15. April 2021

Tokio 1948, Gong Qiuxia, und der Swinghop von 2013. Eine Flanerie durch die Assoziationsgeschichte





Das letzte Rätsel in diesem Netztagebuch fand sich gleich am Anfang dieses Jahres, im Zusammenhang mit der römischen Universalsauce Garum, als die Frage nach dem Verfasser eines kleinen Textes zum Thema gestellt wurde. Heute soll es um die Bereiche "Musik" und "Film" gehen, in einer Vorblende auf die Auflösung zum Thema, die ich am Wochenende hochladen werden. Anstoß war der Ausschnitt aus Akira Kurosawas Film "Träume" in meinem letzten Posting, und die Überlegung, daß ich an dieser Stelle schon geraume Zeit keine Musik mit Bezug zu Ostasien zum Thema genommen habe.

­

Heute soll es nicht um die Frage gehen: welches Stück ist in dem eingebetteten Video mit Bewegtbildern illustriert? Das ist trivial, das der Titel eingeblendet ist: es handelt sich um "Ms. Yutani," dem zehnten Track auf dem zweiten Album der belgischen Combo Boogie Belgique, "Time for a Boogie," das im Januar 2013 als limitierte CD in einer Auflage (kann man so sagen? "Preßzahl," der Ausdruck, der zur Zeit der von Nadeln abgetasteten Tonträger üblich war, scheint angesichts des Implodierens der Pits auf der bedampften Oberfläche durch Laser ebenso unpassend) von 400 Exemplaren veröffentlicht worden ist. Die Gruppe, 2012 von Oswald Cromheecke gegründet, bezeichnen ihren elektronischen Musikstil als "Swinghop," ein Portmanteauwort aus Hiphop und Swing. Während der Autor dieser Zeilen sich hiermit als allergisch gegen alles, was seit jetzt 30 Jahren unter den Lebeln "Techno" oder "Hiphop" feilgeboten wird, bekennt (und wahrscheinlich als Barbar outet, weil er die beiden Genres umstandslos in eins setzt), muß er zugeben, daß in diesem Fall eine Ausnahme zu machen ist. Wahrscheinlich liegt es daran, daß die Gruppe eher unbekannte Swing-Stücke aus dem 1930er und 1940er als Grundlage ihrer elektronischen Zugaben wählt, und die federnde Baßlinienführung, die Synkopation der Vorbilder hier durchaus ein Echo findet. Volker Kriegel, als Zeichner ebenso unvergessen wie als Kleinmeister des deutschen Jazz, befand schon vor über dreißig Jahren zum Motto "It don't mean a thing / if it ain't got that swing...": "Völlig swingfrei klingt es dagegen aus dem Bereich des Techno." Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel.

Nein, die heutige Frage gilt zwei anderen Aspekten des Stücks. Musikalisch: auch hier hat ja ein ersichtlich schon etwas älteres Stück, unverkennbar dem Swing zuzuschlagen, die Vokalpartie und die Melodieführung geliefert, über die denn die elektronischen Klänge gelegt worden sind. Um welches Stück könnte es sich dabei handeln? Wer mag die Sängerin sein, und aus welchem Jahr könnte dies stammen? Vom Text und seiner Bedeutung sehe ich hierbei ab.

Und visuell: die Filmsequenz, zu deren Bildern dies im "offiziellen Video" zu diesem Track erklingt. Daß es sich um Ostasien handelt, ist klar, und daß die Szenen nicht lang nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufgenommen sein müssen, ist aus der Präsenz der zahlreichen Jeeps der amerikanischen Armee und der Militärlastwagen sofort auszumachen. Aber läßt sich auch dies näher eingrenzen: der Ort, die Zeit, und vielleicht sogar, um was es sich hierbei handelt? Ein Ausschnitt aus einer Wochenschau vielleicht?

* * *



Nachtrag und Lösung.

Ein wenig später als beabsichtigt reiche ich hier die Lösung meines kleinen Rätsels nach. das sich für die Leser im Forum dieses Netztagebuchs als wesentlich unkniffliger erwies als vermutet. Dennoch gibt es einen "verborgenen Konnex" zwischen dem gesampelten Stück und den Bildern, der den Erstellern des Videos nicht bewußt gewesen sein dürfte und der erst auffällt, wenn man beiden Spuren ein wenig nachspürt. Bei der Sängerin handelt es sich um 龚秋霞, Gong Qiuqia (1918-2004) und bei den Filmaufnahmen um Szenenaufnahmen zu dem Kriminalfilm der "Schwarzen Serie" "Tokyo Joe," der 1949 unter der Regie von Stuart Heisler entstand und in dem Humphrey Bogart die Hauptrolle spielte.

Aber der Reihe nach.

Der Titel "Mrs. Yutani," den Boogie Belgique ihrem Stück gegeben haben, dürfte noch am ehesten bei heutigen Medienkonsumenten erkennbar sein: die "Weyland-Yutani-Corporation" ist der zwielichtige interstellar operierende Konzern in Ridley Scotts "Alien" und seinen Forsetzungen, der Ripley (Sigourney Weaver) dazu benutzt, um sich die riskante Biotechnologie nutzbar zu machen. Am Ende von "Aliens vs. Predator: Requiem" von dem Jahr 2007, der Fortsetzung des ersten AvsP-Films von 2004, hat Ms. Yutani, gespielt von Francoise Yip, die CEO des Konzerns, in der Schlußszene einen kurzen Auftritt.



(Gong Qiuxia)

Gong Qiuxia (nach der damals üblichen Wade-Giles-Transliterierung Kung Chiu Hsia), im Dezember 1918 in Chongming, dem nördlichsten Stadtbezirk von Shanghai geboren, war die älteste der 七大歌星(qī dà gēxīng), der "sieben großen singenden Sterne" des Shidaiqu, jener Ausprägung der chinesischen Unterhaltungsmusik, das Elemente vor allem der Swingmusik mit genuin tradierten chinesischen Elementen mischte. Und sie war die einzige, deren Hauptbetätigunsfeld die Schauspielerei war: ab 1936 spielte sie in insgesamt 26 Filmen mit, bevor sie und ihr Mann nach dem erneuten Ausbruch des Bürgerkriegs im Herbst 1946 nach Hongkong zogen. Alle "Sieben Sterne" waren unter einem Spitznamen, einem Bühnennamen bekannt (Zhou Xuan als "die goldene Stimme," Yao Li als "die silberne Stimme"). Gong Qiuxia verdankte dem Film 四千金 ("Die große Schwester") von 1937 ihren Spitznamen - eben "große Schwester." Die meisten dieser Filme waren lose Aneinanderreihungen gängiger Schlager, die dazu gedacht waren, den Verkauf der 78er-Schellackplatten zu befördern. Und das von "Boogie Belgique" gesampelte Stück bildet hier keine Ausnahme. 蔷薇处处开 (Qiángwēi chùchù kāi), "Rosen blühen überall," ist die Titelmelodie des gleichnamigen Films, der unter der Regie von 方沛霖 / Feng Peilin (1908-1948) für das Studio Linhua entstand und am 23. September 1942 in Shanghai Kinopremiere hatte. Die "Plattenauskoppelung" erschien bei Victor (Manchurian Talking Machines Co, Ltd.), der Shanghaier Dependance der amerikanischen Muttergesellschaft (die noch einigen, wenn auch nicht dem Namen nach, geläufig sein dürfte, weil sie den Hund Nipper als Markenzeichen verwendete, der "His Master's Voice" lauscht), unter der Katalognummer 42211A. Die B-Seite bildete der Song 夢中人 (mèngzhōng rén, "Der oder Die Erträumte" - da das Chinesische keinen Numerus besitzt, läßt sich das ohne Kontext nicht entscheiden). Text und Melodie des Stücks stammen von 陳歌辛, Chen Gexin (1914-1961), der in diesem Fall unter dem Pseudonym 林枚, Lin Mei, firmierte.



蔷薇蔷薇处处开
青春青春处处在
挡不住的春风吹进胸怀
蔷薇蔷薇处处开
蔷薇蔷薇处处开
青春青春处处在
挡不住的春风吹进胸怀
蔷薇蔷薇处处开
天公要蔷薇处处开
也叫我们尽量地爱
春风拂去我们心的创痛
蔷薇蔷薇处处开
春天是一个美的新娘
满地蔷薇是她的嫁妆
只要是谁有少年的心
就配做她的情郎
啊 蔷薇蔷薇处处开
青春青春处处在
挡不住的春风吹进胸怀
蔷薇蔷薇处处开
春天是一个美的新娘
满地蔷薇是她的嫁妆
只要是谁有少年的心
就配做她的情郎
啊 蔷薇蔷薇处处开
青春青春处处在
挡不住的春风吹进胸怀
蔷薇蔷薇处处开



Rosen blühen überall
Überall ist die Jugend
Vom Frühling schwillt mir die Brust
Rosen blühen überall
Der Himmel bringt überall Rosen zum Blühen
Und er befiehlt uns,so viel zu lieben wie möglich
Der Frühlingswind vertreibt den Schmerz aus unseren Herzen
Rosen blühen überall
Der Frühling ist eine schöne Braut
Und die Rosen auf den Wiesen sind ihre Brautgaben
Und solang jedes Herz jung ist
Darf es den Frühling lieben.

Die Handlung des Films ist ein ziemliches Melodrama: Wei Gu (gespielt von Gong Qiuxia), deren Mutter eine hervorragende, aber wenig lukrative, Rosenzucht aufgebaut, lernt bei ihrer Arbeit eines Tages Feng Ziyu (薇姑, Wei Gu), einen Sohn aus wohlhabender Familie kennen, dessen Mutter sie aufgrund ihrer Lebenslust und Natürlichkeit wie eine verlorene Tochter ins Herz schließt, dessen Vater seinen Sohn aber zu einer arrangierten Geldehe nötigen will. Ye Zhongchang, alter Bekannter der Familie Wei, der selbst ein Auge auf Gu geworfen hatte, schwärzt sie mit übler Nachrede bei Mutter Feng an, die daraufhin die Ehepläne ihres Sohns untersagt. Gu stirbt an gebrochenem Herzen, und erst an ihrem Grab erkennen Mutter und Sohn Feng ihren Irrtum.



(Chen Gexin)

Daß in dem "offiziellen" Video ein Lied aus einem chinesischen Film, der zur Zeit der japanischen Besetzung und Zensur in Shanghai entstand, Filmaufnahmen aus Tokio zur Zeit der amerikanischen Besatzung ganz Japans (sie endete 1952) untermalt, ist aber nur der Anfang der Volte. Chen Gexin, von dem wie gesagt Melodie und Verse stammen, zählte zu den kreativsten Köpfen des Shidaiqu. Mehr als 200 Songs stammen aus seiner Feder; unter anderem komponierte er 1935 das erste Musical Chinas. Von ihm stammt auch das bis heute aus Anlaß des chinesischen Neujahrsfests weltweit meistgespielte chinesische Lied: 恭喜恭喜 / Gōngxǐ Gōngxǐ ("Glückwünsche! Glückwünsche!"). Komponiert wurde dieses Stück von Chen (diesmal unter dem Nom de plume 慶餘 / Chen Yu) aus Anlaß des ersten Neujahrsfestes im Februar 1946 nach acht Jahren japanischer Besatzung. Freilich stammt von ihm auch die Musik zu einem Kompanielied für eine Ausbildungsstaffel japanischer Kamikaze-Piloten, die in Shanghai stationiert war. Von diesem Stück, geschrieben im März 1945, das in chinesischen Berichten den Titel 《神鹫歌》 ("Das Lied des Kondors") trägt, scheint keine Aufnahme im Netz auffindbar zu sein. Chen wurde im Juli 1946 wegen Verdachts der Kollaboration mit dem "Marionettenregime" unter Wang Jingwei verhaftet (er hatte auch einen Marsch für die "Kulturbewegung der großasiatischen Co-Prosperitätssphäre" komponiert, mit der die japanische Propaganda um Kollaborateure auf kulturellem Gebiet warb), aber nach einer Woche entlassen. Solche Kollaborationen erscheinen freilich in einem etwas anderen Licht, wenn man weiß, daß Chen am 16. Dezember 1941, acht Tage, nachdem die japanischen Truppen die französische und die internationale Konzession in Shanghai besetzt hatten, von der Kempetai, der Geheimpolizei verhaftet wurde und für drei Monate im Gefängnis in der Jessfeld Road Nr. 16 in der Internationalen Konzession inhaftiert war und auch gefoltert wurde. Sein Vergehen bestand darin, daß er 1938 bei der Komposition der Filmmusik für eine Verfilmung des Romans 《儿女英雄传》von 燕北闲人 /Yanbei Xianren ("Die Geschichte von den heldenhaften Jungen und Mädchen", erschienen 1878) durch 岳枫 / Yue Feng eine chinesische Version des russischen "Lieds der Wolgaschiffer" instrumentiert hatte, bei der er für den chinesischen Text mit Yan Fang zusammengearbeitet hatte, der Mitglied der Kommunistischen Partei im Untergrund war. Solche Wechselfälle machen einem klar, daß die Schicksale von Künstlern, Autoren, Intellektuellen, die im "Paris des Ostens" zwischen die Mühlräder mörderischer Ideologien gerieten, durchaus vergleichbar sind mit denen ihrer Kollegen im Paris des Westen. Chens Leben nach dieser Zeit stand weiter unter diesem Unstern. 1957 wurde er im Zug der "Anti-Rechts-Kampagne" nach dem Ende der "Laßt hundert Blumen blühen!"-Bewegung als "Komponist von Unterhaltungsmusik" angeklagt, in ein Lager in der Provinz Anhui geschickt und verhungerte dort während der Hungersnot des "Großen Schritts nach vorn" im Februar 1961 im Alter von 47 Jahren.

Apropos "Kamikaze-Staffel" und "Shanghai": Ältere Kinogeher mögen sich bei diesen beiden Stichworten vielleicht an eine Szene aus Steven Spielbergs "Empire of the Sun" erinnern: der Film von 1987, der auf dem gleichnamigen Roman von J. G. Ballard beruht, der dort nach eigenen Erinnerungen die Zeit in seiner Geburtsstadt nach der Besetzung des Konkessionen durch die Japaner und der Internierung aller Ausländer in Lagern schildert, zeigt gegen Ende des Films ein Tableau, im dem Jim einer Gruppe junger japanischer Piloten zu, die eine Hymne absingen, bevor sie zu ihrem letzten Einsatz starten. Während "Jim" ihnen zusieht und -hört, grüßt er sie mit militärischem Salut, stimmt aber das walisische Kinderlied "Guo San" an, das nun auf der Tonspur die japanischen Zeilen übertönt. Nein: bei diesem Lied - dem japanischen - handelt es sich nicht um das "Lied des Kondors." Stattdessen singen die Piloten das für diese Gelegenheit vorgeschriebene "Umi Yukaba" (海行かば), das Kiyoshia Nobotuki 1937 nach vier Zeilen aus dem "Manyoshu" aus dem achten Jahrhundert komponierte, in dem es heißt: "Auf dem Meer werde ich eine schwimmende Leiche werden / in den Bergen wird das Gras über ihr wachsen / aber wenn ich für meinen Herrn sterbe, werde ich es nicht bereuen." Während der Jahre der 日本国 Nippon-koku, der amerikanischen Besatzungzeit, war das Lied wie die meisten anderen "Gunka" (Militärlieder) verboten.



* * *

Und während der Jahre dieser Nippon-koku waren die ersten Filmaufnahmen, für die ein westliches Team für einen Spielfilm eine Drehgenehmigung von der Militärverwaltung unter General McArthur erteilt bekam, das Second Team, der Zweite Stab der Filmcrew für "Tokyo Joe," das das Studio Columbia Pictures Ende 1948 nach Japan schickte. Der Film mit Humphrey Bogart in der Hauptrolle ist selbst komplett im Studio in Hollywood gedreht worden, die Szenen, die in Tokio in den Vierteln Shinbashi und Shibuya gefilmt wurden, sind am Anfang des Film zu sehen, wo sie hinter dem Hauptdarsteller auf seinem Weg auf der Suche nach seiner alten Stammkneipe eine tatsächliche Straßenszene suggerieren, während der Schauspieler sich vor einer Projektionslandschaft bewegt. Joe Barrett, ehemaliger Hauptmann der Air Force. Joe entdeckt, daß seine Frau, die von den Japanern interniert worden war und die er für tot hielt, noch lebt, aber mittlerweile anderweitig liiert ist, und daß er mittlerweile siebenjährige Tochter hat, die im Lager geboren wurde. Um nach dem Ablaufen seines kurzfristigen Visums noch im Land bleiben zu können, um den gordischen Beziehungsknoten zu entwirren, versucht er ein Importgeschäft zu eröffnen, wofür ihm aber die Mittel fehlen. Baron Kimura (gespielt von Sessue Hayakawa) ist bereit, das zu finanzieren, aber Joe hegt schnell den Verdacht, daß der ehemalige Geheimdienstchef das Geld zum Betreiben einer kleinen Frachfluglinien aus anderen Motiven als dem Import von "exotischen" Delikatessen investieren will. Joe/Bogart vermutet, daß es um den Schmuggel mit Pencillin aus gestohlenen Armeevorräten geht. In Wirklichkeit hat Kimura vor, untergetauchte Kriegsverbrecher ins Land zu holen, um eine Widerstandsbewegung gegen die Amerikaner zu organisieren.

Die Aufnahmen stammen aus den Stadtteilen Shinbashi, dann Shibuya und abschließend wieder aus Shinbashi. Der Zeitraum läßt sich recht präzise auf die Zeit zwischen Anfang Dezember 1948 und die ersten drei Wochen des Jahres 1949 eingrenzen. Der Terminus Post quem ergibt sich aus der Tatsache, daß im der Mitte ein kurz ein Kinoplakat für den amerikanischen Weihnachtsfilm "Miracle on 34th Street" zu sehen ist, der Anfang Dezember 1948 in den japanischen Kinos anlief. Und der Terminus Ante quem findet sich ganz zu Anfang, wo an dem Laternenpfahl am rechten Bildrand ein Wahlplakat für die zweiten Parlamentswahlen nach Kriegsende zu sehen ist, die am 23. Januar 1949 stattfanden. Auf diesem Plakat bewirbt sich 今井はつ(Hatsu Imai, 1901-1971) als parteilose Abgeordnete für einen Sitz im Unterhaus. Imai war als Kandidatin der Liberaldemokratischen Partei (自由民主党 Jiyūminshutō) bei den ersten Nachkriegswahlen, bei denen Frauen zum ersten Mal das aktive wie passive Wahlrecht zugestanden worden war, als eine von insgesamt 19 Frauen ins Parlament gewählt worden, mußte ihren Sitz aber ein Jahr später wieder aufgeben und wurde aus der Partei ausgeschlossen, weil sich heraustellte, daß sie ihren Abschluß an der Universität von Osaka frei erfundenhatte. Da sie - im diesem Fall nachweislich - aber vorher für Zeitungen gearbeitet hatte, darf der geneigte Leser nicht nur an den Namen Petra Hinz, sondern auch Relotius denken. Bei den Wahlen von 1949 ging sie leer aus.

Und bei den Stichworten im vorletzten Absatz - "besetzte Hauptstadt," "Schmuggel mit gestohlenem Penicillin" - dürften die schon erwähnten Cineasten älterer Jahre einen zweiten "Moment-mal..."-Moment haben: kennen wir das nicht aus... ? Ja: aus Carol Reeds "Der dritte Mann," im Oktober 1949 nur einen Monat nach der Kinopremiere von "Tokyo Joe" in England in die Kinos gekommen. Harry Lime (Orson Welles) bezieht sein Einkommen aus genau diesem Geschäft. Und die Allgegenwart von Militär und Besatzungsverwaltung steht in beiden Filmen unübersehbar im Vordergrund. Natürlich sind auch Anklänge - schon beim Namen Bogart - an "Casablanca" nicht zu übersehen. Daß Sessue Hayakawa die Jahre des Zweiten Weltkriegs in Paris verbracht hatte und das FBI seine Kontakte erst einmal durchleuchtete, ob er für die japanische Regierung oder die mit Japan verbundenen deutschen Besatzer gearbeitet hatte, bevor sie ihm Carte blanche erteilte, fügt sich überaus passend in diese Gemengelage. Hayakawa, der 1915 als erster japanischer Darsteller in Hollywood zum Star geworden war. Hayakawa hatte 1937 die Hauptrolle in der deutsch-japanischen Ko-Produktion "Die Tochter des Samurai" unter der Regie von Arnold Fanck gespielt (ja: der Regisseur von "Die weiße Hölle von Piz Palü," "S.O.S. Eisberg," und Mentor Leni Riefenstahls) und war anschließend nach Frankreich gegangen, wo er die Hauptrolle im Max Ophüls "Yoshiwara" übernahm. Daß sein letzter vor dem Krieg in Frankreich entstandener Film "Sturm über Asien" unter der Regie von Richard Oswald entstand, der nach dem "Anschluß" aus Wien geflohen war, sei an dieser Stelle ebenfalls vermerkt.

Wer aus diesen Verflechtungen - die wie gesagt den Machern des Videos mit Sicherheit nicht gegenwärtig waren - den Schluß zieht: "die Welt ist klein" - und daß nicht erst seit der Ägide des Internetzes, dürfte nicht ganz daneben liegen. "Alles ist mit allem verbunden" (die Sentenz wird wahlweise Leonardo da Vinci, E. M. Forster, Goethe oder John Muir zugeschrieben). Poststrukturelle Transmodernisten vom Schlage von Gilles Deleuze und Félix Guattari würden hier von einem "Rhizom" sprechen. Das heißt: ALLES ist vielleicht doch nicht nicht allem und jedem verknüpft. Bei den von Gong Qiuxia besungenen Rosen handelt es sich speziell um 蔷薇 / qiángwēi, wie am Text deutlich zu hören ist, also um die Büschel- oder japanische Rose, Rosa multiflora - und nicht um "Rosen" im allgemeinen (das wären 玫瑰 / méiguī). Und diese Spezies wurde zuerst beschrieben und lateinisch benannt von dem schwedischen Botaniker Carl Peter Thunberg (1743-1828), der den Zeitraum von August 1775 bis November 1776 auf der holländischen Faktorei Deshima im Hafen von Nagasaki verbrachte. Und bei diesem Herrn Thunberg nun handelt es sich definitiv NICHT um einen Ahnherrn des Stockholmer Klimakobolds.



(Rosa multiflora)

U.E.

© U.E. Für Kommentare bitte hier klicken.