6. Januar 2021

Das Impfdesaster



Dieser Beitrag erscheint mit einem Tag Verzögerung, da ich erst um einen ruhigen, halbwegs nüchternen Ton ringen mußte und nicht Gefahr laufen wollte, mich in meinem Zorn und in meiner Fassungslosigkeit zu Formulierungen hinreißen zu lassen, die justiziabel sind. Der Vorgang, der vor zwei Tagen durch einen Bericht der BILD-Zeitung bekannt geworden ist (die mittlerweile, neben "Tichys Einblick", das einzige Medium in diesem Land zu sein scheint, das noch kritische Recherchen zur Arbeit zur Arbeit der Regierung durchführt - was von seither die oberste Aufgabe der "Vierten Macht" war, statt nur als willfähriges Propagandawerkzeug zu dienen) - dieser Vorgang ist ungeheuerlich, und selbst ich, der ich unsere Regierung für unfähig und blind für die Wirklichkeit halte, hätte mir in meinen schlimmsten Träumen nicht vorstellen können, daß sie zu dergleichen fähig wäre.

Es geht um das, was seit Anfang dieser Woche als "Impfstoffskandal" geläufig ist. Es geht um die Tatsache, daß diese Regierung, die seit dem vergangenen April immer wieder, Tag für Tag, betont hat, daß wir ohne einen wirksamen Impfstoff gegen SARS-CoV-19, und ohne eine weitreichende Durchimpfung der Bevölkerung, die Pandemie nicht hinter uns lassen können. Es kommt nicht oft vor, daß ich mit den Zielen und Plänen unserer Regierung absolut d'accord bin. Aber hier hat sie recht. Und nicht sie allein: ALLE Regierungen der Welt verfolgen dieses Ziel: Das Virus zu eradizieren, es auszurotten, sein Auftreten auf Null zu bringen (in dieser Einmütigkeit sehe ich auch den Grund, warum die Entscheidungen unserer Regierung halbwegs richtig lagen. Wohlgemerkt: die ENTSCHEIDUNGEN, nicht die Durchführung). Für eine wirksame Erreichung dieses Ziels - wie es etwa China und Taiwan geschafft haben - ist es seit März zu spät; auch der Lockdown, der seit nun 9 Wochen andauert und bislang keine nennenswerte Wirkung zeigt, dient nur dazu, die Fallzahlen und ihr Anwachsen möglichst gering zu halten.

Man sollte meinen, daß es eine Selbstverständlichkeit wäre, daß eine Regierung alles daran setzt, um dieses Ziel zum schnellstmöglichen Zeitraum zu erreichen. Wir haben zurzeit pro Tag 500 Todesfälle an COVID-19; in jedem Monat also 15.000. Jede Woche Verzögerung führt dies fort. Man sollte meinen, die Regierung habe bei jedem Impfstoff, dessen Entwicklung erfolgsverprechend schien, sich ein größtmögliches Kontingent durch Vorkaufsoption gesichert, um es schnellstens und auf der brreitesten möglichen Ebene einsetzen zu können, sobald die für die Zertifizierung zuständige EU-Behörde EMA, die European Medicines Agency, die Vakzine freigegeben hat.

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Stattdessen hat sich nun herausgestellt, daß diese Regierung - konkreter: daß Frau Merkel persönlich - im Juli nicht nur die Versorung dieses Landes mit dem Impfstoff aus der Zuständigkeit des deutschen Gesundheitsministeriums genommen und an der EU-Kommission übertragen hat - das allein ist schon ein Skandal. Sie hat auch noch Gesundheitsminister Jens Spahn befohlen, in einem Schreiben, das die BILD vorgestern dokumentiert hat, die bereits getroffene Zusage auf das Angebot von Pfizer/BioNTech, statt der ursprünglich vereinbarten 200 Millionen Impfdosen 500 Millionen an die EU zu liefern, zu widerrrufen - und sich für diesen "nationalen Alleingang", den Herr Spahn mit vier seiner Kollegen aus anderen Staaten der EU getroffen hat, in einem Entschuldigungsschreiben zu erniedrigen, das "in devotestem Ton" abgefaßt zu sein hat. In den Medienberichten zum Thema ist nachzulesen, daß der Hintergrund für diese Intervention wohl von der EU-Kommission ausging und zum Ziel hatte, dem von der französischen Firma Sanofi entwickelten Impfstoff der Vorrang einzuräumen. Es ging also nicht darum, möglichst schnell möglichst viele Menschenleben zu retten, sondern nur um nationale Interessen.

Bei Licht betrachtet hat dieser Vorgang drei Facetten, die jeder für sich schon eine Ungeheuerlichkeit darstellen. Zum einen die selbstherrliche Intervention der Frau Bundeskanzlerin in Angelegenheiten, die direkt Leben und Gesundheit der Bevölkerung betreffen, und die Unterordnung dieser wichtigsten Aufgabe, die eine Regierung hat, unter die Interessen eines anderen Staates. Allein dies dürfte nach meinem laienjuristischen Verständnis den Tatbestand des Landesverrats erfüllen.

Das andere - das nicht direkt Folge dieses Vorgangs ist, aber dadurch jetzt erst seine fatale Konsequenz entfaltet, ist die Tatsache des jetzigen Impfstoffmangels. Die Vakzine von BioNTech ist seit Februar entwickelt worden; die drei benötigten Testphasen hat sie zwischen April und Anfang November durchlaufen: die Wirksamkeit im Labortest an Zellkulturen, die ersten Tests mit wenigen hundert Freiwilligen auf Verträglichkeit und der Wirksamkeit durch das Ausbilden von Antikörpern, und die große klinische Studie der Testphase III, bei der die Verträglichkeit, Wirksamkeit über Monate und nur im Promillebereich auftretende Nebenwirkungen ermittelt werden können. Diese Phase ist in Deutschland vom Juli bis Oktober an 63 Standorten mit einer Kohorte von mehr als 43.000 Probanden durchgeführt worden. Dies ist der Grund, warum England als erstes Land am 4. Dezember grünes Licht für seine Impfkampagne gegeben hat und es geschafft hat, nach einer Meldung der BBC von gestern, mehr als 1,3 Millionen Menschen die erste der beiden benötigten Impfungen zu verabreichen. Der von Sanofi entwickelte Impfstoff ist hingegen noch nicht einmal in der Testphase II angelangt: die ersten Versuche wurden im Noovember abgebrochen, nachdem sich bei älteren Patienten keine Antikörper gegen das Virus gebildet hatte. Zurzeit wird die Zusammensetzung der Vakzine angepaßt: Sanofi (die mit dem englischen Konzern GlaxoSmithKline zusammenarbeiten), hoffen, im Februar erneut mit der Testphase II beginnen zu können. Die Zeiträume der beiden entscheidenden Phasen lassen sich nicht verkürzen: die Verträglichkeit muß über Wochen überprüft werden, und der Titer an Antikörpern, den das Immunsystem ausbildet und der entscheidend für die Wirkung der Vakzine ist, muß über ein Vierteljahr (mindestens) konstant sein. Dies ist der Nachweis, daß das Immunsystem ein "Gedächtnis" ausgebildet hat und bei einer Infektion sofort anspringen kann. Bei einem Start im Februar und einem abschließenden Genehmigungsverfahren durch die EMA nach der Sichtung der Testergebnisse können wir also mit einem Einsatz des Sanofi-Impstoffs nicht vor Ende August rechnen.

Zwei Aspekte, die diese Facette des Skandals abrunden, sind, daß zum einen die EU-Kommission für die Beschaffung von Impfstoffen für eine Bevölkerung von fast 450 Millionen Menschen nur 2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat. Die US-Regierung hat, bei einer Bevölkerung von 340 Millionen, dafür 12 Milliarden US-Dollar budgetiert. Nun war es im Juli noch nicht absehbar, welcher Impfstoff zuerst verfügbar sein würde und zu welchem Preis - weswegen es oberstes Gebot war, auf alle Optionen zu setzen. Beim gegenwärtigen Stand wird eine Impfdosis von Pfizer/BioNTec € 12 kosten; eine Dosis von Sanofi voraussichtlich € 7,56 (ich entnehme diese Zahlen einem Bericht der belgischen Tageszeitung Het Laatste Nieuws vom 17. Dezember, der sich auf einen Tweet der Staatssekrärin Eva de Bleeker bezog (die Preise für eine Impfdosis von AstraZeneca beläuft sich danach auf € 1,78; auf € 10.00 bei Curevac und auf $ 18.00 für die Vakzine des amerikanischen Konzerns Moderna). Der Unterschied zwischen einer doppelten Dosis von Pfizer und Sanofi beträgt somit weniger als neun Euro. Ein Zyniker wäre geneigt zu sagen: der Sterben geht hier vorerst weiter, weil dieser Regierung das Leben eines Bürgers nicht einmal neun Euro wert war.

Hier reiht sich auch die ihrerseits ungeheuerliche Bemerkung des Staatsoberhauptes der Bundesrepublik Deutschland ein, der im Oktober betont hat, das Wichtigste an der anlaufenden Impfkampagne sei es, in allen Ländern gleichzeitig zu beginnen, um jeden Eindruck von "Impfnationalismus" zu vermeiden. Nicht nach dem verfügbaren Schutz der eigenen Bürger, sondern um eine rein symbolischen Geste willen. Einer Geste, der auch kein anderer Staat auf der Welt Respekt zollen wird: ein Land, eine Regierung, die nicht dem Schutz der eigenen Bevölkerung die höchste Wichtigkeit einräumt, hat ihre wichtigste Aufgabe verraten und sich das Recht verwirkt, sich in irgendeiner moralischen Angelegenheit anderer Länder zu äußern. Nach dem klassischen Staatsrecht von Hobbes über Hume und Montesquieu bis hin zu Gregor Jellinek ist der Schutz der eigenen Bürger der höchste Prius einer Regierung, und der einzige Grund, aus dem diese ihren Regeln Folge leisten müssen; verletzt die Regierung diesen ungeschriebenen Pakt, ist der Bürger berechtigt, diese Regierung zu beseitigen und eine neue an ihre Stelle zu setzen, die dieser Pflicht, die in den Gesetzen festgelegt ist, nachkommt. Er ist dazu schon im Interesse aller seiner Mitbürger dazu verpflichtet. Wenn das Staatsoberhaupt eines souveränen Staates diese oberste Pflicht unter das Verdikt "nationalistisch" stellt und auf jeden Fall als abzulehnen bezeichnet, dürfte auch dies in einem funktionierenden Rechtsstaat umgehend Anlaß sein, ihn seines Amtes zu entheben.

Der dritte Aspekt ist das Versagen der Verantwortlichen an nationaler Front. Das Gesundheitsministerium ist in dieser Angelegenheit zuständig; nicht die EU. Daß Herr Spahn sich hier das Heft aus der Hand hat nehmen lassen, macht ihn zu einem ebensolchen Täter wie die Kanzlerin. Daß die Behörden sich nicht in der Lage gesehen haben, über zehn Monate dafür zu sorgen, daß der Stand der Infektionen auch über das Wochenende gemeldcet werden kann, deutet freilich auf ein umfassendes Systemversagen. Herr Spahn - und das Kanzleramt, dem er meldepflichtig ist - müssen zwingend über die Zustände, die Lieferzahlen, die Entwicklung der Impfstoffe im Bild gewesen sein. (Sollten sie es nicht gewesen sein, wäre das eine ebenso eklatante Verletzung ihrer Amtspflichten.) Es oblag ihnen an oberster Stelle, hier zu reagieren, vorzubeugen, und nicht zuletzt die Bevölkerung umfassend und korrekt zu informieren, damit sie sich ein Bild machen kann und sich auf das Kommende einstellen kann. Ein "Huch, wir haben zu wenig Impfstoff!", nachdem man überall im Land Impfzentren hochgezogen hat, ist nicht nur Versagen, es grenzt an eine willentliche Verhöhnung der Bürger, die der Unfähigkeit und Willkür der Doktorspiele dieser Laientruppe hilflos ausgeliefert ist.

Auch das Herausstreichen durch die Medien, der Impfstoff von BioNTec sei durch die 300 Millionen Euro an deutschem Steuergeld ermöglicht worden, ist eine Augenwischerei; um nicht "eine bewußte Irreführung" zu sagen. Die erste Förderung nach Aufnahme der Entwicklung im Februar erfolgte durch den chinesischen Pharmakonzern Fosun mit Sitz in Shanghai im März; gegen die Summe von 375 Millionen US-Dollar erhielt Fosun eine Beteiligung 1,58 Aktienanteilen an BioNTech und das exklusive Vertriebsrecht für die Volksrepublik China, Taiwan, Hongkong und Macao. Die EU hat die Entwicklung im Juli mit 100 Millionen € gefördert. Die deutsche Regierung ist erst im September eingestiegen, nachdem sich auf der Hälfte der III. Testphase abzeichnete, daß der Impfstof sehr wirkungsvoll werden würde. Das war zwei Monate, nachdem Frau Merkel interveniert hatte.

Nun mag sich an der Impffront in den nächsten Monaten noch "einiges tun" - ich bin mir dessen sogar sicher. Der Impfstoff von Moderna ist heute von der EMA für die Verabreichung in der EU freigegeben worden. Um aber mal einen Eindruck vom bislang vorlegten Tempo zu geben, rechne ich einmal am Beispiel meines Bundeslandes NRW vor, wie es weitergehen würde, wenn im bisherigen Tempo weitergeimpft würde. Seit dem Impfbeginn vor 10 Tagen sind dort insgesamt 69.000 Menschen geimpft worden (gestern waren es 4100), 0,04% der Bevölkerung. Um die gesamten 17,93 Millionen Bewohner durchzuimpfen, würde man in diesem Fall 4300 Tage, also 12 Jahre, benötigen. Der Effekt der "Herdenimmunität," bei dem genügend Immunisierte vorhanden sind, um den Ausbreitungsvektor wirksam einzuschränken, liegt bei gut zwei Dritteln; diesen Wert zu erreichen würde immer noch 8,5 Jahre dauern. (Daß die neue Variante des Erregers, die sich von England aus ausbreitet, um wohl 70% infektiöser wirkt und daher die Immunisierungsrate erheblich höher, zwischen 80 und 90 % liegen dürfte, sei nur am Rande erwähnt.) Man darf sich auch bei der Zulassung des Impfstoffs von Moderna keinen Illusionen hingeben: nach Angabe des Konzerns, heißt es heute in der "Welt," werden "... in den ersten drei Monaten 2021 würden 100 bis 125 Millionen Impfdosen des Vakzins mit dem Namen mRNA-1273 produziert. Davon sollen 15 bis 25 Millionen außerhalb der USA zur Verfügung stehen." Die EU, die in Konkurrenz zu allen anderen zahlungskräftigen Staaten der Welt steht, wird also bis zum April 2021 höchstens 10 Millionen Dosen erhalten; Deutschland im günstigsten Fall die Hälfte, und diese 5 Millionen würden nur für 2,5 Millionen Geimpfte einen Vollschutz darstellen. Der jetzt von einigen Politikern ventilierte Vorschlag, die verfügbare Menge zu "strecken," indem man die Dauer zwischen den beiden Impfungen verlängert, läuft darauf hinaus, die wenigen vorhandenen Dosen auch noch unwirksam zu machen.

Natürlich kann man einwenden, die Impfstoffe seien "nicht hinreichend getestet", über Langzeitwirkungen würde es erst im Jahren Klarheit geben; noch nie sein ein Impfstoff auf der Basis von Boten-RNS entwickelt worden, und überhaupt sei noch gegen kein bekanntes Coronavirus eine wirksame Vakzine entwickelt worden. Man muß sich aber klar machen, daß die Alternative zur Anwendung darin bestehen würde, die Herdenimmunität nicht durch einen Impfstoff, sondern durch den Erreger selbst zu erreichen, ehe die Pandemie dadurch an ein Ende kommt. Wir hätten es dann mit jahrelangen Lockdowns zu tun - oder mit einem relativ kurzen, aber eben landesweiten Bergamo. Beides wiederspricht jeglicher medizinischer Ethik. Ein Land, das dergleichen bis zur letzten Konsequenz durchführen würde, wäre auf alle Ewigkeit, und zurecht, ein moralischer Pariah für den Rest der Welt.

Freilich: das Verhalten der Kanzlerin - und das Auftreten des Bundespräsidenten, der bekanntlich während seines Jurastudiums für eine linksextreme Zeitschrift tätig war, die unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stand - fügt sich nahtlos in ein gewisses Bild. Nämlich die Zustände in dem System, in dem Frau Merkel politisch sozialisiert worden ist. Die DDR war bekanntlich ein diktatorisches, autokratisches Regime, das nur Teil eines "größeren Ganzen" war; sie war Vasall der UdSSR, die die Richtlinien bestimmte. Im Sozialismus gab es die Institution der "öffentlichen Selbstkritik" (die die Ohrenbeichte ersetzt hatte, weil der Sozialismus fast alle seine zeremoniellen Aspekte vom Christentum abgeschaut hatte): Kadern, die von der Parteiführung für sündig, für unfähig befunden worden waren, konnten so, unter größter Selbsterniedrigung, um Gnade und Verzeihung bitten: wer sich an diese Vorgänge erinnert, hat bei dem würdelosen Schreiben von Herrn Spahn ein Dévà vu. Und dort war es üblich, daß ein Staatschef in autokratischer Manier Richtungsentscheidungen traf; ohne Rückgriff auf das nur der Staffage dienende Scheinparlament à la Volkskammer und Duma. Und vor allem war es üblich, Maßnahmen, die den eigenen nationalen Rahmen sprengten, an das "Zentrum des Weltfriedens" (so der unvergessene Bruchpilot Matthias Rust nach seiner Landung auf dem Roten Platz) zu delegieren. Nur daß im Frau Merkels Kosmos Brüssel hier Moskau als Zentrale des Weltfriedens, auch "Friedensprojekt EU" genannt, abgelöst hat. Aber in ihren selbstherrlichen, einsamen, desaströsen und zutiefst undemokratischen Entscheidungen - von der Energiepolitik über die fiskalischen Schutzschirme und die Grenzöffnung bis zu Delegation in der COVID-Krise sehen wir wieder und wieder dieses fatale Muster.

Die DDR war für die Sowjetunion unabdingbarer Bestandteil ihres Kolonialreichs; sie war als Produzent und Lieferung von Optik, hochwertigen Metallen, Feinmechanik fest in die Wirtschaftspläne eingeplant - für Güter, die sie benötigte, aber nicht selbst oder nur in minderwertiger Qualität produzieren konnte (für die Schwermaschinen und Fahrzeuge fiel diese Rolle der Tschechoslowakei zu; Straßenbahnen von Tatra fahren bis heute in Wladiwostok). Der Mauerbau mitsamt dem Schießbefehl war ein Verbrechen, aber er erschien dem Regime als notwendig, damit diese Produktion nicht aufgrund der "Abstimmung mit den Füßen" zusammenbrach. In den drei Jahren vor dem Mauerbau waren mehr als eine Million Menschen in den Westen geflüchtet; hauptsächlich Akademiker und Facharbeiter. Daß das Abschlachten aus Sicht dieses Staates ein hinzunehmendes Übel war, um die Bevölkerung wirksam einsperren zu können, erwies sich keine 60 Minuten, nachdem Günter Schabowski am 9. November 1989 seinen Zettel im Fernsehen vorgelesen hatte. Uwe Johnson ist von den westdeutschen Medien 1963 schwer angefeindet worden, als er auf diesen Zusammenhang hinwies: die Moskauer Führung hätte damals, auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs, niemals den wirtschaftlichen Zusammenbruch ihres wichtigsten Vasallen toleriert. Dafür war dieser Staat bereit, über Leichen zu gehen. Bislang ging man davon aus, daß an der innerdeutschen Grenze 327 Menschen beim Fluchtversuch ums Leben gekommen sind. Frau Merkels Kotau vor sinnloser Symbolpolitik im Namen einer fatalen Abkehr vom Wohlergehen der eigenen Bürger und ihre Neigung, sich jeglicher Verantwortlichkeit für ihr Tun zu entziehen, wird zur Folge haben, daß als Folge ihres eigenmächtigen Handelns in ein paar Monaten pro Tag mehr Menschen qualvoll sterben, daß in 28 Jahren an der Mauer.



U.E.

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