27. Januar 2021

Randbemerkungen zur Kommunikation oder warum man sich gar nicht verschwören muss.

Es ist mir schon mehrfach (und jüngst auch wieder) aufgefallen, dass oftmals das in vielen Debatten das Argument gezückt wird, diese oder jene Beobachtung sei ja eine Verschwörungstheorie. Mit der Implikation, dass das natürlich lächerlich, zumindest sehr unwahrscheinlich sei.

Dem ist real natürlich wirklich so. "Echte" Verschwörungen, wie man sie vielleicht aus Filmen oder Büchern kennt, sind tatsächlich extrem selten. Es gibt sie schon, beispielsweise in Form von Kartellen (beispielsweise das Schienen-Kartell oder auch das Wurst-Kartell), aber sie sind sehr selten und in aller Regel vor allem auch sehr klein. Sie können lange funktionieren, weil die Zahl der Beteiligten übersichtlich ist, aber sie tendieren genau deshalb auch dazu klein zu bleiben. "Die" große Verschwörung dagegen ist in freier Wildbahn noch nicht beobachtet worden. Und damit meint man so manchen Zusammenhang eben vom Tisch wischen zu können. 


Grundsätzlich ist das Argument in sich korrekt, die große Verschwörung, bei der Dunkelmänner in einem Keller in schwarzen Gewändern den Antichristen anbeten und nebenbei die Herrschaft über die Welt anstreben, scheint es eher nicht zu geben. Was es dagegen aber gibt ist jede Menge konkludentes Verhalten, so lange es den eigenen Interessen nützt. Bevor ich ins Details gehe, möchte ich dabei etwas um die Ecke ausholen:

Vielleicht kennt der eine oder andere Leser das faszinierende, kleine Browser-Spielchen agar.io. Eine simple Spielmechanik in dem der Spieler, zusammen mit mehreren Dutzend anderen Spielern auf einem Server, eine kleine Kugel steuert, die versucht die anderen Kugeln aufzufressen. Ohne zu sehr auf das Spiel einzugehen, agar.io hat zwei Eigenschaften, die in ihrer Kombination extrem spannend sind. Zum einen: Zusammenarbeit kann einem gewaltige Vorteile verschaffen, zwei Spieler, die entsprechend zusammen arbeiten, können den ganzen Server beherrschen. Nur gibt es zwei Besonderheiten: Damit das gut funktioniert müssen die Spieler einander sehr gut vertrauen, weil einer den anderen immer für Vorteile schlucken kann, zum anderen gibt es, und das ist der wichtigste Punkt, keine Kommunikation zwischen den Spielern abgesehen von ihrem Verhalten. Die Wechselwirkungen sind ausgesprochen spannend und wären für sich schon die eine oder andere Master-Arbeit in Psychologie wert. Entscheidend soll aber hier nur sein: Es findet jede Menge nonverbale Kommunikation statt. Und das lustige ist: Auf jedem Server finden sich dann immer auch Gruppen die zusammen arbeiten. Und zwar zum gegenseitigen Vorteil, nonverbal und ausgesprochen effektiv.

Jetzt komme ich zum politischen Teil: Im ZDF wurde schon einmal der Witz gerissen (und in ähnlicher Form etliche Male variiert): Man müsse erst Instruktionen aus dem Kanzleramt abwarten, bevor man etwas berichte. Haha, sehr witzig. Und es deckt sich natürlich mit dem oben: Wie lächerlich wäre eine solche Verschwörungstheorie, wie absurd wäre ein Anruf aus dem Kanzleramt? Natürlich gibt es den nicht, was es aber gibt ist konkludentes Verhalten. Merkel muss nicht anrufen, sie kann sich darauf verlassen(!), dass der ÖR nicht kritisch über sie berichten wird. Genauso wie sich der ÖR darauf verlassen kann, dass Merkel brav ihre Hand über sie hält und genau das Weltbild verkündet, dass von den Redakteuren geteilt wird. Sie kommunizieren wunderbar nonverbal: Bist Du lieb zu mir, bin ich lieb zu Dir, wir sind doch sowieso einer Meinung. Verschwörung? Nein, natürlich nicht, aber sinnvolles Verhalten für beide Seiten. 
Und die Welt ist voll mit solchen Beispielen, selbst bei vermeintlichen Gegnern. Die Mineralölkonzerne haben an den Zapfsäulen nahezu identische Preise. Und alle verdienen Geld. Müsste nicht nach den Regeln des Marktes jemand den Preis jetzt niedriger machen? Nee, überhaupt nicht. Denn dann macht der Konkurrent das auch. Und am Ende verdienen alle weniger. Es ist besser die Füße still zu halten und zu schauen, dass sich auch alle schön an das alte Konzept halten. Die Preise müssen niedrig genug sein, damit niemand neues in den Markt dringt, aber ansonsten so hoch wie möglich. Dafür muss niemand bei dem anderen anrufen. Noch vor einigen Jahren, als der Stahlpreis nicht so verfallen war wie heute, hat der Bergbaukonzern Vale die Preise für Eisenerz mal eben um mehr als 30% erhöht. Warum? Weil sie es können. Und die "Konkurrenz" ist brav mitgezogen. Hat da jemand angerufen? Vielleicht. Aber vielleicht auch nicht. Es ist gar nicht nötig, der Markt für Eisenerz wird im Wesentlichen von drei Firmen bestritten, die Kosten für neue Marktteilnehmer einzutreten erheblich. Da passt man sich auch scherzeshalber mal so an. Hat auch allen Dreien sehr gut getan. 

Worauf will ich hinaus? Nicht alles, was man mit einer Verschwörung erklären kann, ist auch eine. Aber eine Schweinerei wird nicht weniger zu einer, weil es keine Verschwörung gibt. Viele gruppendynamische Prozesse passieren ganz ohne ein geheimes Element, weil die Zusammenarbeit von nicht kommunizierenden Teilnehmer zwar schwieriger, aber nicht unmöglich ist. Und so lange die Beteiligten Vorteile davon haben, werden sie solche Prozesse auch eingehen mit dem Unterschied, dass bei einer konkreten, "realen" Verschwörung das Risiko ein erhebliches ist, was bei stiller Kommunikation gerade nicht der Fall ist. Wenn das ZDF jede Kritik an Merkel runterspielt und sich stattdessen die eine oder andere Haßperle gegen die AfD loslässt, ist das nichts, was auch nur irgendetwas beweist, mal ab von einer Schieflage. Wenn dagegen Merkel ihre Sonne über das ZDF scheinen lässt, exklusive Interviews mit ihrer Hofberichterstatterin Illner absolviert, dann ist das auch nichts, was sie nicht darf. Und das Risiko ist übersichtlich bis nicht vorhanden.

Ich will meinen Lieblingszitat eines deutschen Gerichtes anbringen: Schweinerei ist nicht verboten. Und so lange es keine "echte" Verschwörung ist, ist es auch nicht verboten. Eine Schweinerei bleibt es je nachdem trotzdem und von der Wirkung bleibt es sich absolut gleich. Und es wird vor allem deswegen nicht weniger zu einer Schweinerei, weil man es mit dem Argument der nicht vorhandenen Verschwörung reinwaschen will. 
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Llarian

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