Daß es reichlich albern ist, wenn die Deutsche Bahn ihre Schalter "Counter" nennt und wenn die Deutsche Telekom sich mit abgekürztem Namen "Tii-komm" aussprechen läßt, liegt auf der Hand. Das sind so dumme Anglizismen, daß man sie gar nicht diskutieren kann. Sie sind indiskutabel. Kein Wort also dazu.
Aber es gibt andere, versteckte Anglizismen, die interessanter sind. Von ihnen ist hier die Rede.
"Hast du deinen Führerschein in der Lotterie gewonnen?" fragte man früher einen tölpelhaften Fahrer. Vielleicht tut man es auch heute noch; ich habe es allerdings lange nicht mehr gehört.
In dieser Redewendung wird "gewinnen" in einer seiner beiden Hauptbedeutungen benutzt: Man "gewinnt" etwas in einem Spiel, einer Ausspielung, einem Wettbewerb. Das große Los, einen Trostpreis, eine Medaille zum Beispiel. In einer zweiten Bedeutungsvariante "gewinnt" man nicht etwas, das man mit nach Hause nehmen kann, sondern ein Spiel, einen Kampf, eine Auseinandersetzung. Der "Gewinner" ist hier nicht der "glückliche Gewinner", sondern der Sieger. Beim Olympiasieger trifft beides zusammen: Er gewinnt, sagen wir, den Marathonlauf; und er gewinnt dafür die Goldmedaille.
Eine Ehrung aber "gewinnt" man im Deutschen nicht. Ebensowenig, wie einen Nobelpreis oder den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Solche Preise bekommt man zuerkannt. Man wird mit einem derartigen Preis geehrt. Schlicht gesagt: Man erhält ihn. Man ist der Preisträger und nicht der Gewinner.
Im Englischen aber sagt man to win the Nobel Prize. Seit ein paar Jahrzehnten häuft sich auch im Deutschen dieser Ausdruck. "Kurz vor 12 Uhr mittags kam ein Anruf aus Stockholm: Er, Hänsch, habe den diesjährigen Nobelpreis gewonnen" konnten wir zum Beispiel vor gut einem Jahr in Spiegel-Online lesen. Offenbar hat man in Stockholm in eine Lostrommel gegriffen - und wie es der Zufall wollte, war der deutsche Physiker Hänsch der Glückliche, dessen Namen auf dem gezogenen Los stand.
Das sind sie - die kleinen, leisen, die gemeinen Anglizismen.
Wenn in Deutschland Schüler und Studierende aus einem Buch lernen, dann ist das ein Lehrbuch. Wenn es ein Buch ist, in dem Texte versammelt sind, dann ist es ein Lesebuch. Neuerdings aber ist es immer häufiger ein "Textbuch". Offensichtlich deshalb, weil so etwas auf Englisch textbook heißt. Besonders apart ist es, wenn selbst ein Deutsch-Lesebuch zum Textbuch mutiert, wie zum Beispiel hier.
Wenn man genau angeben möchte, in welchem Jahr etwas passierte, dann sagt man "im Jahr 1914 brach der Erste Weltkrieg aus" oder "2005 fanden vorgezogene Bundestagswahlen statt". Englisch heißt das in 1914 und in 2006. Auch diese Redeweise beginnt auf breiter Front ins Deutsche einzudringen. Heute lesen wir zum Beispiel im Internet an einem Ort, der sich immerhin als Adresse für Ausbildung, Studium und Beruf empfiehlt: "Eindrucksvoll bestätigen die Ergebnisse des Karrieretests auch in 2006, dass ein BWL-Studium neben dem Beruf ein ausgezeichneter Karriere-Motor ist". Ohne das "in" wäre das ein deutscher Satz. So ist es ein Bastard.
Keine dieser Änderungen des Deutschen ist eine Bereicherung. Der Ausdruck wird dadurch nicht klarer, nicht plastischer, nicht präziser. Der Anglizismus macht keinen Sinn.
"Macht" keinen Sinn? Doesn't make sense, so sagt man es im Englischen. Im Deutschen heißt das: "ergibt keinen Sinn". Oder - was hier besser passen würde - "ist nicht sinnvoll".
Und zumindest wer einen "Kurs in Deutsch lehrt" oder ihn gar "gibt" (teaches a course in German, gives a course), sollte das wissen. Wenn er den Kurs eben nicht "in Deutsch" "lehren" oder "geben" würde, sondern einen Deutschkurs anbieten, leiten oder veranstalten.
Wie kommt es zu diesen versteckten Anglizismen? Anders als das Denglisch à la "Hair Shop" und "Meeting Point" sind sie nicht der unsäglichen Dummheit geschuldet, welche die Werbestrategen bei ihren Kunden vermuten. Sondern sie entstehen aus Nachlässigkeit.
Bilingualismus ist eine der erstaunlichsten Fähigkeiten des menschlichen Gehirns. Kinder können zwei Sprachen so leicht lernen wie eine. Man kann das an vielen Kindern von Einwanderern sehen; seltsamerweise scheinen wir es unseren deutschen Kindern aber nicht zuzutrauen.
Meist gelingt es Bilingualen hervorragend, die beiden Sprachen syntaktisch getrennt zu halten; vor allem bei sogenannten coordinate bilinguals, bei denen die beiden Sprachsysteme auch in Bezug auf die Begrifflichkeit, also "konzeptuell", weitgehend getrennt sind. Aber gelegentlich kommt es doch vor, daß Ausdrucksweisen der einen Sprache in die andere hineinschwappen. Günther Anders, der Deutsch als Muttersprache hatte und in die USA emigrieren mußte, schrieb gern "in anderen Worten" statt "mit anderen Worten". Als jemand, der von Anders eine sehr hohe Meinung hat, habe ich mich wiederholt dabei erwischt, "in anderen Worten" zu schreiben. Nicht, weil ich das besser oder treffender gefunden hätte als den deutschen Ausdruck. Es war die pure Schlamperei.
Vor ungefähr zwanzig Jahren habe ich habe einmal in einem Manuskript geschrieben: "Das ist nicht wirklich plausibel". Damals schrieb die Herausgeberin auf die Druckfahne: "Sie meinen sicherlich 'wirklich nicht plausibel'?" Das habe ich zerknirscht korrigiert; es war ja ein ungewöhnlich dummer Anglizismus gewesen. Heute ist "nicht wirklich" als deutsches Echo auf not really längst etabliert.
Alles nicht schlimm? Vielleicht. Auch Daumenlutschen und Nasebohren sind ja nicht schlimm. Nachlässigkeiten, fehlende Disziplin. Vermutlich wird man diese sprachlichen Schludereien nicht vermeiden können; als Preis des Bilingualismus. Aber man sollte ihnen doch entgegenwirken, so gut man kann. Gerade wenn man, wie ich, dafür eintritt, daß alle Kinder bilingual aufwachsen.
Sie sollten ihre Muttersprache und Englisch beherrschen, aber sie bitte nicht ineinanderrühren. Sondern sie hübsch getrennt halten. Separate but equal.
Aber es gibt andere, versteckte Anglizismen, die interessanter sind. Von ihnen ist hier die Rede.
"Hast du deinen Führerschein in der Lotterie gewonnen?" fragte man früher einen tölpelhaften Fahrer. Vielleicht tut man es auch heute noch; ich habe es allerdings lange nicht mehr gehört.
In dieser Redewendung wird "gewinnen" in einer seiner beiden Hauptbedeutungen benutzt: Man "gewinnt" etwas in einem Spiel, einer Ausspielung, einem Wettbewerb. Das große Los, einen Trostpreis, eine Medaille zum Beispiel. In einer zweiten Bedeutungsvariante "gewinnt" man nicht etwas, das man mit nach Hause nehmen kann, sondern ein Spiel, einen Kampf, eine Auseinandersetzung. Der "Gewinner" ist hier nicht der "glückliche Gewinner", sondern der Sieger. Beim Olympiasieger trifft beides zusammen: Er gewinnt, sagen wir, den Marathonlauf; und er gewinnt dafür die Goldmedaille.
Eine Ehrung aber "gewinnt" man im Deutschen nicht. Ebensowenig, wie einen Nobelpreis oder den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Solche Preise bekommt man zuerkannt. Man wird mit einem derartigen Preis geehrt. Schlicht gesagt: Man erhält ihn. Man ist der Preisträger und nicht der Gewinner.
Im Englischen aber sagt man to win the Nobel Prize. Seit ein paar Jahrzehnten häuft sich auch im Deutschen dieser Ausdruck. "Kurz vor 12 Uhr mittags kam ein Anruf aus Stockholm: Er, Hänsch, habe den diesjährigen Nobelpreis gewonnen" konnten wir zum Beispiel vor gut einem Jahr in Spiegel-Online lesen. Offenbar hat man in Stockholm in eine Lostrommel gegriffen - und wie es der Zufall wollte, war der deutsche Physiker Hänsch der Glückliche, dessen Namen auf dem gezogenen Los stand.
Das sind sie - die kleinen, leisen, die gemeinen Anglizismen.
Wenn in Deutschland Schüler und Studierende aus einem Buch lernen, dann ist das ein Lehrbuch. Wenn es ein Buch ist, in dem Texte versammelt sind, dann ist es ein Lesebuch. Neuerdings aber ist es immer häufiger ein "Textbuch". Offensichtlich deshalb, weil so etwas auf Englisch textbook heißt. Besonders apart ist es, wenn selbst ein Deutsch-Lesebuch zum Textbuch mutiert, wie zum Beispiel hier.
Wenn man genau angeben möchte, in welchem Jahr etwas passierte, dann sagt man "im Jahr 1914 brach der Erste Weltkrieg aus" oder "2005 fanden vorgezogene Bundestagswahlen statt". Englisch heißt das in 1914 und in 2006. Auch diese Redeweise beginnt auf breiter Front ins Deutsche einzudringen. Heute lesen wir zum Beispiel im Internet an einem Ort, der sich immerhin als Adresse für Ausbildung, Studium und Beruf empfiehlt: "Eindrucksvoll bestätigen die Ergebnisse des Karrieretests auch in 2006, dass ein BWL-Studium neben dem Beruf ein ausgezeichneter Karriere-Motor ist". Ohne das "in" wäre das ein deutscher Satz. So ist es ein Bastard.
Keine dieser Änderungen des Deutschen ist eine Bereicherung. Der Ausdruck wird dadurch nicht klarer, nicht plastischer, nicht präziser. Der Anglizismus macht keinen Sinn.
"Macht" keinen Sinn? Doesn't make sense, so sagt man es im Englischen. Im Deutschen heißt das: "ergibt keinen Sinn". Oder - was hier besser passen würde - "ist nicht sinnvoll".
Und zumindest wer einen "Kurs in Deutsch lehrt" oder ihn gar "gibt" (teaches a course in German, gives a course), sollte das wissen. Wenn er den Kurs eben nicht "in Deutsch" "lehren" oder "geben" würde, sondern einen Deutschkurs anbieten, leiten oder veranstalten.
Wie kommt es zu diesen versteckten Anglizismen? Anders als das Denglisch à la "Hair Shop" und "Meeting Point" sind sie nicht der unsäglichen Dummheit geschuldet, welche die Werbestrategen bei ihren Kunden vermuten. Sondern sie entstehen aus Nachlässigkeit.
Bilingualismus ist eine der erstaunlichsten Fähigkeiten des menschlichen Gehirns. Kinder können zwei Sprachen so leicht lernen wie eine. Man kann das an vielen Kindern von Einwanderern sehen; seltsamerweise scheinen wir es unseren deutschen Kindern aber nicht zuzutrauen.
Meist gelingt es Bilingualen hervorragend, die beiden Sprachen syntaktisch getrennt zu halten; vor allem bei sogenannten coordinate bilinguals, bei denen die beiden Sprachsysteme auch in Bezug auf die Begrifflichkeit, also "konzeptuell", weitgehend getrennt sind. Aber gelegentlich kommt es doch vor, daß Ausdrucksweisen der einen Sprache in die andere hineinschwappen. Günther Anders, der Deutsch als Muttersprache hatte und in die USA emigrieren mußte, schrieb gern "in anderen Worten" statt "mit anderen Worten". Als jemand, der von Anders eine sehr hohe Meinung hat, habe ich mich wiederholt dabei erwischt, "in anderen Worten" zu schreiben. Nicht, weil ich das besser oder treffender gefunden hätte als den deutschen Ausdruck. Es war die pure Schlamperei.
Vor ungefähr zwanzig Jahren habe ich habe einmal in einem Manuskript geschrieben: "Das ist nicht wirklich plausibel". Damals schrieb die Herausgeberin auf die Druckfahne: "Sie meinen sicherlich 'wirklich nicht plausibel'?" Das habe ich zerknirscht korrigiert; es war ja ein ungewöhnlich dummer Anglizismus gewesen. Heute ist "nicht wirklich" als deutsches Echo auf not really längst etabliert.
Alles nicht schlimm? Vielleicht. Auch Daumenlutschen und Nasebohren sind ja nicht schlimm. Nachlässigkeiten, fehlende Disziplin. Vermutlich wird man diese sprachlichen Schludereien nicht vermeiden können; als Preis des Bilingualismus. Aber man sollte ihnen doch entgegenwirken, so gut man kann. Gerade wenn man, wie ich, dafür eintritt, daß alle Kinder bilingual aufwachsen.
Sie sollten ihre Muttersprache und Englisch beherrschen, aber sie bitte nicht ineinanderrühren. Sondern sie hübsch getrennt halten. Separate but equal.
© Zettel. Titelvignette: Johann Gottfried Herder. Gemälde von Johann Ludwig Strecker (1775). In der Public Domain, da das Copyright erloschen ist. Links zu allen Folgen dieser Serie findet man hier.