24. Juli 2022

Von "Layla" zu "Putin"





Lenin hat es nicht geschafft
Stalin hat es nicht gerafft.
Wieso denkt Ihr, daß ich das kann?
(Putin Girls): Du führst uns ins gelobte Land!
Ganz recht: verdammt noch mal, ich bin der Putin-Mann!

I.

Mitunter kommt man als Blogger zu seinen Themen wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind – in diesen Fall durch schlichte Anwendung des klassischen dialektischen Dreisprungs „Theke → Antitheke → Syntheke.“ Und daß ich ohne den Anlaß nicht auf diese Pointe gekommen wäre, zeigt eine musikalische Bildungslücke, die vielleicht mehr über mich sagt, als mir lieb sein kann. Auslöser war in diesem Fall der Hinweis des geschätzten Netztagebuchmitführers Llarian auf Marius Müller-Westernhagens kleines musikalisches Skandalon über nichtschlank gelesene Zeitgenossen vor mittlerweile auch schon 44 Jahren. Ich habe dazu im „Kleinen Zimmer“ die Anmerkung angefügt, daß „Dicke“ Ende 1978, als MWWs vierter Longplayer „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ erschien und im Radio gespielt wurde, keineswegs so anlaßlos in der Luft hing, wie das den Nachgeborenen erscheinen mag. Das Album hat Müller-Westernhagen damals „einen Namen gemacht,“ seine ersten drei LPs, die vorher im Jahrestakt erschienen waren, waren, waren praktisch unbeachtet geblieben – und als Schauspieler hat er sich erst zwei Jahre später in der Hauptrolle in Peter Bringmanns „Theo gegen den Rest der Welt“ einen gewissen ikonischen Ruf erworben, in einem der wenigen deutschsprachigen Road Movies, die nicht von der ersten bis zur letzten Szene bemüht und witzlos daherkommen. Das „Pfefferminz“-Album war eines der ersten Alben, bei denen Deutsch als Sprache der Rockmusik wenn schon nicht geschätzt, aber zumindest allgemein zur Kenntnis genommen wurde. Zuvor war das allein Udo Lindenberg vorbehalten gewesen. Hörern, die später musikalisch sozialisiert worden sind, mag es vielleicht unglaublich erscheinen, aber für eine, zwei Generationen, die seit den Fab Four aus Liverpool mit der aktuellen Populärmusik groß geworden sind, war – und ist – die Idee, „Deutsch“ als Idiom der Rockmusik zu verwenden, grotesk und geschmacklos. Wirkliche Rockmusik: das waren die Rolling Stones, die barock gedrechselten Synkopen von Genesis, „Stairway to Heaven,“ „River Deep, Mountain High,“ der Sound von Janis Joplin und Jimi Hendrix (gut, bei Hendrix‘ Genuschel hätte es sich auch um Esperanto handeln können). Deutsch war die Sprache der seichten, peinlich triefenden Schlager – oder, ab Ende des 70er Jahre, der Liedermacher wie etwa Reinhard Mey. Bevor gut ein Jahr später, um die Jahreswende 1979/80, die stets wie eine Parodie-ohne-Witz daherkommende aufgesetzte Infantilität der „Neuen Deutschen Welle“ losbrach, war die „Vorige Deutsche Welle“ den „Blödelbarden“ von Schlage Insterburg & Co., Frank Zander und Ulrich Roski vorbehalten gewesen. (Daß Meys größte Erfolge Mitte der 70er Jahre wie „Diplomatenjagd“ oder „Annabelle“ sich genau in dieses Muster fügten, ist wohl kein Zufall.)

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Als „Dicke“ ab Oktober 1978 per Airplay für ein wenig bescheidene Aufregung im Zeitgeistklima sorgte und MMW seinen größten Verkaufserfolg einbrachte (bis heute hat sich das Album gut 1,5 Millionen Mal verkauft), war so manchem Popmusikhörer noch der Skandal in Ohr und Gedächtnis, der genau ein Jahr zuvor, im November 1977, Randy Newman seine einzige Chartplatzierung in den US-amerikanischen Billboard-Charts eingebracht hat, für sein Album „Little Criminals.“ Auf „Short People“ nahm Newman sich dort in genau der gleichen Weise den Klischees über eine andere randständige Gruppe an – denen, die ein Jahrzehnt später während des ersten Aufbrandens der „Political Correctness“ nicht mehr öffentlich als „Kleinwüchsige,“ „Zwerge“ und „Lilliputaner“ bezeichnet werden durften, sondern nur noch als „vertikal Herausgeforderte“ – „vertically challenged.“ (Der Kleine Pendant merkt aus dem Off an, daß es sich bei „vertically challenged“ schon um eine Parodie des PC-Jargons handelte, so wie bei den „Jahresendflügelfiguren“ und „Erdmöbeln“ der ex-weiland ostzonalen DDR, und daß die genannten Ausdrücke schon lange vorher verpönt waren.) Randy Newmans bitterböse, zynische Songs waren ab Ende der 60er Jahre den Radiohörern durchaus präsent, aber zu einem nennenswerten Verkaufserfolg waren seine Alben nie geworden. In den US Billboard Charts kam das Album auf Platz 9 – und wie MMW hat er diesen Erfolg nie wiederholen können.



Allerdings merkt man beim Vergleich der beiden Songs auch die elementaren Unterschiede. Während MMW sich damit begnügt, wirklich oder vermeintliche Klischees über „Fettsäcke“ aneinanderzureihen („Dicke haben schrecklich dicke Beine / Dicken ham 'n Doppelkinn / Dicke schwitzen wie die Schweine“) und mit dem Stoßseufzer der Erleichterung „darum bin ich froh‘, daß ich kein Dicker bin“ abzuschließen, ist Newmans Text erheblich zynischer grundiert – die Klischees sind von surrealer Groteskerie („They got little baby legs / And they stand so low / You got to pick 'em up / Just to say hello. / They got little cars / that go beep, beep, beep / They got little voices / going peep-peep-peep“) und der Refrain drastischer: „short people got no reason – to live.“ Und in der „Bridge“ (für diese musikalische Überleitungspasse gibt es leider im Deutsche kein Äquivalent) trällert es in den kontakarierenden Zeilen „Short people are just the same / As you and I / (A fool such as I) / All men are brothers / Until the day they die / (It's a wonderful world)“ so schmalzig, daß es nur so trieft. Daß sich beide Künstler im Nachhinein tatsächlich rechtfertigen mußten: ein, es handele sich um Sarkasmus, sie stünden keineswegs hinter solchen Aussagen, ist im Popgeschäft wohl unvermeidlich.

Newmans frühe Liedertexte sind fast ausnahmslos von solcher „Rollenprosa“ geprägt – sie gleichen durchaus den Brettlliedern, wie sie auf Deutsch etwa Friedrich Hollaender oder nach dem Krieg Georg Kreisler geschrieben haben oder im Englischen Noel Coward. „You Can Leave Your Hat On“, „Simon Smith and the Amazing Dancing Bear” oder “Sail Away” zeichnen sich durch Melodieläufe aus, die sich schon beim ersten Hören unvergeßlich ins Gedächtnis haken und durch Texte, deren Perfidie sich erst sukzessive erschließt. Auch Georg Kreislers Songs arbeiten ja oft mit diesem Kontrast – wobei sich Kreislers Texte oft eher an Wortspielen und der Tradition der Nonsenspoesie orientieren, wie sie hier bei uns zuletzt mit Verweis auf Edward Lear vorkam, als an doppelbödigem Sarkasmus.

II.

Nach meinem Hinweis vor zwei Tagen fiel es mir zum ersten Mal auf, daß ich Randy Newman, der mir in den 1980er Jahren durchaus präsent war, in den letzten, nun, etwa 25 Jahren als Musiker völlig aus den Augen (bzw. den Ohren) verloren habe. In meiner durchaus ansehnlichen Sammlung an CDs finden sich 4 oder 5 seiner Platten – allerdings nur aus der frühen Phase seines Schaffens. Nun ist es durchaus üblich, daß Rockstars (ungeachtet des Grads ihrer Prominenz) der Welt durchaus aus dem Blickfeld verschwinden. Als David Bowies letztes Album „Blackstar“ im Januar 2016 zwei Tage vor seinem Tod veröffentlicht wurde, stellte „die Welt“ ganz erstaunt fest, daß der einstmals notorische Paradiesvogel seit 13 Jahren völlig untergetaucht war. Zu viele Rockstars haben nach einer kurzen Hochphase am Anfang ihrer Karriere die letzten Jahrzehnte ihres Lebens damit verbracht, Medleys ihrer „signature songs“ vor einem immer älteren Stammpublikum vorzutragen. Bei Newman kommt hinzu, daß seine Produktivität seit Anfang der 1980er durch das Chronic Fatigue Syndrome stark eingeschränkt worden ist – und daß er sich seitdem auf das musikalische Metier konzentriert hat, in dem er sich ab der Mitte der 1960er zuerst Meriten erworben hat: nämlich dem Komponieren von Soundtracks und Liedern für Hollywoodproduktionen. Dergleichen ist eine sicherere Bank als die Fortüne des Albenverkaufs, die auf abgesetzte Exemplare und Streamingaufrufe angewiesen ist. Damit ist freilich eine Einschränkung verbunden: Ein Lied wie „You’ve Got a Friend in Me“ aus „Toy Story“ (1995) oder „The Time of Your Life“ aus „A Bug’s Life/Das große Krabbeln“ (1998) mag millionenmal im Kino gelaufen, im Fernsehen gesendet und als Datenträger verkauft und gestreamt worden sein, und jedes Mal einen Cent-Betrag als Tantiemen abgeworfen haben – aber es bleibt doch nur ein Schlagerchen mit einer hübschen Melodie; ohne jenen Hauch jener abgründigen Ironie, der nun mal das Flair der Songs von Newman ausmacht. Das letzte seiner Alben, die bei mir des öfteren liefen, als es herauskam, war „Land of Dreams“ von 1988 – und auch die darauf enthaltenen Stücke sind von dieser Art: sentimentale, verhalten melancholische Reminiszenzen an seine Jugend in New Orleans, aber ohne jeden sarkastischen Biß. Und das letzte Album von ihm, daß sich in meiner Sammlung findet, „Randy Newman’s Faust“ von 1995, ist eine Einspielung von Stücken, die Newman für eine geplante Musical-Version dieses Stoffs geschrieben hat, die nie fertiggestellt worden ist und nie aufgeführt wurde - und von denen ebenfalls keines die Höhe früherer Pretiosen erreicht.

Nachdem ich also bemerkt hatte, daß ich Randy Newman völlig aus dem Blick verloren hatte, ohne diesen Verlust überhaupt bemerkt zu haben, war es dank des größten Soundarchivs der Geschichte – YouTube – natürlich ein Leichtes, diesem Malus abzuhelfen. Und siehe da: in den 34 Jahren seit der Veröffentlichung von „Land of Dreams“ hat Newman ganze drei Studioalben herausgebracht: „Bad Love“ (1999), „Harps and Angels“ (2008) und zuletzt „Dark Matter“ aus dem Jahr 2017. (Ein kleines Beiseit: auch an solchen Daten sieht man die „Zeitdehnung“, die im Bereich der Rockmusik seit der Woodstock-Ära stattgefunden hat. Für die erwähnten Janis Joplin, Jim Morrison oder Jimi Hendrix und ähnliche Mitglieder des „Club 27“ ist ein Satz wie „in den letzten 34 Jahren“ schlechterdings undenkbar.) Und auf diesem letzten Album findet sich ein Song, der nun bruchlos an die alten, zynischen Zeitgeistkommentare anschließt – und der in den 5 Jahren und angesichts der aktuellen Weltlage an Schärfe so gar nichts eingebüßt, sondern erheblich zugenommen hat: eine bitterböse Moritat mit dem Titel „Putin.“

III.

Putin puttin' his pants on
One leg at a time
You mean he's just like a regular fella, huh?
He ain't nothing like a regular fella

Putin puttin' his hat on
Hat size number nine
"You sayin' Putin's gettin' big headed?"
Putin's head's just fine

He can drive his giant tractor
Across the Trans-Siberian plain
He can power a nuclear reactor
With the left side of his brain
And when he takes his shirt off
He drives the ladies crazy
When he takes his shirt off
Makes me wanna be a lady
It's the Putin Girls!

(Chor der Putin Girls:)
Putin if you put it when you
Put it where you put it
Putin if you put it
Will you put it next to me?
Putin if you put it when you
Put it where you put it
Putin if you put it
Will you put it next to me?

Now Putin hates the Putin girls
'Cause he hates vulgarity
And he loves his mother country
And he loves his family

He and his ex-wife Lyudmila
Are riding along the shore
Of the beautiful new Russian Black Sea
Let's listen in
A great man is speaking:

(Putin) We fought a war for this?
I'm almost ashamed
The Mediterranean
Now there's a resort worth fighting for
If only the Greeks or the Turks
Would start to sniff around
I'd bring the hammer down
So quick their woolly heads would spin
Woolly head, woolly head, woolly head

Or, wait a minute
Even better
What if the Kurds got in the way?
Hey! Kurds and way, curds and whey!

Sometimes a people is greater than their leader
Germany, Kentucky, France
Sometimes a leader towers over his country
One shot at glory, they don't get a second chance
I dragged these peasants kicking and screaming
Into the 21st century
I thought they'd make it
I must have been dreaming
These chicken farmers and file clerks gonna be the death of me

I can't do it
(Putin Girls) Sure, you can
(Putin) I can't do it
(Putin Girls) Yeah, you can
(Putin) What makes you say that girls?
(Putin Girls) Tell you why. 'Cause you're the Putin man
(Putin) Who whipped Napoleon?
(Putin Girls) We did!
(Putin) Who won World War II?
(Putin Girls) The Americans!
(Putin) That's a good one ladies
(Putin Girls) It's our turn to sit in the comfy chair
And you're the man gonna get us there!

(Putin) I don't know, Lenin couldn't do it
I don't know, Stalin couldn't do it
They couldn't do it
Why you think I can?
(Putin Girls) You're gonna lead our people to the Promised Land
(Putin) You're right, 'cause, Goddamn, I'm the Putin Man

Angesichts des bisherigen Verlaufs der aktuellen weltgeschichtlichen Mißhelligkeit an der „schönen neuen russischen Schwarzmeerküste“ scheint der Selbstzweifel des Sprechers durchaus angebracht – ob es sich nun darum handelt, einen Riesentraktor über die weiten Ebenen zu lenken oder „sein Volk“ unter Sträuben und Widerporstigkeit ins 21. Jahrhundert zu zerren. Und daß dem Land, das in seinem Schatten liegt, nach dem Ende dieses Abenteuers eine zweite Chance eingeräumt werden wird, darf man wohl auch bezweifeln. Die Frage „Und darum haben wir einen Krieg geführt?“ dürfte sich so mancher dieser Hühnerzüchter und Beamten in Zukunft ernsthaft stellen. (Angemerkt sei, daß der Song Newman 2018 seinen siebten Emmy Award für das Instrumentalarrangement eingebracht hat – den einzigen, den er nicht für eine Soundtrackarbeit erhalten hat.) in einem Interview sagte Newman über das Stück, an dem er seit Oktober 2014 gearbeitet hatte: „Ich bin auf die Idee gekommen, als all diese Bilder in der Presse auftauchten, die ihn mit nacktem Oberkörper zeigten. Als wenn er nicht nur einer der mächtigsten Politiker der Welt sein wollte, sondern auch noch Weltmeister im Ringen und Tom Cruise Konkurrenz machen wollte. Und ich habe ihn nicht genug kritisiert. Es ist wie ein Antikriegslied, in dem es nur ‚Krieg ist schlecht!‘ heißt. Natürlich ist er das.“ Als Inspiration diente Newman ein alter westlicher Propagandasong aus dem Tagen des zweiten Weltkriegs, „Stalin Wasn’t Stallin‘“, den das Golden Gate Jubilee Quartet, die eigentlich eher für traditionelle Gospeleinspielungen bekannt waren, aufgenommen hatte und der am 5. März 1943 auf Okeh mit der Nummer 6712 erschienen war.



„Putin hates the Putin girls / ‘cause he hates vulgarity”: Bis in die Jelzin-Zeit zeichnete sich die offizielle russische Kultur dadurch aus, daß bei allen Entbehrungen und ideologischen Vorgaben Profanität und Vulgarität ein absolutes Tabu darstellten. Flüche und skatologische Ausdrücke waren sogar im kriminellen Milieu weitgehend verpönt, vielen Russen waren unflätige Kraftausdrücke (über die diese Sprache natürlich auch damals verfügte) unbekannt, weil sie nie damit konfrontiert worden waren. Der Verlag Wsja Moskwa etwa, der 1989 nach der praktischen Freigabe der Zensur im Zug von Glasnost‘ Wiktor Jerofejews Roman Русская красавица (Die Moskauer Schönheit) veröffentlichte, mußte mehrfach die Druckerei wechseln, weil sich die Setzer weigerten, die derben Ausdrücke für leibliche Vorgänge aus der Vorlage zu benutzen.

Mit dem Amtsantritt von Wladimir Putin hat sich das geändert. Im Gedächtnis geblieben ist die Pressekonferenz, die er am 24. September 1999, bei einem Staatsbesuch in Kasachstan gegeben hat, einen Monat, nach er das Amt der Ministerpräsidenten von Boris Jelzin übernommen hatte. Zwei Wochen zuvor, am 9. und 13 September, waren bei zwei Bombenanschläge auf Wohnblöcke in Moskau jeweils 106 und 199 Menschen ums Leben gekommen. Die Anschläge, die tschetschenischen Terroristen zugeschrieben zugeschrieben wurden, waren der Auftakt zum zweiten Tschetschenienkrieg, der mit der völligen Zerstörung der Hauptstadt Grosny durch russische Truppen endete. (Bis heute ist der Fall offiziell nicht geklärt worden; der Verdacht, es könnte sich um eine „False Flag“-Operation des russischen Geheimdiensts FSB gehandelt haben, wurde von Anfang an geäußert. Auf der erwähnten Pressekonferenz sagte Putin wörtlich:

Мы будем преследовать террористов везде. В аэропорту - в аэропорту. Значит, вы уж меня извините, в туалете поймаем - мы и в сортире их замочим, в конце концов. Все, вопрос закрыт окончательно.


(Wir werden die Terroristen überall jagen. Wenn wir sie auf dem Flugplatz erwischen, dann auf dem Flugplatz. Und wenn wir sie auf dem Klo erwischen, dann werden wir sie – entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise – auf dem S***haus (сортир) ertränken. Das ist alles; damit ist die Sache erledigt.)


Seither zeigt das Niveau nicht nur in den russischen Medien eine erhebliche Verrohung und Vulgarisierung. Die Ausdrücke, mit denen die grobgeschnitzten Kommentatoren etwa auf Rossija-1 um sich werfen, wären zu Zeiten Stalins oder Breschnews völlig undenkbar gewesen. Und die mitgeschnittenen Telefonate der russischen Soldaten an der Front im Donbas, die sich in den ukrainischen sozialen Medien finden, sind eine einzige Sintflut an den vulgärsten, schmutzigsten Kraftausdrücken, über die das Russische verfügt, oft in endlos monotoner Wiederholung. Das geht weit, weit über das hinaus, was man aus ähnlichen Situationen etwa von den Fronten im Zweiten Weltkrieg oder im Vietnamkrieg her kennt.

PS.

„Theke → Antitheke → Syntheke“: diese nützliche Abwandlung der hegelianischen Trias verdanke ich Robert Gernhardt, bei dem es heißt:

Beim ersten Glas sprach Husserl
"Nach diesem Glas ist Schlusserl."

Ihm antwortete Hegel
"Zwei Glas sind hier die Regel."

"Das kann nicht sein", rief Wittgenstein,
"Bei mir geht noch ein drittes rein."

Worauf Herr Kant befand
"Ich seh ab vier erst Land."

"Ach was", sprach da Marcuse,
"Trink ich nicht fünf, trinkst du se."

"Trinkt zu", sprach Schopenhauer,
"Sonst wird das sechste sauer."

""Das nehm ich", sagte Bloch,
"das siebte möpselt noch."

Am Tisch erscholl Gequietsche,
still trank das achte Nietzsche.

"Das neunte erst schmeckt lecker."
"Du hast ja recht, Heidegger",

rief nach Glas zehn Adorno
"Prost auch! Und nun von vorno!"

***

"Zettels Raum" kürt "Putin" hiermit zum "Themensong des Jahrs 2022."

U.E.

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