28. Mai 2007

Randbemerkung: Warum ist der Sowjet- Kommunismus zusammengebrochen? Keine gute Frage

In der Washington Post diskutiert Jim Hoagland, wie man mit Putin umgehen solle.

Sein Artikel enthält einen Rückblick, den ich kommentieren möchte. Hoagland weist darauf hin, daß das Ende des Sowjet- Kommunismus in den USA und in Westeuropa ganz verschieden interpretiert wird:

In den USA sah man es als den Erfolg der Konfrontations- Politik Reagans; insbesondere seiner Strategie, die Sowjetunion in einen Rüstungswettlauf zu zwingen, der ihren ökonomischen Kollaps nach sich zog.

In Europa dagegen, schreibt Hoagland, hatte man eine andere Deutung ("narrative"): Der Zusammenbruch des Sowjet- Kommunismus wird dem Helsinki- Prozeß zugeschrieben; dem "Wandel durch Annäherung".



Hoagland schreibt dieser unterschiedlichen Sichtweise "much of the grief in transatlantic relations of the past decade" zu, einen großen Teil des Harms in der transatlantischen Beziehung während des vergangenen Jahrzehnts.

Auf den ersten Blick mag das sehr zugespitzt erscheinen; aber Hoagland könnte schon etwas sehr Richtiges gesehen haben: Diese unterschiedliche Einschätzung des Zusammenbruchs des Sowjet- Kommunismus war ja auch die Grundlage einer grundverschiedenen Politik gegenüber dem postkommunistischen Rußland.

Für die USA blieb Rußland der niedergerungene Gegner, über den man sich keine Illusionen machte. Man hat in den USA immer mit sehr scharfem Blick gesehen, wie in Rußland die alten Machtstrukturen erhalten blieben. Wie zwar die Ideologie der Marxisten- Leninisten diskreditiert war, wie ihre Techniken der Machterhaltung aber unverändert verwendet wurden; seit Putins Machtantritt mit großem Erfolg.

In Westeuropa aber sah man, voll Gorbi- Schwärmerei, in Rußland so etwas wie einen gelehrigen Schüler, der sich begierig daran machen würde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit von uns zu lernen. Hatte man doch den Helsinki- "Dialog" erfolgreich geführt (der in Wahrheit nichts anderes gewesen war als der Versuch beider Seiten, die andere übers Ohr zu hauen).



Jim Hoagland meint, beide Interpretationen "obscured the reality of the internal collapse of an overextended empire"; beide hätten die Realität des inneren Zusammenbruchs eines überspannten Reichs verschleiert.

Mir scheint, da hat er Recht. Eine auch nur noch halbwegs lebensfähige Sowjetunion hätte die Herausforderung Reagans ebenso überstanden wie die Legitimationsprobleme, die der Helsinki- Prozeß mit sich gebracht hatte.

"Was fällt, muß man stoßen" hat Nietzsche geschrieben. Im Rückblick ist das eigentlich Erklärungsbedürftige, wie der Sozialismus, wie dieses letzte Kolonialreich, wie dieses bürokratische Monstrum sich bis 1990 halten konnte.

Dieses auf den Ideen des Zynikers Marx und des Machiavellisten Lenin basierende System war ja nicht erst in den achtziger Jahren "marode" geworden; sondern es war im Grunde nie lebensfähig gewesen.



Jeder, der dorthin reiste, konnte das sehen. Als ich 1966 in Moskau war, war mein erstes Erlebnis, daß der Portier des Hotels schwarz Rubel tauschen wollte; er schubste mich zu diesem Zweck in den Aufzug.

Das zweite Erlebnis, am nächsten Tag, war, daß wir Ausländer, Teilnehmer eines Kongresses, nicht gemeinsam mit unseren russischen Kollegen essen durften, weil für diese ein minderwertiges Essen vorgesehen war.

Die Armut, die Allgegenwart des Verbrechens war mit Händen zu greifen. Wir Ausländer waren ständig buchstäblich eingekreist von Gaunern, die irgendwelche Geschäfte machen wollten.

Das armseligen Warenangebot, die riesigen Avenuen mit ihren Fahrstreifen, die allein für die Machthaber vorgesehen waren - daß dies ein, wie man später sagte, failed state war, konnte keinem Besucher verborgen bleiben.



Also - die Frage scheint mir überhaupt nicht zu sein, warum das Sowjetsystem zusammenbrach, sondern warum es sich siebzig Jahre halten konnte.

Sicher gibt es dafür nicht eine einzige Antwort.

Die Russen haben seit Jahrhunderten unter der Knute ihrer Herrscher gelebt; das ist meines Erachtens der wichtigste Faktor. Sie haben - auch jetzt, unter Putin - dadurch in ihrer Mehrheit nicht die Kraft, nicht das Selbstvertrauen, nicht das Freiheitsbewußtsein, um sich der Tyrannei entgegenzustellen.

Zweitens spielte die westliche Linke sicherlich eine entscheidende Rolle. Selten in der Geschichte hat eine brutale Dikatur soviel an Zustimmung, an Unterstützung, an Wohlwollen in anderen, freiheitlichen Ländern erfahren wie die Sowjetunion.

Und das ist ja noch nicht vorbei. Die Art, wie der linke Flügel der SPD die Verhältnisse im heutigen Rußland schönredet, wie diejenigen, die sonst hypersensibel bei jeder Verletzung der Menschenrechte sind, das Land des "lupenreinen Demokraten" als einen Partner ansehen, "äquidistant" mit den USA - das zeigt, daß viele immer noch nichts gelernt haben.



Nichts gelernt? Nein, das ist wohl falsch. Wer immer noch das Ziel verfolgt, in Europa den Sozialismus zu errichten, der weiß, daß das nur geht, wenn die USA hier keinen Einfluß mehr haben.

Und das wiederum geht nur, wenn wir uns in Richtung Rußland orientieren. Rußland ist nicht mehr kommunistisch. Aber im strategischen Kalkül der deutschen, der westeuropäischen Kommunisten und Sozialisten aller Spielarten ist es deshalb trotzdem auch weiter der entscheidende Faktor.