30. März 2020

Keine Sintflut mehr, sagt die Taube

Wer kennt noch das Zählen der Wochen in Genesis 8? Die literarisch-philosophischen Schreiber in der „WELT“ und in der „ZEIT“ suchen nach dem Sinn der Heimsuchung und des Stillstands. Sie stimmen darin überein, dass wir heute keine mythisch-religiöse Deutung in Richtung Strafe für Sünden der Gesellschaft suchen können oder gar einen mahnend erhobenen Finger des Schöpfergottes. Wer meint, versündigt hätten wir uns „an den Menschenrechten, am Rechtsstaat, den Rechten der Tiere, am Klima, an den Ozeanen und an der Erde“(WELT) , muss ein Pole sein; und er ist es auch (Szczepan Twardoch, 40 Jahre alt). Corona trifft alle, wie schon das Erdbeben in Lissabon sogar die Falschen am meisten traf: Die zum Gottesdienst im Dom Versammelten. Wir sind restlos aufgeklärt. Aber damit ist uns noch nicht geholfen.

26. März 2020

Konzepte

Gestern habe ich mich darüber ausgelassen, dass es kein Konzept gibt, sondern nur stochern im Nebel und vor einiger Zeit hat ein Zimmermann vorgeschlagen, doch einfach mal Ideen zu sammeln, was in der Krise zu tun ist. Das ist eigentlich gar keine schlechte Idee, denn mäkeln kann natürlich jeder, aber sich Gedanken zu machen, wie man es besser machen könnte, ist eine andere Ebene.

Bekanntlich gibt es in Deutschland gut 80 Millionen Bundestrainer, insofern gibt es keinen Grund warum es nicht auch 80 Millionen Chefvirologen geben soll. Und warum nicht? Gemessen an dem, was die Bundesregierung abliefert (oder eher nicht abliefert), glaube ich nicht, dass sich diese 80 Millionen Chefvirologen dümmer anstellen würden. Im Gegenteil, frei von politischen Überlegungen und der Macht der eigenen Person, lässt es sich oftmals deutlich freier denken. 

25. März 2020

Kein Konzept

Ganz Deutschland liegt im Lockdown. Fast ganz Deutschland. Die Chinesen legten es vor, die Italiener notgedrungen nach und jetzt eben auch die Deutschen. Die Chinesen haben das Problem fast besiegt, die Zahl der Neuansteckungen ist nahezu null, die ersten Beschränkungen sind bereits aufgehoben, mit weiteren ist zu rechnen. Nun sollte eigentlich Italien auch dahin kommen, oder? Tut es aber nicht. Im Gegenteil. Während in China zwei Wochen nach dem Lockdown die Zahlen dramatisch einbrachen, passiert das Ganze in Italien leider nicht. Und dieser Autor versteigert sich zu der Prognose, das wird in Deutschland nicht anders sein.

23. März 2020

Streiflicht: Merkel muss in Quarantäne

Angela Merkel muss in Quarantäne. Sie wurde am Freitag gegen Pneumokokken geimpft, und bei dem Arzt, der ihr die Impfung verabreichte, wurde das Corona-Virus nachgewiesen. 
Das wäre an und für sich kein besonderes Thema, sie konnte schlechterdings wissen, dass der Arzt ein Träger war. Und prinzipiell ist es für eine Frau ihres Alters durchaus eine gute Idee sich gegen Pneumokokken impfen zu lassen, wenn eine Seuche, die auf die Lunge schlägt, gerade grassiert. Noch dazu, wenn man "gut vorbereitet" ist. Seit Wochen.  

22. März 2020

Das war’s. Die kollektive Besoffenheit hat gesiegt. Finis Noricus

Es ist wie 1914. Im Nachhinein ist leicht zu rekonstruieren, dass die europäischen Mächte seinerzeit geradezu ballistisch auf die sogenannte Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts zusteuerten. Doch für den damaligen Beobachter mag es zunächst gar nicht danach ausgesehen haben. Und als dann der Erste Weltkrieg ausbrach, war der Hurra-Patriotismus auch bei vielen groß, die sich wenige Jahre später dafür schämten oder davon nichts mehr wissen wollten.

Was die Gefährlichkeit des neuartigen Coronavirus betrifft, so bin ich nach wie vor Agnostiker. Es kann sein, dass wir gerade die schwerste medizinische Herausforderung seit hundert Jahren erleben. Es kann aber auch sein, dass wir es mit einer Schweingrippe 2.0 zu tun haben. Möglicherweise sind die von der Politik ergriffenen Maßnahmen völlig unzureichend. Aber es kann auch sein, dass diese Maßnahmen absolut überzogen sind. Vieles, was jetzt zum neuen Standard erklärt wird, ist mir alles andere als unsympathisch: Dass in Warteschlangen an Supermarktkassen die Unterschreitung einer körperlichen Schicklichkeitsgrenze fürderhin tabu ist, empfinde ich als eine riesige Errungenschaft. Man sollte aber schon auch bereit sein, die Schattenseiten des Kampfes gegen die Ausbreitung von Covid-19 ins Auge zu fassen.

20. März 2020

Nichts wird mehr wie es war

Vor knapp 20 Jahren entführte eine Bande von irren Mördern vier Linienmaschinen und setzen diese als fliegende Bomben ein, zwei davon brachten das World Trade Center zum Einsturz, alles in allem eine Tat mit etwa 3000 Toten und einem Sachschaden im Bereich von um die 10 Milliarden Dollar. Eigentlich nicht viel, sollte man meinen, aber es genügte das Denken einer ganzen Generation zu verändern, sorgte für massive Veränderungen sowohl im amerikanischen Haushalt wie auch in der amerikanischen Politik, innen wie außen. Es produzierte einen jahrzehntelangen Krieg, der selbst heute noch nicht beendet ist und kostete seitdem etliche zehntausend Menschen das Leben. Der 11. September 2001 war eine Zäsur der Geschichte, vielleicht nicht die alles umwerfende (wie der Beginn des zweiten Weltkrieges vielleicht), aber doch ein zentraler Wendepunkt.

18. März 2020

COVID-19. Münsterland. Update: Shutdown, Tag 2

...andererseits befanden sie sich in einer außergewöhnlichen Verfassung, in der sie, ohne die überraschenden Ereignisse, die über sie hereingebrochen waren, innerlich akzeptiert zu haben, natürlich genau spürten, daß etwas anders geworden war. Viele hofften immer noch, die Epidemie werde aufhören und sie und ihre Familie verschonen. Infolgedessen fühlten sie sich noch zu nichts verpflichtet. Die Pest war für sie nur ein unangenehmer Besuch, der eines Tages gehen mußte, wie er gekommen war. Erschreckt, aber nicht verzweifelt, war für sie der Augenblick noch nicht gekommen, in dem die Pest ihnen als ihre Lebensform schlechthin erscheinen sollte und sie das Leben vergessen würden, das sie bis dahin geführt hatten. Genaugenommen warteten sie ab.

- Albert Camus, Die Pest  



Die aktuellen Fallzahlen vom Mittwoch, dem 18. März 2020, dem zweiten Tag des "Shutdown":

In den letzten 24 Stunden hat sich weltweit die Zahl der registrierten Coronavirus-Infektionen auf über 200.000 erhöht (auf insgesamt 217.027); 84383 dieser Fälle sind noch "aktiv"; die Zahl der Todesopfer der Seuche stieg auf 8912. Frankreich verzeichnete in diesem Zeitraum einen Anstieg von 1404 auf 9134; Italien um 4207 auf  35.713 (die Zahl der Todesopfer nahm um 475 auf jetzt 2978 zu). Für Deutschland stieg die Zahl der Fälle um 2960 auf insgesamt 12.327, die Zahl der Verstorbenen erhöhte sich um 2 auf 28.

17. März 2020

COVID-19. Münsterland. Shutdown, Tag 1



(Netzfund: "So funktioniert Selbstisolierung: man schützt 1. sich selbst und 2. alle, die man nicht ansteckt.")

"Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos, dans une chambre."

Blaise Pascals bekanntes bonmot, alles Unglück auf der Welt rühre nur aus einer einzigen Ursache her: daß sich die Menschen nicht darauf verstünden, in Ruhe auf ihrem Zimmer zu bleiben (Pensées, II, 139), nimmt in diesen Tagen eine ganz neue Färbung an.

Heute, vier Tage vor dem astronomischen Frühlingsbeginn mit der Tag- und Nachtgleiche, ist der Frühling des neuen Jahres hier, am 52. Breitengrad, wirklich zum Ausbruch gekommen: heute morgen gaukelten gleich drei Zitronenfalter um die Büsche am Rand der Parkfläche unter meinem Fenster, bei frühlingshaften 13° Lufttemperatur.

16. März 2020

COVID-19. Münsterland. Shutdown, realiter

Jeder Leser dieses Blogpostings wird die Entwicklungen zum Ausbruch des Coronavirus und die drastischen Maßnahmen mitbekommen haben, welche die deutsche Regierung heute dazu erlassen hat. Ich werden mich also (gewissermaßen um meiner selbstauferlegten Chronistenpflicht nachzukommen), auf das kurze Notieren verlegen.

Mit dem heutigen Tag befindet sich das Land im Shutdown. Am Abend um 18 Uhr hat Bundeskanzlerin die entsprechenden Regelungen in einer Pressekonferenz bekanntgegeben. Das öffentliche Leben ist hiermit zum Erliegen gekommen; die Geschäfte zur Versorgung mit dem Lebensnotwendigen bleiben geöffnet - Supermärkte, Banken, Apotheken. Zwar scheint noch unklar, wie die Regelungen für den Einzelhandel aussehen (das mag daran liegen, daß dies nicht Angelegenheit des Bundes, sondern der einzelnen Länder ist - die unterschiedlichen Handhabungen der Feiertagsregelungen lassen grüßen); ich gehe aber davon aus, daß der überwiegende Teil des Einzelhandels ab morgen geschlossen bleibt, schon aus Rücksicht der Geschäftsführungen gegenüber ihrem Personal. Explizit von den angeordneten Schließungen sind betroffen:

15. März 2020

COVID-19. Münsterland. Geerdet



Der heutige Tag, Sonntag, der 15. März, wird in diesem fortlaufenden "Tagebuch des Seuchenjahrs" (um den Titel von Daniel Defoes halbfiktionalisierter aber faktengesättiger Schilderung der Pestepidemie in London 1665 ans dem Jahr 1725, A Journal of the Plague Year, anklingen zu lassen) als der Tag verbucht, an dem die deutsche Politik, salop ausgedrückt, "geerdet wurde" - als den nominell Verantwortlichen klar wurde, mit was wir es hier zu tun haben, daß die Reaktionen in der Nachbarstaaten nicht übertrieben sind und daß das bisherige: "es ist ja nur eine Art Grippewelle", "Grenzen können das sowieso nicht aufhalten", "wir sind gut aufgestellt!" und "nun ist es halt da!" nur ein Ausdruck der Hilflosigkeit, des Nichtstun und der brandgefährlichen Verantwortungslosigkeit darstellen. Heute hat die österreichische Regierung einen Lockdown über das Land verhängt - im an Norditalien angrenzenden Bundesland Tirol sogar im strikten Sinn einer flächendeckenden Ausgangssperre. Wie Bundeskanzler Kurz heute morgen in der Sondersitzung des österreichischen Parlaments erklärte:

Es gibt nur mehr drei Gründe, um das Haus zu verlassen:
1. Berufsarbeit, die nicht aufschiebbar ist.
2. Dringend notwendige Besorgungen, wie Lebensmittel.
3. Anderen Menschen helfen, weil sie es selbst nicht können.

14. März 2020

Corona, die zweite. Ein Gedankensplitter.

Inzwischen wird ja über kaum ein anderes Thema mehr gesprochen als über Covid-19, oder eben Corona, wie die Allgemeinheit eher sagt. Die Welle rollt heran wir ein Tsunami, man kann ihn fühlen, aber die Welle hebt sich langsam und wir wissen alle, dass wir bald im Wasser stehen. Es gibt inzwischen sowohl im restlichen Netz als auch in Zettels Raum ein paar sehr gute Artikel, die sich sowohl mit der eigentlichen Problematik qualitativ gut auseinandersetzen als auch das totale und andauernde Versagen der deutschen Regierung thematisieren. Ich denke nicht, dass ich dem derzeit noch viel zufügen kann und möchte, ohne das aufzugreifen was bereits wo anders steht oder gerade erst auch im kleinen Zimmer genannt worden ist.

13. März 2020

COVID-19. Münsterland. Shutdown


(Münster, Promenade auf der Höhe des Iduna-Hochhauses, 12. 3. 2020; eigene Aufnahme)

(Vorausgeschickt: Ja, ich weiß. Es nervt: meine zurzeitige Monothematik. Mein - scheinbar - ausschließliches Interesse an einem Thema, daß jetzt, in dieser Woche, sämtliche anderen Probleme, sämtliche Themenfelder aus dem Fokus der Öffentlichkeit verdrängt hat. Das auf allen Kanälen, wie man seit ein paar Jahren zu sagen pflegt "24/24/365" ventiliert wird: zu jeder Stunde des Tages, jeden einzelnen Tag, das gesamte Jahr hindurch. Das brutale Wirklichkeit ist: Es GIBT kein anderes Thema mehr, das ein Anrecht auf Aufmerksamkeit hat. Was kann ich, als Augenzeuge aus der Froschperspektive, als bislang nicht direkt Betroffener, noch zum Thema hinzufügen, das nicht schon hundert und tausend Mal entweder beschlagener oder ermüdend nichtssagend zu hören, lesen, sehen war? Nun: zum einen ist dies als ein Tagebuch gedacht, eine Sammlung von Notizen, die den gegenwärtigen Stand der Ereignisse festhalten, deren Verlauf - vielleicht - im Nachhinein sehen läßt, wie sich die Entwicklung der Pandemie zum jeweiligen Zeitpunkt präsentierte. Zum anderen Zitate und kurze thematische Verweise auf medizinische, auf politische Aspekte, die einen Kontrast zum mehr oder weniger unmittelbar Erfahrenen bilden, die, so hoffe ich, eine Art "stereoskopischer Sicht" wenigstens ansatzweise möglich machen. Und nein: ich weiß nicht, wie sich der weitere Verlauf gestalten wird. Ich weiß nicht, wie es in zwei Wochen, in einem Monat, in zweien in diesem Land, in dem Landkreis, von dem aus ich dies hier schreibe, aussehen wird. Niemand weiß es. Niemand kann sagen, ob sich die Fallzahlen auf einem mittleren Niveau einhegen lassen werden oder ob die Seuche sich ungehindert ausbreiten kann, bis das Maß erreicht ist, das uns Gesundheitsminister Spahn vor zwei Tagen freundlich angekündigt hat. Es bleibt nur das Abwarten, die Hoffnung, und die Chronistenpflicht. Und der Versuch, das meinige zu tun, nicht zum Verstärker und Multiplikator zu werden. Das letztere ist ein Vabanquespiel. Es ist unmöglich, angesichts der Bevölkerung, um die es hier geht - 82 Millionen - einen jeden fortlaufend durchzutesten; schon gar nicht, wenn befürchtet werden muß, daß er bei der nächsten zufälligen Begegnung zu dieser Kohorte stoßen wird. Die Dynamik der Entwicklung, die wir zurzeit sehen, läßt nichts Gutes erwarten.)

Warum mir die Corona-Krise Angst macht

Was die medizinische Einschätzung der Gefährlichkeit des SARS-CoV-2 betrifft, so übt sich der Verfasser dieser Zeilen einmal mehr in der für ihn so typischen Agnostik. Zu viel diametral Unterschiedliches hat er in den letzten Tagen und Wochen über dieses Thema gelesen, um dazu eine dezidierte Meinung zu vertreten. Es kann sein, dass hier wieder einmal eine Hysterie entfacht wird wie etwa bei den EHEC-Gurken oder der Schweinegrippe. Es kann freilich auch sein, dass wir einer zweiten Spanischen Grippe in actu zusehen, die nicht nur regional begrenzt die aus Norditalien bereits bekannten Gräuelszenen wie die sogenannte Triage, also den aufgrund zu knapper medizinischer Kapazitäten erfolgenden Behandlungsstopp (lies: Todesurteil) für einen Teil der Patienten, zeitigen wird.

12. März 2020

COVID-19: "Wuhan: Der letzte Sonnenuntergang"

­
Ohne Worte. 











U.E.

© Ulrich Elkmann. Für eine kurze Erklärung und Kommentare bitte hier klicken.

11. März 2020

COVID-19. Münsterland. Die Kanzlerin spricht

"Ja, mir geht es ausgezeichnet," sagte der kleine Mann. "Sagen Sie mal, Herr Doktor, diese verdammte Pest: das wird allmählich ernst!"
Der Arzt gab es zu. Und der andere stellte mit so etwas wie Heiterkeit fest:
"Es gibt keinen Grund, warum sie jetzt aufhören sollte. Alles wird drunter und drüber gehen."
Sie gingen ein Stück zusammen. Cottard erzählte, ein Großhändler in seinem Viertel habe Lebensmittel gehortet, um sie zu überhöhten Preisen zu verkaufen, und unter seinem Bett seien Konserven gefunden worden, als man ihn ins Krankenhaus gebracht hatte. "Dort ist er gestorben. Die Pest, die macht sich nicht bezahlt." So steckte Cottard voller wahrer oder unwahrer Geschichten über die Epidemie. Es hieß zum Beispiel, im Stadtzentrum sei ein Mann, der alle Anzeichen von Pest zeigte, eines Morgens im Delirium auf die Straße gerannt, habe sich auf die erstbeste Frau gestürzt, habe sie umarmt und dabei geschrien, er habe die Pest.
"Schön!" bemerkte Cottard in einem liebenswürdigen Ton, der nicht zu seiner Behauptung paßte. "Wir werden alle verrückt - das ist sicher."

- Albert Camus, Die Pest (1947)



Nun hat sie sich also zu dem auch bei uns rasant ausbreitenden Ausbruch des "neuartigen Coronavirus" geäußert: die Bundeskanzlerin, heute in der Bundespressekonferenz gemeinsam mit Gesundheitsminister Spahn, und schon gestern "hinter verschlossenen Türen" vor den Mikrophonen aller Medien, und kritische Geister könnten vermerken, daß ihr "liebenswürdiger Ton" nicht wirklich zu dem paßte, was sie dort vortrug. Daß es sich heute morgen um das übliche Florilegium von inhaltsleeren Wohlfühlphrasen handelte, um, wie ein Netzkommentator bissig anmerkte, Äußerungen "einer Pfarrerstochter, der es nicht gegeben ist, zu predigen" - geschenkt. Nun ist es halt da, das Virus. Pars pro toto:

9. März 2020

COVID-19. Münsterland. Wetterleuchten

"Zu jener Zeit schien sich das Wetter zu stabilisieren. Die Sonne saugte die Pfützen der letzten Regengüsse auf.. Schöner blauer, von gelbem Licht überfließender Himmel, Flugzeugbrummen in der aufkommenden Hitze - alles an der Jahreszeit lud zur Heiterkeit ein. Innerhalb von vier Tagen machte das Fieber jedoch vier überraschende Sprünge: sechzehn, vierundzwanzig, achtundzwanzig und dann zweiunddreißig Tote. Am vierten Tag wurde die Eröffnung des Behelfskrankenhauses in einer Vorschule gemeldet. Unsere Mitbürger, die bis dahin ihre Beunruhigung mit Scherzen kaschiert hatten, wirkten jetzt auf der Straße niedergeschlagener und stiller."

- Albert Camus, Die Pest (1947, zitiert nach der Übersetzung von Uli Aumüller)

Gestern haben hier im Münsterland die Forsythien begonnen, ihre Büsche wie mit intensiven gelben Schneesternen zu überziehen - gut zehn Tage vor dem üblichen Termin, heute zeigen die hängenden Zweige der Weiden hellstes Grün und die Schlehen überstäubt es weiß. Das Jahr ohne Winter geht in einem vorgezogenen Frühling über, der den des letzten Jahres noch übertreffen könnte, wenn wir nicht in der zweiten Monatshälfte von einem bösen Wintereinbruch überrascht werden. Der Natur ist die Entfaltung ihrer dunklen Seite, die sie uns gerade demonstriert, nicht einmal bemerkbar. Für Beobachter, die für Symbolik empfänglich sind, liegt in dergleichen auch etwas Tröstliches, wie in den ewig anbrandenden Wellen am Meeresufer.







8. März 2020

Randnotiz: Riexinger, Adolf und die Bobos.

Die Aufregung ist groß: Der Parteichef der SED, Bernd Riexinger, hat vergleichsweise offen seine Phantasien offenbart, was mit "den Reichen" nach der Revolution (vulgo: Machtergreifung) geschehen soll. Er wollte sie für "nützliche Arbeit einsetzen", was er immerhin schon für eine Relativierung der direkten Mordphantasien seiner Vorrednerin hielt. Jetzt ist das halbe linke Establishment aufgewühlt, es setzt "Kritik" von den Grünen, der SPD, den Jusos und nicht zuletzt auch aus der eigenen Partei.

6. März 2020

COVID-19. Münsterland. Die Ruhe vor dem Sturm

Bin zu alt um Waffen zu tragen zu kämpfen wie die andern
man bestimmte mir gnadenhalber den minderen Part des Chronisten
ich notiere - wer weiß für wen - die Ereignisse der Belagerung.

ich schreibe wie ich's vermag im Rhythmus endloser Wochen
Freitag: Beginn der Pest
...
ich weiß das klingt monoton keinen vermag's zu bewegen
ich meide das Kommentieren halte Gefühle im Zaum

- Zbigniew Herbert (1924-1998), "Bericht aus einer belagerten Stadt" ("Raport z oblężonego Miasta i inne wiersze", im polnischen Original 1983 in Paris erschienen; auf deutsch erschienen Frankfurt am Main 1985, S. 91-93)

Frivol gestartet - in diesen Zeiten ist ein gewisses Maß an schwarz grundiertem Humor die Bedingung dafür, den Zeitläufen mit einem gewissen stoischen Gleichmaß des Gemüts zuzusehen, auch wenn das gelegentlich zynisch anmuten mag. Anschließend wird es definitiv ernst.

Es gibt eine alte, schon aus der Antike geläufige Divinationsmethode, Bibliomantie oder auch Stichomantie genannt: sie besteht darin, ein hochverehrtes, wennmöglich gar heiliges Buch (etwa die Bibel oder das 易经, das Yijing, das "Buch der Wandlungen" - im Westen nach der kantonesischen Aussprache eher als I Ging geläufig ist, während es in China zumeist als 周易, Zhuji, "Die Wandlungen des Zhou" firmiert) als Orakel zu befragen, indem es aufs Geratewohl aufgeschlagen und der erste Satz, der dem Ratsuchenden ins Auge springt, als deutenden Fingerzeig höherer Mächte, des Fatums zu nehmen. Vor gut zwei Jahrtausenden war dies nach den damals oft verwendeten Quelltexten als sortes homericae oder sortes vergilianae bekannt. Hier nun ein Beispiel aus dem Jahr 2020, von vorgestern, dem 3. März. 

1. März 2020

Iustitias bares Haupt. Gedanken zum jüngsten Kopftuch-Beschluss aus Karlsruhe

Die jüngste Kopftuch-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist in frei zugänglichen Internet-Fachpublikationen auf zum Teil heftige Ablehnung gestoßen. Dass im deutlich links positionierten Verfassungsblog drei Artikel ihr Unbehagen mit dem betreffenden Beschluss (vom 14. Januar 2020, 2 BvR 1333/17) zum Besten geben (Steinbeis; Mangold; Sandhu), mag nicht besonders verwundern. Größere verbale Vehemenz findet sich indessen in einem Gastbeitrag des Lehrstuhlinhabers für Öffentliches Recht der Universität Bonn, Klaus F. Gärditz, für die Legal Tribune Online. Der Ordinarius aus der ehemaligen Bundeshauptstadt sieht in der Stellungnahme aus Karlsruhe letztlich den „verkrustete[n] Provinzialismus der Berliner Republik“ am Werk. Irgendwann würde dieser Beschluss auf kaltem Weg entsorgt werden, weil er „zu peinlich geworden“ sei.

Mich überzeugen die vorgetragenen Kritikpunkte ebenso wenig wie das Sondervotum des Richters Maidowski und die – tatsächlich nicht durchwegs stimmige – Begründung der Senatsmehrheit.

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