25. Januar 2021

Roboter@100



(Titelbild der tschechischen Erstausgabe)

Die Genese der Standardtopoi die Science Fiction - jener Sparte der Literatur, die die Weiten des Universums, die Tiefen von Raum und Zeit, vor allem aber: die uns bevostehenden Möglichkeiten der technologischen Entwicklung - zum Schauplatz ihrer Texte nimmt, verläuft oft in mehreren Schritten. H. G. Wells' Zeitmaschine war nicht die erste Versetzung eines Protagonisten aus dem Hier-und-Heute in eine andere Zeit (obwohl sich frühere Erzählungen dies als Vision erklärten oder auf einen Erklärungsansatz zuliebe der bloßen Mystifikation gleich ganz verzichteten - so etwa der Fund das Manuskriptes in Mary Shelleys Roman "The Last Man," das das Ende der Menschheit im späten 22. Jahrhundert schildert und doch - so die Autorenfiktion - im Jahr 1827 in einer Höhle auf Sizilien entdeckt wurde); die weiteren Facetten des Themas wie Zeitparadoxa oder eine "Zeitpolizei," die die Veränderung der bekannten Geschichte verhindert, sind später an den Grundgedanken der willkürlichen Bewegung durch die Zeit angehängt. Auch das Raumschiff unterlag einer solchen sprunghaften, disruptiven Evolution: von den ersten Postulaten mittels Ballonflug von Eberhard Christian Kindermanns "Die Geschwinde Reise auf dem Lufft-Schiff nach der obern Welt" aus dem Jahr 1744 (die die ersten Aufstiege ins Lufft-Reich durch die Gebrüder Montgolfier immerhin um ein paar Jahrzehnte vorwegnahm) bis zu Edgar Allen Poes Hans Pfaahl, Jules Verne bemannter Kanonenkugel aus "De la terre à la lune" von 1865 und ab Percy Greggs "Across the Zodiac" von 1880 dann allerlei geheimnisvolle Wundertechnik, mit der sich die lästige Schwerkraft schlicht neutralisieren ließ.

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Auch bei den "Blechkumpeln" (um den Titel der deutschen Übersetzung von Michael Frayns Roman "The Tin Men" von 1965 zu verwenden), an die seit nunmdehr genau einhundert Jahren jeder denken muß, wenn das Stichwort "Roboter" fällt, gab es vor ihrem ersten Auftritt im Národni Divadlo, dem Nationaltheater in Prag am Dienstag, dem 25. Januar 1921 in der Premiere des Bühnenstücks "R.U.R." des damals dreißigjährigen Karel Čapek ein paar verstreute Vorläufer aus den davorliegenden hundert Jahren: angefangen mit dem "wahrsagenden Türken" in E. Th. A. Hoffmanns Erzählung "Die Automate" von 1814 oder "Moxon's Master" in Ambrose Bierces gleichnamiger Kurzgeschichte von 1893, in der Moxon von dem schachspielenden Automaten, den er gebaut hat, kurzerhand erschlagen wird, nachdem dieser eine Partie gegen seinen Schöpfer verloren hat (daß HAL-9000 in Stanley Kubricks "2001 - A Space Odyssey", der alsbald zum Mörder an der Besatzung der "Discovery" wird, seinen ersten Auftritt in einer Szene hat, in der er gegen sein erstes Opfer Frank Poole eine Schachpartie gewinnt, darf als zitierende Reminiszenz an diese Tradition gewertet werden. Poole und HAL spielen hier übrigens die Partie zwischen Rösch und Willy Schlage aus dem Hamburger Meisterturnier von 1910 nach). Sowohl die Figur des "Türken" wie auch Bierces Schachspieler verweisen auf das Modell des Realen Lebens[TM], das hier Pate gestanden bzw. gesessen hat: jener "Schachautomat," den Wolfgang von Kempelen 1769 in Wien konstruiert hatte und gegen den Napoleon I. 1806 verlor, als er am Hof von Potsdam eine Partei mit ihm spielte. (Der oben schon erwähnte E. A. Poe kam 1835 in seiner Analyse "Maelzel's Chess-Player," zu dem Schluß, daß sich zwingend ein menschlicher Spieler im kastenförmigen Unterbau des Automaten verbergen müsse, da dieser oft Partien verlor, und ein von Algorithmen gesteuertes Rechenwerk aufgrund der streng deterministischen Regeln des Königlichen Spiels außerstande sein sollte, geschlagen zu werden.)

Aber diese, nennen wir sie "Proto-Roboter," waren "Einzelanfertigungen" - wie auch Tik-Tok, der seinen ersten Auftritt in 1907 in L. Frank Baums drittem Bericht aus dem "zauberhaften Land" Oz, "Ozma of Oz," hatte, mit seinen drei separaten Federwerken - je eines für die Bewegung, den mechanischen Hirnkasten und das Mundwerk - die er leider nicht selbst aufziehen kann. Ansonsten tritt hier aber der erste klassische "Maschinenmensch" die Bühne der Literatur: auch darin, daß er autonom agieren kann und ein Eigenleben (so man es so nennen kann) außerhalb der unmittelbaren Funktion im Text erfüllt. Bei "Rossums Universal-Robotern," die das Kürzel von Čapeks Drama bezeichnet, kommen zwei wichtige Facetten hinzu, die seitdem die Vorstellung von "Roboter" - in seiner menschenähnlichen, selbstgesteuerten Form - bestimmen: zum einen sind sie das Produkt einer Massenfertigung: ein weltweit verkauftes Heer von dienstbaren Geistern und Arbeitern, von deren Einsatz alsbald der Wohlstand der Welt abhängt - und der Aufstand der Automaten, die nach einkiger Zeit gegen ihr Sklavendasein revoltieren, und deren Rebellion das Ende der Menschheit zur Folge hat (ein Motiv, das in dieser Erweiterung des Themas wohl am wirkmächtigsten Nachhall gefunden hat, am bildmächtigsten sicher in den Filmen der "Matrix"-Trilogie). Und es tritt ein dritter Aspekt hinzu, den mit dem zweiten verknüpft ist: die Frage nach dem, inwieweit "Freiheit", "Selbstbewußtsein" solchen mechanischen Schöpfungen zugesprochen werden kann und welche Ansprüche daraus erwachsen können.

Čapeks Schauspiel, im Jahr zuvor im Prager Verlag Aventinum erschienen, beginnt - wir schreiben das Jahr 2000 - mit dem Besuch von Helena Gray, der Tochter des Präsidenten einer ungenannten "Weltmacht" auf der abgelegenen Insel, in der seit Jahrzehnten diese Kunstwesen gefertigt werden. Bei Čapeks Baumodell handelt es sich allerdings nicht um jene vollständig mechanischen Wesen, eben die "Blechkumpel," die wir heute mit dem Wort verbinden, sondern das, was in der Science Fiction seit faat ebenso langer Zeit als "Androiden" bezeichnet wird: als ein Kunstwesen von Menschengestalt auf biologischer Basis - vergleichbar etwa den "Replikanten" aus Ridley Scotts Film "Blade Runner" von 1982. Čapeks Roboter sehen ihren Schöpfern zum Verwechseln ähnlich. (Tatsächlich ist es oft eine Pointe beim Auftreten solcher Androiden, daß sich vermeintlich genuine Menschen am Ende als Kunstwesen herausstellen - wie so oft im Werk von Philip K. Dick, dessen Roman "Do Androids Dream of Electric Sheep?" die Vorlage für "Blade Runner" abgegeben hat.) Mrs. Grays Auftrag als Abgesandte der "Liga der Menschlichkeit" ist es, die Firmenleitung von Rossumovi Unverzální Roboti unter dem Vorsitz von Harry Domin davon zu überzeugen, ihren Produkten Rechte zuzugestehen und ihnen Lohn zu zahlen, damit auch sie die von ihnen produzierten Waren erstehen können. Das völlige Desinteresse der Kunstwesen an der Veränderung ihres Standes überzeugt sie schließlich von der Unsinnigkeit ihres Vorhabens.

In der Mauerschau erfährt der Zuschauer in diesem ersten Akt, wie es zur Massenproduktion gekommen ist: vom Biologen Rossum, dem seine Forschungen 1920 auf die einsame Insel verschlagen haben und der ein Dutzend Jahre später einer bis dahin unbekannte Art des Protoplasmas entdeckt hat, aus der sich frei formbare Kunstwesen erschaffen ließen (daß hier die Gestalt des Dr. Moureau aus H. G. Wells' "scientific romance" von 1896 durchscheint; der die freie Formbarkeit biologischer Erscheinungsformen durch Vivisektion erreichen wollte, ist unverkennbar). Rossum - sein Name läßt im Tschechischen das Wort "rozum" anklingen: Vernunft, Verstand; die deutsche Erstübersetzung von 1922 bildet das nach, indem der Name mit "Werstand" wiedergegeben wird - Rossum also treibt ein faustisches Bemühen: wie Victor Frankenstein will er ins Transzendente hinaus: seine Neuerschaffung des Menschen soll beweisen, daß Gott zur Erschaffung neuen Lebens und der Vernunft nicht vonnöten ist, und daß es als Konsequenz dieser Möglichkeit nicht einmal existiert. Sein Neffe, der ihn auf seiner Insel besucht und das kommerzielle Potential dieser Erfindung erkennt, überläßt ihn seinen Experimenten und macht sich daran, die Welt umzugestalten.

Čapek hat diesen theologisch-tranzendenten Aspekt zwei Jahre nach "R.U.R." in seinem Roman "Die Fabrik des Absoluten" noch einmal aufgenommen. Dort führt die Erschließung der ultimativen Energiequelle, der völlig Umwandlung von Materie in Energie, zur Freisetzung dessen, "was die Welt im Innersten zusammenhält," ganz im Sinne der Theologie Thomas von Aquins, nachdem dies auf der Gegenwart Gottes fußt. Die freigewordenen "Gottespartikel", nunmehr herrenlos (sit venia verbo) nisten sich sofort in den dafür empfänglichsten Plätzen. den für religiösen Wahn empfänglichen Seelen ein, und die entstehende Übersättigung führt zu einem weltweiten Ausbruch von Fanatismus und Glaubenskämpfen.

Auch in "R.U.R" kommt es zu nichtgeplanten Kaskadeneffekten. Chefingenieur Dr. Gall ist durch Helena - jetzt Frau Domin - angeregt worden, die neueste Baureihe, Radius, mit mehr Autonomie zu versehen, mit der Möglichkeit, selbstätig zu lernen und Initiative zu entwickeln; und ist dabei, eine weibliche Variante, Helena, als Prototyp zu fertigen. Zehn Jahre danach kommt es zum weltweiten Aufstand der dienstbaren Knechte, zu einem Krieg gegen die Menschheit, in der die Roboter obsiegen. Bevor als letztes Refugium die Insel eingenommen wird, vernichtet Helena die Formel, die die künstliche Vermehrung des Protoplasmas beschreibt, und verdammt so auch die Kunstmenschen zum baldigen Aussterben.

Der Epilog des Stücks spielt Jahre nach dem Sieg der Roboter über ihre einstigen Herrscher. Die Roboter haben als einzigen Menschen den Ingenieur Alquist am Leben gelassen, in dessen Arbeitsweise sie einen Verwandten von sich erkannt haben. Sein Auftrag ist die Wiedergewinnung der verlorenen Formel. Aber Alquist ist nur Mechaniker, kein Biologe: es gelingt ihm nicht, das Geheimnis zu lüften - auch nicht, als ihm die Roboter gestatten, an einigen von ihnen Vivisektionen vorzunehmen. Ein möglicher Hoffnungsschimmer für die Zukunft blitzt ganz am Schluß auf, als Radius und Helena beginnen, romantische Zuneigung füreinander zu entwickeln. Alquist sieht in ihnen eine Wiederkehr von Adam und Eva, eine neue überschrittene Schwelle, und legt ihnen mit ziemlich schwülstig-pathetischen Worten die Zukunft der Erde in die Hände. Freilich läßt das Stück offen, ob es sich dabei nicht um eine Illusion handelt.

"R.U.R." ist mit Sicherheit kein großes Theaterstück, kein gewichtiges Drama. Die aufgetragene Pathetik ist oft schwer zu ertragen - sie steht auch in grellem Gegensatz zur grotesken, kobolz schlagenden Situationskomik, die Čapeks Prosatexte - auch die, die er zusammen mit seinem Bruder Josef schrieb - so oft auszeichnen. Der Epilog beginnt so:

Alquist: Oh Gott! Werde ich niemals das Geheimnis entdecken - nie? Gall, Gall: wie hast du die Roboter erzeugt? Hallemeier, Fabry - warum habt ihr das nicht aufgeschrieben? Warum habt ihr mir euer Geheimnis nicht verraten? Gott: ich bitte dich - wenn es schon keine Menschen mehr gibt, soll es doch wenigstens noch Roboter geben! Wenigstens der Schatten der Menschheit!

(Er blättert wieder im Buch.) Wenn ich doch nur schlafen könnte!

(Er steht auf und tritt ans Fenster.) Schon wieder Nacht! Warum scheinen die Sterne denn noch? Wozu sind sie gut, wenn es keine Menschen mehr gibt, die sie sehen?

(Er wendet sich zur dem Sofa am rechten Bühnenrand.) Schlaf! Darf ich überhaupt schlafen, bevor ich nicht das Geheimnis des Lebens entdeckt habe?

(Er nimmt ein Reagenzglas von einem Beistelltischchen und betrachtet es von nahem.) Schon wieder nichts! Es ist sinnlos! Es ist alles sinnlos!

(Er zerschmettert das Reagenzglas. Von fern dringt Maschinenlärm an seine Ohren.) Die Maschinen! Immer die Maschinen!

(Er erblickt sich im Spiegel, der an der linken Wand hängt.) Triefaugen - ein zitterndes Kinn - so sieht also der letzte Mensch aus! Ich bin zu alt - viel zu alt....


Manche Kritiker haben befunden, daß "R.U.R." - nicht trotz seiner überzeichneten Pathetik, seinem O-Mensch!-Gestus - sondern gerade deswegen, dann die vom Autor intendierte Wirkung erzielt, wenn es als rasante Groteske inszeniert wird. Ein formale Verwandtschaft etwa zu den expressionistischen Stummfilmen jener Jahre, wie etwa "Das Kabinett des Dr. Caligari," ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. Wie dem auch sein mag: immerhin hat dieses Stück den Sprachen der Welt einen neuen Begriff geschenkt: eben den Roboter, der sich aus dem tschechischen Wort für Fron- und Zwangsarbeit ableitet.



U.E.

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