(Sidney H. Sime, "The House of the Sphinx")
Als ich das Haus der Sphinx erreichte, war es schon dunkel geworden. Man hieß mich dort freudig willkommen. Und trotz der Tat war ich froh über jeden Ort, der mir in diesem bedrohlichen Wald eine Zuflucht bot. Ich sah sofort, daß hier eine Tat geschehen war, obwohl man einen Mantel darüber gebreitet hatte, um sie zu verbergen. Allein die falsche Fröhlichkeit der Begrüßung ließ mir diesen Mantel verdächtig erschienen.
Die Sphinx war verdrossen und schweigsam. Ich war nicht hergekommen, um die Geheimnisse der Ewigkeit zu erfahren oder etwas über ihre kleinen Geheimnisse, und so hatte ich nicht viel zu sagen und kaum Fragen an sie, aber sie schwieg zu allem, das ich vorbrachte. Es war deutlich, daß sie mich im Verdacht hatte, die Geheimnisse ihrer Götter ausspähen zu wollen, oder ihren Umgang mit der Zeit; vielleicht sann sie aber auch über die Tat nach.
Mir wurde alsbald klar, daß außer mir noch jemand erwartet wurde. Ich erkannte es daran, wie die unsteten Blicke von der Tür zu der Tat und wieder zurück zur Tür wanderten. Und es war deutlich, daß der Willkommensgruß eine verriegelte Tür sein würde. Aber was für Riegel waren das, was für eine Tür! Rost und Moder und Schimmel hatten viel zu lang daran genagt; nicht einmal für einen entschlossenen Wolf stellte sie ein Hindernis dar. Und was immer es war, das hier erwartet wurde, schien ärger zu sein als nur ein Wolf.
Bald darauf konnte ich aus dem, was sie einander zuflüsterten, entnehmen, daß ein gewaltiges und entsetzliches Wesen auf der Suche nach der Sphinx war, und das etwas geschehen war, das seine Ankunft sicherstellte. Sie hatten der Sphinx sogar eine Ohrfeige versetzt, um sie aus ihrer Lethargie zu reißen, damit sie ein Gebet an einen ihrer Götter richten solle, die sie im Haus der Zeit ausgesetzt hatte, aber ihr Schweigen dauerte an und ihre Trägheit war die des Orients, seit die Tat geschehen war. Als ihnen klar wurde, daß sie vergebens auf ein Bittgebet hofften, blieb ihnen nichts anderes, als das verrostete Schloß der Tür zu betasten, und die Tat zu betrachten, und sogar Hoffnung vorzuschützen und einander zu erzählen, daß das Wesen aus dem Wald, dessen Namen niemand zu nennen wagte, womöglich doch nicht kommen würde.
Vielleicht scheint es so, daß ich in ein Haus des Grauens gelangt war, aber das täuscht, weil ich nicht den Wald, durch den ich gekommen war, beschrieben habe, und ich brauchte ein Plätzchen, an dem ich nicht mehr immerzu daran denken mußte.
Ich rätselte, welche Art von Wesen wohl aufgrund der Tat aus jenem Wald hierherkommen würde, und da ich ihn gesehen hatte - das habe ich Ihnen, lieber Leser, voraus - wußte ich, daß es jedes denkbare Wesen sein könnte. Es war zwecklos, die Sphinx zu fragen - sie gibt selten etwas preis, sowenig wie die Zeit, die ihr Geliebter ist (die Götter haben ihre Gepflogenheiten übernommen), und solange sich ihre Laune nicht änderte, war mir eine Abfuhr gewiß. Also machte ich mich behutsam daran, das Schloß der Tür zu ölen. Damit gewann ich sofort ihr Vertrauen. Nicht daß dies etwas bewirkt hätte - es hätte vor langer Zeit erfolgen müssen; aber sie sahen, daß ich mich mit dem beschäftigte, das sie für wichtig hielten. Sie drängten sich um mich. Sie wollten wissen, was ich von der Tür hielt und ob ich bessere oder schlechtere Türen kennen würden, und ich erzählte ihnen alles, was ich über Türen wußte und daß die Türen des Klosters in Florenz gediegener seien und die eines gewissen Tischlers in London schlechter. Und dann fragte ich sie, welches Wesen die Sphinx infolge der Tat bedrohen würde. Zunächst mochten sie keine Auskunft geben, und ich hörte auf, die Tür zu ölen, und daraufhin sagten sie, daß es sich um den Erzinquisitor des Waldes handele, der über alle Angelegenheiten wacht und richtet, die den Wald betreffen, und nach allem, was sie über ihn berichteten, schloß ich, daß es sich um eine äußerst bleiches Wesen handeln mußte, und daß es einen Wahnsinn um sich verbreitete, der alles im Umkreis durchtränkte, eine Art Nebel, der alle Vernunft erstickte, und dies der Grund war, warum sie das Schloß so furchtsam betasteten. Aber für die Sphinx handelte es sich nicht um Furcht, sondern um das sichere Wissen darum, was geschehen würde.
Die Hoffnung, an die sie sich zu klammern versuchten, war auf ihre Weise angemessen, aber ich teilte sie nicht. Es war deutlich, daß das, wovor sie sich fürchteten, die unausweichliche Folge der Tat war - das sah man eher aus der Hoffnungslosigkeit, die das Antlitz der Sphinx überzog als aus ihren kläglichen Bemühungen um die Tür.
Der Wind stöhnte, die großen Kerzen blakten, und ihre Furcht und das Schweigen der Sphinx verschmolzen immer mehr zu einer düsteren Stimmung, und Fledermäuse flatterten rastlos durch die Düsternis, als der Wind die Kerzenflammen nach unten schlagen ließ.
Dann begannen fern im Wald einige Nachttiere zu kreischen, dann ein wenig näher, und etwas kam mit furchtbarem Gelächter näher. Ich versetzte der Tür, die sie bewachten, hastig einen Schlag; meine Finger sanken tief in das modrige Holz - sie bot uns keinerlei Schutz. Ich verlor keine Zeit damit, ihre Panik zur Kenntnis zu nehmen; mir fiel die Hintertür ein, denn im Wald war es besser als hier. Nur die Sphinx rührte kein Glied. Sie kannte die Zukunft und sie schien ihr Verderben vorausgesehen zu haben, so daß darin kein Schrecken für sie mehr lag.
Aber ich klomm über die morschen Sprossen von Leitern, die so alt waren die Menschheit, am abschüssigen Rand des Abgrunds, mit einer lähmenden Beklommenheit im Herzen und Füßen, die mir den Dienst versagen wollten, von Turm zu Turm, bis ich die Tür fand, die ich suchte. Sie führte auf einen Ast hoch oben am Stamm einer riesigen dunklen Tanne hinaus, und ich kletterte von Ast zu Ast hinab bis zum Waldboden. Und ich war froh, wieder in dem Wald zu sein, aus dem ich geflohen war.
Was aber die Sphinx in ihrem bedrohten Heim angeht, so kann ich nicht sagen, wie es ihr erging - ob sie bis in alle Ewigkeit den leeren Blick auf die Tat richtet und in ihrem erloschenen Geist nur noch die Erinnerung daran bewahrt, daß sie einst um all die Geheimnisse wußte, vor denen die Menschheit erschauert - oder ob sie entkam, von Abgrund zu Abgrund schlich und am Ende zu Höherem gelangte und immer noch weise und unsterblich ist. Denn wer weiß schon, ob es sich beim Wahnsinn um ein Geschenk der Götter oder einen Fluch der Hölle handeln mag?
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"The House of the Sphinx" erschien zuerst in The Sketch vom 4. Januar 1911 und ein Jahr darauf in der Sammlung The Book of Wonder.
U.E.
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