; schon lange vor dem Tod des Jugendlichen, der die Krawalle auslöste.
Kein "Aufstand der Jugend" also. Schon gar nicht hat Griechenland eine schlechte Regierung. Es hat im Gegenteil eine Regierung, die noch immer mit dem zu kämpfen hat, was vorausgehende sozialistische Pasok- Regierungen den Griechen eingebrockt haben.
Darüber kann man Informatives in der heutigen FAZ lesen. Im Interview mit Michael Martens beschreibt dort der Athener Soziologe Michael Kelpanides, Professor an der Aristoteles- Universität, die Lage in seinem Land.
In der Tat, sagt Kelpanides in diesem sehr lesenswerten Interview, sieht es an den griechischen Universitäten schlecht aus. Aber das ist nicht Schuld der jetzigen konservativen Regierung, sondern wesentlich das Ergebnis einer "Reform", die von der linken Pasok 1982 durchgesetzt wurde. Kelpanides:
Das Gesetz von 1982 hat die Lehrstühle abgeschafft und Fachbereichsorganisation eingeführt. Es hat die Habilitation abgeschafft und faktisch die Berufung zu einer fast beamtenrechtlichen Beförderung degradiert. Es entstand ein System, dass die Konkurrenz praktisch ausschaltete. (...)Nicht besser steht es aus der Sicht von Kelpanides bei den Schulen, wo der Unterricht so schlecht sei, daß die meisten Schüler nachmittags Nachhilfe bekommen. Von Lehrern, die dadurch ein zweites Gehalt haben.
Die Jüngeren, die nun ohne externe Konkurrenz mit der etablierten Automatik der Beamtenbeförderung mit praktischer Gewissheit die nächsten Stufen hinaufsteigen werden, wollen natürlich nichts von der Änderung und dem Verlust ihrer Privilegien hören. (...) Ich halte diese Abschaffung der Konkurrenz an den Hochschulen für eine gravierende Entwicklung, die sich langfristig verheerend auf die Qualität der griechischen Hochschulen auswirken wird.
Mißstände gibt es also in Griechenland. Aber sie haben wenig, vermutlich gar nichts mit den jetzigen Krawallen zu tun. Kelpanides:
An den Aktionen, den Plünderungen, den Raubüberfällen und der sinnlosen Zerstörung wird evident, dass es sich um dumpfe, unartikulierte Gewalt einer unpolitischen Masse handelt, die von wenigen linksradikalen Sympathisanten der Terroristenorganisation "17. November" angeführt wird. (...) Insgesamt handelt es sich aber um eine kleine Minderheit.Solche lautstarken, gewalttätigen Minderheiten bringen es oft fertig, sich als Sachwalter einer Mehrheit darzustellen. Vor allem im Ausland wird das gern so gesehen. "Vor allem Schüler und Studenten gehen auf die Straße. Die wenigsten gehören zur radikalen, autonomen Szene. Eine ganze Generation begehrt auf", behauptete zum Beispiel heute die "Deutsche Welle".
Nein, keine Generation begehrt in Griechenland auf. So wenig, wie die Rostocker Krawalle anläßlich des G-8-Gipfels in Heiligendamm eine Aktion "der deutschen Jugend" waren. So wenig, wie in Frankreich die Brandstiftungen und Plünderungen durch kriminelle Banden das Werk "der Jugend der Vorstädte" gewesen sind.
Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Foto des Eingangs zur Akropolis, vom Urheber MM für die Public Domain freigegeben.