Eins der Themen, das sich seit Jahren wie ein Generalbass durch meine Beiträge in diesem Netztagebuch zieht (jedenfalls soweit es die politischen Zustände in diesem Land betrifft), ist die Ansicht, daß die Classe politique dieses Staats, und das ziemlich unbeschadet ihrer jeweiligen Ausrichtung und Parteizugehörigkeit, seit Jahren nicht mehr in der Lage ist, zielgerichtet und planvoll zu handeln. Daß sie, wie ich es mehrfach präzisiert habe: nur noch in der Lage ist, einen einmal eingetretenen Zustand nach besten Kräften aufrechtzuerhalten und in die Zukunft zu verlängern – egal wie rechtswidrig und bedrohlich er sich für diese Zukunft erweist. Stattdessen werden sinnlos Milliarden von Euro verteilt – an NGOs, an Berater, an die Regierungen anderer Länder, an Gemeinden im eigenen Land, in der vagen Hoffnung, daß sich das Problem schon „irgendwie von selbst erledige“ oder zumindest Zeit damit gewonnen wird. So war es in der Eurorettung und dem Aufspannen der diversen Schutzschirme vor nun fast einem Jahrzehnt, so war es im blinden Verfolgen der Planziele der „Energiewende,“ dem Ausstieg aus Atom und Kohle als Energieträgern (und seit dieser Woche auch aus dem Gas), so war es nach der Grenzschleifung im Herbst 2015 und der Einladung an sämtliche dazu Willigen dieser Welt, hier aufgenommen und auf unabsehbare Zeit versorgt zu werden. So sehen wir es seit über anderthalb Jahren bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie.
Nun ist dieses letzte Beispiel nicht ganz gerecht. Denn andere Staaten haben hier ebenfalls in gleichem Maß versagt wie die deutsche Regierung. Aber SARS-CoV-2 war die erste Krise, die von außen über dieses Land hereingebrochen ist – über alle Länder der Welt. Anders als der Atomausstieg und die de facto-Abschaffung der Landesgrenzen handelt es sich dabei nicht um ein Problem, das unsere Regierung erst selbst erschaffen hat und an dessen Bewältigung sie so scheitert wie Goethes Zauberlehrling.
Dennoch zeigt sich auch hier dasselbe Phänomen, das ich bei den anderen Krisen als Konstante bemerkt und hier in den letzten Monaten mehrfach zum Thema gemacht habe: neben dem wahllosen Verteilen von Steuermilliarden eignet unseren Politikern die Gabe, mit einer fast erschreckenden Sicherheit Symbolbilder zu finden, die ihre Unfähigkeit in einer einzigen Geste, eine kleinen Handlung auf den Punkt bringen. In der sich der Zustand dieses Landes so zeigt wie im Ansinnen des römischen Kaisers Caligula, sein Lieblingspferd zum römischen Senator ernennen zu lassen. (*)
I.
In der vergangenen Woche hat es nun drei solcher Anlässe gegeben. Da war zum einen am Donnerstag, dem 18. November, die Meldung, daß Annalena Baerbock, aller Wahrscheinlichkeit nach die Außenministerin der künftigen rot-grünen Regierungskoalition, den Verkauf ihres Büchleins „Jetzt: Wie wir unser Land erneuern,“ da Ende Juni von Ullstein Verlag herausgebracht wurde, „gestoppt“ hat. In der Pressemitteilung des Verlags hier es dazu:
Das wegen Plagiatsvorwürfen in die Kritik geratene Buch von Grünen-Chefin Annalena Baerbock wird nicht mehr verkauft. Das habe Baerbock selbst entschieden, teilte der Ullstein-Verlag am Donnerstag in Berlin mit.
Eigentlich hatte Baerbock angekündigt, ihr Buch "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern" zu überarbeiten. Noch Mitte August teilte eine Verlagssprecherin auf Anfrage mit, Baerbock arbeite an der Ergänzung von Quellenangaben.
"Der Wahlkampf und die nachfolgenden Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen haben nicht den Raum für die notwendigen Ergänzungsarbeiten gelassen", erklärte Baerbock nun in über den Verlag verbreiteten Zitaten. "Es ist absehbar, dass sich dies in den kommenden Monaten nicht ändern wird." Das Buch werde nicht mehr gedruckt, im Handel befindliche Exemplare nicht mehr verkauft und auch das eBook sei ab sofort nicht mehr verfügbar, sagte eine Verlagssprecherin der Deutschen Presse-Agentur auf Nachfrage.
Es war von Anfang an klar gewesen, daß Frau Baerbocks Anteil an dem mit ihrem Namen gezeichneten Werkchen auf das Titelphoto und einige Interviews mit ihrem Ghostwriter Michael Ebmeyer beschränkte. Daran ist bei dieser Art von Reklameschriften von Politikern, zumal im Wahlkampf, nichts Ehrenrühriges (auch das wurde an dieser Stelle schon ausgeführt). Peinlich war es nur, daß der beauftragte Lohnschreiber ein dermaßen schludrig zusammengeschustertes Machwerk abliefert und sich niemand aus Frau Bearbocks Wahlkampfteam bemüßigt fühlte, nach der Ablieferung des Textes einmal einen Qualitätscheck durchführen zu lassen. Womit sich dieser Fehlgriff allerdings nahtlos in die Kette von Patzern, Patzigkeiten und Ahnungslosigkeiten einreiht, die sich wie ein roter Faden durch ihre politische Laufbahn ziehen.
Und ebenso typisch ist es, daß Frau Baerbock diese Peinlichkeit so wenig geschadet hat wie all die anderen herzhaften Sprünge in jedes am Weg liegende Fettnäpfchen. Im Forum zu diesem Netztagebuch, dem „Kleinen Zimmer,“ ist zurecht vermerk(el)t worden, daß es eine handfeste Ironie des Kismets ist, wenn ein Buch, das davon handelt, „wie wir unser Land erneuern,“ aus dem Handel genommen wird, weil nach Wegstreichen aller Plagiate nichts mehr übrig bliebe, und die „Verfasserin“ gleichzeitig in den Verhandlungen für die nächste Regierung sitzt und dieses Land in der kommenden Legislaturperiode vor aller Welt repräsentieren soll.
Ein Verlust für die Literaturgeschichte ist dies sicher nicht. Immerhin fällt auf, daß von den 305 Leserbewertungen, die das Opusculum beim Onlinehändler Amazon erhalten hat, 33 Prozent 5 Sterne als Höchstmarke vergeben und 42 Prozent nur einen (bei Amazon sind keine Bewertungen ohne *-Vergabe möglich). Man darf sich seinen Teil dabei denken. Immerhin muß ich gestehen, daß ich beim Lesen dieser Meldung zum ersten Mal versucht war, mir ein Exemplar der Schrift zu sichern, nicht aus Interesse, sondern als Kuriosum, als Sumpfblüte der Literaturgeschichte, das auf dem gleichen Regalbrett seinen Platz fände, wo beispielsweise schon Frank Tiplers "Physik der Unsterblichkeit" von 1994, Malena Ernmans Einblick ins Herz des durchgeknallten Thunberg-Haushalts von 2019, "Szenen aus dem Herzen" und Maria Dahvana Headleys Übersetzung des "Beowulf" von 2020 (in dem sie das brüchtigte Austaktwort, das Hapax Legomenon "hwaet!" - etwa "Obacht!" "Achtung!" - zeitgeistkonform mit "Bro!" wiedergibt und sich auch solnst reichliche Freiheiten wie das Erfinden neuer Verszeilen herausnimmt) versammelt sind und in diesem Jahr Avi Loebs "Außerirdisch" hinzugekommen ist, im Februar bei DVA erschienen, in dem uns der Verfasser allen Ernstes nahelegen möchte, bei dem Kometen 'Oumuamua aus dem Jahr 2017 habe es sich um eine Sonde eines außerirdischen Zivilisation gehandelt.
II.
In eine ähnliche Kategorie – „Leistung ohne Verdienst“ – fiel einen Tag vorher, am Mittwoch den 17., die Meldung, daß Frau Merkel für die Zeit nach ihrer Demission als (zurzeit) stellvertretender Bundeskanzler ein großes Büro mit insgesamt neun Mitarbeitern, einschließlich zwei Fahrern, bewilligt worden ist, anstatt der im Reglement dafür fünf vorgesehenen Stellen. Die Aufforderung dazu kam aus dem Kanzleramt, also von Frau Merkel selbst. Zur Bemessensgrundlage heißt es: „Im Jahr 2019 beschloss der Haushaltsausschuss zudem, dass zukünftige Kanzler und Bundespräsidenten nur noch einen Büroleiter, zwei Referenten, eine Büro- oder Schreibkraft und einen Fahrer bekommen sollen.“ Nun, was hätten bisherige Regelungen Frau Merkel je gekümmert? Sie ist dazu da, neue Maßstäbe zu setzen. Auch daß die Aufwendungen für die neuen Posten in der Besoldungsgruppe B6 (für die beiden Büroleiter) bis E5 (für die beiden Chauffeure) dadurch eingespart werden sollen, das „nichtbesetzte“ Stellen im Verteidigungsministerium eingespart werden, paßt in dieses Bild. Daß die Begründung dafür lautet:
„Die künftige Bundeskanzlerin a.D. wird nach ihrer Kanzlerschaft im Bundesinteresse liegende Aufgaben wahrnehmen, die aus fortwirkenden amtlichen Pflichten resultieren.“
mag formal seine Richtigkeit haben, befremdet den Laien aber doch ein wenig. Welche „fortwirkenden amtlichen Pflichten“? Kanzler wird Herr Scholz sein (aller Voraussicht nach); ihm obliegen die Amtspflichten des Kanzlers. Frau Merkel wird ein Politrenter sein, wie Gerhard Schröder, wie Barack Obama, wie Theresa May. Dem kleinen Zyniker[TM], der hier ja stets mitschreibt, steht prompt das Bild vor dem geistigen Auge, daß sie vielleicht gar nicht ihr Amt aufgibt, sondern als „Dragon Lady“ weiter im Hintergrund das Geschehen lenkt und ihre nie zu Ende gehende Herrschaft fortsetzt – vergleichbar der „Kaiserinwitwe“ Cixi auf dem Drachenthron nach dem Tod ihres ältesten Sohns, des Tongzhi-Kaisers im Jahr 1875.
Vielleicht aber, so merkt der kleine Zyniker an, geht es darum, dieser Frau, die nie irgendein Interesse außer dem der Machtausübung gezeigt hat, von der kein Verweis auf musische Neigungen, von Vertrautheit mit Literatur oder Musik, keine zitierte Gedichtzeile bekannt ist, die Illusion des einzigen zu erhalten, was sie umgetrieben hat, seit sie 1993 zum ersten Mal als „Kohls Mädchen“ ein politisches Amt ihr eigen nannte. Die Illusion, weiterhin der Mittelpunkt des Universums zu sein und von den Medien als „Weltkanzlerin“ akklamiert zu werden. Man kann sich zwar nur schwer vorstellen, daß man ihr weiterhin den roten Teppich ausrollen wird, wenn sie künftig dem Rest dieses Universums die Aufwartung macht, ohne die Steuermilliarden freigiebig zu verteilen, die sie bislang als ihr Privatvermögen betrachtet zu haben scheint. Aber sicher finden sich genügend andere ehemalige Regierungschefs („gekrönte Häupter,“ hätte der Kleine Zyniker beinahe getippt), die ihr in ihrem neuen Kaiserpalast (vulgo: dem erweiterten Kanzleramt, dessen vorgesehene Versailles-Dimensionen schon vor geraumer Zeit das Staunen der Medien erregten) gern die Aufwartung machen – vergleichbar nicht dem „alten Buddha,“ sondern ihrem Enkel Pu Yi, dem „letzten Kaiser,“ der nach der Ausrufung der Republik 1911 weiter in der Verbotenen Stadt residierte, ohne zu zunächst zu wissen, daß er längst nicht mehr der Herrscher des Himmels war – bis er im Februar 1925 Knall auf Fall vom Warlord Feng Yuxiang, der ein paar Monate zuvor die Macht in der ehemaligen Hauptstadt übernommen hatte, mit drei Dutzend der engsten Bediensteten daraus vertrieben wurde. An dieser Stelle wurde schon vermerkt, daß es unserer Politik mittlerweile obliegt, die Felder von Kunst, Kultur und Literatur zu bespielen, weil deren Protagonisten nur noch Claqueure und Lobhudler der Regierung darstellen. Ein solches Szenario liefe dann auf ein Remake von „Good Bye, Lenin!“ im „wirklichen Leben“ hinaus, „large as life and twice as natural,“ wie es in Lewis Carrolls „Alice in Wonderland“ heißt. „In der Mitte aller Dinge / Wohne Ich, der Sohn des Himmels. / Meine Frauen, meine Bäume, / Meine Tiere, meine Teiche/ Schließt die erste Mauer ein,“ wie es bei Hugo von Hofmannsthal heißt.
III.
Ein vergleichbarer Cäsarenwahn spricht aus meinem dritten Beispiel dieser Woche, einem Meinungsartikel, den Sandra Detzer, Vorsitzende der Grünen in Baden-Württemberg und bei der Wahl vor zwei Monaten über die Landesliste in den Bundestag gewählt, am Freitag in der Welt veröffentlicht hat. Ich zitiere etwas länger daraus, damit sich jeder Leser ein Bild von dem Duktus und dem Dünkel machen kann, den eine Partei befällt, die gerade einmal 14,3 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigt hat, aber die Rettung der Schöpfung auf ihre Fahnen geschrieben hat.
Wo wir Grünen an die Schalthebel der Macht kommen, werden wir nicht mehr verhandeln
Keine Sorge: Wenn die Koalition erst steht, wird uns nichts mehr aufhalten können. Wir werden alle Macht nutzen, so lange, bis am Ende wir selbst auf dem Thron landen.
Sollen SPD und FDP ruhig ihren Wahlsieg genießen, ohne uns Grüne ist er bedeutungslos. Ohne unsere Ideen, unsere Konzepte, unseren Elan wird es in Berlin keine Fortschrittsregierung geben, auf die die ganze Welt um uns herum mit Spannung wartet.
Die FDP wird in ihrem verständlichen Übermut wieder zurückstecken müssen. Wenn sie tatsächlich das Finanzministerium bekommt, dann nur, wenn im Koalitionsvertrag sichergestellt ist, dass die in Zukunft von Grünen und SPD gesteuerten Transformationsministerien die nötigen Finanzmittel bekommen, um eine echte Wende zur Klimaneutralität vollziehen zu können. Das ist der Preis des Finanzministeriums in einer funktionstüchtigen Ampel-Regierung. Keiner weiß das besser als der amtierende Finanzminister.
Und deshalb wird gerade uns Grüne an der Regierung anschließend nichts mehr aufhalten können.
Alles liegt griffbereit in der Schublade. Wo wir Grüne an die Schalthebel der Macht kommen, werden wir endlich die faulen Kompromisse der Vergangenheit aufdecken können. Wir werden nicht mehr verhandeln, welche Dörfer noch für den Braunkohleabbau verschwinden sollen und welche nicht. Stattdessen wird der Irrsinn enden.
Anders als bei unserem ersten Aufbruch ins nationale Regierungsgeschäft 1998, als Rot-grün gegen die geballte Macht der Konzerne antrat, werden wir heute von enormen wirtschaftlichen Interessen getragen, von der Chemie- bis zur Autoindustrie, die sich selbst die Klimaneutralität zum Ziel setzen. Das wird unser Regieren leichter und effizienter machen. Zumal die Unternehmen wissen, dass nur wir Grünen über das nötige Netzwerk an Klimawissenschaftlern und Transformationsstrategen verfügen, um zwischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft einen neuen deutschen Klimakonsens auszuhandeln.
Eins hilft übrigens ganz sicher nicht: weiter in den Wunden des grünen Bundestagswahlkampfes zu stochern und dabei auf die Person Annalena Baerbocks zu zielen. So mancher grüne Landespolitiker, der das nicht lassen kann, hat sich selbst nie den Berliner Härten ausgesetzt, die unsere Kanzlerkandidatin gemeistert hat. Schon jetzt wäre eine Ampel ohne sie gar nicht vorstellbar, denn sie hätte keine Frau an ihrer Spitze.
Es ist billig, die Abschaffung der Pendlerpauschale zu fordern, wenn wir nicht genau sagen, wie die dann eingesparten Milliarden auf anderem Weg in ländliche Regionen fließen. Aber genau das werden wir tun: reformieren und neu verteilen, wo es dem Klimaschutz zugutekommt.
„Uns wird nichts mehr aufhalten,“ „wir werden nicht mehr verhandeln,“ „wir werden alle Macht nutzen, bis wir selber auf dem Thron sitzen“ (meine Beispiele aus der Endphase des chinesischen Kaiserreiches habe ich nicht ohne Bedacht gewählt. Wie war der Wahlspruch Isnoguds noch? „Ich will Kalif sein anstelle des Kalifen!“), „der Irrsinn wird enden“: man stelle sich nur für eine Sekunde lang vor, ein Vertreter der schwefligen Alternative hätte auf einer Wahlkampfveranstaltung in der sächsischen Provinz solche Töne angeschlagen: das Empörungsgeschrei der Medien wäre bis zum Andromedanebel vernehmbar gewesen. Wobei man zugeben muß: es fällt schwer, in dergleichen Maßlosigkeiten nicht schon die beste Parodie zu erkennen. „Ohne uns wird es keine Fortschrittsregierung geben, auf die die ganze Welt um uns herum mit Spannung wartet.“ Die naheliegende Platitüde von „…und morgen die ganze Welt…“ spare ich mir an dieser Stelle. Aber angesichts der Tatsache, daß in jetzt zehn Jahren kein Land das „Exportmodell Atomausstieg“ für nachahmenswert befunden hat; daß auch bislang freigiebige Staaten wie Schweden und Dänemark die Politik der „offenen Grenzen für jedermann“ ad acta legen, und die EU wohl in Kürze die Nutzung des Atomkraft als „grüne Energie“ formell absegnen wird, um die verkündeten Ziele der „Klimaneutralität bis 2050“ (oder war es 2040? Oder 2035?) einhalten zu können, dürfte die einzige Spannung, die bei diesem Rest des Universums aufkommt, um die Frage drehen, zu welchem Wahnsinn sich diese Deutschen jetzt nun wieder hinreißen lassen werden.
Nach einem Bericht der „Wirtschaftswoche“ von gestern ist der erste Pflock dafür bereits eingeschlagen. Dazu heißt es bei n-tv:
SPD, Grüne und FDP haben sich einem Medienbericht zufolge auf einen Ausstieg aus der Energiegewinnung durch Gas bis spätestens 2045 verständigt. Wie die "Wirtschaftswoche" berichtet, kamen die Verhandler der künftigen Ampel-Regierung darüber überein, den Ausstieg womöglich sogar auf das Jahr 2040 vorzuziehen, "wenn das technisch machbar ist".
Zur Begründung für den geplanten Schritt heißt es, das Ziel einer CO2-Neutralität sei anders nicht zu erreichen. Nach dem Ausstieg aus der Kernenergie und dem bereits beschlossenen Ausstieg aus der Kohle fällt damit ein weiterer Energieträger auf absehbare Zeit weg. Der Kohleausstieg ist bisher für spätestens 2038 vorgesehen, die Grünen drängen in den Koalitionsverhandlungen darauf, ihn auf 2030 vorzuziehen.
Es ist immer symptomatisch, wenn sich Regierungen in spe auf genau festgelegte Daten kaprizieren, die nicht nur nicht mehr in die nächste Legislaturperiode fallen, sondern drei und mehr in der Zukunft liegende. Ebenso symptomatisch ist es, daß angesichts der Tatsache, daß angesichts der Abschaltung der letzten drei verbleibenden Kernkraftwerke am 31. Dezember 2022 völlig unklar ist, wie dann die Grundlast an benötigtem Strom sichergestellt werden soll, auch ohne den anstehenden Ausstieg aus der Kohleverstromung. Und das berücksichtigt noch nicht einmal den neuen Stand in Sachen auf Erdgasversorgung, der sich ebenfalls einer Meldung aus der vergangenen Woche, vom Montag, den 16. November, entnehmen läßt. Dazu heißt es in der FAZ:
Lange Verzögerungen erwartet : Bundesnetzagentur setzt Zertifizierung für Nord Stream 2 vorerst aus
Aktualisiert am 16.11.2021-11:17
Rückschlag für die umstrittene Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2: Die Bundesnetzagentur hat ihr Verfahren zur Zertifizierung der Nord Stream 2 vorläufig ausgesetzt. Nun steht das Projekt vor einer gewaltigen Verzögerung.
Grund ist, dass die vom Konsortium hinter Nord Stream 2 gegründete Betriebsgesellschaft für die Pipeline ihren Sitz in der Schweiz hat. Nach Ansicht der Bundesnetzagentur kann ein Betreiber der Leitung aber nur dann zertifiziert werden, wenn der Betreiber in einer Rechtsform nach deutschem Recht organisiert ist. Die Nord Stream 2 AG habe sich aber entschlossen, nicht die bestehende Gesellschaft umzuwandeln, sondern eine Tochtergesellschaft nach deutschem Recht nur für den deutschen Teil der Leitung zu gründen, wie es von der Bundesnetzagentur heißt.
Diese Tochtergesellschaft soll Eigentümerin des deutschen Teilstücks der Pipeline werden und dieses betreiben. Bevor die Gesellschaft zertifiziert werden kann, müssten aber erst die wesentlichen Vermögenswerte und das Personal auf sie übertragen werden, hieß es von der Behörde. Bis das abgeschlossen sei, bleibe das Zertifizierungsverfahren ausgesetzt. Erst dann könne die Bundesnetzagentur die neu vorgelegten Unterlagen der Tochtergesellschaft auf ihre Vollständigkeit hin prüfen.
Die Bundesnetzagentur ist eine Behörde, die dem Bundeswirtschaftsministerium untersteht. Man muß sich das einmal an den Fingern abzählen, um zu erkennen, welches Maß der hier ablaufende Irrsinn mittlerweile erreicht hat. Nordstream 1 und 2 für die Zuleitung von russischem Erdgas sind notwendig geworden, um die Gaskraftwerke angesichts des steigenden Bedarfs durch die Abschaltung der Kernkraftwerke versorgen zu können; es werden Ende 2021 und 2022 ja zudem zahlreiche „konventionelle,“ mit Kohle befeuerte Kraftwerke vom Netz genommen. Der Verlauf der beiden Strecken ist seit vielen Jahren festgelegt und sollte auch der Bundesnetzagentur bekannt sein – desgleichen die Zuständigkeiten und Regularien für die Betreiberkonsortien. Daß eine solche Formalie wenige Tage das Projekt auf unabsehbare Zeit auf Eis legt, nachdem die zweite Pipeline fertiggstellt wurde und nur von einer technische Abnahme vor der Aufnahme der regulären Gaslieferungen in diesem Winter stand, läßt nur zwei mögliche Schlüsse zu. Entweder ist diese Behörde noch unfähiger und verantwortungsloser als der Rest der „Hippieregierung.“ Oder aber es ist hinter den Kulissen Druck ausgeübt worden – etwa von der amerikanischen Regierung, der Nordstream 2 seit Jahren ein Dorn im Auge ist und die schon den gescheiterten Mordanschlag auf den irrlichternden Dissidenten Alexei Nawalny im August 2020 zum Anlaß nahm, von der deutschen Regierung kompromißlos eine Einstellung des Pipelinebaus zu verlangen. (Daß Nawalny als Irrlicht und Spintisierer genannt werden darf, verdankt sich keiner Sympathie für die russische Regierung meinerseits. Wer nach solch einem Anschlag auf das eigene Leben freiwillig dorthin zurückkehrt, anstatt einzusehen, daß sein einzige Chance auf ein halbwegs freies Leben im Exil und lebenslanger politischer Abstinenz besteht, sollte nicht als vernunftgelenkt betrachtet werden.) Oder es steckt das bewußt verfolgte Ziel dahinter, die Energieversorgung dieses Landes nicht durch Blindheit und kindischem Idealismus zu vernichten, sondern gezielt. „Ockhams Rasiermesser“ legt nahe, die Blindheit am Werk zu sehen. Aber wäre jemand nach all dem, was in diesem Land seit Jahren passiert, auch nur im Geringsten überrascht, wenn hier tatsächlich ein perfider Plan, geduldig und von langer Hand vorbereitet, umgesetzt würde?
Nach meiner oben begonnenen Zählung wären dies nicht nur drei, sondern fünf solche Akte in Wochenfrist. Aber weil es mir hier um folgenlose, symbolische Meldungen geht, nicht um tatsächlich gravierende Entscheidungen mit konkreten Folgen, belasse ich es bei den drei ersten. Bleibt zu hoffen, daß hiermit nicht ein „neues Normal“ gesetzt worden ist, das solange Gültigkeit besitzt, bis die Wirklichkeit wieder das Tempo erhöht.
Fußnote: * Ich weiß, daß Kaiser Caligula sein Lieblingpferd Incitatus nicht zum römischen Konsul hat küren lassen. Dennoch ist die Anekdote in den letzten fünf Jahrhunderten zu einem Standardtopos für Cäsarenwahn und die Torheit unumschränkter Herrscher geworden. Sueton schreibt dazu in seiner Lebensbeschreibung des Kaisers in Kapitel 55:
Incitato equo, cuius causa pridie circenses, ne inquietaretur, viciniae silentium per milites indicere solebat, praeter equile marmoreum et praesaepe eburneum praeterque purpurea tegumenta ac monilia e gemmis domum etiam et familiam et supellectilem dedit, quo lautius nomine eius invitati acciperentur; consulatum quoque traditur destinasse.
(Er pflegte seine Soldaten am Tag vor den Wettkämpfen loszuschicken und für Stille in der Nachbarschaft zu sorgen, um sein Pferd Incitatus nicht zu stören. Außer einem Stall aus Marmor und einer mit Elfenbein eingezäunten Weide, Decken, die mit Purpur gefärbt waren und einem Zaumzeug, das mit Edelsteinen besetzt war, schenkte er diesem Pferd ein Haus, eine Mannschaft von Sklaven und Mobiliar, um die Gäste, die in seinem Namen vorgeladen wurden, vornehmer unterhalten zu können. Und es heißt auch, er habe vorgehabt, es zum Konsul zu ernennen.)
Bei Cassius Dio, der zweiten antiken Quelle, in der diese Episode Erwähnung findet, heißt es im Kapitel 14 von Buch 59 der „Römischen Geschichte“:
Er lud eines der Pferde, dem er den Namen Incitatus gab, zum Gastmahl zu sich ein, wo er ihm goldenen Hafer anbot und aus goldenen Bechern Wein auf seine Gesundheit trank. Es schwor auf das Glück und das Leben dieses Tiers, und er versprach, es zum Konsul zu ernennen. Und wenn er noch länger gelebt hätte, hätte er dieses Versprechen sicher auch wahr gemacht.
U.E.
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