2. Dezember 2020

Einer lügt. Oder: Framing am Beispiel.

Vor zwei Tagen fiel diesem Autor in der ehemals renommierten Zeitung Welt folgende Schlagzeile auf:

"Intensivmediziner warnen - Das haben wir noch nie erlebt".

Was folgt ist ein ziemlich alarmistischer Artikel, der uns beschreibt wie ein Prof. Dr. Genot Marx, seines Zeichens Sprecher des Arbeitskreises Intensivmedizin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, darüber informiert, wie schlimm die Situation derzeit in deutschen Krankenhäusern, bzw. deren Intensivstationen derzeit ist. Und dass es so etwas noch nie gegeben habe und was natürlich nicht fehlen darf ist der Hinweis, dass der Lockdown ruhig noch ein bischen schärfer hätte ausfallen können (das Problem der Nachschärfung haben ja derzeit viele).

Das Problem daran ist: So richtig stimmen kann es eigentlich nicht. Denn gleichzeitig gibt es seit einigen Monaten von der deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), in der witzigerweise der oben genannte Professor Marx Mitglied ist, in Zusammenarbeit mit dem RKI dieses lustige Intensivregister, wo knapp 1300 deutsche Krankenhäuser ihre freien und belegten Intensivplätze hinterlegen. Und das kann man sich abrufen. Hier, um genau zu sein (man klicke auf Zeitreihen und betrachte das letzte Bild ganz unten). Zu diesem Bild kann man viel schreiben (de facto hat dieser Autor noch einen separaten Artikel dazu in Vorbereitung), aber an dieser Stelle genügt eine oberflächliche Betrachtung.

Simpel gesagt: Die Katastrophe, die Herr Marx uns verkaufen will, findet sich im Intensivregister nicht nur nicht wieder, sie ist nicht ansatzweise zu sehen, nicht einmal zu erahnen. Wir haben eine vorgebliche Katastrophe, die in realen Zahlen nicht stattfindet. Es findet gar nichts statt. Und das ist vollkommen widersinnig.

Es bestehen nur zwei Möglichkeiten: Entweder das Intensivregister lügt (man kann das nicht ausschließen, aber es wäre schon ein dickes Ding) oder Herr Marx lügt, bzw. übertreibt maßlos, dass man es eigentlich nur lügen nennen kann. Das Professor Marx auch noch Mitglied von dem Verein ist, der das Intensivregister betreibt, setzt dem noch die Krone auf.

Dieser Autor hält aber Zweiteres für deutlich wahrscheinlicher: Zum einen hat Herr Marx ein Motiv für sein Framing, er ist ein Lobbyist, der durchaus davon profitiert, wenn Krankenhäuser und Intensivstationen mehr Geld, bzw. auch nur Aufmerksamkeit bekommen. Zum anderen spricht er davon, dass pro Krankenhaus noch im Schnitt drei Betten frei seien. Bei letzterem fehlt der Kontext, denn in Anbetracht dessen, dass es über 1500 Krankenhäuser in Deutschland gibt, ist das weder neu noch dramatisch. Es klingt nur so, und es soll auch dramatisch klingen. Aber es ist nix besonderes. Und vor allem ist es nicht neu. Man muss nicht einmal zur asiatischen Grippe zurück gehen, aber schon die Grippewelle 2018 war von massiven „Todeswellen“ gekennzeichnet. Deutlich mehr als heute. Und jetzt will er uns verkaufen, dass es das „noch nie“ gegeben habe.

Prinzipiell könnte auch das Intensivregister lügen. Aber warum sollten sie? Und warum findet die Katastrophe dort nicht statt? Wo sind die Bilder, die wir aus Bergamo oder New York gesehen haben? Und erzähle keiner, dass es diese, wenn es auch nur in irgendeinem Krankenhaus in Deutschland passieren würde, diese nicht rund um die Uhr im ÖR laufen würden. 

Einer lügt. Ganz simpel. Tertium non datur. Und was ist das lächerlichste am Ganzen? Dieser Widerspruch müsste eigentlich jedem, der sich Journalist nennt, selber auffallen. Und als solcher müsste er mal Herrn Marx damit konfrontieren. Oder das Intensivregister. Das wäre dann wirklich eine journalistische Tätlichkeit. Aber vielleicht würde es das Framing stören. Panik verbreiten ist einfacher.

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Llarian

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