3. Juni 2008

Schwans Plan

Auf den ersten Blick erscheint es ungeschickt; nachgerade unfaßbar ungeschickt für eine Politologin, die sich, seit sie 1971 über Leszek Kolakowski promovierte, immer wieder mit dem Marxismus beschäftigt hat: Da will Gesine Schwan mit den Stimmen der Kommunisten, auf die sie dringend angewiesen sein wird, Bundespräsidentin werden - und, kaum zur Kandidatin gekürt, wütet sie verbal gegen diese Partei, wie es Günther Beckstein nicht besser könnte.

Einen "Demagogen" nennt sie im Gespräch mit "Spiegel"- Chefredakteur Mascolo und dem stellvertretenden Chef von dessen Hauptstadtbüro, Markus Feldenkirchen, den Großen Vorsitzenden Lafontaine (Seite 40 - 43 des aktuellen gedruckten "Spiegel" 23/2008). "Völlig unzureichend" sei die Programmatik dieser Partei, "diffus antikapitalistisch" oder "eine Art national beschränkter Sozialismus"; das "können wir nicht gebrauchen". "Verstaubte antiimperialistische Legenden" spinne die "Kommunistische Plattform" der Sahra Wagenknecht.

Macht man sich so Freunde bei den Kommunisten, gewinnt man denn mit solchen antikommunistischen Fanfarentönen Stimmen in der Bundesversammlung? Auf den ersten Blick scheint es, als säge die Professorin Schwan fröhlich an dem Ast, auf dem sie doch am 23. Mai 2009 Platz zu nehmen gedenkt.



Vielleicht ist sie nur ehrlich, wie es einer Wissenschaftlerin ziemt. Vielleicht hat sie aber auch einen Plan; einen Plan, der ihrer Kenntnis der Mentalität von Kommunisten entspringt, und einer realistischen Einschätzung der strategischen Situation.

Diese Situation sieht so aus, daß Schwan dann und nur dann eine gute Chance gegen Köhler hat, wenn sie erstens die Stimmen der Kommunisten gewinnt, ohne daß ihr zweitens durch dieses Bündnis zu viele Stimmen aus der rechten Sozialdemokratie verlorengehen, und wenn sie zugleich drittens, wie 2004, die eine oder andere Stimme aus dem, wie man so sagt, "bürgerlichen Lager" ergattern kann.

Den Zielen Nummer zwei und drei dient ihr jetziges Bekenntnis zum Antikommunismus - aber wird das nicht mehr als zunichte gemacht durch die Stimmen, die sie dadurch bei den Kommunisten verliert?

So wäre es, wenn die Kommunisten eine Partei wie jede andere wären. Sie sind aber so, wie die gelernte Expertin für Marxismus- Leninismus sie bestens kennen dürfte.

Kommunisten tun alles, wenn es sie der Macht einen Schritt näherbringt. Da zählen keine Sentimentalitäten; da wird nüchtern abgewogen und nicht aus dem Bauch heraus entschieden. Die Kommunisten wollen eine Volksfront- Regierung in Berlin als einen ersten Schritt zur Errichtung eines neuen Sozialismus. Die Wahl Gesine Schwans in einer Volksfront- Konstellation soll diese Koalition vorbereiten.

Also werden die Kommunisten Gesine Schwan wählen, zähneknirschend, die Zähne zusammengebissen. Eine Partei, die - in ihrer sowjetischen Sektion, aber unterstützt auch durch ihre deutsche - mit Hitler paktiert hat, als sie das für strategisch erforderlich hielt, wird doch nicht vor der Wahl einer Gesine Schwan zurückzucken, nur weil diese antikommunistische Töne spuckt.



Ja, aber kann denn die ausgewiesene Antikommunistin das wollen, daß die Kommunisten diesen für sie entscheidenden strategischen Sieg davontragen? Sie sieht das wohl anders.

Sie hat auf der Pressekonferenz, auf der Beck sie als Kandidatin vorstellte, mit etwas begonnen, das sie als Versuch einer Demontage von "Die Linke" ansehen dürfte. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen - nach dieser Maxime hat sie dort unterschieden zwischen erstens DDR-Nostalgikern in dieser Partei, sodann Sozialdemagogen und drittens denen, die eine "sozial engagierte, demokratische Politik betreiben wollen".

Diese dritte Gruppe möchte sie - vor allem bei den Wählern - der Partei "Die Linke" abspenstig machen, die Kommunismus- Expertin Schwan. Und damit die beiden anderen Gruppen in die Bedeutungslosigkeit drängen.

Das ist exakt das Rezept, mit dem in Frankreich François Mitterand die KPF, die einmal die stärkste Partei Frankreichs gewesen war, in den achtziger Jahren marginalisiert hat. "L'embrasser pour mieux l'étouffer" hat man das in Frankreich genannt - sie umarmen, um sie besser ersticken zu können.

Der Preis dafür war freilich ein sozialistische Regierungspolitik, an deren Folgen Frankreich noch heute leidet. Aber davon abgesehen - kann man dieses damalige Rezept überhaupt auf die heutige Situation in Deutschland übertragen?

Oskar Lafontaine hat in seiner Rede auf dem Cottbuser Parteitag darauf hingewiesen, daß die "Linke" "das erfolgreichste Parteiprojekt der letzten Jahrzehnte" sei, und das damit kontrastiert, daß es den kommunistischen und sozialistischen Parteien anderswo in Europa schlecht gehe ("... in Italien die Rifondazione Comunista nach der letzten Wahl nicht mehr im Parlament vertreten", in Spanien "die Izquierda Unida marginalisiert", in Frankreich "erlebte die KPF bei der Präsidentschafts- und bei den Parlamentswahlen verheerende Niederlagen". - Obwohl sie doch von Oskar Lafontaine höchstpersönlich unterstützt worden war, möchte man hinzufügen).

Warum ist "Die Linke" so viel erfolgreicher als diese anderen kommunistischen Parteien in Westeuropa? Die Antwort liegt auf der Hand: Weil sie nicht nur eine kommunistische Partei Westeuropas ist. Die umbenannte SED verfügt im Osten noch immer über die Infrastruktur, die gesellschaftliche Verankerung und andere Vorteile, die sie als die Partei erwerben konnte, die vierzig Jahre dikatorisch herrschte. Sie breitet sich jetzt in den Westen aus, so wie eine Amöbe ihre Pseudopodien ausstülpt. Aber verortet ist sie dort, wo sich die Masse ihres Protoplasmas befindet, die Amöbe.



Ich halte deshalb die Strategie Gesine Schwans für einigermaßen waghalsig. Eine Partei mit vierzig Jahren Machterfahrung wird sich nicht so umarmen und erdrücken lassen, wie das Mitterand mit der KPF machen konnte.

Ich fürchte, es sind Andere, die da umarmt und erdrückt werden könnten.



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